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Außerdem noch ein Feuerzeug

Über Bilder, Bände und Sites Von Thierry Chervel
31.05.2016. Die japanische Fotografie befindet sich seit fünfzig Jahren in einem kreativen Rausch, der im Westen noch kaum bemerkt wurde. Daisuke Yokota ist heute wohl der bekannteste unter den jüngeren japanischen Fotografen. Seit neuestem fotografiert er in Farbe und abstrakt.
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Bei Daisuke Yokota sind die Schatten weiß. Aber die weißen Schatten, das sind wir, die Abgebildeten. Seine Fotos wirken häufig wie Negative oder Röntgen-Bilder. Es gibt Schlieren, Störungen, Verzerrungen. Teilweise wirken die Bilder wie Stills aus frühen surrealistischen Filmen, auch wie Geheimbotschaften, die nur von verrückten Experten gelesen werden können, Überbleibsel rätselhafter Prozesse oder Rituale.

Yokota, geboren 1983 (Website), ist heute wohl der bekannteste unter den jüngeren japanischen Fotografen, zumal er gerade einen der wichtigsten Fotopreise für junge Fotografen, den "Foam Paul Huf Award" erhalten hat (mehr hier). Die japanische Fotografie befindet sich ja im Grunde schon seit fünfzig Jahren in einem permanenten kreativen Rausch, der in den westlichen Ländern noch kaum zur Kenntnis genommen worden ist - von Ausnahmen wie Nobuyoshi Araki und Hiroshi Sugimoto abgesehen. Gerade lief in der Wiener Albertina eine Ausstellung über die Zeitschrift Provoke, mit der die Generation vor Yokota startete, Fotografen wie Daido Moriyama, Masahisa Fukase und Shomei Tomatsu. Provoke war wie fotografischer Punk zehn Jahre bevor es im Westen so etwas gab, der totale Abschied von klassischen Kompositionen und Techniken, ekstatisch, assoziativ, ausschnitthaft und fast immer schwarzweiß. Die Fotobücher produzierte man selbst, manchmal mit dem Kopierer.

Yokota sucht in seinen Schwarzweißbildern ähnlich dunkle Wirkungen, aber mit komplizierteren und langwierigeren Verfahren. Im Interview mit Dan Abbe vom americanphotomag erklärte er seine Technik vor vier Jahren so: "Zuerst benutzte ich eine digitale Kompaktkamera und druckte das Bild aus. Dann fotografierte ich dieses Bild mit einer digitalen 6x7 cm-Kamera mit Farbfilm, obwohl das Bild am Ende schwarzweiß ist. Ich entwickelte es dann zuhause so, dass Unvollkommenheiten oder Rausch entstehen, indem ich zu warmes Wasser benutze und den Film nicht schüttle. Vorher ließ ich noch etwas Licht dran. Ich entwickelte in meinem Badezimmer, es ist also nicht mal eine Dunkelkammer, das hilft, aber außerdem hielt ich noch ein Feuerzeug an den Film, oder was gerade zur Hand ist."

Im Interview mit dem Guardian bezieht sich Yokota auf die Musik von Aphex Twin, was mich eigentlich überraschte, denn seine Bilder haben nichts Technizistisches oder zickig Elekronisches. Aber bei näherem Hinsehen und -hören kommt man auf die Parallelen. "Es gibt eine Menge Experimente mit Verzögerung, Hall und Echo, er spielt mit der Wahrnehmung von Zeit", sagt Yokota über Aphex Twin. Tatsächlich nutzt Aphex Twin diese Techniken, um die Schematik der Elektromusik zu sprengen, aufzurauhen und zu verfremden. Manchmal kommen menschliche Stimmen aus dem Gewirr, oder auch wie rückwärts laufende und verzerrte Sprachfetzen wie in alten Horrorfilmen, die dann tatsächlich so unheimlich sind wie die weißen Schatten bei Yokota. Beide haben etwas von schwarzer Romantik, Gothic und Grufti-Ästetik: Aphex Twin baut in seine Musik sogar Bilder ein, behauptet der ihm gewidmete Wikipedia-Artikel, die sich durch Frequenzmodulatoren rekonstruieren lassen.

Hier Aphex Twins Stück "Alberto Balsam", das (wieder laut Wikipedia) einmal die Ehre hatte, von Karlheinz Stockhausen als eintönig kritisiert worden zu sein (einfach draufklicken!)


Nun bringt Yokota einen Band mit "Color Photographs", die er zunächst in New York ausstellte, in denen er auf jede Gegenständlichkeit verzichtet, giftig schillernde Farbverläufe, teilweise mit scharfen Bruchkanten, teilweise wie Ölschlieren auf Wasser, eine chemisch erzeugte Psychedelik mit irrealen Farben.



Daisuke Yokota: Untitled (2015). Abbildung mit freundlicher Gengehmigung von Harper's Books.

Dass sie ungegenständlich sind, heißt nicht, dass die Fotos nicht Abbilder sind. Die Bilder scheinen in Schichten gebaut, die sich teilweise abgelöst haben, und erinnern darum an die jüngst wieder ins Gespräch gekommenen Affichisten (Bilder). Sie zeigen auch kleine Stockungswellen oder Craquelets, als seien hier Flüssigkeiten geronnen. Und manchmal sieht man die Fingerabdrücke des Fotografen. Diese Fotos sind Abbilder des Prozesses, der zu ihnen führte.

Thierry Chervel
 
Daisuke Yokota: "Color Photographs". Harper's Books. Coproduced by Flying Books, Tokyo, Japan. ISBN 978-0-692-51349-1, 60 Dollar, zu beziehen über Harper's Books.