06.07.2013. Auch Herfried Münkler hat's natürlich gewusst. Und jetzt sagt er uns in der NZZ, wie's nach Prism weitergeht: Nicht gut für Europa. Eine Initivative von Wissenschaftlern ruft die Justizministerin auf, für Edward Snowden einzuschreiten. Die taz verteidigt den klassischen Intellektuellen gegen die taz. Die New York Times versucht die Preispolitik von Amazon zu verstehen. In der Welt erzählt David Mitchell, wie es ist, mit einem autisitschen Kind zu leben. Die FAZ hat die Verkörperung des korrupten Zusammenspiels von Regierung und Privatwirtschaft persönlich getroffen. Und eins ist der SZ klar: Amerika zerfällt.
NZZ, 06.07.2013
Auch
Herfried Münkler gehört zur Heerschar der Kommentatoren, die
nicht "
naiv" waren und es vorher schon wussten, aber immerhin stellt er ein paar lesenswerte strategische Überlegungen zu den Folgen des
Prism-Skandals an. Die USA haben einen Gesichtsverlust erlitten, aber auch die
Europäer gehören seiner Meinung nach zu den Verlieren: "Sie werden sich - zumindest ein wenig - von den USA absetzen, was in globaler Perspektive zu einer
Schwächung des '
Westens' führen wird, und die Kooperation der Geheimdienste wird schwieriger werden, was die Fähigkeit zur Abwehr terroristischer Angriffe einschränken wird. Und das wird vermutlich mehr zulasten der Europäer als der Amerikaner gehen."
Weitere Artikel: Der Theologe
Jan-Heiner Tück wirft einen Blick in die "Enzyklika der vier Hände", welche das "
Licht des Glaubens" annonciert. Peter Glaser
tut für die Kolumne "Schlaflos"
kein Auge zu. Online
begeistert sich Roman Bucheli über einen Text
Katja Petrowskajas beim Bachmann-Wettlesen.
Besprochen wird eine Ausstellung über "
Science-Fiction in Deutschland" in
Leipzig.
Literatur und Kunst widmet sich neuen Büchern, darunter
William Gaddis'
Erstlingsroman "Die Fälschung der Welt" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr) und der
Aufnahme des faschistischen Autors
Drieu la Rochelle in die Pariser Bibliothèque de la Pléiade.
TAZ, 06.07.2013
Es ist bei weitem nicht nur die
NSA, die gerne Mäuschen spielt, auch zahlreiche
Werbetracker nisten sich im Browser ein und schauen beim Surfen gerne interessiert über die Schulter,
stellt Johannes Gernert fest, den bei der Durchsicht der Cookies auf seinem Rechner zuweilen das nackte Grausen packt. Endgültig zuviel kriegt er, nachdem er sich über die Praxis des
Mikrotargetings schlau gemacht hat, deren Servicedienstleister erstaunlich hochauflösende Profile führen, zumal wenn sie diese mit Facebook-Profilen kombinieren, während NSA und BND im Hintergrund lauschen: "Was daran das Problem ist? Das Problem ist, dass es
zu spät sein könnte, wenn wir es merken. Sie können fast alles erfahren, wenn sie nur wollen. ... Es ist höchste Zeit, digital mündig zu werden. Echt, jetzt! Das ist der
Snowdensche Imperativ."
Richard David Precht sticht
Adorno? Über Peter Unfrieds
taz-
Artikel vom vergangenen Samstag, der darauf abzielte, hat sich Dirk Knipphals sehr
geärgert: Unfrieds Bild vom Intellektuellen ist nun wirklich nicht auf der Höhe der Zeit, hält er dem Kollegen vor. "Er hat immer noch einen Intellektuellentypus im Hinterkopf, der sich in der Abwertung des Populären verschanzt. Aber dieser Typus ist nur noch ein
Popanz, den er sich als einen für seine Zwecke der Precht-Verteidigung idealen, aber eben nur imaginären Gegner zurechttrickst. Gleichzeitig aber soll die Autorität, die dieser Typus einmal forderte, bewahrt und nun auf Figuren wie Precht übertragen werden. ... Hinter dem Lustigmachen über Intellektuelle (...) verbirgt sich also immer noch eine
versteckte Autoritätshörigkeit." Außerdem sieht Adorno besser aus als Precht.
Weitere Artikel: Frauke Böger
trifft sich mit dem
Pianist Davide Martello, der als
Klavierspieler vom Taksim-Platz berühmt geworden ist. Der
Schriftsteller Najem Wali bereist die beiden höchst unterschiedlichen irakischen Städte Erbil und Basra. Gesa Steeger und Susanne Memarnia
plaudern ausführlich mit dem Homosexualitätsforscher
Martin Dannecker. Jürgen Gottschlich
berichtet von der Präsentation der türkischen Übersetzung von
Reiner Stachs Kafka-
Biografie in Istanbul. Peter Schneider
unterhält sich mit der Kulturwissenschaftlerin
Brigitta Bernet über die Geschichte der Schizophrenie. Lukas Kleinhenz
porträtiert den obdachlosen Berliner Modedesigner
Andreas Brehm. In der Nordausgabe
spricht Frank Keil mit dem Fotograf
Thomas Henning über das Hamburg der 70er und 80er, das er in seinen
Fotografien dokumentiert hat.
Besprochen werden eine
Ausstellung mit
afrikanischen Fotografien in der
Walther Collection in Ulm, eine
Ausstellung mit
Tobias Zielonys Fotografien in der
Berlinischen Galerie, das Berliner
Konzert von
Thurston Moores neuer
Band Chelsea Light Moving und Bücher, darunter
Viktorija Tokarjewas Roman "Leise Musik hinter der Wand" (mehr in unserer
Bücherschau um 14 Uhr).
Und
Tom.
Aus den Blogs, 06.07.2013
Eine Initiative von Geisteswissenschaftlern
hat im Netz einen offenen Brief an Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger veröffentlciht: "
Edward Snowden, ist für die Zeit seiner Suche nach einem Land, das ihm Asyl gewährt, gezwungen, seine Sicherheit in Ländern zu suchen, in denen Freiheit, Demokratie und individuelle Selbstbestimmung nicht viel gelten. Es ist
eine Schande, dass ein Kronzeuge staatlicher Überwachungskriminalität in solchen Ländern Zuflucht nehmen muss. Wir fordern Sie darum auf, sich dafür einzusetzen, dass die Bundesregierung Edward Snowden Asyl anbietet."
Weitere Medien, 06.07.2013
Lange stand
Amazons Niedrigpreispolitik bei Büchern in der Kritik. In letzter Zeit hat Amazon die
Preise erhöht - und wieder beschweren sich Autoren und Verleger,
berichtet David Streitfeld in der
New York Times. Denn die ganze Preispolitik ist einfach
undurchschaubar: "Jim Hollock's first book, a true-crime tale set in Pennsylvania, got strong reviews and decent sales when it appeared in 2011. Now 'Born to Lose' is losing momentum - yet Amazon, to the writer's intense frustration, has increased the price by nearly a third. 'At this point, people need an inducement,' said Mr. Hollock, a retired corrections official. 'But instead of lowering the price, Amazon is raising it.' Other writers and publishers have the same complaint. They say Amazon, which became the biggest force in bookselling by discounting so heavily it often lost money, has been cutting back its deals for
scholarly and small-press books. That creates the uneasy prospect of a two-tier system where some books are priced beyond an audience's reach."
Laufen ist langweilig. Aber wenn
Zombies hinter einem her sind, ist es doch gleich viel sinnvoller. Man könnte sogar die
Welt retten! In Großbritannien wird die Fitness-App "Zombies, Run" jetzt sogar vom NHS empfohlen,
berichtet Fast Company. So geht's:
Sein Freund Emil betreibt
private Vorratsdatenspeicherung, weil er Angst hat, das das mit dem Internet eine Episode gewesen sein könnte,
schreibt Joseph von Westphalen in seiner Kolumne für die Abendzeitung: "Mit der Sammelwut eines Geheimdienstlers lädt er alles auf seine Festplatten, was ihn interessiert oder einmal interessieren könnte:
mittelalterliche Buchmalerei in höchster Auflösung, jede Menge alte
Bob-Dylan-Konzerte, Straßensänger in Paris oder New York, die gar nicht wissen, wie unpeinlich anrührend sie '
Lady Jane' von den Rolling Stones singen und ihr Video schüchtern bald wieder entfernen."
Welt, 06.07.2013
David Mitchell, Autor des viel gefeierten
Romans "Die tausend Herbste des Jacob de Zoet",
erzählt in einem angenehm konkreten Text, was es heißt, ein
autistisches Kind zu haben - etwa wenn es darum geht, das Kind
zur Schule zu schicken: "Nach einer Weile erhalten Sie eine Liste mit allem, was eine Grundschule zur Verfügung stellen muss: Beschäftigungstherapie, Förderung von Sprache und Sprechfähigkeit und eine individuelle Schulassistenz im Rahmen einer Förderklasse. Sie fragen, welche Schulen in der Umgebung all das bereitstellen können. Die Therapeutin wirkt etwas zugeknöpft und nennt zwei Schulen. Schule A ist
zwanzig Meilen entfernt, Schule B dreißig. Am Telefon fragt der Rektor von Schule A, ob Ihr Sohn spreche oder nicht. 'Ein bisschen', sagen Sie. Darauf erklärt der Rektor, sie arbeiteten nur mit
nicht-sprechenden Kindern, und wünscht Ihnen noch einen schönen Tag."
Weitere Artikel in der
Literarischen Welt: Ulrich Wickert unterhält sich mit
Hanns Zischler. Die Kunsthalle Karlsruhe bereitet die Ausstellung "Unter vier Augen" vor - ein Schriftsteller ist einem Porträt konfriontiert, drei Texte (Ursula Krechel, Martin Walser, Antje Rávic Strubel) sind vorabgedruckt.
Besprochen werden
Peter Schneiders biografischer Essay "Die Lieben meiner Mutter",
Viktor Pelewins Roman "Tolstois Albtraum",
Masha Gessens Biografie des Mathematikgenies
Grigorij Perelman und
Jan Bürgers literarische Reise zum
Neckar.
Im Feuilleton
sucht Lucas Wiegelmann in der ersten
Enzykla zweier Päpste "Das Licht des Glaubens". Hanns-Georg Rodek fragt sich, wie erfolgreich das von der Filmindustrie angekündigte Portal
Ultraviolet sein kann, wo man die Filme nicht leihen kann, sondern kaufen muss. Michael Pilz bespricht die neue Platte des Rappers
Jay-Z. Im
Forum darf der ehemalige britsche Europa-Minister
Denis Macshane in Sachen
Prism und Tempora abwiegeln.
SZ, 06.07.2013
"
Amerika zerfällt", stellt Hubert Wetzel beim Blick in die
USA fest, wo sich beide großen politischen Lager zusehends diametral voneinander fortbewegen: "Die Politik ist längst zum Transmissionsriemen dieses Zerfalls geworden. ... Das Abgeordnetenhaus ist schon lange zum Kampfplatz
betonköpfiger Ideologen verkommen, seit einigen Jahren wird auch der Senat mehr und mehr dazu. Wer zur gegnerischen Fraktion auch nur rüberzwinkert, gilt als Verräter. Republikaner und Demokraten sind wie zwei Ringer, die, einander fest umklammernd, von einer Klippe stürzen. Unten sind
beide tot, aber Hauptsache keiner hat losgelassen."
Weitere Artikel: Auf dem
Filmfest München sieht Tobias Kniebe Filme nach Drehbüchern von
Christian Kracht und
Moritz von Uslar, in denen es "um das Deutschsein [geht] - in seiner härtesten, teilweise auch hässlichsten Form". Fritz Göttler spricht mit Filmregisseur
Mike Figgis unter anderem über die Potenziale des
Internets ("
Netflix oder Video on demand, das ist die Zukunft"). Peter Richter speist mit
Phyllis Lambert. Jens Bisky schreibt den Nachruf auf den
Germanisten Paul Raabe.
Besprochen werden das
neue Album von
Dillinger Escape Plan, die Ausstellung
"100 Tage Emscherkunst", der Dokumentarfilm "Appassionata" über die
Pianistin Alena Cherny, eine Ausstellung über das
Zaudern im
Württembergischen Kunstverein Stuttgart, eine Ausstellung mit "Kunstobjekten und Textilien aus historischen Privatsammlungen" in der
Abegg-Stiftung in Riggisberg, eine Aufführung von
Ruederers "Fahnenweihe" bei den
Luisenburg-Festspielen, ein "Hamlet"
in Meiningen und Bücher, darunter
Dan Kierans "Slow Travel" (mehr in unserer
Bücherschau um 14 Uhr).
In der Wochenendbeilage lobt Hilmar Klute die Überraschung durch den
Zufall und schmäht die Sicherheit der algorithmischen Vorausberechnung. Christina Berndt und Cornelius Pollmer beobachten den Aufstieg ästhetischer Normen im
Genitalbereich samt einer dazugehörigen chirurgischen Branche. Tobias Kniebe führt ein kurzweiliges Gespräch mit
Michael Caine, der unter anderem seine schweren Augenlider preist: "Damit kann man die Leute sehr gut erschrecken, schon in der Schule nannten sie mich 'Schlangenauge'. Oder schauen Sie sich Robert Mitchum an - der hat ganze Filme
allein mit seinen Augenlidern bestritten."
Und hier nochmal
ein Link auf
sämtliche Entschuldiungsversuche der
SZ bezüglich der Illustration eines Artikels über israelkritische Bücher.
FAZ, 06.07.2013
Wie durch den Albtraum eines Antikapitalisten wandelt Patrick Bahners über das Aspen-Festival, wo sich
Milliardäre, Geheimdienstler und Politiker in Zigarren rauchender Bonhomie zum Austausch von Ideen und Geschäften trafen. Nicolas Berggruen etwa sprach über die Vorzüge des
Mehrklassenwahlrechts. Vor allem aber hatten die Herren des Sicherheitsdienstleisters
Booz Allen Hamilton gut lachen: "Verantwortlich für den Geschäftsbereich Nationale Sicherheit bei Booz Allen Hamilton ist seit 2009, seit seinem Ausscheiden aus dem Amt des obersten Geheimdienstchefs, Mike McConnell, der immer noch als Admiral angeredet wird. Bevor Präsident Bush ihn wieder in die Pflicht nahm, hatte McConnell schon einmal zehn Jahre lang die Geheimdienstleistungssparte der Firma geleitet. 'Ich bin die
Verkörperung des korrupten Zusammenspiels von Regierung und Privatwirtschaft', sagt er - ein Zitat aus der Zeitschrift
Wired."
Im Interview mit Klaus Engler spricht der spanische Architekt
Enrique Sobejano über die katastrophale
Lage in Spanien, die besonders die Jungen sehr hart treffe, die jetzt immerhin ganz neue Wege gehen. Die Altvorderen seiner Branche kann Sobejano aber nicht von einer Mitschuld an der Immobilienblase freisprechen, da "fünfundachtzig Prozent der in dieser Zeit errichteten Bauwerke
den Namen Architektur nicht verdienen".

Weiteres: Julia Voss stellt
Osman Hamdi Beys "Schildkrötenerzieher" vor und fragt sich, wie diese Allegorie des Stillstands zur
türkischen Ikone werden konnte. Eleonore Büning preist den
Kissinger Klavierolymp als Ausnahme unter den Pianistenwettbewerben, bei denen nur noch Beziehungen und Artistik zählten. Jürg Altwegg berichtet, dass die Türkei ein Denkmal für den
Genozid an den Armeniern in Genf zu verhindern versucht. Betrübt beobachtet Nils Aschenbeck den Verfall von
Hans Scharouns Häusern im russischen Tschernjachowsk.
Auf der
Medienseite weist Juan S. Guse auf die vom Blogger
Sascha Pallenberg aufgedeckten Beziehungen zwischen Google und dem Werbeblocker
Adblock Plus hin, der nur "unaufdringliche" Werbung zulässt - und
Google-Anzeigen: "Pallenberg erklärt, dass Firmen, deren Werbung auf der Whitelist steht, gleichzeitig finanzielle Partner der Betreiberfirma Eyeo sind."
Besprochen werden
Upton Sinclairs Roman "Öl!",
Walter Kappachers Prosaband "Die Amseln von Parsch" und
Rolf Bauerdicks Buch mit dem eindeutigen Titel "Zigeuner" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
In der
Frankfurter Anthologie stellt Hans-Joachim Simm
Max Herrmann-Neißes Gedicht "Das zerbrochene Rondo" vor:
Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.