Fotolot

Kleine Schritte für die Kunst

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
15.02.2022. Dass die "Kunsthalle Berlin" ein äußerst dubioses, wenn auch vom Senat kräftig subventioniertes Unterfangen ist, hat sich inzwischen dank zahlreicher Artikel in der Presse herumgesprochen. Aber der Blick in die entgegengesetzte Richtung auf all die Unterstützer der Boykottaufrufe - Milliardärinnen darunter - lohnt ebenfalls.
Fotolot-Newsletter abonnieren
Gestandene LeserInnen von Fotolot wissen längst, was Artikel von Niklas Maak in der FAZ jüngst (etwa hier) deutlich machten: dass die Berliner Kulturpolitik, drücken wir es neutral aus: fragwürdig ist (womit sie sich von der des Bundes jedoch nur unwesentlich unterscheidet).

Wie von mir immer wieder mal dargelegt (etwa hier und hier), wird vor allem in Gebäude, Beamte und etablierte Strukturen investiert, etwa in die abgenutzte Theater-Kamarilla der Berliner Volksbühne um René Pollesch. Ein Millionär wie Christian Boros durfte sich über 250.000 Euro für eine Ausstellung seiner Werke in der Techno-Butze Berghain ebenso freuen wie ganz Berlin über die explodierenden Kosten der Kunst-Scheune.

Insofern stellen die Geschehnisse um die Tempelhofer "Kunsthalle Berlin", die sich der Millionär Walter Smerling kräftig subventionieren lässt, nichts Neues dar - auffällig ist vielleicht die Unverfrorenheit, das Ausmaß der Ignoranz seitens der Betreiber sowie die Inkompetenz der Politik, der Maak geradezu eine "Selbstaufgabe" bescheinigt.

Im selbstzufriedenen Almauftrieb schwerreicher Stützen der Gesellschaft bekommt zudem jene sprichwörtlich gewordene Gattung alter weißer Männer ein Gesicht, von der sich vor allem der jüngere Bevölkerungsanteil mit Grausen abwendet.

Ob Flughafen Berlin Brandenburg oder Stadtschloss: Im Rennen um den nächsten geilen Fake schien Berlin kürzlich wieder die Nase vorn zu haben, als Gerüchte aufkamen, dass ein wie immer vom Duo Herzog/de Meuron verantworteter Nachbau des Kölner Doms am Tempelhofer Feld zur Diskussion stand und in weiterer Folge statt der verlautbarten 300 Millionen Euro natürlich 900 Millionen verschlungen hätte. Aber wie Fotolot von einer zuverlässigen Quelle aus dem Roten Rathaus erfuhr: Mer losse d'r Dom en Kölle.

Fake News, natürlich. Aber geben Sie zu, werte LeserInnen, dass Sie dieses Szenario angesichts der Berliner Zustände kurz für möglich gehalten haben.  

Was nun die Vorgänge um die Kunsthalle betrifft: Es wäre ein Leichtes, sich in dieser Sache auf die "richtige" Seite zu stellen und die auftretenden Personen rhetorisch mit Eiern zu bewerfen, wie es einst Helmut Kohl leibhaftig widerfuhr.

In der Kunstszene ist jedoch nie alles so wie es scheint, erst recht nicht in Berlin, wo ein "roter" Bürgermeister mit dem Spruch populär wurde, Berlin sei "arm, aber sexy", während er selbst natürlich wohlhabend war und dazu ohne Not 65.000 Wohnungen aus kommunalem Besitz zum Spottpreis veräußerte, was heute alle äußerst unsexy finden.

Machen wir also etwas, das oft die Grundvoraussetzung für kreatives Handeln ist und zu Ergebnissen abseits des Mainstreams führt: Wenn von hundert Leuten neunundneunzig in eine Richtung schauen - schauen wir in die entgegengesetzte Richtung.

In diesem Fall heißt das: Schauen wir uns mal ein paar Leute an, die den Protest gegen die Kunsthalle in den sozialen Medien befördern.

© Boykottaufruf der Kunsthalle (Screenshot P. T.)


Da wäre mal Candice Breitz, eine in Südafrika geborene Künstlerin, die seit 2003 in Berlin lebt. In ihrem Erfolgslebenslauf befinden sich die üblichen Referenzen: Columbia University, Whitney Museum, Tate Modern, MoMA, Guggenheim Museum, Palais de Tokyo, Louisiana Museum und so weiter. Sie hat mit Alec Baldwin und Julianne Moore gearbeitet und ist Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Ihre Arbeiten befinden sich unter anderem in den privaten Sammlungen Thyssen Bornemissza und Gloria von Thurn und Taxis.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von Candice Breitz (@candicebreitz)


Am 17. Januar verkündet Breitz auf ihrem Insta-Account, dass sie glaubt, dass es "Weißen nicht mehr erlaubt sein sollte, die Namen von Martin Luther King und Nelson Mandela in den Mund zu nehmen" - was ein wenig überrascht, nicht nur, weil Breitz selbst weiß ist, sondern weil anhand der aufgezählten Referenzen offenkundig ist, dass sie keine Probleme damit hatte, innerhalb der von privilegierten Weißen geschaffenen High End-Strukturen des Kunstmarkts nachhaltig zu reüssieren - ebenso wenig wie ein anderer Künstler, der via Instagram zum Boykott von Smerlings Kunsthalle aufruft: Adam Broomberg.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von Adam Broomberg (@adambroomberg)


In den zehner Jahren residierten er und sein Partner Oliver Chanarin in ihrem Studio in der Londoner Princelet Street zwischen Whitechapel Gallery und Barbican Centre im Epizentrum des boomenden Kunstmarkts, in dem sich die Preise zu überschlagen begannen, weil neben den üblichen Verdächtigen Superreiche aus Russland, China, Singapur, Indien und der arabischen Halbinsel auf der Suche waren nach prestigeträchtigen Investitionen in möglichst intransparenten, unregulierten Bereichen, und dabei logischer Weise bei Hedgefonds, beim Fußball und bei der Kunst landeten.

Eine wichtige Schnittstelle zwischen Sammlern, Künstlern, Museen und Auktionshäusern war der damalige Chef der Tate Modern, Chris Dercon, ein rigoroser Kapitalist und Strippenzieher. Seine Umtriebigkeit hat unzählige Künstler ganz nach oben gebracht, darunter den damals ebenfalls in London beheimateten Wolfgang Tillmans.

Broomberg/Chanarin waren eine Zeitlang Lieblinge des Kunst-Jet-Sets, erst recht nach ihrem Fotobuch-Coup "Holy Bible". Sie sorgten unter anderem für den in dieser Szene begehrten Avantgarde- und Underground-Chic. Ihr von Brechts "Kriegsfibel" inspiriertes, richtig gut gemachtes Buch "War Primer" habe ich 2018 im Fotolot besprochen. Das Duo gibt es heute nicht mehr, Broomberg tritt inzwischen vermehrt als Aktivist in Erscheinung, der den BDS unterstützt und für ein freies Palästina kämpft.

Das soll hier aber nicht Thema sein, sondern dass er in seinem Boykott-Aufruf vor allem die Berliner Star-Galerie König adressiert.
Johann König ist einem breiteren Publikum durch seine Biografie "Der blinde Galerist" bekannt geworden, bei deren Lektüre sicher einige von ihrem Home Office aufgesprungen sind, um ihrer Ergriffenheit in der mitfühlenden Gegenwart ihres Kurzhaardackels freien Lauf zu lassen.

Was treibt Broomberg dazu, König zu dissen, der ein prominenter Vertreter jenes internationalen Kunstbetriebssystems ist, mit dem er in seiner Londoner Zeit nie Probleme hatte?
Noch unverständlicher wird Broombergs Engagement, wenn man bedenkt, dass er drei Tage, bevor Niklas Maak seinen ersten Artikel veröffentlicht hat, den feierlichen Beitrag von Johann König zur Eröffnung der Kunsthalle mit einem "Like" versehen hat, wie dieser Screenshot zeigt.

© Screenshot P. T.


Unter denen, die wiederum Broombergs Aufruf und andere dieser Art, etwa von Tobias Zielony, geliket haben, tummelt sich wiederum Seltsames.

"Operndorf Afrika" etwa, die fragwürdige Hinterlassenschaft des Christoph Schlingensief, nach großartigen Arbeiten in den neunziger und nuller Jahren am Ende leider einer unter vielen weißen Männern, die geglaubt haben, eine Gegend in Afrika mit ihren Visionen beglücken zu müssen - überwiegend auf Kosten der deutschen SteuerzahlerInnen, versteht sich.

Unter den Meldungen über die Jahre zu diesem Projekt gibt es Highlights, die ihre Verarbeitung zu einem Sketch von Monty Python leider nicht mehr erleben können. Etwa aus dem Jahr 2015: "Mit dem Goethe-Institut ist ein Residenzprogramm geplant, das es Studenten der Robert-Schumann-Hochschule für Musik aus Düsseldorf ermöglichen soll, mit lokalen Musikern eine Band zu gründen."

Ja, darauf haben die zwei Millionen Einwohner im benachbarten Ouagadougou sehnlichst gewartet - mit deutschen Studenten endlich eine Band gründen!

"Operndorf Afrika" finanziert sich wie die Tempelhofer Kunsthalle mit großteils öffentlichen Mitteln etwa des deutschen Außenministeriums oder der Kunststiftung NRW sowie aus privaten Quellen. Diese kommen zum Beispiel durch Benefiz-Veranstaltungen wie die "Auktion 3000" zustande, die 2012 mehr als eine Million Euro fürs Operndorf erbrachte, und auf der (fast) alles zusammenkam, das immer wieder durch Artikel wie diesen geistert: Peter Raue, Georg Baselitz, Olafur Eliasson, Friedrich Christian Flick, Udo Kittelmann, Brigitte Oetker, Susanne Gaensheimer, Chris Dercon, Christian Boros, Johann König und viele mehr.

Unter den Förderern des Operndorfs befindet sich auch Julia Stoschek, eine Bewunderin Schlingensiefs, die sich bis heute um die Verbreitung seines Werks bemüht.

Stoscheks "Like" des Tempelhofer Boykottaufrufs ist vielleicht das Rätselhafteste von allen.

Entspricht doch ihr langjähriger Partner, Springer-Chef Mathias Döpfner, perfekt dem Anforderungsprofil der Runde um Smerling und Windhorst. Stoscheks Familie hatte unter ihrem Urgroßvater - NS-Wehrwirtschaftsführer Max Brose - mit Zwangsarbeitern den Grundstein zu ihren Milliarden gelegt - ein Umstand, der in der Kunstszene kaum jemand irritiert und deshalb vor einiger Zeit von Jan Böhmermann in dessen Show wieder aufgegriffen wurde.

Was lernen wir aus all dem?

Napoleon glaubte daran, in Filmreihen wie "Alien vs. Predator" spielt es eine wichtige Rolle, und jüngst fanden auch Wladimir Putin und Xi Jinping angesichts der USA auf diese Weise zueinander - aber wie man sehen kann: der Feind meines Feindes ist nicht immer mein Freund.

Die Behauptung von Smerlings Old Boys, es würde ihnen nur um die Kunst oder die Völkerverständigung gehen, ist ungefähr so glaubwürdig wie die Behauptung manch ihrer exponierten GegnerInnen, es gehe ihnen um die prekäre Lebens- und Ateliersituation vieler Künstler und Künstlerinnen in Berlin: etwa null.

Etwas Versöhnliches zum Schluss.

Fotolot liegt ein Schreiben einer Gruppe engagierter deutscher Bürger vor, die sich direkt an den Schirmherrn der ebenfalls von Smerling veranstalteten Ausstellung "Diversity United" wenden: "Lieber Wladimir, wir hoffen, es geht Dir gut! Bitte spreize Deine majestätischen Schwingen schützend über das vom Lauf der Geschichte waidwunde Eurasien. Behandle es mit der Nachsicht und Güte eines Vaters, der gelernt hat, gelassen mit Welten zu spielen wie mit Murmeln in einer Hand. Achte und fördere die Kunst, die Brücken baut zwischen sibirischem Eis und märkischem Sand, Oligarchen und Hartz IV-Empfängern. Kleine Schritte für die Kunst, große für die Menschheit.

Gute Nerven in der Ukraine-Krise und alles Liebe von Walter, Lars, Anselm, Gerd, Klaus, Johann, Christoph, Neo und den anderen Jungs."

Love and peace on earth wünscht

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de

Nicholas Ofczarek ("Der Pass") züchtigt Peter Truschner für dessen unverschämte Beiträge auf "Fotolot"- wurde auch Zeit!  (Foto: Heribert Corn)
Stichwörter