Heute in den Feuilletons

Provokationsverwurstungsmaschine

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.08.2013. Der Guardian enthüllt, dass der britische Geheimdienst GCHQ für seine Arbeit von der amerikanischen Regierung bezahlt wird. In der taz erklärt Hans de With, Vorsitzender der G-10-Kommission zur Geheimdienstkontrolle, was er alles nicht erfährt. Auch die Chinesen spionieren - vor allem an amerikanischen Universitäten, meldet die NZZ. In FR und Welt erklärt Günter Wallraff, warum er in Istanbul den Prozess gegen den türkischen Schriftsteller Doğan Akhanlı beobachtet. In Bayreuth handelte sich Frank Castorf für seinen "Ring" standing buhvations ein, die Kritiker waren größtenteils zufrieden.

Weitere Medien, 02.08.2013

Die amerikanische Regierung hat dem britischen Geheimdienst GCHQ, der unter anderen eifrig die Europäer belauscht und den transatlantischen Datenverkehr abhorcht, in den letzten drei Jahren mindestens 100 Millionen Pfund gezahlt, damit er für sie spioniert, berichten im Guardian Nick Hopkins und Julian Borger, die dafür Dokumente von Edward Snowden vorlegen. "The top secret payments are set out in documents which make clear that the Americans expect a return on the investment, and that GCHQ has to work hard to meet their demands. Ministers have denied that GCHQ does the NSA's 'dirty work', but in the documents GCHQ describes Britain's surveillance laws and regulatory regime as a 'selling point' for the Americans."

In einem anderen, sehr ausführlichen Artikel beschreiben Nick Hopkins, Julian Borger und Luke Harding die Aktivitäten des britischen Geheimdienstes.

TAZ, 02.08.2013

Hans de With, Vorsitzender der G-10-Kommission zur Geheimdienstkontrolle, erklärt im Interview, wie gründlich die Kommission Abhöraktionen des BND überprüft. Nur wenn amerikanische Geheimdienste im Spiel sind, hat die G10 wenig Kontrollmöglichkeiten. So darf der BND etwa Daten, die aus Einzelmaßnahmen gewonnen werden, an die US-Geheimdienste weitergeben, hier "muss die G-10-Kommission nicht informiert werden. Das finde ich persönlich falsch. Hier müsste das Gesetz nachgebessert werden." Und wenn die NSA Daten über deutsche Bürger, die sie in Deutschland ausspioniert hat, an den BND weitergibt, muss die Kommission ebenfalls nicht informiert werden: "Auch das ist nicht vorgesehen", sagt de With.

Das gesundheitsgefährdende Gebuhe und Gepfeife des Publikums nach Fallen des Vorhangs noch im Ohr, resümiert Niklaus Hablützel im Kulturteil Frank Castorfs Bayreuther "Ring"-Inszenierung: "Castorf lässt vier Stücke spielen, die lose an dem sehr dünnen Faden des historisch-materialistischen Märchens vom Ölkrieg hängen. In Wirklichkeit haben sie damit so wenig zu tun wie Wagners Texte mit der Nibelungensage. Es sind Spielvorlagen für Typen aus einer geschlossenen Subkultur. Sie reden (und singen) in Wagners Stabreimen daher wie in einem szenetypischen Idiolekt. Castorf will daran überhaupt nichts interpretieren. Er versucht nur, semantisch dekodierbare Schauplätze zu erfinden, in denen diese allesamt ziemlich irren Figuren heute agieren könnten."

Besprochen werden das neue Album "II" des Berliner Produzententrios Moderat und das Album "Body Music" der britischen Band AlunaGeorge.

Und Tom.

FR/Berliner, 02.08.2013

Im Gespräch mit Frank Nordhausen berichtet Günter Wallraff vom Prozess gegen den türkischen Schriftsteller Doğan Akhanlı in Istanbul, dessen 2011 errungener Freispruch wegen eines angeblich 1989 begangenen Raubüberfalls im April aufgehoben worden war. Wallraff sieht den Prozess als "Farce" und fühlt sich an den Prozess gegen die Schriftstellerin Pınar Selek erinnert, die nach mehreren Freisprüchen Anfang des Jahres verurteilt wurde: "Wir haben Anhaltspunkte, dass auf die Gerichte eingewirkt wird, unliebsame Kritiker zu kriminalisieren. Zahlreiche entlastende Momente sind da, werden aber beiseite gewischt. Die Fälle Pinar Selek und Dogan Akhanli sind fast deckungsgleich: Beide Autoren wurden belastet durch Aussagen, die durch Folter erpresst und später widerrufen wurden. Bei beiden gab es Null Beweismittel, und es wurden auch keinerlei neuen Beweise oder gar Zeugen beigebracht. Man hat einfach alte Polizeiakten wieder hervorgeholt, um eine Verurteilung durchzusetzen. Das ist reine Willkürjustiz."

Weiteres: Christian Schlüter erkennt in Mathias Döpfners Strategie für Springer "einen Abschied von der journalistischen Arbeit und einen massiven Ausbau des nicht-journalistischen Portfolios".

Welt, 02.08.2013

"Standing Buhvation" für Frank Castorf in Bayreuth, aber Manuel Brug war sehr zufrieden: "An dieser 'Götterdämmerung' wird auf szenischer wie musikalischer Seite noch zu arbeiten sein, ansonsten war die Wahl dieses Jubiläums-'Ring'-Gespanns richtig. Sie offerierte einen Nachwuchsdirigenten mit einer brillant-eigenständigen Interpretation samt einer selten ausgeglichenen Besetzung von weitgehend hohem Niveau. Und Frank Castorf, trotz Formschwankungen ein diskursanführender Regisseur im deutschsprachigen Theaterbereich, hat eine rotzig-rüde, zärtliche Deutung präsentiert, die eine morbid-zerfallende Welt vorführt; pessimistisch ist, aber liebevoll im Detail."

Weiteres: Günter Wallraff erklärt im Interview, warum er zum neuen Gerichtsprozess gegen den Journalisten Dogan Akhanli, der in einem Roman den Genozid an den Armeniern thematisiert hatte, nach Istanbul reist: "Wo es um Unrechtssysteme geht, gibt es keine inneren Angelegenheiten." Besprochen wird die Manet-Ausstellung "Rückkehr nach Venedig" im Dogenpalast in Venedig.

NZZ, 02.08.2013

"Alarm in Academia", ruft Ronald D. Gerste und referiert Berichte (vor allem diesen in der New York Times) über massive chinesische Cyber-Spionage - die Universität Berkeley spricht von "Millionen versuchter Einbrüche jede Woche" - an amerikanischen Hochschulen: "Es gibt wenig Zweifel, dass das Interesse von China und anderen Staaten mit regierungsnahen Hackern (genannt werden vor allem Russland und Vietnam) vor allem handfesten Erträgen der Wissenschaft gilt, wobei die Bereiche Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin und Biotechnologie und selbstverständlich auch alles, was militärisch einsetzbar ist, im Vordergrund stehen."

Besprochen werden der Fernsehfilm "Die Gentlemen baten zur Kasse" (dessen Konzept, Szenen aus dem 60er-Jahre-Film "Die Gentlemen bitten zur Kasse" mit Doku-Elementen zu mixen Claudia Schwartz nicht recht einleuchtet), neue CDs mit Aufnahmen von Kompositionen Carlo Gesualdos sowie Frank Castorfs Jubiläums-"Ring" (den Peter Hagmann als "nicht zu Ende gedacht, in der Ausführung nur halbwegs bewältigt" beurteilt).

SZ, 02.08.2013

Auf Seite Drei treffen sich Peter Burghardt, John Goetz,Hans Leyendecker und Frank Nienhuysen in Rio de Janeiro mit dem Journalisten Glenn Greenwald (@), der Edward Snowdens Papiere über die NSA im Guardian veröffentlicht hat. Greenwald ärgert sich vor allem über das Auftreten Angela Merkels, die er für absolut verlogen hält: "'Deutschland kooperiert und teilt mit der NSA Wissen, aber die USA spionieren auch gegen Deutschland, und das verstößt gegen die deutsche Verfassung.' Gibt es zur deutschen Rolle noch mehr Hinweise? 'Da ist noch mehr zu Deutschland', sagt Greenwald, 'aber ich rede nicht über das, was wir noch nicht publiziert haben.' Wenn es heißt, aus Deutschland würden jeden Monat 500 Millionen Kommunikationen abgegriffen, dann hält Greenwald das für möglich. 'Es geht insgesamt um Trillionen Transaktionen', sagt er."

Zeuge eines "endlose Minuten" andauernden "Buhgetöses sondergleichen" wurde Reinhard J. Brembeck zum Abschluss von Castorfs "Ring"-Inszenierung auf dem Grünen Hügel. Offenbar recht amüsiert nahm dies der Regisseur zur Kenntnis, der sein ungehaltenes Publikum sogar noch anstachelte. Doch allem Trubel zum Trotz: "Bravo" ruft der Kritiker seinen Sitznachbarn laut entgegen: Castorf "hat Wagners 'Ring'-Text genau gelesen. Er hat aber weder unter den Göttern, Riesen, Menschen, Zwergen noch Tieren einen einzigen liebeswerten Charakter entdeckt, sondern ausschließlich Macht- und Sexgierige, die die Liebe verraten. Das zeigt er schonungslos. Sowohl texttreu als auch von immenser szenischer Phantasie getrieben, erzählt er Wagners Traum vom besseren Leben, das die Liebe übers Geld stellt."

Weitere Artikel: Jan Füchtjohann spricht mit dem Rechtswissenschaftler Maximilian Becker über dessen Abhandlung über die Gültigkeit von Verträgen mit Scharlatanen aus der Eso-Szene. Helmut Mauró winkt dem aus München scheidenden Kent Nagano traurig hinterher und feiert ihn als "einen der beliebtesten und geschätztesten Chefdirigenten, die München in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat." Thorsten Glotzmann berichtet von einem Besuch Schweizer Autoren im LCB Berlin.

Besprochen werden das neue Album des Trios Moderat, die Slapstick-Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg und Peter Stamms Roman "Nacht ist der Tag" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 02.08.2013

Ein "Tsunami der Proteste" überrollte Frank Castorf nach seinem "Ring" in Bayreuth, schreibt Eleonore Büning, die mit in die Buhrufe einstimmt, auch wenn das den Regisseur kein bisschen anficht: Dieser "posiert und grinst und kraftmeiert, und er greift sich immer wieder an den Kopf, um den Buhrufern einen Vogel zu zeigen. Mehr als zehn Minuten dauert die absurde Szene ... Deutlich tritt in diesen Minuten zutage, was die zersplitterten Castorfschen 'Ring'-Ideen zusammenhielt. Es ist der Zynismus desjenigen, der sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt. Wenn Mythos und Märchen, Geschichte und Gesellschaft, Musik und Politik nur noch Material für eine Provokationsverwurstungsmaschine sind, wird die Theaterarbeit zum sinnentleerten, pseudoaufklärerischen Ritual."

Weitere Artikel: Patrick Bahners besucht einen Vortrag des NSA-Chefs Keith Alexander, der darin recht "sentimental" die Verfassung der USA beschwor. Marcus Jauer fragt sich beim Besuch der florierenden Startup-Szene in Berlin, warum eigentlich die großen Unternehmen, die den jungen Digital-Wilden Experimentierräume zur Verfügung stellen, nicht selbst auf neue Ideen kommen. Jordan Mejias wähnt sich beim viertägigen Festival in Tanglewood im "Musikparadies" angekommen. Anne Kohlick meldet, dass die Türkei eine armenische Kirche nahe der syrischen Grenze restaurieren will. Jürgen Dollase empfiehlt das neue Berliner Restaurant Cinco. Die Kunsthistorikerin Bettina Gockel erinnert an den vor 225 Jahren gestorbenen Künstler Thomas Gainsborough. Netzkritiker Evgeny Morozov amüsiert sich über die aufstrebende Kultur des Lifehackings.

Besprochen werden neue Musik, eine Ausstellung über Ed Rusche im Museum Brandhorst in München, James Wans Horrorfilm "The Conjuring" und Bücher, darunter Mirko Bonnés Roman "Nie mehr Nacht" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).