10.12.2013. Juli Zeh und Ilija Trojanow lancieren einen internationalen Autoren-Appell, den die FAZ heute veröffentlicht: "Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter". Im Interview mit der FAZ wehren sie sich gegen den Eindruck, dass die NSA-Affäre nur die Deutschen aufregt: Unterzeichnet haben Dutzende von Autoren, von David Albahari über Don DeLillo bis Oksana Zabuzhko. Auch der Guardian berichtet groß. Die New York Times erzählt, wie sich die Wikipedia gegen Stephen Colbert wehrt. Die NZZ setzt sich mit Claude Lanzmanns Film "Le dernier des injustes" auseinander. in der taz schreibt der Historiker Alexander Kratochvil über die Proteste in Kiew.
FAZ, 10.12.2013
Juli Zeh und
Ilija Trojanow haben einen internationalen
Aufruf lanciert: "Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter", den die
FAZ heute veröffentlicht. Er ist von Dutzenden internationaler Schriftsteller unterzeichnet, von
Alaa al-Aswany und
David Albahari bis
Oksana Zabuzhko. "Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben. Dieses existentielle Menschenrecht ist inzwischen
null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen." Die
FAZ hat auch
einige Statements von Autoren zur Überwachungsaffäre eingeholt.
Im Interview sprechen Zeh und Trojanow, die auf ihren ersten offenen Brief an
Angela Merkel vor einigen Monaten
keine Antwort bekamen, über ihre Aktion und widersprechen dem Eindruck, dass sich vor allem Deutsche über die Affäre aufregen: "Da hat man sich wirklich getäuscht. Gerade die amerikanische Literatur beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Überwachung. Deswegen haben wir uns sehr gefreut, dass zum Beispiel
Don DeLillo dabei ist. Weil er als einer der ersten Zeitgenossen über Paranoia, Kontrolle und Manipulation geschrieben hat."

Weitere Artikel: Mark Siemons
schreibt über die Verschärfung der Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten in
China. Ingo Petz besucht den "monströsen" Palastbau in Minsk, mit dem sich der weißrussische Diktator
Aleksandr Lukaschenka ein Denkmal setzt. Der diesjährige Medizin-Nobelpreisträger
Thomas Südhof, der inzwischen Amerikaner ist, sieht die USA im Gespräch nicht als wissenschaftliche Hegemonialmacht. Niklas Maak betrachtet ein Gemälde
Edward Hoppers, "East Wind Over Weehawken", das jüngst für 40,5 Millionen Dollar verkauft wurde
Auf der Medienseite stellt Reinhard Veser das durch Crowdfunding finanzierte
"Sotschi Projekt" der Journalisten
Rob Hornstra und
Arnold van Bruggen vor, das die Zuständie in Sotschi und den umgebenden Kaukasus-Republiken vor den Olympischen Spielen beleuchtet. Und Michael Hanfeld staunt: "Das hätte einem vor Jahren mal jemand erzählen sollen:
Stefan Aust geht zu
Springer", wo Aust Herausgeber der
Welt wird, während Springer Austs Sender
N24 übernimmt und der ehemalige
Spiegel-Chefredakteur
Georg Mascolo ein investigatives Online-Magazin gründen soll.
Besprochen werden eine von
Helene Hegemann verantwortete Dramatisierung von
Frank Wedekinds Erzählung "Musik" als "Sadomaso-Soap-Groteske" in Köln,
Hofesh Shechters Choreografie "Sun" in St. Pölten,
George Enescus Oper "Oedipe" in der Regie
Hans Neuenfels' in Frankfurt, eine Ausstellung über den Schriftsteller
Richard Billinger in Linz, eine CD mit Liedern von
Georges Catoire und Bücher, darunter
Richard Hughes' Roman "Orkan über Jamaika" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
TAZ, 10.12.2013
Der
Historiker Alexander Kratochvil betont, dass es bei den
Protesten in der Ukraine nicht darum geht, eine Führungsriege gegen die andere auszutauschen, sondern um eine neue politische Kultur: "Die Schriftstellerin
Larysa Denysenko schreibt nach dem blutigen Polizeieinsatz am vergangenen Wochenende auf dem Maidan an Präsident Janukowitsch adressiert: 'Sie haben
keine Lebens- und Schicksalslinie mehr. Gegen Sie hat sich die Jugend des Landes erhoben. Sie haben keine Zukunft mehr.' Es gilt sich daran zu erinnern, dass diese Proteste darin gründeten, wie schlecht die herrschenden Politiker mit dem ihnen anvertrauten Staat und den Menschen umgehen. Immer noch sehen diese Politiker den Staat und seine Menschen wie in einem
Steinzeitkapitalismus als Ressource zur persönlichen Bereicherung an."
Weiteres: Sonja Vogel
berichtet von einer
Berliner Konferenz zum
Theater in Ungarn, auf der sich Vertreter der Nationalkultur und der freien Kunstszene unversöhnlich gegenüberstanden. Julian Weber war auf dem Trans-Musicales-Festival in Rennes. Eva-Christina Meier
bespricht den Band "German Art in São Paulo". Und Aram Lintzel
ätzt über die verbale
Pathologisierung des Alltags: "Jede minimal abweichende Gestimmtheit wird psychologisierend
aufgepimpt, denn so markiert fühlt sie sich besser an."
Und
Tom.
SZ, 10.12.2013
Das Feuilleton der
Süddeutschen kürt heute die besten
Bücher des Jahres und hat zu diesem Zweck Notizen zahlreicher Kulturschaffender eingeholt, die ihre Lieblingslektüren des sich neigenden Jahres vorstellen. Eine kleine Ausbeute: Roger Willemsen hält die in drei Bänden gesammelten Reportagen (
hier die aktuelle Lieferung sowie
hier und
hier die vorangegangenen Bände) von
Joseph Mitchell für "ein Geschenk und eigentlich unbezahlbar". Der Philosoph Henning Ottmann bekommt nach Iris Radischs
Camus-
Biografie wieder Lust, sich mit den Arbeiten des Franzosen zu befassen. Götz Aly schätzt an
Fernand Braudels "Geschichte als Schlüssel zur Welt" den "Geist der Freiheit" sowie die "Lust an guten Fragen". Die
Schriftstellerin Sibylle Berg wappnet sich mit der Lektüre von Sachbüchern gegen
Kulturpessimismus: In
Michio Kakus "Physik der Zukunft" freundet sie sich mit dem behaglichen Gedanken an, dass die Weltgeschicke künftig von Robotern geführt werden und der Mensch eine Sache der Geschichte ist. Und bei der Lektüre von
Neil MacGregors "Shakespeare ruhelose Welt" staunt die
Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über "das Wunder einer
histoire totale im Kleinen". Daneben werden Bücher auch ausführlich besprochen, so etwa
Lena Muchinas 1941 und 1942 in Leningrad entstandenens Tagebuch, das Dorion Weickmann an die Tagebücher der Anne Frank erinnert (mehr in unserer
Bücherschau um 14 Uhr).
Außerdem: Susan Vahabzadeh stellt Zahlen zum
Kino vor, die statistisch unterstreichen, was eh schon jeder weiß: Frauen sind deutlich seltener in tragenden Rollen zu sehen als Männer. Und Peter Richter staunt, dass
Norman Rockwells Illustration "Saying Grace" gerade für atemberaubende 46 Millionen Dollar
verkauft wurde.
Aus den Blogs, 10.12.2013
Auch als Täger
indonesischer Batik-Hemden wird
Nelson Mandela in
Global Voices gewürdigt:
Welt, 10.12.2013
Besprochen werden der
zweite Teil von
Peter Jacksons "Hobbit"-Verfilmung: "Smaugs Einöde",
Kay Voges'
Inszenierung des "Tannhäusers" in Dortmund, die
Ausstellung "
Imperium der Götter: Isis, Mithras, Christus" im
Badischen Landesmuseum Karlsruhe, ein
Konzert der Band
Gloria im Berliner Lido,
John Neumeiers Choreografie aller sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums von
Bach und
Hans Neuenfels'
Inszenierung von
George Enescus Oper "Oedipe" an der Oper Frankfurt ("Es ist trotz aller Ungeheuerlichkeiten ein heller, fast heiterer, sanft didaktischer Opernabend geworden", notiert Manuel Brug).
Weitere Medien, 10.12.2013
In der
NYT stellt der Autor Jonathan Dee einige
amerikanische Wikipedianer vor, die als Admins bei der Bearbeitung von Wikipediaeinträgen deutlich mehr Rechte haben als andere. Das ist nicht neu, aber nett zu lesen. Vor allem, wenn es um
einen der bekannteren Kobolde in der Wikipedia geht: "Obwohl die Admins abgeneigt sind, den Vandalen irgendeine spezielle Aufmerksamkeit zu schenken, verdienen sich letztere gelegentlich eine Art
widerwillige Bewunderung - zumindest für ihren Humor. Stephen Colbert, in seiner falschen Nachrichtenpersona, ist ein
regelmäßiger Quälgeist, der seine Leser
auffordert, eine Gegebenheit massenhaft zu ändern; wenn die Worte '
Colbert Alert' in den Chatforen der Admins auftauchen, eilen zwanzig oder mehr auf die Wälle der angegriffenen Seite."
Aus den Blogs, 10.12.2013

Ganz schön beeindruckt
zeigt sich Martin Filler im Blog der
NYRB von der Melancholie, Introspektion und der Verzweiflung in den
Porträts aus Wien um 1900, die gerade in der Londoner
National Gallery gezeigt werden: "Vienna was not only a birthplace of modernism; it was also a 'laboratory of world destruction,' to quote the legendary Viennese journalist Karl Kraus. The show at the National Gallery helps the viewer to see in the clearest terms the
suffocating anxiety and
oppressive solitude of the artists, writers, and patrons who were responsible for much of Viennese modernism. The Austrian novelist Hermann Broch famously called Vienna the city of '
joyful apocalypse.' In this show, you can almost watch the apocalypse unfold." (Bild: Arnold Schönberg, Blaues Selbstporträt, 1910)
Via
a piece of monologue: eine anderhalbstündige
BBC-Doku über Orson Welles' "Citizen Kane", mit Interviews aus zwanzig Jahren.
NZZ, 10.12.2013
Marc Zitzmann
befasst sich noch einmal eingehend und kenntnisreich mit
Claude Lanzmanns Film "Le dernier des injustes" über
Benjamin Murmelstein, den umstrittenen Judenältesten von Theresienstadt. Lanzmann rehabilitiert ihn und zeigt ihn als einen intelligenten Macher und erfinderischen Problemlöser: "Laut Zeitzeugen war Murmelstein schon in Wien ungeduldig gegenüber der
Dummheit und unzugänglich für die Partikularinteressen von Untergebenen. 'Er hat herumgeschrien, er war grob, er hat die Leute herausgeschmissen; er ist unangenehm gewesen', erinnerte sich ein ehemaliger Mitarbeiter. In Theresienstadt verschärfte sich dieser Charakterzug. Zugleich jedoch schaffte der 'Judenälteste' Privilegien und die damit einhergehende Korruption ab. Dass er sich so keine Freunde machte, liegt auf der Hand. Doch ein
herrisches Temperament und Gefühlskälte nach außen hin machen noch keinen Verbrecher gegen die Menschlichkeit. Hat Murmelstein vor seinem Gespräch mit Lanzmann
Kreide gefressen?"
Weiteres: Martin Meyer
empfiehlt zur eingehenden Lektüre den
Merkur-Text über die
"Zukunft der Zeitung" der beiden
SZ-Feuilletonisten Lothar Müller und Thomas Steinfeld. Auf der
Medienseite schildert der Kommunikationsberater Daniel Eckmann seine Erfahrungen mit der PR-Branche und den Medien, mithin den "
Schönfärbern und den Schwarzmalern".
Besprochen werden
Andreas Homokis Inszenierung von Beethovens "Fidelio" am Opernhaus Zürich,
Paul Austers Selbsterkundung "Winterjournal" und
R. S. Thomas'
Adventsgedichte "Das himmelreimende Kind" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Weitere Medien, 10.12.2013
Torsten Kleinz
schreibt auf
irights.info über das Anonymisierungstool
Tor, das von Gehiemdiensten argwöhnisch beäugt wird, und macht auf einen
ironischen Umstand aufmerksam: "Das Netzwerk war einst mit Unterstützung der
US-Regierung geschaffen worden, um beispielsweise
Dissidenten in China und Iran Zugriff auf das Internet zu verschaffen und gleichzeitig ihre Identität vor den staatlichen Zensoren zu verbergen."
Auch der
Guardian berichtet über den Autorenaufruf "Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter" und hebt als Unterzeichner hervor:
Hanif Kureishi,
Björk,
Arundhati Roy,
Don DeLillo,
Ian McEwan,
Tom Stoppard,
Margaret Atwood und
Martin Amis.
Gestern
wiesen wir auf einen Artikel in der
London Review of Books hin, in dem der Reporter
Seymour Hersh den amerikanischen Präsidenten beschuldigt, nicht alle Fakten zu dem
Giftgasangriff in Syrien öffentlich gemacht zu haben. Der Angriff hätte beinahe eine amerikanische Intervention ausgelöst. Jetzt,
berichtet Greg Mitchell in
The Nation, hat Hershs Artikel, der von der
Washington Post und dem
New Yorker abgelehnt worden war, eine Debatte ausgelöst. "Today, Hersh explained his findings, and sourcing - and the turndowns from the
Post and
New Yorker - on
Democracy Now! He admitted it was foolish to believe that
The Washington Post would publish his piece. He stood by his reporting after Amy Goodman read the
firm denials from a National Intelligence spokesman. See clips below. Hersh referred to himself as a '
creepy troublemaker.' The White House rejects the Hersh claims. Several news outlets have questioned Hersh's (largely anonymous) sourcing and claimed that he ignores much fresh evidence. The
longest take I've seen is in
Foreign Policy." Im Text eingebettet sind zwei Videos mit Hersh.
Aus den Blogs, 10.12.2013
Slate präsentiert zum heutigen
Menschenrechtstag eine Weltkarte mit den 76 Ländern, in denen
Homosexualität illegal ist:
