Im Kino

Sublimer Schmarrn

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
25.04.2007. In "Inland Empire" schickt David Lynch Laura Dern als Frau in Schwierigkeiten von Tür zu Tür und Realitätsebene zu Realitätsebene. Zhang Yimou begibt sich mit seinem opulenten Palast-Kammerspiel "Der Fluch der Goldenen Blume" ins historische China.
David Lynchs Filme liefern sich, je rätselhafter sie scheinen, den tiefsinnigsten Deutungen umso schutzloser aus. Sie sind ein gefundenes Fressen für Virtuosen des Sinns und des Findens von Bedeutungen, die sich auf zweite und dritte Blicke erst erschließen. Der slowenische Lacanianer Slavoj Zizek etwa sieht die Sorte psychoanalytischer Theorie, mit der er die Welt überzieht, in Lynchs Werk an allen Ecken und Enden bestätigt und präfiguriert. Der Verdacht, der sich so einstellt, dass nämlich, wer Lynch verstehen will, immer auch finden wird, was er sucht, bekommt dem Werk nicht unbedingt gut. Vor allem verpasst die Wut des Verstehens an Lynchs Alpträumereien in der Linie von "Eraserhead" über "Twin Peaks" und "Lost Highway" zu "Mulholland Drive" und jetzt "Inland Empire" das bei entspannter Betrachtung unübersehbare Faktum ihrer beträchtlichen Komik. Gerade in den Bewegungen des Entzugs klarer und eindeutiger Bedeutungen erfüllt der von Lynch produzierte sublime Schmarrn eine der berühmteren Definitionen des Komischen, nämlich des Zergehens einer gespannten Erwartung in nichts - der Abwechslung halber bei Lynch auch: in Musik - ein ums andere Mal. Auch an lachhaftem Nebeneinander des Gegensätzlichen fehlt es, je radikaler alle lineare Narration sich auflöst, desto weniger.

"Inland Empire", das dreistündige magnum opus Lynchianischer Narrationsdispersion, ist darum auch ein großer komischer Wurf. Schon der vom deutschen Verleih der lakonischen Inhaltszusammenfassung des wie stets selbstdeutungsfeindlichen Regisseurs entnommene Untertitel "Eine Frau in Schwierigkeiten" macht das hinreichend klar. Denn gewiss ist die Handlung, vielmehr die Situation, die der Film in ein vielverzweigtes Gestrüpp von Handlungsantäuschungen und Figurenverschiebungen und -verschachtelungen entfaltet, völlig zutreffend, wenn auch in heilloser Unterkomplexität benannt: Laura Dern, die Heldin des Films gerät von einer Schwierigkeit in die nächste. Es beginnt - mehr oder weniger, denn anderes geht voraus - mit dem Besuch eines finsteren Orakels in der Villa, in der sie auf der ersten Ebene des Films als Schauspielerin mit ihrem Ehemann lebt. Das Orakel spricht, wie Orakel tun, Dinge, die sich zunächst nicht erschließen. Es prophezeit, was geschehen wird. Und mit einem Rutsch in der Zeit, einem Rutsch von einer Realität zur nächsten, erfüllt sich, was sie sagt. Dabei ist, was sie sagt, nicht weiter wichtig. Was zählt, ist der Rutsch, ist das Gleiten von einer Situation in die nächste, denn was Lynch hier betreibt, ist ontologischer Slapstick in Perfektion. Wie auf einer Bananenschale rutscht und gleitet der Sinn des Gezeigten und gleitet auch das Verstehenwollen des Betrachters immer wieder aus und landet, ehe es sich versieht, in der nächsten absurden Unklarheit. In einer Kaninchen-Sitcom zum Beispiel. Ein Zimmer mit einer Couch, darauf zwei Menschen in Kaninchengröße, im Hintergrund ein Bügelbrett, es bügelt daran eine Kaninchenfrau. Zu höchst banalen Dialogen hört man hysterisches Sitcom-Lachen vom Band.

Von den Kaninchen kehrt man zurück zur Geschichte der Frau in Schwierigkeiten. Freilich ist die Rückkehr nicht - und in diesem Film eben: nie -
punktgenau. Eine Tür öffnet sich und dahinter liegt nie, was zu vermuten war. Verschiebungen finden statt, von einem Schnitt zum anderen, von einer Tür zur nächsten. Und auch Geschichte ist nicht unbedingt das richtige Wort, insofern es nämlich einen Zusammenhang suggeriert, um dessen Auflösung "Inland Empire" mit beträchtlichem Erfolg gerade ringt. Das "innere Reich" des Films ist, könnte man sagen, gerade und sehr genau an jener Stelle gelegen, an der das bloße Nacheinander der Bilder mit einer nachvollziehbaren Logik der Narration nicht mehr in eins fällt. So entstehen Lücken, die von der Lynchdeutungsindustrie gerne als Abgründe begriffen werden. Und Lynch selbst leistet solchen Abgrundvermutungen durchaus Vorschub, durch die von ihm selbst entworfenen düster-industriellen Soundscapes vor allem. Wenn etwas dem fortwährenden Rutschen und Gleiten von Bild zu Bild Widerstand leistet, dann sind es die rumorenden Klänge, die den Bildern regelmäßig eine Orientierung in Richtung des Unheimlichen geben. Und wenn etwas Lynchs Filmen immer wieder auch den Charakter virtuos montierter, aber ebenso manipulativer wie letztlich banaler Geisterbahnfahrten verleiht, dann ist es die Stimmungsmache ihrer Soundtracks. Diesmal aber fällt Lynch sich auch auf dieser Ebene ein ums andere Mal - und mit komischem Effekt - ins Wort bzw. ins Geräusch und unterbricht das Rumoren durch abstrus fröhlichen Song and Dance, etwa in einer Einlage, bei der ein Zimmer voll Prostituierter zu "The Locomotion" zu tanzen beginnt.

Wer will, kann natürlich Rekonstruktionsarbeit leisten. Es ließe sich dann womöglich erzählen, nacherzählen, vom jeweils Folgenden her erzählen, dass Laura Dern als Schauspielerin in einem Film mitspielt, von dessen Entstehung wiederum "Inland Empire" erzählt. Man sieht die ersten Proben mit dem Regisseur (Jeremy Irons), man kann, wenn man will, den Film-im-Film vom Film unterscheiden. Sogar "Inland Empire" selbst scheint am Ende darum bemüht, etwas wie eine logische Ordnung und Struktur durch bloße, etwas hektisch zusammenraffende Versammlung der übers Vorangegangene verstreuten Elemente herzustellen. Kurz vor Schluss gibt es eine große Geste der Unterscheidung, ein sehr bewusstes und geradezu aufreizendes Wieder-Einziehen der Grenze zwischen Innen und Außen in den Film selbst. Die bewegende Szene des Todes von Laura Dern entpuppt sich als gespielte Todesszene und durch die klare Setzung der Grenze ("es war nur ein Film") ist das, was man dann sieht, kein Auferstehungswunder, sondern die Normalität der Dreharbeiten: Wer zu Boden sinkt, steht wieder auf. In Wahrheit sind solche Selbstreflexivitätsfiguren und überhaupt alle Versuche des Films, die Bilder- und Erzählfluchten des Films in einer letzten Anstrengung doch noch zur Deckung zu bringen, die reine Verdeckungsarbeit, die die zuvor so offen zutage liegende und offensiv gesuchte Ungereimtheit der Bilderschichten in einer letzten, verzweifelten Geste wieder unsichtbar machen will.

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China, vor tausend Jahren, das Zeitalter der Tang-Dynastie. Großes Drama um Liebe, Macht und Eifersucht bei Hofe. Im nicht erklärten Krieg miteinander befinden sich der Kaiser Ping (Chow Yun-fat) und seine Frau Phoenix (Gong Li). Er lässt ihre Medizin mit schleichend tötendem Gift versetzen. Sie hat ein Verhältnis mit einem seiner Söhne. Prachtvoll der Palast, mit Gold bestickt sind Kleider und Wände. All das aber ist nichts als mit größtmöglichem Aufwand täuschender Schein - und damit bestens geeignet als Vehikel für Zhang Yimou, der einst einer der bedeutenden Regisseure der international angesehenen "fünften Generation" der Pekinger Filmhochschule war und sich im Westen als kritischer Beobachter der chinesischen Gegenwartsgesellschaft einen Namen machte. Damit aber ist es lange vorbei. Zhang Yimou hat sich im letzten Jahrzehnt auf heroische Vergangenheiten spezialisiert. Mehr als ein Kritiker hat in seinem bunten Martial-Arts-Drama "Hero" imperiumsfromme Tendenzen beobachtet, angesichts der neuen Lust des Regisseurs an auf größmöglichen Effekt hin inszenierten Massenszenen fällt in Rezensionen gerne, und durchaus mit Grund, der Name Leni Riefenstahl. Erfreut hat den Willen zur Pracht die chinesische Regierung zur Kenntnis genommen - Zhang Yimou, der inzwischen auch Opern in Freiluftarenen inszeniert, ist zum Verantwortlichen für die Eröffungs- und Schlussfeier der Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2010 ernannt worden.

Man kann von dieser dubiosen Entwicklung einer Karriere kaum absehen, wenn man sich "Der Fluch der Goldenen Blume" ansieht, das jüngste Historienspektakel Zhang Yimous. Der Betrachter wird von Anfang an mit Farben überschwemmt, vom Rot und Gold der Kleider zum Gelb der Chrysanthemen. Der Film ist eine einzige und, wie man dann doch zusehends erstaunt zur Kenntnis nimmt, bis zum Ende steigerungsfähige überwältigungsästhetische Attacke. Zugleich aber auch die Verfilmung eines Klassikers der chinesischen Theaterliteratur, nämlich von Cao Yus 1933 entstandenem Drama "Das Gewitter". Das aber erzählt mit radikalem Pessimismus vor allem von der Politik als zerstörerischer Kraft, die keinen verschont, der sich in sie verwickelt findet Am Ausgangspunkt des Intrigenspiels liegt als Ursünde der Machtpolitik schon die aus rein dynastischen Erwägungen erfolgte Hochzeit des ehrgeizigen Kaisers mit der Schönheit Phoenix. Sie zu lieben unternimmt er offenbar keinen Versuch. Schweigend liegt zwischen beiden vom ersten Bild an der Hass; kompensiert wird der Mangel an Liebe durch quasi-inzestuösen Sex, Hinterlist und heimtückisches Schmieden von Allianzen hinter dem Rücken des Gegners.

Eigentlich handelt es sich also beim zugrundeliegenden Drama um ein Kammerspiel in Palast-Gemächern. Zhang Yimou macht das auch durchaus klar, indem er die Räume symbolisch trennende durchsichtige Wände aus hauchdünnem Stoff niedersinken lässt und so mit einfachen Mitteln Intimitäts-Separees für gewispertes Intrigieren, gefährliche Liebschaften und verbotenen Sex produziert. Auf der anderen Seite aber lässt Zhang Yimou das Kammerspiel eben immer wieder ins Grandiose expandieren, ja explodieren und transformiert dialogische Interaktion in Martial-Arts-Action der mitunter atemberaubenden Sorte. Am überzeugendsten sind nicht einmal die vom Computer, wie der Regisseur versichert, nur in Maßen noch aufgebauschten Kampfszenen auf sich blutrot färbendem Chrysanthementeppich im riesigen Palasthof. Wirkliche Faszinationskraft besitzen vor allem die spinnenflinken, schwarz vermummten Kämpfer auf Seiten des Kaisers, die sich in der einzigen außerhalb des Palasts spielenden Sequenz an Seilen durch Gebirgsschluchten schwingen, ganz ähnlich wie der ins Dunkle gewendete und darum auch finster gewandete Peter Parker im am nächsten Dienstag anlaufenden neuesten Spider-Man-Film.

Und während David Lynch in "Inland Empire" immer weitere Realitätsebenen eröffnet, so haben die Intrigen schmiedenden Kontrahenten in "Der Fluch der Goldenen Blume" immer noch eine List und der Plot einen Twist in der Hinterhand. Einen gewaltigen Unterschied aber gibt es: Am Ende der Entscheidungsschlacht sinken die Verlierer vernichtend geschlagen zu Boden - und stehen nicht wieder auf.


Inland Empire. USA / Polen / Frankreich 2006 - Regie: David Lynch - Darsteller: Laura Dern, Jeremy Irons, Justin Theroux, Harry Dean Stanton, Peter J. Lucas, Jan Hencz, Diane Ladd, Bellina Logan - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 172 min.

Der Fluch der goldenen Blume. China 2006 - Originaltitel: Curse of the Golden Flower / Man cheng jin dai huang jin jia - Regie: Zhang Yimou - Darsteller: Gong Li, Chow Yun Fat, Jay Chou, Liu Ye, Chen Jin, Ni Dahong, Li Man, Qin Junjie - FSK: ab 12 - Länge: 114 min.