Heute in den Feuilletons

Schwer sentimentales Moll

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.12.2013. Die Berliner Zeitung hofft, dass die neue Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, verstanden hat, dass es das Internet gibt. Welches Ministerium ist nun eigentlich fürs Netz zuständig, fragt Netzpolitik. Die NZZ sucht in Bagdad nach neuem politischem Theater und findet es in Gestalt des Regisseurs Anas Abdul Samad. Die Welt untersucht Moritz von Oswalds Technomusik im Lichte von Jazz, Klassik und Krautrock. Ein Jahr nach dem Beschneidungsgesetz rufen einige Ärzteorganisationen laut Ärztezeitung zu seiner Revision auf. Außerdem: Peter O'Toole als unvergesslicher singender Don Quixote.

Weitere Medien, 16.12.2013

Harry Nutt meint in einem Porträt der kommenden Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) für die Berliner Zeitung: "Die Zeit ist durchaus reif für einen kulturpolitischen Schemawechsel. Während Neumann vor allem Verdienste bei der Konsolidierung des Amtes erworben und stets einen Blick für die Bedeutung des kulturellen Erbes bewiesen hat, wird Monika Grütters in den nächsten Jahren vor der Aufgabe stehen, die kulturpolitischen Parameter auf die digitale Herausforderung auszurichten."

Vor genau einem Jahr wurde per Eilgesetz die Beschneidung kleiner Jungen aus kulturellen Gründen für rechtens erklärt, um die jüdischen und muslimischen Gemeinden zu beruhigen. Heute meldet die Ärztezeitung: "Insgesamt sieben Organisationen haben zum Jahrestag der Gesetzgebung an die Regierung appelliert, das Beschneidungsgesetz aufzuheben und die Rechte der Kinder auf genitale Selbstbestimmung anzuerkennen. Außer den Kinderchirurgen sind dies der Verband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, die Betroffenenorganisation MOGIS, Terre des femmes, der Mädchenhilfe (I)ntact und pro familia Niedersachsen."

Aus den Blogs, 16.12.2013

Neben dem neuen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unter Alexander Dobrindt werden sich mindestens drei weitere Ministerien mit Netzpolitik befassen, analysiert Markus Beckedahl in Netzpolitik, nämlich das Wirtschafts, das Justiz und das Innenministerium. Und nicht zu vergessen: Und "nicht zu vergessen: Jugendschutz wird auch im Familienministerium gemacht, das Außenministerium macht weiter Cyberaußenpolitik und Förderungen gibts im Forschungsministerium. Außerdem haben wir noch das Kanzleramt samt Kulturstaatsbeauftragte."

Vor zwei Wochen sah das neue Bundesbabinett im Spiegel und anderen Medien noch ganz anders aus als heute, aber wer liest schon (aus Stefan Niggemeier hier) die Prognosen von vor zwei Wochen? "Über Ursula von der Leyen, die jetzt, nach der Bekanntgabe, dass sie Verteidigungsministerin wird, von Spiegel Online als ewige Gewinnern gewürdigt wird, erschien am 11. November ein Stück im Spiegel mit der Überschrift: 'Frau ohne Trümpfe'. Das ist angeblich eine Formulierung, die die 'Feinde' von der Leyens, wer auch immer das sein mag, 'gar nicht so leise zischeln', wie auch immer sich das anhören mag."

NZZ, 16.12.2013

Absolut niederschmetternd fand Renate Klett einen Besuch in Bagdad, wo sie zu einem Theaterfestival eingeladen war, das sich als reine PR-Veranstaltung des Kulturministers entpuppte. Nur das Stück "Scolding", das ganz ohne Wort auskommt, hat sie wirklich umgehauen: "Es sind starke, strenge Bilder, wie aus Stein gemeißlt, die Welt, die sie bauen, ist kalt und unzugänglich, ein verwischter Spuk wie aus einer Schreckenskammer. Man denkt an Kafka, an Piranesi, auch an Abu Ghraib. Der Regisseur Anas Abdul Samad, der auch schon in Japan und Korea gearbeitet hat, ist eine echte Entdeckung. Souverän und stilsicher erschafft er ein politisches Theater, das wie ein Traum daherkommt und sich festsetzt in Herz und Hirn. So etwas in Bagdad zu sehen, ist überwältigend."

Weiteres: Hanne Weskott freut sich über die Wormland-Schenkung, die eine ganze Surrealisten-Sammlung in den Besitz der Münchner Pinakothek gebracht hat und jetzt in der Ausstellung "Traumbilder" gezeigt wird. Besprochen werden Richard Wherlocks Ballett "Snow White" am Theater Basel und die Schlingensief-Retrospektive in den Berliner Kunstwerken.

Welt, 16.12.2013

Michael Pilz porträtiert den Komponisten Moritz von Oswald, dessen Techno Einflüsse aus Jazz, Klassik und Krautrock verarbeitet hat: "Man liest heute viel über die Einflüsse des Krautrock auf den Techno von Detroit, von Vorbildern wie Can und Kraftwerk. Keine Platte dürfte dabei mehr bewegt haben als [Manuel] Göttschings kreisende Klangskulptur. 'E2-E4' wurde von Derrick May dekonstruiert und von Carl Craig rekonstruiert und 1994, in Berlin, von Basic Channel neu interpretiert. Da war der Techno längst aus Detroit wieder heimgekehrt. Moritz von Oswald stand, gemeinsam mit dem Produzenten Mark Ernestus, hinter Basic Channel. Auch er sagt: 'E2-E4 war für uns bahnbrechend.'" Hier ein Ausschnitt aus der neuen CD von Oswald zusammen mit dem Trompeter Nils Petter Movaer:



Weitere Artikel: Eckhard Fuhr ist zufrieden mit der neuen Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Rainer Haubrich feiert drei Architekturentwürfe - von Rem Koolhaas, Ole Scheeren, Bjarke Ingels - für eine geplante Erweiterung des Springer-Gebäudes vor.

Besprochen werden Andrea Breths Inszenierung von Prokofiews Oper "Spieler" in Amsterdam ("modernes Antiquariat", urteilt Kai Luehrs-Kaiser) und Lukas Langhoffs Inszenierung von Volker Brauns DDR-Komödie "Die Übergangsgesellschaft" im Berliner Gorki-Theater ("So geht der Übergang des Politischen ins Banale, auch Blöde", ärgert sich Reinhard Wengierek).

Weitere Medien, 16.12.2013

Am Samstag starb im Alter von 81 Jahren der britische Schauspieler Peter O'Toole. Im Guardian schreibt David Thomson den Nachruf: "Katharine Hepburn, his consort in 'The Lion in Winter' (1968), once told Peter O'Toole that he was profligate with his talent as an actor. But perhaps O'Toole's metier was always risk. Even in 'Lawrence of Arabia' (1962), when he was not quite 30, he looked like an elegant wreck, dipped in suntan, his eyes full of fever. O'Toole, who has died aged 81, made his height, his giddy conviction and his theatricality hold that epic together. He was a freed bird in white robes, yet he shuddered like a schoolboy at the thought of torture. Was O'Toole a great actor? Some said so - not least those who watched him grow up at the Bristol Old Vic in the 1950s. Did he sometimes stray into misguidedness or grotesquerie? Did he occasionally seem 'unwell'?" Sometimes. Hier zwei Filme aus den Jahren 1972, die die ganze Bandbreite seiner Fähigkeiten zeigen: Im Musical "Man of La Mancha"



und in Peter Medaks Film "The Ruling Class" als berserkerhafter britischer Baron, der glaubt, er wäre Jesus Christus, und in der nächsten Minute Jack the Ripper.



TAZ, 16.12.2013

Claudia Steinberg stellt die französisch-amerikanische Familie des Kunsthändlers Paul Rosenberg vor, die als erste Eigentümer Anspruch auf ein Bild aus dem Münchner Kunstfund erheben kann: "Die 'Sitzende Frau' von Matisse ist das erste Gemälde des Gurlitt-Funds, dessen ursprünglicher Eigentümer unzweifelhaft identifiziert werden kann. Marianne Rosenberg, Pauls Enkelin und Anne Sinclairs Cousine, bestätigte Anfang November, dass ein S/W-Foto im Familienarchiv das Bild als eines der gestohlenen Kunstobjekte ihres Großvaters ausweise. Erst im August hatte die prominente New Yorker Anwältin anlässlich des Rechtsstreits mit dem Osloer Henie-Onstad Art Center um einen anderen Matisse aus der Sammlung Paul Rosenberg gegenüber der New York Times erklärt: 'Wir wollen weder vergessen noch aufgeben. Ich begreife das als einen Kreuzzug.'"

Friedrich Küppersbusch freut sich richtig auf die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: "Der wüste Fuchs, die irrste Personalie seit mindestens Rommel. Die Gottmutter der frisierten Helmpflicht wird zum unregierbarsten Ministerium verurteilt."

Besprochen werden Andreas Kriegenburgs Bühnenfassung von David Grossmans Trauertext "Aus der Zeit fallen" sowie Stilratgeber von Thomas Rath und Gertrud Lehnert.

SZ, 16.12.2013

Jens Bisky skizziert die Bereiche, in denen sich die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters bewähren muss: "Jeder der vier Vorgänger von Monika Grütters hat das Amt für sich neu erfunden. Da sie bestens vorbereitet zu sein scheint, wird man ihr dafür nicht viel Zeit lassen wollen."

Weitere Artikel: In Serbien stößt Christopher Clarks Studie über die Ursachen des Ersten Welkriegs auf harsche Kritik, meldet Florian Hassel. Michael Stallknecht bilanziert kurz und bündig die Müchner Musica Viva. Helmut Mauró gratuliert dem Pianist Menahem Pressler zum 90. Geburtstag. Im Aufmacher schreibt Tobias Kniebe den Nachruf auf Peter O'Toole. Online wird der Tod von Joan Fontaine gemeldet.

Besprochen werden eine Ernst Neufert gewidmete Ausstellung in Nürnberg, David Grossmans "Aus der Zeit fallen" in der Regie von David Grossman am Deutschen Theater Berlin, das überraschend via iTunes veröffentlichte neue Album von Beyoncé und Bücher, darunter Ulrich Schlies "Das Duell. Der Kampf zwischen Habsburg und Preußen" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 16.12.2013

(Vorsicht beim Surfen im Büro. Die FAZ hat heute Kaffeereklame, die von alleine Krach macht!)

Irene Bazinger ist nicht zufrieden mit der Dramatisierung von David Grossmans Buch "Aus der Zeit fallen" über den Tod seines Sohns am Deutschen Theater in Berlin: "Die Worte, die gesprochen werden, sind zwar noch von David Grossman, doch leider völlig unters Regiemühlrad von Andreas Kriegenburg geraten. Der hat sie bei der Uraufführung im Deutschen Theater Berlin durch und durch auf schwer sentimentales Moll gestimmt." Noch weniger zufrieden ist Bazinger mit der Lukas Langhoffs Neuinszenierung von Volker Brauns "Übergangsgesellschaft " am Gorki-Theater. Und Jan Wiele fürchtet nach der ersten "Twitter-Theaterwoche", dass die Theater mit den sozialen Medien wohl erst noch umgehen lernen müssen.

Weitere Artikel: Oliver Tolmein berichtet wohlwollend über eine Resolution von 106 prominenten Juristen, die indirekt eine Legalisierung von Drogen befürwortet. Mark Siemons begrüßt die Chinesen auf dem Mond. Gemeldet wird, dass die Berliner Dependance des Nolde-Museums schließt. Oliver Tolmein schreibt zum Tod des Satirikers Horst Tomayer.

Besprochen werden eine Dramatisierung von Schuberts Oratorium "Lazarus" in der Regie Claus Guths in Wien, die Ausstellung "Pompeji - Leben auf dem Vulkan" in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, die Ausstellung "Dänemarks Aufbruch in die Moderne" in der Hamburger Kunsthalle und Bücher, darunter Jochen Beyses Erzählung "Rebellion" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Nur online bisher die Meldung vom Tod Peter O"Tooles.