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Unaussprechliche Materie

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
01.02.2021. Wer hat, dem wird gegeben. Während freiberufliche Künstler zur Zeit um ihre Existenz kämpfen, ließ es sich der Staatskunstbetrieb und die mit ihm verbandelten Starkünstler auch 2020 mit öffentlichen Geldern gut gehen. Ein Rückblick
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Die treuen LeserInnen des "Fotolot" wissen es bereits: Zu Jahresanfang gibt es eine Art Neujahrsansprache des Kolumnisten, die Ähnlichkeiten mit Reden zum politischen Aschermittwoch der CSU am Nockherberg aufweisen kann. Letztes Jahr endete diese Ansprache mit den Worten: Möge das Schöne, Positive, Erfreuliche überwiegen - ein Wunsch, der sich nicht erfüllt hat, ganz im Gegenteil, nachdem Covid 19 die Bühne betrat.
 
Abgesehen von Menschen fortgeschrittenen Alters, die vor allem in Alters- und Pflegeheimen der Pandemie zum Opfer fallen, und jenen bedauerlichen Fällen, die, obwohl noch jung an Jahren, an den Nachwirkungen zu leiden haben, wütet Corona in sozialer und materieller Hinsicht nicht zuletzt unter den selbständigen und künstlerischen Berufen.

Das Corona-Jahr 2020 wäre die passende Gelegenheit für gut verdienende KünstlerInnen und StaatskunstbeamtInnen gewesen, sich lautstark, nachdrücklich und solidarisch für ihre zahllosen freiberuflichen KollegInnen aller Sparten zu engagieren - eine Chance, die erwartungsgemäß nicht genutzt wurde. Nicht vom Staatsministerium. Nicht von den Landtagen und Senaten. Nicht von der GEMA und von Verdi. Nicht von den Stadttheatern und Museen. Es dürfte nun wohl auch den letzten OptimistInnen klar geworden sein, dass es für freie Künstler und Künstlerinnen in Deutschland keine Lobby und im "neofeudalen" (Wolfgang Ullrich) Staatskunstbetrieb nichts zu holen gibt.

Für wen aber gibt es etwas zu holen?
 
Wie die Verteilung öffentlicher Gelder im Kunstbetrieb funktioniert, könnte man besonders gut anhand von ARD und ZDF sowie des Stadttheaterbetriebs zeigen, wo sich Scharen von BeamtInnen und KunstgewerblerInnen zum Tanz ums goldene Kalb des Geldes der SteuerzahlerInnen versammelt haben. Dass an Opern und Theatern, in Fernsehredaktionen und an Hochschulen etwas entsteht, das relevant für die Gegenwartskunst ist, kommt im Vergleich zu den siebziger und achtziger Jahren, als kurzfristig eine Durchlässigkeit zwischen freier Szene und Establishment herrschte, inzwischen einem Betriebsunfall gleich.

Das Herz des Kunstbetriebs, jene dunkle, geradezu unaussprechliche Materie, die dem Wollen der Verantwortlichen eine Richtung gibt, bilden bürgerliche Karriereträume von der festen Anstellung, üppigen Regiehonoraren und vom Haus in der Uckermarck. All das bekommt seinen besonderen Glanz natürlich erst dann, wenn man an Orten wie der Berliner "Paris Bar" Hannah Arendt, Paul Cézanne, Franz Kafka, Louise Bourgeois und Walter Benjamin im Mund führen kann, als hätte man etwas mit den Genannten gemein.

Da es in dieser Kolumne hauptsächlich um Fotografie geht, wenden wir uns Vorgängen aus dem vergangenen Corona-Jahr zu, die veranschaulichen, wie und an wen die Gelder im Betrieb verteilt werden, und welche Projekte und Summen das Blut deutscher KulturfunktionärInnen in Wallung bringen.

Thomas Weski - seines Zeichens Berufsfunktionär für Fotografie - erging es 2020 ein wenig wie Olaf Scholz: Kaum ist der eine Ärger verraucht (Warburg Bank), zieht der nächste schon am Horizont auf (Wirecard). In Bezug auf Weski heißt das: Gerade hatten sich die Wogen um die Gründung eines von Staatsministerin Monika Grütters als notwendig befundenen Foto-Instituts zur Bewahrung des nationalen fotografischen Erbes geglättet (mehr hier), bei dem Weski in der Expertenkommission saß - da regten sich Zweifel, ob für den Ankauf eines Teils der Sammlung von Rudolf und Annette Kicken nicht zuviel bezahlt worden ist. Einer der beiden Gutachter in dieser Angelegenheit: Thomas Weski.

Eine Übersicht über die Faktenlage bietet ein Beitrag des Handelsblattes.

Ich möchte weniger auf die umstrittene Höhe des Kaufpreises als auf die näheren Umstände dieses Deals, die darin verwickelten Personen und dem sich daraus erschließenden Verständnis von Kulturpolitik eingehen.

2018 erwarb der Düsseldorfer Kunstpalast, der nach dem Rückzug von e.on so gut wie ausschließlich von öffentlicher Hand betrieben wird, von Annette Kicken 1823 Fotografien für rund acht Millionen Euro; 1216 Fotografien gab es als Schenkung obendrauf. Eingefädelt hatte den Deal für den Kunstpalast dessen Direktor Felix Krämer. Als er noch Kurator am Frankfurter Städel war, hatte Krämer dort bereits den Ankauf von 1.173 Exponaten aus der Sammlung Kicken in die Wege geleitet. Pikantes Detail: Obwohl der Ankauf mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung getätigt wurde, blieb der Kaufpreis unbekannt. Man wolle sich zur Summe nicht äußern, ließ Krämers Pressestelle verlauten.

Wenn dann mit Simone Klein als zweiter Gutachterin eine ehemalige Assistentin Rudolf Kickens fungiert (und das Konvolut gleich auf zwölf Millionen schätzt) - dann ist der Weg frei, um in einer Düsseldorfer Champagner-Bar darauf anzustoßen, welchen Dienst man der deutschen Kunst und Kultur erwiesen hat.

Deutschland - ein Kunstbetriebsmärchen

Wettbewerb, Transparenz, Kontrolle: diese drei wichtigen Elemente für nachhaltiges, produktives Handeln, spielen auch beim Findungsprozess um die Gründung eines deutschen Fotoinstituts nur eine untergeordnete Rolle.

Einen Findungsprozess gab es erst gar nicht, da es keine Ausschreibung gab. Auch die Zusammenstellung der "Expertenkommission" lässt keine Fragen offen: Ute Eskildsen (73) war stellvertretende Direktorin des Museum Folkwang in Essen und bis zu ihrer Pensionierung Ende August 2012 Leiterin der dortigen fotografischen Sammlung. Weski (67) verfügt über Kontakte nicht nur zum Kunstpalast. Er pflegt eine langjährige, intensive Beziehung zur Düsseldorfer Fotoschule, hat Struth, Ruff, Schütte und Gursky in seiner Zeit im Haus der Kunst in München ausgestellt und Kataloge herausgegeben. Dass Gursky sich da Hoffnungen machte, sein Werk würde im künftigen Fotoinstitut besondere Wertschätzung genießen, dürfte niemand wundern.

Umrahmt werden Eskildsen und Weski von der Amsterdamer Restauratorin Karin Pietsch und Thomas Wolfgang Gaehtgens (80), ein internatonal anerkannter Experte vor allem für deutsche und französische Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Grund für seine Bestellung bleibt unklar.

Von Anfang an gab es nur die Wahl: Düsseldorf oder Essen. Etwas anderes kam nie in Frage, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Eskildsen und Weski wären mit Billigung von Grütters weniger als Experten denn als Lobbyisten tätig gewesen.

Andere Orte, andere Konzepte wurden nie angedacht, externe Experten nicht hinzugezogen, geschweige denn, dass man auf die Supervision internationaler Firmen zurückgreift, die etwa in den USA Museen und Behörden professionell bei solchen Entscheidungen beraten. So etwas gibt es in Deutschland meist nur, wenn am Ende das gewünschte Ergebnis, sprich: Privatisierung und Stellenabbau herauskommen soll.

Am Ende heißt es also zwischen Eskildsen und Weski klassisch: Zu mir oder zu Dir?

Während Grütters offensichtlich Essen bevorzugt, ist um die Frage nach dem Standort ein Mords-Bohei entstanden, das unzählige Interventionen, Stellungnahmen und Initiativen auf den Plan gerufen hat, die hier übersichtlich aufgelistet werden. Den werten LeserInnen wird bei der Lektüre allerhand geboten: Etwa, dass der Bund Deutscher Architekten für das Kalkumer Schloss plädiert; dass es einen Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e. V gibt; dass für NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen die Standortfrage entschieden ist; dass in Köln der Mut zum großen Wurf fehlt; dass niemand an der Notwendigkeit eines nationalen Fotoinstituts zweifelt; dass es ein Marbach für Bilder werden wird; dass die Krupp-Stiftung das Institut in Essen sieht; dass Düsseldorfs OB Thomas Geisel jedoch kämpfen will und Düsseldorfer Abgeordnete einen Brief an Angela Merkel geschrieben haben; dass Andreas Gursky glaubt: "So wird die Fotografie unsterblich".
Beim jährlichen Almauftrieb im Engadin könnte es nicht turbulenter zugehen.

Worum Künstler und Künstlerinnen, BetreiberInnen von Clubs, Agenturen und Konzertveranstalter in dieser Zeit wirklich kämpften und kämpfen? Die nackte Existenz, das berufliche Überleben. Mehr dazu hier, hier und hier.

Zum Schluss möchte ich um dieses Millionenbukett, geformt vom Geld der SteuerzahlerInnen, um das sich alle versammeln wie Hyänen in der Kalahari um eine gerissene Beute, noch eine Betriebs-Schleife binden: Zum Gallery Weekend im September ließ das Sammlerehepaar Boros im Berghain - ein ehemals großartiger, wichtiger Club, der heute vor allem geschickt an der Vermarktung seines Mythos arbeitet - 117 Exponate aus seiner millionenschweren Sammlung zeigen. "Die Creme de la Creme der Berliner Kunstwelt", wie die Berliner Zeitung in ehrfürchtiger Hofberichterstattung festhielt, war dabei: Wolfgang Tillmans, Isa Genzken, Katharina Grosse, Anne Imhof, Olafur Eliasson.

Nette Sache. Dumm nur, dass das Ganze - bei einem Eintrittspreis von 18 Euro für 15 Minuten Besichtigung und Fotografieverbot für Besucher wie Journalisten - im Grunde unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, der Berliner Geldadel der Kunst dafür vom Berliner Kultursenator Klaus Lederer trotzdem mit 250.000 Euro bezuschusst wurde. Dennoch titelte das Monopol-Magazin (eine Art Cosmopolitan des deutschen Kunstbetriebs) theatralisch: "Was Corona uns genommen hat."

Wer hat, dem wird gegeben - warum sollte es in der Kultur anders zugehen als bei der Vergabe von Förderungen in der Landwirtschaft?

Karl Kraus


Allen, die ob dieser Vorgänge, die Helmut Dietls Serie "Kir Royal" entsprungen zu sein scheinen, schier verzweifeln, möchte ich als - wenn auch schwachen - Trost ein Diktum von Karl Kraus mit auf den Weg geben. Kraus, wie Thomas Bernhard ein Spiritus Rector von Fotolot-Beiträgen wie diesem und Krakeeler aus Ösistan wie ich, hat in Bezug auf die biedermeierliche Atmosphäre und hofstaatliche Struktur des deutschen und österreichischen Kunst- und Kulturbetriebs schon vor hundert Jahren ein endgültiges Urteil gefällt: "Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen selbst die Zwerge lange Schatten."

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de