Heute in den Feuilletons

Die Motzkis der Republik

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.09.2013. Die NZZ berichtet über die aufkommende syrische Untergrundpresse. In der Welt macht der israelische Schriftsteller Eli Amir keine großen Hoffnungen auf einen baldigen Frieden mit den Palästinensern. Auch wenn die FDP daran gescheitert ist, findet die taz die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr zeitgemäß. Gudrun Krämer erläutert in der FR die Vorbehalte der islamischen Welt gegen den Säkularismus. In der FAZ spricht Christopher Clark über den Alptraum, der ins 20. Jahrhundert führt.

NZZ, 24.09.2013

In Syrien bildet sich eine starke Untergrundpresse heraus, berichtet Joseph Croitoru. Neben zahlreichen regionalen Publikationen hat sich die Zeitschrift Souriatna etabliert, die seit September 2011 wöchentlich erscheint: "Eines ihrer Hauptanliegen ist, so scheint es, bei der Zivilbevölkerung Trauer in Hoffnung zu verwandeln... Neben der selbstauferlegten Pflicht, Chronisten des revolutionären Geschehens und von dessen Folgen zu sein - dazu zählt zunehmend die Lage der syrischen Flüchtlinge auch im Ausland -, sind die Autoren um einen Diskurs bemüht, der auf die Schaffung eines demokratischen Mindestkonsenses zielt. Man wünscht sich ein 'freies', 'gerechtes' und 'ziviles' Syrien, ohne dies freilich im Einzelnen zu präzisieren."

Weiteres: Claus Lochbihler schreibt den Nachruf auf Paul Kuhn. Andreas Klaeui erinnert an den Skandal, den die Schweizer Erstaufführung von Rolf Hochhuths "Stellvertreter" vor 50 Jahren in Basel auslöste. Kerstin Stremmel besucht eine Darmstädter Schokoladenkunst-Ausstellung der Schweizer Künstler Caroline Bachmann und Stefan Banz im kleinsten Museum der Welt, der gerade einmal einen halben Kubikmeter großen Kunsthalle Marcel Duchamp.

Besprochen werden eine Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns "Soldaten" im Opernhaus Zürich ("im Vergleich dazu erscheint Wagners 'Ring' als Kinderspiel", meint ein mitgerissener Peter Hagmann) und Bücher, darunter Albrecht Koschorkes Erzähltheorie "Wahrheit und Erfindung" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 24.09.2013

Henryk Broder interviewt den israelischen Schriftsteller Eli Amir, der sich als "Stimme der Linken" versteht, aber im Hinblick auf einen Frieden mit den Palästinensern reichlich desillusionierte Töne anschlägt: "Ich bin kein Anhänger der Rechten und der Siedlungspolitik, ich will ein Ende der Besatzung, ich möchte, dass die Palästinenser einen eigenen Staat haben, dass sie sich selbst regieren. Die Besatzung korrumpiert uns noch mehr als sie. Aber: Die Palästinenser wollen keinen eigenen Staat haben... Der jetzige Zustand ist für sie ideal. Besser kann es nicht werden. Die ganze Welt fühlt mit ihnen, die ganze Welt hilft ihnen, ihr Problem liegt auf jedem Tisch, Europa setzt sich für sie ein, Amerika setzt sich für sie ein; Russland, China und der Iran ebenso. Sie sind everybody's darling. Wozu brauchen sie einen Staat? Wegen der Straßenreinigung?"

Weiteres: "Was machen die Deutschen, wenn die Ängste überhandnehmen? Sie flüchten sich zu Mutti" analysiert Tilman Krause das Wahlergebnis. Bei der diesjährigen Emmy-Verleihung zelebrieren die Networks eine Stärke, die sie in Wirklichkeit längst nicht mehr haben, meint Uwe Schmitt. Josef Engels schreibt den Nachruf auf Paul Kuhn.
Stichwörter: China, Europa, Iran, Schmitt, Uwe, Emmys

Weitere Medien, 24.09.2013

Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer geht in der Frankfurter Rundschau der Frage nach, weshalb das säkulare Prinzip in weiten Teilen der islamischen Welt so umstritten ist. Ihr zufolge assoziiert es die Gruppe der Säkularisierungsgegner "mit dem kolonialen Projekt der Moderne, versteht den Säkularismus als Ideologie autoritärer Regierungen, gegen die eigene Gesellschaft gewaltsam durchgesetzt, und denunziert Säkularisten als Agenten entweder des Westens oder der eigenen autoritären Regime. Nahrung erhält das Argument aus der Tatsache, dass säkulare Prinzipien in den meisten Fällen tatsächlich auf autoritärem Weg durchgesetzt wurden, nicht auf demokratischem; die Türkei unter Atatürk, Tunesien unter Bourguiba, der Irak unter Saddam Husain und Syrien unter Hafiz al-Assad belegen es in unterschiedlichen Abstufungen."

TAZ, 24.09.2013

Stefan Reinecke hält die Fünf-Prozent-Hürde nach dieser Bundestagswahl endgültig für überdenkenswert, schon auch weil er das Schreckgespenst von Weimar längst erledigt sieht: "Fast jeder sechste Wähler ist nach der jüngsten Bundestagswahl nicht im Parlament vertreten. Und wie bigott ist es, die Krise der Repräsentation in der Mediendemokratie zu beklagen, aber achselzuckend hinzunehmen, dass fast sieben Millionen Stimmen unter den Tisch fallen."

Weiteres: Glänzend gelaunt spaziert Detlef Kuhlbrodt durch das Berlin am Wahlsonntag und landet dann bei einer Abendveranstaltung von Jürgen Kuttner. Ingo Arend besucht die Ausstellung "The Unanswered Question. Iskele 2" im Neuen Berlin Kunstverein. Katharina Granzin spricht mit Bernhard Kegel über Wildtiere in Berlin. Marlene Halser staunt über den ersten rein veganen Essensstand auf der Münchner Wiesn.

Und Tom.


SZ, 24.09.2013

Peter Richter berichtet auf der Medienseite von der Emmy-Verleihung (hier die Ergebnisse). Dort feierte sich die Fernsehbranche zwar, auch wenn sie sich zusehends unsicher über die eigene Position zeigte: "Der Stand der Dinge ist im Moment der, dass es in amerikanischen Kinos zugeht wie auf den Ahnentafeln verbleichender Adelsgeschlechter (Hangover III., Piraten der Karibik V., Fast and Furious VI. ...), und Heerscharen von Hollywoodstars und renommierten Regisseuren zu eben dem Fernsehen überlaufen, für das sie sich noch vor zehn Jahren viel zu fein gewesen wären. Gleichzeitig wird aber unklarer, was das für das Fernsehen bedeutet, wenn es nicht mehr unbedingt das ist, was Fernsehanstalten senden."

Weiteres im Feuilleton: Laura Weissmüller hält Architekt Stephan Braunfels vor, seine Pläne für das Berliner Kulturforum aus Gottesperspektive gestaltet und darüber die Leute am Boden vergessen zu haben. Felix Stephan berichtet von seinen Problemen in den Kunstaktionen von Renzo Martens, der die Armut im Trikont und deren strukturelle Ursachen thematisch aufgreift, "die Linie zwischen faktisch-politischem Eingreifen und ironischer Repräsentation" auszumachen. Ira Mazzoni wünscht sich eine baldige Klärung der Sachlage bezüglich des "Welfenschatzes". Sebastian Schoepp schreibt den Nachruf auf den kolumbianischen Dichter Alvaro Mutis, Helmut Mauró den auf Paul Kuhn.

Und mitten in der (Wahl-)Nacht entsinnt sich Willi Winkler eines alten Gelübdes: "Sollte die FDP endlich aus dem Bundestag fliegen, würde [der Autor] zum Dank eine Fußwallfahrt zur Schwarzen Madonna von Altötting unternehmen. Wahltag ist Zahltag." Wir wünschen gutes Schuhwerk.

Besprochen werden Calixto Bieitos Zürcher Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns Oper "Die Soldaten" und Monika Zeiners Debütroman "Die Ordnung der Sterne über Como" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 24.09.2013

Wer sich mit dem Ersten Weltkrieg befasst, bekommt Alpträume, und der schlimmste dieser Alpträume ist das zwanzigste Jahrhundert - so ungefähr könnte man Christopher Clark ("Die Schlafwandler") im Interview mit Andreas Kilb zusammenfassen. "Der Erste Weltkrieg ist das worst-case scenario des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Welt von 1913 mit ihrem globalen Handel, ihrem kulturellen Austausch, ihren friedlichen Veränderungen wird in einer Folge von Desastern zertrümmert, vergeudet. Man kann sich keinen schlechteren Start für das Jahrhundert vorstellen. Der Stalinismus mit all seinen Opfern, Hitler, der Holocaust, die Zerstörung der deutschen Städte im Luftkrieg: Das meiste davon kann auf die Giftdosis zurückgeführt werden, die dieser Krieg Europa injiziert hat."

Jordan Mejias fasst erste US-Rezensionen von Thomas Pynchons neuem Roman "Bleeding Edge" zusammen (gelesen hat er auf Vulture und Wired sowie hier und hier bei der New York Times). Oliver G. Hamm freut sich über Stephan Braunfels' Vorschlag für die Umgestaltung des Berliner Kulturforums (mehr beim RBB): "Ein Anstoß zur rechten Zeit." Regina Mönch stellt das virtuelle Museum "Künste im Exil" vor, das sich aus den Beständen von 25 Museen speist. Alexander Honold vom Kuratorium des zuletzt wegen zahlreicher nicht-katalogisierter historischer Briefe in die Kritik geratenen Thomas-Mann-Archivs in Zürich berichtet von den momentanen Arbeiten des Archivs. Marco Schmidt berichtet vom Filmfestival in Deauville, das sich auf den amerikanischen Film spezialisiert hat. Dieter Bartetzko würdigt den gestorbenen Paul Kuhn als "Buster Keaton des Schlagers".

Auf der Medienseite hält Michael Hanfeld die Diskussionskultur auf Twitter kaum für repräsentativ, was die Stimmung im Lande betrifft: "Da melden sich zuhauf die Motzkis der Republik."

Besprochen werden Thomas Jonigks in München aufgeführtes Stück "Hotel Capri", Calixto Bieitos "Soldaten"-Inszenierung in Zürich (der Regisseur "macht sich zum Büttel des videotechnischen Aufwands", beschwert sich Eleonore Büning) und Bücher, darunter "Ein deutscher Sommer", Peter Hennings Roman über das Geiseldrama von Gladbeck (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).