Heute in den Feuilletons

Weiblichkeit in stummen Posen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.02.2013. In der taz porträtiert Gabriele Goettle den Aktivisten Timo Lange, der eine Registrierungspflicht für Lobbyisten fordert. Frankreich diskutiert anlässlich der Césars über die Gagen seiner Schauspieler. Die Welt stellt die feministische aserbeidschanische Künstlerin Aidan Salachowa vor. Im NYRBlog entwickelt Colm Toibin Mitgefühl für die Mutter von Proust. Die FAZ hofft, dass der Kampf ums Leistungsschutzrecht nicht ausgestanden ist. Alles über die Oscars der Österreicher und auch einiger Amerikaner in der Presse, der New York Times und anderswo.

Weitere Medien, 25.02.2013

Zwei Oscars gehen nach Österreich, an Michael Haneke und an Christoph Waltz, meldet die Presse. Alles weitere in der New York Times (hier) bei Spiegel online (hier), alles über die Kleider bei Gawker (hier).

Der irische Schriftsteller Colm Toibin besuchte kürzlich eine Proust-Ausstellung in der Morgan Library und entwickelte dort vor einem Foto heftiges Mitgefühl mit Prousts Mutter, schreibt er im Blog der NYRB: "Mme Proust is seated, looking to the left, while her sons, young men in their twenties, stand on either side of her. They are beautifully dressed and have a look in their eyes that suggests the boulevard and the salon. There is something feline and sleek about the pair of them. It is easy to imagine why maman is so dour-looking and disapproving, her mouth firmly closed, her eyes fixed on the ground. She is a woman who knows what trouble looks like, and these boys are ready for trouble of the most sweet and tender and pleasurable kind."

Flaneur Joseph von Westphalen macht in der Abendzeitung eine ernste Anmerkung zu einem aktuellen Münchner Kriminalfall: "Die skandalöse Wirklichkeit besteht nicht nur aus großen Verbrechen. Der Fall der jungen Münchnerin, die, obwohl sie gefesselt war, von einem Polizisten in angeblicher Notwehr zusammengeschlagen wurde, bringt mehr Licht in die Arbeit der Polizei als unsere grotesk beliebten TV-Kommissarinnen und -Kommissare."

Der österreichische Jurist Viktor Mayer-Schönberger, Professor am Internet Institute in Oxford und Autor des Buchs "Big Data" (für das sich in Deutschland niemand zu interessieren scheint), erklärt im Interview mit Zeit online, warum die Auswertung großer Datenmengen nicht nur nützlich und gewinnbringend für Google und Co ist. Die Fahrer von UPS zum Beispiel biegen in den USA grundsätzlich nur rechts ab: "Der Paketdienst spart damit jedes Jahr zehn Millionen Dollar. UPS hat diesen Zusammenhang mithilfe einer sogenannten Big-Data-Analyse entdeckt. Dabei führt eine spezielle Software mehrere Datensätze zusammen, in diesem Fall: Unfallstatistiken, Statistiken über den Benzinverbrauch und die Aufzeichnungen über Millionen Touren der UPS-Fahrer. So stellte sich heraus, dass die UPS-Transporter deutlich seltener in Unfälle verwickelt sind, wenn sie nicht links abbiegen und somit den Gegenverkehr kreuzen, sondern stattdessen dreimal rechts abbiegen und dann geradeaus die Straße überqueren, von der sie ansonsten links abgebogen wären."

TAZ, 25.02.2013

Der letzte Montag im Monat gehört Gabriele Goettle. Heute stellt die Reporterin Timo Lange vor, der das Berliner Büro der NGO LobbyControl leitet und unter anderem eine obligatorische Registrierung für Lobbygruppen nach amerikanischem Vorbild fordert: "Es wird zwar der Einfluss der Lobbyisten nicht schwächer dadurch, das ist auch nicht das Ziel der Registrierungspflicht, aber die Kontrolle wird wesentlich besser. In Washington wurden 2011 über 3 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben. Man kann als Öffentlichkeit sehen: Aha, Boeing hat 18 Millionen Euro für Lobbyarbeit im Rüstungsbereich ausgegeben. Da kann man dann auch auf einer anderen Grundlage über Lobbyismus diskutieren, fragen, wo floss das hin?"

Auf Flimmern und Rauschen meldet Timo Reuter, dass sich noch in dieser Woche das Schicksal der FR und ihrer 450 Mitarbeiter entscheidet: "Der Groll vieler Mitarbeiter richtet sich gegen die bisherigen Gesellschafter, die SPD-Medienholding DDVG sowie die Verlagsgruppe DuMont Schauberg. Sie sollen angeblich zur Finanzierung der Transfergesellschaft bereit sein, würden aber laut Verlagskreisen nur rund die Hälfte der vor der Insolvenz durch eine Patronatserklärung versprochenen 10 Millionen Euro zahlen."

Und noch der Tom.

Aus den Blogs, 25.02.2013

In Frankreich wurden zwei Tage vor den Oscars die Césars vergeben. Der französische Film ist recht erfolgreich zur Zeit, schreibt Benoît Ameil in Rue89, aber die Anfang des Jahres angestoßene Diskussion über die Filmförderung, die zu aufgeblasenen Gagen für die Stars führt, geht weiter: "Der Film 'Le code a changé' (2009) zum Beispiel wurde mit einem Budget von 13 Millionen Euro finanziert, davon gingen 7 Millionen Euro an die Gagen der Schauspieler, also 55 Prozent."

Das internationale Journalismusfestival von Perugia bringt in seinem Blog die letzte E-Mail des französischen Fotografen Olivier Voisin, der in Syrien ums Leben kam - er sollte im April am Festival teilnehmen: "Today I met some families coming from Hamah who have lost their homes. They live underground or in caves. They have lost everything. Suddenly you re-evaluate the problem of the conditions of life with the people you're with. I took pictures but I'm not even sure that the AFP will take my photos."

Welt, 25.02.2013

Werner Bloch stellt die aserbeidschanische Künstlerin Aidan Salachowa vor, die im Moskauer Moma gerade mit einer Ausstellung "die Selbstbefreiung der Frau aus ihrer unverschuldeten sexuellen Unmündigkeit" einfordert: "Unter dem Titel 'Fascinans et Tremendum' zeigt sie das weibliche Geschlecht in all seinen Daseins- und Erregungsformen. Salachowa will der femininen Lust eine Lanze brechen. Gegen die Ketten, die Frauen nicht nur im Islam angelegt werden, sondern auch in Russland und im Westen. Da finden sich nun lebensgroße schwarz-weiße Frauenskulpturen aus Marmor, deren Schleier sich zum Körper hin merkwürdig öffnen. Da blickt man auf Zeichnungen verhüllter Musliminnen ('Persische Miniaturen'), die kleine alabasterne Minarette in der Hand drehen, welche verblüffend Dildos ähneln. Da suggerieren madonnenhaft-entrückte, düster verschleierte Frauenkörper Unnahbarkeit, während auf einem langen Seziertisch Weiblichkeit in stummen Posen ausgestellt wird, irgendwo zwischen archäologischem Artefakt, edler Porzellankunst und Beate Uhse."

Weitere Artikel: Gerhard Midding berichtet von der Verleihung der Césars, die ein wenig dadurch getrübt wurde, dass die Hälfte der Nominierten auf dem Weg zu den Oscars in Los Angeles war. Manuel Brug schreibt zum Tod des Dirigenten Wolfgang Sawallisch.

Besprochen werden Michael Hanekes Inszenierung der Mozart-Oper "Cosi fan tutte" in Madrid (die Manuel Brug als "altmeisterlich, fast wertkonservativ" beschreibt, was er positiv meint), Lukas Langhoffs Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Ratten" in Bonn ("pubertär", rügt Stefan Keim)

Auf der Forumsseite singt Andrea Backhaus ein Loblied auf die Frauen (und Männer), die in Ägypten auf Gleichberechtigung bestehen. Henryk M. Broder plädiert für mehr Kampagnenjournalismus: "Statt jeden Tag oder jede Woche eine neue Sau durch das Dorf zu treiben - gestern Brüderle, heute Amazon und morgen wieder Rösler -, bleibt man an einer Sache dran, bis sie geklärt ist. Hat sich Wulff als Ministerpräsident von Niedersachsen 'Vorteile' verschafft? Hat Guttenberg seine Doktorarbeit im Copy-and-paste-Verfahren hergestellt? War Gysi ein IM?"

NZZ, 25.02.2013

Holger Ehling freut sich über die Entscheidung der Unesco, die nigerianische Hafenstadt Port Harcourt für 2014 zur Welthauptstadt des Buches auszurufen. Andrea Köhler sinniert über die narzisstischen Antriebe der Kritik, pardon der Laien-Kritik im Internet. Thomas Schacher trauert um den Dirigenten Wolfgang Sawallisch. Michael Wenk schreibt zum hundertsten Geburtstag Gert Fröbes. Barbara Villiger Heilig bespricht Stefan Puchers Zürcher Inszenierung der "Katze auf dem heißen Blechdach".
Stichwörter: Pucher, Stefan, Schach

SZ, 25.02.2013

Mit äußerster Skepsis nimmt Willibald Sauerländer zur Kenntnis, dass die Staatlichen Museen zu Berlin kurzfristig eine zwar hochkarätig besetzte, aber nahezu klandestine Konferenz anberaumt haben, bei der es auch um die umstrittenen Pläne zum Umzug der Berliner Gemäldegalerie gehen soll. Man könne den "Bürgern den Verdacht nicht verübeln, dass diese Fachtagung ... das trojanische Pferd sei, mit dem die Gemäldegalerie Alter Meister am Kemperplatz in naher Zukunft ausgeräumt werden soll. Nur werden seinem Leib dann nicht die griechischen Helden entsteigen, sondern die Surrealisten der Sammlung Pietzsch."

Außerdem: Kai Strittmatter würdigt Josef Ratzingers Pontifikat aus chinesischer Perspektive: So habe sich dieser "bei Chinas Katholiken große Wertschätzung verdient". "Tatort"-Schauspieler Axel Milberg erinnert sich an Gert Fröbe, der heute hundert Jahre alt geworden wäre (beim Kulturradio des RBB finden wir ein halbstündiges Feature über den "deutschen Weltstar"). Wolfgang Schreiber verabschiedet sich von dem Dirigenten Wolfgang Sawallisch.

Besprochen werden Amélie Niermeyers Inszenierung von "Kabale und Liebe" am Münchner Residenztheater, Michael Hanekes Inszenierung von "Così fan tutte" am Teatro Real in Madrid, die Reinhard J. Brembeck als "Triumph des Eros und seiner Melancholie" preist, und "Falken", den neuen Roman von Hilary Mantel, über das sich die Autorin mit Alexander Menden unterhält (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 25.02.2013

Der Kampf um das Leistungsschutzrecht ist noch nicht ganz ausgestanden, hofft die FAZ ganz oben links auf Seite 1 der Zeitung und meldet: "Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält an einem Leistungsschutzrecht für Verlage fest, das sich gegen die Ausbeutung von Zeitungsartikeln im Internet wendet. 'Die Union steht weiterhin voll hinter dem Leistungsschutzrecht', sagte der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion, Günter Krings (CDU), der FAZ." Wolfgang Michal weist in Carta darauf hin, dass heute im Bundestag noch eine Anhörung zum #LSR stattfindet, die vom Bundestagsfernsehen live übertragen wird.

Im Feuilleton empfiehlt Nils Minkmar jedem, der sich von Politik noch desillusionieren lassen möchte, die Lektüre des Buchs "Jours de pouvoir" des ehemaligen französischen Landwirtschaftministers Bruno Le Maire, der erzählt, wie es unter Sarkozy, in der EU und als Marionette in der Hand des Kapitals so zugeht. In der Leitglosse zeigt sich Andreas Platthaus irritiert, dass Roland Reuß Nachdrucke seiner Kafka-Ausgaben, die widerrechtlich auf Amazons Marktplatz vertrieben werden, nicht juristisch verfolgen kann, weil Amazon seinen Sitz offiziell in Luxemburg hat - und Platthaus schlägt vor, jede Plattform, auf der urheberrechtlich geschütztes Material schwarz angeboten wird, automatisch zu bestrafen. Gerhard von Rohde schreibt den Nachruf auf den Tod des Dirigenten Wolfgang Sawallisch. Gina Thomas bringt neue Details zur Missbrauchsaffäre um den einst beliebten BBC-Moderator Jimmy Savile.

Besprochen werden eine Inszenierung von "Cosi fan tutte" durch Michael Haneke in Madrid und Thornton Wilders Komödie "Wir sind noch einmal davon gekommen" im Hamburger Thalia Theater und Bücher, darunter ein Band mit Stories von Grace Paley (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).