11.12.2013. Die NZZ bewundert den Sinn der Irokesen für schöne Dinge, die FAZ die Tendenz des Textils zur Abstraktion. In der taz erklärt Eva Menasse, warum sie den Aufruf für Demokratie im digitalen Zeitalter mit initiiert hat: "Es ist das Ende der Meinungsfreiheit, wenn die Maschinen unsere Gedanken lesen können." Auch Sascha Lobo geißelt in seiner Spiegel-Online-Kolumne den amtlichen Wahnsinn der totalen Vorratsdatenspeicherung. Alle trauern um den großen Übersetzer Peter Urban.
Spiegel Online, 11.12.2013
Angesichts der Tatsache, dass die Geheimdienste selbst Online-Spiele wie "World of Warcraft" und "Second Life" überwachen,
konstatiert Sascha Lobo in seiner neuen Kolumne: "Der Spähskandal ist das Symptom eines
politischen Wahnsystems. Demokratien weltweit sind vergiftet von einer - man muss sie so nennen! -
amtlichen Wahnvorstellung, in der jede Person eine potenzielle Bedrohung ist. Und deshalb überwacht werden muss:
Alle stehen
immer unter Verdacht."
Dazu passt die
Meldung, dass Deutschland zunächst mal "ohne
obersten Datenschützer auskommen soll: Die Amtszeit des Bundesbeauftragten Peter Schaar wurde
nicht provisorisch verlängert."
FR, 11.12.2013
Steven Geyer
fasst die Gründe zusammen, weswegen Schriftsteller aus aller Herren Länder den von Juli Zeh und Ilija Trojanow lancierten
Aufruf gegen die
Überwachung unterzeichnet haben. Veröffentlicht wurde er in großen Zeitungen aus dreißig Ländern: "Laut den Initiatoren hatten sich
als einzige westliche Medien die US-amerikanischen Zeitungen gegen den Abdruck des Appells entschieden. Offiziell sei die Begründung gewesen, dass auch die
New York Times oder die
Washington Post politische Kampagnen nur als
bezahlte Anzeigen veröffentlichen. Ilija Trojanow sagte aber, die Redaktion hätten auch angedeutet, unter politischem Druck zu stehen."
Außerdem: Arno Widmann
stellt einen großformatigen Band des Fotografen
Jimmy Nelson über vom Aussterben bedrohte Völker vor, der u.a. die Gefahren beschreibt, die das
Pinkeln in der Nähe von Rentieren mit sich bringt. (
Hier einige Bilder Nelsons) Und auf der Medienseite
berichtet Christian Esch, dass Putin die staatliche russische Nachrichtenagentur
RIA Novosti auflöst, um sie durch eine neue, kremlfreundlichere zu ersetzen.
Weitere Medien, 11.12.2013
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, damals noch Justizministerin, hatte vor einigen Monat einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der die
Kosten für Abmahnungen begrenzen sollte. Die große Koalition hat diesen Entwurf jetzt verwässert,
berichtet Kai Biermann. "So wurden
Ausnahmen aufgenommen, bei denen die Deckelung nicht gelten dürfe, beispielsweise bei gewerblichen Verstößen." Hinfällig sind auch kleinere Verbesserungen. "Zumindest nach den
Wünschen von Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Neumann hat verhindert, dass der Entwurf im Kabinett beraten wird. Das sollte ursprünglich am 6. Februar geschehen. Neumann aber ließ ihn kurzfristig von der Tagesordnung nehmen und legte eine von seinem Amt noch einmal überarbeitete Fassung vor. ... In seinem Entwurf sind die Ausnahmen jedenfalls nun
so ausgedehnt, dass der Deckel praktisch nicht mehr deckelt."
Aktualisiert: Cory Doctorow hat bereits die
Washington Post gelesen und
meldet: "A new set of leaked
NSA slides from the Snowden trove was
published in the Washington Post today, detailing NSA/GCHQ's
use of Web cookies (including Google's PREF cookie) to
uniquely identify people as they move around the Web, in order to target them and compromise them. They also report on an NSA program called
HAPPYFOOT that uses mobile phones to do very fine-grained tracking of targets.
Tagesspiegel, 11.12.2013
"Es ist bitter ... bitter ist es"
ruft Oleg Jurjew seinem verstorbenen Freund und Übersetzer
Peter Urban nach. "So ging er von seinem riesigen Bauernhaus im Vogelsberg weg, wo er meist nachts schrieb, wegen der Stille, wie er sagte, und wo
überall Schreibtische stehen, zugedeckt mit Büchern und Notizen, für die Arbeit jederzeit bereitliegend. Das ist der
Gontscharow-Tisch, das der Tschechow-Tisch, das der Dobytschin-Tisch ... So stellte er sie uns vor, als wir, meine Frau Olga Martynova und ich, ihn zum ersten Mal besuchten."
NZZ, 11.12.2013
Joachim Güntner
feiert die bisher wenig beachtete Ausstellung
"Auf den Spuren der Irokesen", an deren Rang er trotz einiger Fehlentscheidungen keinen Zweifel lässt: "So einfach die Werkzeuge waren, die den Irokesen zur Verfügung standen, so ausgeprägt war ihr
Sinn für schöne Dinge. Die Perlenschnüre und Wampumgürtel, die aus Muschel- oder Schneckenschalen gearbeitet wurden, oder die mit Pflanzenfasern, Elchhaar und Stachelschweinborsten verzierten Taschen verraten: Auch unter dem harten Zwang der Natur gedieh ein reicher ästhetischer Sinn. Der hielt die Irokesen allerdings nicht davon ab, die mit den Europäern ins Land kommenden Lebenserleichterungen begeistert zu begrüßen. 'Sobald
die ersten Messingtöpfe eingetauscht waren, hörte man auf zu töpfern', sagt Henriette Pleiger."
Weiteres: Ulrich Schmid trauert um den Übersetzer
Peter Urban. Jürgen Ritte schreibt einen Nachruf auf den Schriftsteller und melancholischen Anarchisten
Jean-Luc Benoziglio. Patrick Straumann
erinnert an den Schauspieler
Jean Marais, der vor hundert Jahren geboren wurde. Ludger Lütkehaus gratuliert
Galsan Tschinag zum Siebzigsten.
Besprochen werden
Volker Reinhardts Biografie "Pius II." und
Peter Peters Kulturgeschichte der österreichischen Küche (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages)
Welt, 11.12.2013
Anlässlich der Schleifung des Lenin-Denkmals in Kiew
beschreibt Inga Pylypchuk eine
Ikonografie des Umsturzes. Wenn
so viele Schriftsteller vor geheimdienstlicher Überwachung
warnen, sollte man vielleicht doch hinhören,
meint Marc Reichwein. Matthias Heine
begrüßt den 17. und letzten Band des "Dictionary of
Medieval Latin from British Sources". Alan Posener
ruft tröstend: "
Kopf hoch,
ihr Finnen! Es gibt ein Leben nach Pisa." Hanns-Georg Rodek
schreibt den Nachruf auf die Hollywoodschauspielerin
Eleanor Parker.
Besprochen werden
Peter Jacksons Verfilmung der "Hobbit"-Saga zweiter Teil und
Helene Hegemanns Inszenierung der Wedekind-Oper "Musik" in Köln (bei der sich Stefan Keim gründlich gelangweilt hat).
TAZ, 11.12.2013
Im Interview mit einer oberschlau fragenden Catarina von Wedemeyer
spricht die Schriftstellerin
Eva Menasse über den von ihr mitinitiierten Aufruf gegen die
Massenüberwachung: "Eine vollkommen überwachte, abgehörte, ausgespähte Gesellschaft, bei der jede Lebensäußerung daraufhin abgecheckt wird, was algorithmisch daraus folgt, ist
keine freie Gesellschaft mehr. Das ist das Ende der demokratischen Gesellschaft. Es ist auch das Ende der Meinungsfreiheit, wenn die Maschinen unsere Gedanken lesen können. Bürgerrechte, wie zum Beispiel die
Unschuldsvermutung oder das Briefgeheimnis, existieren heute nicht mehr. Sie sind durch den Wilden Westen des Datenmissbrauchs außer Kraft gesetzt."
Weiteres: Cristina Nord
berichtet vom Filmfestival in Marrakesch. Besprochen werden eine
Ausstellung des Fotografen
Zoltán Jókay im
Sprengel Museum in Hannover, die Porträts von
demenzkranken Menschen zeigt, Sonja Wegners
Studie "Zuflucht in einem fremden Land" und
Pavan Sukhdevs Streitschrift "Corporation 2020" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Gemeldet wird, das die regeriungskritischen Demonstranten in der Ukraine per
SMS die Drohung erhalten haben: "
Sie sind umstellt, Sie haben keine Chance."
Und
Tom.
FAZ, 11.12.2013
Silke Hohmann lernt in der Textil-Ausstellung in
Wolfsburg einiges über Kunstgeschichte: "Es liefen nicht alle Wege über den Kubismus, der
abstrakte Formen von gegenständlichen Motiven ableitete. Es gab eine Bildwelt, die schon immer abstrakt war, die des Ornaments. Und es gab eine Künstlerin, die nie eine figurative Phase durchlief, sondern bereits in den 1910er Jahren abstrakte Bilder machte. 1916 entstand
Sophie Taeuber-Arps Wollstickerei 'Vertikal-Horizontal-Komposition FMA 29', eine vollkommen geometrische, rhythmische Anordnung verschieden großer, verschiedenfarbiger Rechtecke.
Weitere Artikel: Gerhard Stadelmaier erinnert sich zum
Brandt-Geburtstag an die gloriose Zeit des Regierungswechsels von 1969. Andreas Kilb
hofft, dass
Juli Zeh und
Ilija Trojanow mit ihrem Aufruf für Datenschutz ein "digitales Fukushima" (also eine Umkehr Angela Merkels) erreichen. Das gestrige Interview mit Zeh und Trojanow ist jetzt auch
online zu lesen. Kerstin Holm
schreibt zum Tod des Übersetzers
Peter Urban. Nina Rehfeld stellt einige neue
TV-Serien vor, die gar nicht mehr fürs Fernsehen, sondern gleich für Internetkonzerne wie Amazon und Yahoo produziert wurden. Und Daniel Haas guckt Serien, die sich mit dem
Vietnamkrieg auseinandersetzen. Auf der Medienseite
fragt Stefan Schulz, warum sich Konzerne wie
IBM,
Amazon,
Oracle,
Cisco und
Hewlett-Packard dem Aufruf von Google und Co. für Datenschutz nicht angeschlossen haben (sie liefern mehr noch als die anderen die gut bezahlte Infrastruktur für die Geheimdienste, das gilt auch für Amazon und seine Cloud-Dienste).
Besprochen werden
Prokofjews Oper "Der Spieler" in der Regie
Andrea Breths in Amsterdam und der tschechische Animationsfilm "Alois Nebel". Außerdem empfehlen Redakteure Bücher, Platten und DVDs als Weihnachtsgeschenke.
Auf Seite 1 wird eine Studie des Migrationsforschers
Ruud Koopmans vorgestellt, die großen
fundamentalistischen Einfluss bei westeuropäischen Muslimen behauptet: "65 Prozent der befragten Muslime gaben an, dass ihnen religiöse Regeln wichtiger seien als weltliche Gesetze. 75 Prozent meinten, dass es nur eine mögliche Auslegung des Korans gebe, an die sich alle Muslime halten sollten. 60 Prozent waren der Ansicht, dass die in Europa lebenden Muslime zu ihren Wurzeln zurückkehren müssten.
44 Prozent stimmten allen diesen drei Aussagen zu und gelten damit als Fundamentalisten."
SZ, 11.12.2013
Was bedeutet das "
uns", wenn im
Schriftstelleraufruf "Demokratie im digitalen Zeitalter" von "
unseren Daten" die Rede ist, während gleichzeitig auch Konzerne wie
Facebook und
Google sich in
Aufrufen an Barack Obama wenden, um die Hoheit über ihre, also die Daten ihrer Nutzer zu behalten, fragt sich Lothar Müller. Die Initiative der Autoren findet er jedenfalls ziemlich
vage, was die Rolle der Konzerne betrifft: "Missbraucht
Facebook die Daten, die es sammelt, erst, wenn es sie an den Staat weitergibt?"
Außerdem: Unter Frankreichs Intellektuellen sorgen derzeit kursierende Auszüge aus
Martin Heideggers für kommendes Jahr zur Veröffentlichung vorgesehene Notizbücher, die auf eine antisemitische Einstellung des Philosophen schließen lassen sollen, für helle Aufregung, berichtet Joseph Hanimann. Jens Bisky lässt sich Ingeborg Berggreen-Merkel von der frisch eingesetzten
Gurlitt-
Taskforce deren Arbeit erklären: So sollen zehn Experten in einem "geschützten virtuellen Räumen" via Netz miteinander die Bilder und deren Herkunft erforschen.
Michael Krüger verabschiedet sich von seiner Tätigkeit als Lektor bei Hanser mit Münchner Lyriknächten, schreibt Christopher Schmidt. Thomas Urban schreibt den Nachruf auf den Übersetzer
Peter Urban.
Besprochen werden der
zweite Teil von
Peter Jacksons "Hobbit"-Verfilmung,
George Enescus Oper "Oedipe" in Frankfurt und Bücher, darunter den
Erzählungsband "Liebes Leben" von
Alice Munro (mehr in unserer
Bücherschau um 14 Uhr)..