Heute in den Feuilletons

Künftig nur noch gegen Rechnung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.10.2013. Warum regen sich Künstler nicht über Prism auf, fragt der Kunstjournalist Jörg Heiser in der FAZ und vermutet eine geheime Komplizenschaft. Der Prism-Enthüller Glenn Greenwald verlässt den Guardian und gründet etwas Neues, meldet reuters. Die taz erinnert an die Rettung der dänischen Juden. Carta und Tagesspiegel fragen, ob Zitieren jetzt endgültig kostenpflichtig wird. Um gut zu bauen, nahm die katholische Kirche sogar schon die Reformation in Kauf, meint die Berliner Zeitung. Quallen übernehmen die Weltmeere, berichtet Atlantic. Und Eminem hat eine Menge zu sagen.

TAZ, 16.10.2013

In seinem Buch "Die Ausnahme" erzählt der Journalist und Historiker Bo Lidegaard von der Rettung der dänischen Juden. Reinhard Wolff sammelt etliche kritische Stimmen, die dem Buch vorwerfen, ein zu rosiges Bild von Dänemark unter der Besatzung zu malen, schließt dann aber recht versöhnlich: "Lesenswert ist 'Die Ausnahme' aber allein schon wegen der Schilderung der Flucht jüdischer Familien nach Schweden. Und Kritik an seinen Erklärungen macht die von ihm abschließend gestellte Frage nicht weniger wichtig: 'Warum geschah das oder Ähnliches nicht auch andernorts?'"

Weiteres: Jürger Berger schreibt zum zweihundersten Geburtstag Georg Büchners, des "Freiheitsbegeisterten". Besprochen werden eine Ausstellung der britischen Fotografin Edith Tudor-Hart im Wien Museum und Frauke Finsterwalders Spielfilmdebüt "Finsterworld" (in dessen Deutschland Thomas Groh viele "blasierte, ihren Ekel mit aasig-selbstgerechtem Grinsen vor sich hertragende Menschen" erlebte).

Und in ihrer Medienfront-Kolumne notiert Silke Burmester: "Sehr gern zitieren die Öffentlich-Rechtlichen dieser Tage den Bischoff Tebartz-van Elst mit den Worten: 'Wer mich kennt, weiß, dass ich keinen pompösen Lebensstil brauche.' Das tun sie so gern, weil sie wissen, wovon der Mann spricht. Denn für die ARD gilt: 'Wer uns kennt, weiß, dass wir verantwortlich mit den Gebühren umgehen.'"

Und Tom.

Aus den Blogs, 16.10.2013

Hier ist Eminems neue Single. Wir zoomen auf Minute 4'26. Bitte merken Sie sich folgenden Text und sprechen ihn ruhig nach.



Weitere Erläuterungen von David Haglund, den ganzen hier nachzusprechenden Text und die ganze Single gibt's hier bei Slate.

"Also, liebe Blogger, habt keine Angst vor dem Zitieren. Schreibt weiter eure Kritiken und bekräftigt sie mit den richtigen Beleg-Stellen!", ruft Wolfgang Michal in Carta und antwortet damit auf einen Artikel Gregor Dotzauers im Tagesspiegel, der berichtet, dass die FAZ neuerdings von den Buchverlagen Lizenzgebühren für Kritikerzitate auf dem Klappentext will. Dotzauer bezieht sich auf einen Prozess zwischen FAZ und buch.de vor dem Münchner Landgericht, dessen Urteil am 8. November gefällt wird. "Ob Buchverlage Kritiker künftig nur noch gegen Rechnung beliefern? Ob sie schlampige, nur den Waschzettel abschreibende Rezensenten ihrerseits verklagen? Die konkrete Gefahr ist weniger, dass jetzt alle Maß und Verstand verlieren, sondern dass juristische Trittbrettfahrer aus dem bevorstehenden Münchner Urteil, dessen Ausgang festzustehen scheint, Kapital schlagen. Die entsprechenden Abmahnkanzleien stehen schon bereit."

Weitere Medien, 16.10.2013

(Via Thomas Knüwer) Glenn Greenwald, der mit Edward Snowden den Prism-Skandal enthüllte, verlässt nach einer Meldung von reuters den Guardian und stößt zu einem neuen Medium, das von Ebay-Gründer Pierre Omidyar aufgebaut wird: "He did not reveal any specifics of the new media venture but said details would be announced soon. Greenwald did not immediately respond to a request for comment." Mehr auch bei Buzzfeed.

Arno Widmann kann in der Berliner Zeitung die Aufregung um Bischof Tebartz-van Elst überhaupt nicht nachvollziehen - sein Verhalten stehe in einer großen Tradition: "Die Päpste Julius II. und Leo X. nahmen die Reformation in Kauf, nur um ihren Bischofspalast St. Peter in Rom via Ablass finanzieren zu können. Damit verglichen sind die Limburger Kirchenaustritte Peanuts." Auch Alexander Kissler verteidigt den Bischof in Cicero.

Quallen übernehmen die Weltmeere. Schuld ist der Mensch, berichtet Gwynn Guilford im Atlantic und warnt eindringlich vorm "dread box jellyfish, whose sting 'is the most explosive envenomation process presently known to humans,' wrote a team of scientists. Venom injected from one of its 550-foot-long tentacles 'turns the tissue into soup,' as one marine biologist put it, and causes the heart to seize. Death usually occurs within four minutes."

Auch nicht schön: In Kalifornien wurde gerade eine riesige tote Seeschlange aus dem Meer gezogen. Bei dem Bild verblassen alle Träume von Sonne, Strand und Meer.

NZZ, 16.10.2013

Marc Zitzmann feiert die neuen Kunstzentren in Frankreichs Regionen, die namhafte Architekten in Marseille, Besançon und Calais errichtet haben: "Die aufregendste, avantgardistischste Architektur haben freilich Dominique Jakob und Brendan MacFarlane geschaffen. Ihr Entwurf für den Frac Centre in Orléans verbindet die Renovierung eines Militärbaus aus dem 19. Jahrhundert mit der Errichtung eines Empfangsgebäudes im Innenhof des vormals geschlossenen Komplexes. Diesen haben die Architekten durch den Abriss eines Hauses sowie der Umfassungsmauer in eine zur Stadt hin offene, U-förmige Anlage verwandelt. Die spektakulären 'Turbulences' sind schon von weitem zu sehen, drei in der Tat turbulente turmartige Auswüchse, die man mit schiefen Vulkankegeln assoziieren mag oder mit Science-Fiction-Seeanemonen."

Außerdem im Feuilleton: Marco Frei begrüßt die Initiative "Art but fair", die für eine bessere Honorierung in den Kulturbetrieben kämpft: "Manchmal sind Künstler mutiger als Journalisten." Brigitte Kramer feiert das 300-jährige Jubiläum der Real Academia Española, die sich der Pflege der spanischen Sprache widmet. Anlässlich des 200. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig vergleicht Cord Aschenbrenner zwei Bücher von Hans-Ulrich Thamer und Andreas Platthaus zu dem Thema.

Besprochen werden eine Inszenierung des "Kirschgartens" in Luzern unter Regie von Predrag Strbac, das Erzähldebüt "Diese Dinge geschehen nicht einfach so" der ghanesisch-amerikanischen Autorin Taiye Selasi und Michel Serres' Essay "Erfindet euch neu!" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 16.10.2013

Sascha Lehnartz besucht das ehemalige Lager "Les Milles", das im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager für deutsche Exilanten diente, woran eine Ausstellung erinnert. Alan Posener mokiert sich über das International Art English.

Besprochen werden Frauke Finsterwalders und Christian Krachts Film "Finsterworld" ("So wie keine Figur hier mit ihren Körperausscheidungen geizt, war auch Christian Kracht nie offenherziger", versichert Jan Küveler) und eine misslungene Neuinszenierung der "Aida" an der Opéra Bastille.

Zeit, 16.10.2013

Auf Zeit online stellt Angela Gruber eine Studie der amerikanischen NGO Freedom House vor, die eine immer stärkere Überwachung des Internets weltweit belegt: "Eine Inderin beschwert sich auf Facebook über gesperrte Straßen in ihrer Heimatstadt Mumbai, die die Polizei wegen der Beerdigung eines prominenten Politikers abgeriegelt hatte. Eine Freundin drückt den Like-Button. Beide Frauen werden festgenommen. Immer mehr Staaten überwachen, was ihre Bürger im Internet tun, zensieren Inhalte und gehen gegen unliebsame Blogger und Kritik in sozialen Netzwerken vor, besagt der aktuelle Bericht zur Internetfreiheit der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Freedom House. Mit Beispielen wie dem aus Indien belegen das die Autoren des Berichts."

SZ, 16.10.2013

Hubert Wetzel sehnt sich nach dem alten Amerika, in dem selbst noch harte Washingtoner Parteisoldaten am Abend im Steakhouse mit dem politischen Gegner ins entspannte Gespräch kamen. Mittlerweile ist das Klima dort gründlich vergiftet, schreibt er: "Amerikas Hauptstadt ist heute ein Kampfplatz für Ideologen, wo der Gegner als Feind gilt, ein Kompromiss als Verrat, ein Nachgeben als Niederlage." Befeuert wird dies seiner Ansicht nach durch eine neue Kommunikationskultur, in der alte Journalistencliquen von den regen Outputs der Online-Aktivisten abgelöst wurden. Die Konsequenz: "Zum einen führen beide Seiten so ihre Parlamentarier an einer kurzen Leine. Jede missliebige Äußerung wird durch einen Twitter-Sturm bestraft. ... Zum anderen entstehen im Netz die berüchtigten Echokammern: Rechte Politiker, Aktivisten und Wähler lesen Internet-Seiten, auf denen rechte Blogger Geschichten, oft bloße Meinungen, verbreiten, die sie bei anderen rechten Bloggern finden. Bei den Linken passiert das Gleiche."

Außerdem: Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck erklärt die Auswirkungen der Pinochet-Verhaftung vor 15 Jahren, die eine ganze Kette von Ermittlungen und Prozessen ins Rollen brachte: "Bis heute verurteilten chilenische Gerichte Hunderte Militärs, Polizisten und andere Tätern, auch aktuell laufen spektakuläre Prozesse." Peter Richter bringt Updates zu Banksys New Yorker Streetart-Tour (an der auch Fotografen und Hundebesitzer teilnehmen).

Besprochen werden James Francos Film "Interior. Leather Bar", die Neuhängung im Kölner Museum Ludwig samt einer Ausstellung über Louise Lawler daselbst, ein Konzert des Pianisten Daniil Trifonov in München, Denis Villeneuves Rachethriller "Prisoners", die Ausstellung "Blutige Romantik" im Dresdner Militärhistorischem Museum und Bücher, darunter anlässlich des zweiten Todestags von Friedrich Kittler diverse Schriften von, bzw. über ihn (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 16.10.2013

Warum regen sich Künstler nicht über Prism auf, fragt Jörg Heiser, Chefredakteur der in London erscheinenden Kunstzeitschrift Frieze und stellt bei den Künstlern (wie auch beim Rest der Bevölkerung) eine geheime Komplizenschaft fest - zu abhängig ist man bereits vom Netz und seinen Kommunikationsformen: "Was aber nun, wenn Vernetzung nicht nur der eigenen Gehetztheit und nebenbei den Interessen privatwirtschaftlicher Datenhändler zuarbeitet, sondern - weit umfassender als bisher bekannt - auch staatlicher Überwachungsgier? Die Krise der Geheimdienste ist auch die Krise des Gedankens, dass die eigenen digitalen Spuren im Netz einem schon nicht ernsthaft schaden werden, dass Recht und Gesetz zumindest so weit noch gelten." Als Ausnahmen im Kunstbetrieb, die sich mit Szenarien der Überwachung auseinandersetzen, nennt Heiser Trevor Paglen (Website) und seine Kollegin Hito Steyerl.

Weitere Artikel: Die Big Data-Expertin Yvonne Hofstetter warnt im ganzseitigen Aufmacher vor Wertpapierhandel im Nanosekundentakt ("in einem elektronischen Paralleluniversum von Daten und Maschinen geschehen .. Dinge jenseits der Wahrnehmung durch uns Menschen, von denen wir nichts wissen und, schlimmer noch, deren Auswirkungen auf unser reales Leben wir nicht mehr einschätzen können"). Leander Steinkopf folgte der "International Balkan Annual Conference" in Sarajewo und konstatiert eine "Sehnsucht nach den alten Reichen". Gert Kähler hofft auf eine Rettung des "Ledigenheims" in Hamburg. Frank Pergande berichtet über eine große Schenkung von Kunstwerken an das Schweriner Museum. Eine ganze Seite befasst sich mit neuen TV-Serien. Unter anderem besucht Daniel Haas die Website serienjunkies.de. Auf der Medienseite zweifelt Patrick Bahners am investigativen Mut der New York Times.

Besprochen werden Frauke Finsterwalders Kinodebüt "Finsterworld", die Ausstellung "Battleground/Afghanistan" im Heidelberger Kunstverein, ein Auftritt des Popsängers John Darnielle alias The Mountain Goats und Bücher, darunter Brad Stones Porträt über Jeff Bezos (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).