Heute in den Feuilletons

Ich bringe die Liebe mit

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.05.2013. Die NZZ gratuliert der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz zum "eminenten Coup", der ihr mit dem Schutzschirmverfahren gelungen sei. In der Welt ruft der scheidende Hanser-Verlager Michael Krüger nach Mäzenen für Suhrkamp, während Krügers Nachfolger bei Hanser, Jo Lendle, im Literaturcafé an der Zukunft von Verlagen überhaupt zweifelt. Im Perlentaucher greift der Theologe Jan-Heiner Tück in die Monotheismus-Debatte ein und weigert sich, den absoluten Wahrheitsanspruch von Religion aufzugeben. In der Jüdischen Allgemeinen spricht das Klavierduo Tal & Groethuysen über Wagner in Israel.

SZ, 30.05.2013

Tom Buhrow, der in den Tagesthemen immer leicht farblose Anchorman, wird nun WDR-Intendant und hat gestern eine viel besuchte Pressekonferenz gegeben, über die Hans Hoff auf sueddeutsche.de berichtet: Buhrow habe sich für das Vertrauen bedankt, schreibt Hoff: "Es folgt ein Konvolut von Bekenntnissen gegen das Kennedys 'Ich bin ein Berliner' ein feuchter Kehricht ist. 'Ich liebe den WDR', sagt er. Vor 28 Jahren und vier Monaten habe er dieses Gebäude betreten, damals als Volontär. 'Das ist schon ein Gefühl', sagt er. 'Ich bringe die Liebe mit', folgt dann auch noch. Er sagt das und kann es offenbar selbst nicht glauben, was er da gerade von sich gegeben hat. 'Ja. Is so', schiebt er nach..."

Der Rest der SZ hat heute, wie FAZ und FRAZ, Fronleichnam - wir gratulieren.

NZZ, 30.05.2013

Mit der Einleitung des "Insolvenzvermeidungs-Verfahren" ist der Suhrkamp-Geschäftsführung um Ulla Unseld-Berkéwicz ein "eminenter Coup" gelungen, meint Joachim Güntner. Die Idee war bereits im Dezember von Peter Sloterdijk in einem Focus-Interview ins Spiel gebracht worden, in der Hoffnung, der Verlag könne sich anschließend "'in einem etwas kleineren Format neu sammeln'. So könnte es nun, da sich Suhrkamp im Schutzschirmverfahren befindet, tatsächlich kommen. Der Philosoph denkt vor, und die Juristen setzen es um? Einen Triumph des Geistes wird man die Geschichte dennoch nicht nennen wollen."

Besprochen werden Luc Bondys Inszenierung von Molières "Tartuffe" bei den Wiener Festwochen ("wenn man nicht modisch sein will, braucht man dann gleich so altmodisch zu werden?", fragt sich Barbara Villiger Heilig), Jossi Wielers Stuttgarter Jubiläumsinszenierung der "Ariadne auf Naxos" sowie Filme, darunter "Before Midnight" von Richard Linklater (der für Christina Tilmann "der gewagteste, ambitionierteste, der brüchigste und reifste Film der Trilogie" ist) und Bücher, darunter Jirí Mordechai Langers Sammlung chassidischer Erzählungen "Die neun Tore" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 30.05.2013

Mara Delius unterhält sich mit dem scheidenden Hanser-Verleger Michael Krüger über die Suhrkamp-Krise. Er ruft nach Mäzenen: "Es geht nicht vorderhand um Investoren. Bestenfalls geht es darum, den Verlag so zu unterstützen, dass er seine kulturelle Arbeit machen kann. Eine Gesellschaft, deren reiche Mitglieder ohne Zögern Millionen für sogenannte Kunstwerke ausgeben, sollte stolz darauf sein, eine Goldgrube der literarischen und philosophischen Bildung zu fördern. Warum hat Herr Hoeneß seine Millionen, statt sie heimlich in der Schweiz zu verstecken, nicht heimlich Suhrkamp zugesteckt?"

Weitere Artikel: Als ungewöhnlich kommentiert Peter Dittmar ein Urteil gegen den Kunsthistoriker Werner Spies und den Genfer Galeristen Jacques de La Béraudière, die je zur Hälfte einen Schadenersatz von 652.883 Euro zahlen sollen, weil sie per Gutachten "grob fahrlässig" ein Beltracchi-Machwerk zum echten Ernst aufjazzten. Besprochen werden ein "Tartuffe" unter Luc Bondy in Wien und Filme, darunter Barbara Alberts Vergangenheitsbewältigung "Die Lebenden" und Terrence Malicks neuer Film "To The Wonder".

TAZ, 30.05.2013

Tobias Hering unterhält sich mit dem Filmemacher Jean-Pierre Bekolo, der aus Angst vor Repressalien wegen seines neuen Films "Le President" Kamerun vorübergehend verlassen hat. In dem Film geht es um einen - fiktiven - amtsmüden Regierungschef, und Bekolo meint, damit das Tabu berührt zu haben, "sich den Tag vorzustellen, an dem das Regime seine Macht verliert". Er erklärt: "Die tagline meines Films lautet: 'Wann weiß man, dass es Zeit ist, zu gehen?' Einige afrikanische Länder werden von Leuten regiert, die einfach nicht gehen wollen und ihre Gesellschaften in einer Art Geiselhaft gefangen halten. Die sollten sich mal diese ganz menschliche Frage stellen: 'Wann ist der richtige Zeitpunkt, um abzutreten?'"

Weitere Artikel: Brigitte Werneburg berichtet aus Venedig über den geglückten deutsch-französischen Pavillontausch auf der Biennale und stellt die Arbeiten der transnationalen Auswahl für den deutschen Pavillon vor, eingerichtet von Ai Weiwei, China, Dayanita Singh, Indien, Santu Mofokeng, Südafrika, und Romuald Karmakar, Deutschland.

Besprochen werden Barbara Alberts neuer Film "Die Lebenden" über die Geschichte ihres Großvaters, dem es laut Barbara Schweizerhof statt um Erkenntnis allerdings ums Wohlfühlen der Nachgeborenen gehe, der Fernsehfilm "Betongold", in dem Grimme-Preisträgerin Katrin Rothe die Geschichte ihrer eigenen Mietervertreibung erzählt, die DVD von Yuzo Kawashimas "A Sun-Tribe Myth from the Bakumatsu Era" von 1957 sowie der Essayband "Bentos Skizzenbuch" von John Berger (mehr dazu in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.

Perlentaucher, 30.05.2013

In der Perlentaucher-Debatte um Religion und Gewalt lehnt der Dogmatiker und Fundamentaltheologe Jan-Heiner Tück den Vorschlag von Jan Assmann ab, das Gefahrenpotential des exklusiven Monotheismus durch Relativierung der Wahrheitsansprüche einzudämmen: "Wie kann ein gläubiger Mensch, der davon ausgeht, dass Gott aus dem Verborgenen herausgetreten ist und sich ein für alle Mal geoffenbart hat, sowohl seiner Überzeugung treu bleiben als auch anerkennen, dass die Wahrheit möglicherweise doch noch verborgen ist? Läuft das nicht auf das Konzept einer gespaltenen Wahrheit hinaus, die hier die geschichtliche Selbstoffenbarung Gottes als wahr bekennt, die sie dort angesichts der verborgenen Menschheitsreligion als 'uneigentlich' zurücknimmt?"

Weitere Medien, 30.05.2013

Ann Katrin Bronner unterhält sich für die Jüdische Allgemeine mit dem Klavierduo Tal & Groethuysen, die gerade eine CD mit Wagner Transskriptionen, unter anderem von Alfred Pringsheim, aufgenommen haben. Yaara Tal spricht auch über das heikle Thema Wagner in Israel: "Ich bin völlig ohne Wagner aufgewachsen, hatte keine Ahnung von der Bedeutung seiner Musik. Als ich an der Hochschule in Tel Aviv war, hat unser Lehrer uns nach Schulschluss zum ersten Mal aus 'Tristan und Isolde' vorgespielt. Das war wie ein Rausch. Solche Klänge hatte ich in meinem Leben noch nie gehört! Und mir war plötzlich klar, dass ohne Wagner ein riesiges Stück Musikgeschichte fehlt. Das wurde ganz einfach ausradiert. Zumindest als professioneller Musiker führt kein Weg daran vorbei. Natürlich muss man Wagner nicht im Konzert spielen, aber diese Musik nicht wahrzunehmen, das geht einfach nicht." Außerdem in der JA: eine Erinnerung von Gila Lustiger an ihren Vater Arno Lustiger.

Daniel Lenz hat sich für buchreport.de am Rand der Hildesheimer Tagung Litfutur über die Zukunft des Literaturbetriebs unterhalten. Mit Bezug auf Guido Grafs Perlentaucher-Essay sagt der Hildesheimer Literaturabsolvent Jacob Teich zum Thema: "Ein Autor ist doch schon jetzt Schreibender, Lesender oder Performender, PR-Beauftragter und so weiter. Er kann ein Kurator sein, ein Vermittler, warum nicht auch Verleger? Vielleicht gilt es nur, die Flexibilität, die sich insbesondere durch die digitalen Möglichkeiten geboten hat, zu akzeptieren: Ja, es gibt im Netz Plattformen, die die Aufgaben des Feuilletons (viel besser) erfüllen. Ja, ich brauche nicht mehr zwingend einen Verlag, um mein Buch zu veröffentlichen. Ja, ich brauche nicht einmal mehr ein Buch, um Literatur zu veröffentlichen. - Aber all das wird eher als Gefahr wahrgenommen, als dass man diese Bereiche in sein Schaffen integriert und dem Diskurs angliedert."

Aus den Blogs, 30.05.2013

Nicht gerade optimistisch klingt, was der künftige Hanser-Verleger Jo Lendle bei der Litfutur über die Zukunft des Verlagswesen sagte (veröffentlicht ist seine kleine Rede im Literaturcafé): "Der heutige Verlag wird kein Verlag von morgen. Aus Unbeweglichkeit. Und, so romantisch und naiv das klingt, weil er an etwas anderes glaubt. An Zusammenrottung, an Gemeinsamkeit. An Auswahl. Verlage sind stolz auf diese Filterfunktion. Das macht sie nicht sympathischer. Die Orientierung erleichtert es trotzdem." Aber gleichzeitig: "Verlage sind schon heute definitiv nicht mehr nötig."
Stichwörter: Lendle, Jo, Verlagswesen, Zukunft