Heute in den Feuilletons

Wo Klamaukverflachung droht

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.02.2013. Nun will die Koalition die von der Presselobby servierte Kröte doch noch schlucken: Am Freitag soll das Leistungsschutzrecht verabschiedet werden. Im Internet kursiert eine Art Plakatkampagne gegen das Vorhaben. Im Tagesspiegel beschreibt der bulgarische Autor Georgi Gospodinov das System aus Korruption und Selbstbetrug in Bulgarien.  Die SZ ist nicht zufrieden mit dem Oscar für "Argo". Die FAZ verfällt der aparten Traurigkeit des Martin Kippenberger.

Spiegel Online, 26.02.2013

Nach einer kurzen moralischen Aufwallung Ende letzter Woche scheint die Koalition die von der Presselobby gereichte Kröte nun doch schlucken zu wollen: Noch in dieser Woche soll das Leistungsschutzrecht durchgepaukt werden, meldet Spiegel Online: "Der entsprechende Tagesordnungspunkt wurde am Nachmittag auf die Agenda der laufenden Sitzungswoche gehievt. Demnach werden die Abgeordneten am Freitagmorgen um 9 Uhr den Gesetzentwurf final beraten und darüber abstimmen."
Stichwörter: Leistungsschutzrechte

Tagesspiegel, 26.02.2013

Der Schriftsteller Georgi Gospodinov beschreibt den hilflosen Protest der Bulgaren nach dem Rücktritt des Premiers Boiko Borissow. Gegen wen oder was protestieren sie jetzt? "Wenn wir auf die Straße gehen und den Regierenden vorwerfen: 'Ihr seid schuld, dass wir so leben', dann ist das nur die halbe Wahrheit. Es ist eine Angewohnheit aus sozialistischen Zeiten, den Mächtigen die Verantwortung für alles zuzuschieben. Wir können den Staat nicht für all unsere Depressionen verantwortlich machen. Wer sagt 'Ich will nicht hier leben, weil die Mächtigen korrupt sind' und gleichzeitig einen getürkten Arbeitsvertrag mit Minimalgehalt unterschreibt, damit er dem Staat weniger Steuern schuldet, der wird selbst Teil dieses fatalen Systems. Zu ihm gehören auch Kaufhausangestellte, die einem das geringste Lächeln verweigern und der qualmende Taxifahrer, der nicht rauchende Fahrgäste anherrscht: 'In meinem Wagen tue ich, was ich will.'"

Außerdem: Mit "Argo" wurde bei den Oscars der harmloseste Film ausgezeichnet, meint Jan Schulz-Ojala.

Weitere Medien, 26.02.2013

Die International Herald Tribune soll künftig in International New York Times umbenannt werden, meldet Le Monde.
Stichwörter: New York, New York Times

NZZ, 26.02.2013

Uwe Justus Wenzel glossiert sprachwissenschaftlich die "Demission" des Papstes. Ansonsten reines Rezensionsfeuilleton: Besprochen werden unter anderem Bruno Madernas Oper "Satyricon" am Luzerner Theater, Ernst-Wilhelm Händlers Roman "Der Überlebende", Neuausgaben von Hermann Lenz, Tom Wolfes Miami-Roman "Back to Blood" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages)

TAZ, 26.02.2013

Catarina von Wedemeyer übt sich mit aktuellen philosophischen Magazinen in Wirklichkeitstheorien. "Das soll alles gewesen sein?", fragt Barbara Schweizerhof nach einer offenbar umsonst durchwachten Oscar-Nacht. Katharina Borchardt unterhält sich mit der Historikerin Liana Kang-Schmitz über das Verhältnis von Nordkorea zur DDR. Isolde Charim schreibt in ihrer Kolumne über das Kirchenasyl von Flüchtlingen in Wien. Margarete Stokowski liest noch einmal Felix Saltens "Bambi".

Und Tom.

Aus den Blogs, 26.02.2013

Das Internet wird auch ein deutsches Leistungsschutzrecht überleben, Google erst recht (nur die Verlage vielleicht nicht), meint Torsten Kleinz in seinem Notizblog, aber "es wird Abmahnungen geben von Idioten, die zehn vermeintlich kopierte Wörter als schutzwürdig erachten. Gerichte werden ihnen recht geben, weil im Gesetz schlichtweg nicht drin steht, was denn nun der Schutzgegenstand ist. Im Vertrauen darauf, dass das die Verlage schon verantwortungsvoll regeln. Doch schlechte Neuigkeiten: Verlage sind nicht die einzigen Mitspieler. Abzocker gibt es zu Hauf. Und sie finden Anwälte." Unterdessen zirkuliert, etwa auf Netzpolitik.org, eine Art Plakatkampagne in den sozialen Medien.

Welt, 26.02.2013

Die gerade mit dem Oscar ausgezeichnete 22-jährige Schauspielerin Jennifer Lawrence ist im Interview genauso forsch patent, wie man das immer liest. Hanns-Georg Rodek überlegt, warum ausgerechnet "Argo" den Oscar als bester Film gewonnen hat. Barbara Möller empfiehlt, heute abend auf Arte die Dokumentation "Staatsgeheimnis Bankenrettung" zu gucken. Die Académie française ist in einer Sinnkrise, meldet Uwe Schultz. Christiane Hoffmans berichtet von Rettungsversuchen für das NRW-Forum.

Besprochen wird Stefan Puchers Zürcher Inszenierung der "Katze auf dem heißen Blechdach" mit Julia Jentsch.

SZ, 26.02.2013

Michelle Obamas beispiellosen Auftritt bei der Oscarverleihung hält Tobias Kniebe für "eine rätselhafte Dummheit", insbesondere auch, da Hollywood für gewöhnlich auf die eigene Autonomie gegenüber der Politik pocht: Die First Lady hatte die Auszeichnung von Ben Afflecks Film "Argo", in dem ein Hollywood-Filmteam Geiseln aus dem Iran rettet, verlesen und damit prompt den Zorn iranischer Medien auf sich gezogen. "Argo" ist für Kniebe dummes politisches Kino: "Da wird das Fremde, in diesem Fall Iran, aus Gründen des Spannungsaufbaus mal wieder lustvoll dämonisch überzeichnet; da werden historische Fakten als Ausgangspunkt genommen, dann aber stark in Richtung Fiktion verdreht; und schließlich wird die Geschichte symbolisch umgeschrieben."

Weitere Artikel: Cathrin Kahlweit wundert sich über die Zurückhaltung, mit der man in Österreich dem Oscar-Doppeltriumph von Michael Haneke und Christoph Waltz begegnet. Der mexikanische Bischof José Raúl Vera López hofft, dass der Nachfolger von Papst Benedikt XVI. "die Freude, die Hoffnungen, die Traurigkeit, die Ängste der Lateinamerikaner teilen kann". Alex Rühle kommt leicht ratlos vom dritten "Mapping Democracy"-Abend in München nach Hause. Kevin Knitterscheidt meldet, dass von den rund 350.000 Handschriften aus der Ahmed-Baba-Bibliothek in Timbuktu über 200.000 vor der Zerstörung durch Islamisten gerettet werden konnten.

Besprochen werden die Ausstellung "Schönheit und Revolution" im Frankfurter Städel, die Berliner "Kiez-Oper" "Insanity" am Stattbad Wedding, Rudolf Freys "Nabucco"-Inszenierung an der Staatsoper Stuttgart (Egbert Tholl gibt sich mit dem "tollen Show-Effekt und der hier wieder verlässlichen Schönheit des Stuttgarter Opernchors" nicht zufrieden), eine weitere vom Publikum am Hamburger Thalia Theater gewählte Aufführung, deren Trashigkeit Til Briegleb in schiere Verzweiflung stürzt ("der Patient [stirbt] am Infekt der Bocklosigkeit"), und Bücher, darunter Carlo Frutteros Erinnerungen "Ein Herr mit Zigarette" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 26.02.2013

Wie angenehm sich Martin Kippenberger doch von den düsteren Mythenmalern à la Kiefer in den Achtzigern absetzte, findet Niklas Maak, der die Berliner Retrospektive des früh Verstorbenen besucht hat: "Wo Depression um sich zu greifen droht, rettet Klamauk, wo Klamaukverflachung droht, tun sich die Falltüren einer aparten Traurigkeit auf. 'Don't force me to kill you', heißt eine Zeichnung, man sieht einen Mafiaboss neben einem Riesenfisch sitzen und weiß nicht, wer hier zu wem spricht."

Weitere Artikel: Verena Lueken kommentiert die Oscars. Italien ist ein "betäubtes Land", diagnostiziert Dirk Schümer nach den Wahlen. In der Reihe über von Abhängung bedrohte "Nebenwerke" der Gemäldegalerie schreibt Beate Söntgen über Bouchers "Venus und Armor". Sascha Lobo legt eine ausführliche Analayse des in der FAZ verkündeten Twitter-Abschieds von Pirat Christopher Lauer vor. Und Hans-Christian Rössler hat nach einem Besuch bei der Schauspielerin Hanna Maron, die bei einem palästinensischen Anschlag in München 1970 schwer verletzt wurde, eine beruhigende Nachricht: "Das Opfer will keine Rache". Auf der Medienseite fragt Jan Wiele, wie Youtube unser Leben verändern wird.

Besprochen werden unter anderem Hauptmann-Inszenierungen in Köln und Bonn, Tschaikowskys "Mazeppa" an der Komischen Oper Berlin, Stefan Puchers Inszenierung der "Katze auf dem heißen Blechdach" in Zürich, ein Album des Jazzgitarristen Kurt Rosenwinkel und eine Neuausgabe von Hermann Lenz' Roman "Neue Zeit" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).