Im Kino

Gefangen im Mc-Job-Provisorium

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
11.07.2007. "Clerks 2 - Die Abhänger" zeigt die aus dem Original vertrauten Figuren noch immer im Mc-Job-Provisorium gefangen - aber mit Aussicht auf ein neues Leben am alten Ort. Und unter den Künstlerfilmen der letzten Wochen überzeugt "Henri Cartier-Bresson - Biographie eines Blicks" durch den klugen Umgang mit bescheidenen Mitteln.
"Clerks", das Original aus dem Jahr 1994, hatte Kevin Smith mit zusammengeborgtem Geld gedreht, mit Laien und in dem Eckladen, in dem er selbst jobbte. Es wurde daraus eine der großen Erfolgsgeschichten des amerikanischen Independent-Kinos, für Regisseur Smith folgte eine, allerdings etwas unstete, Karriere als mehr oder minder unabhängiger, Hollywood aber affiliierter Regisseur. Nicht nur drehte er Film um Film, mal mehr ("Chasing Amy"), mal weniger ("Dogma") gelungen, auch als Comic-Autor mit Superhelden-Spezialisierung ist er inzwischen ein gefragter Mann. Zuletzt war er sogar als Nerd-Darsteller in "Stirb langsam 4.0" zu sehen.

Die Kritik, die "Clerks" einst sehr freundlich aufnahm, diagnostiziert inzwischen einen Fall von künstlerischer Stagnation. Kevin Smiths Mischung aus drastischen Scherzen und wenig eleganter filmischer Form hat sich diesem Urteil zufolge seit den Anfängen kaum weiterentwickelt. Sein jüngster Film, "Clerks 2", mit dem er nun mit voller Absicht zum Debüt zurückkehrt, ist die Probe aufs Exempel. Die ersten Bilder signalisieren ein Ende und einen Neuanfang. Der "Quik-Stop"-Laden des nun auch schon dreizehn Jahre alten Erstlings ist abgebrannt, die Bilder wechseln von schwarz-weiß nach bunt, Hauptdarsteller Dante Hicks (Brian O'Halloran) jobbt nun - gemeinsam mit seinem Kumpel Randal (Jeff Anderson) - in einem existierenden Vorbildern einfallsreich nachempfundenem Fast-Food-Laden mit Kuh-Thematik. Dante ist aber kurz davor, sein Leben zu verändern. Er hat eine Blondine gefunden, die ihn heiraten will, der Umzug nach Florida ist bereits für die allernächste Zukunft terminiert.

So schnell geht das alles aber nicht. Zwischen Clerks-Dasein und Ehe-Zufriedenheit wird erst ein Bildungsroman geschaltet, genauer gesagt: Dante Hicks bekommt die eine oder andere Lektion auf seinem Weg zur Herzensbildung erteilt. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich entsprechend der Film: Hier das Wiederholungsszenario, das Steckenbleiben im Nerd-Zustand - da die romantische Hoffnung auf Reife und Glück, der Ausgang aus der durchaus selbst verschuldeten Unmündigkeit. Kevin Smith reflektiert mit seinem Film also den Vorwurf gegen das eigene Werk, das mit stets denselben, wenngleich einfallsreich varriierten Scherzen um stets dieselben Typen kreise; personifiziert am besten natürlich an Jay (Jason Mewes) und Silent Bob (Kevin Smith), die das recht eng umgrenzte Smith-Universum von "Clerks" an bewohnen, denen denn auch schon ein ganzer Smith-Film ("Jay und Silent Bob schlagen zurück") gewidmet war.

Am Ende von "Clerks 2" wird sich ein Kreis geschlossen haben - oder ist es eher so, dass derselbe Ort - der "Quick-Stop"-Laden mit angrenzender Videothek - nun ein anderer geworden ist? Eine allzu ernste, vielleicht auch allzu erwachsene Frage an einen Film, der immer auch die Ambition hat, die sexuell-pubertäre Drastik des Erstlings noch einmal zu übertrumpfen, mit Klitoris-Scherzen und panischer Angst vor Vagina-Trollen. An die Stelle der berüchtigten nekrophilen Sex-Begegnung auf der Toilette tritt diesmal der Beischlaf zwischen Mensch und Tier, und zwar nicht mehr abseits der Szene, sondern zentral und groß im Bild.

Dennoch: Die Frage nach Zukunft, nach einer Einrichtung des Lebens, die mehr wäre als bloßes Mc-Job-Provisorium im Fast-Food-Prekariat, steht im Raum. Und so groß ist der Anspruch ans Lebensglück denn doch - jedenfalls fürs Glückskind Dante -, dass die erste beste Lösung nicht endgültig sein muss. Die Sprache und der Bezugsrahmen, innerhalb deren Kevin Smith dem Begehren und den Leidenschaften, dem Lieben und Hoffen seiner Figuren Ausdruck zu geben vermag, ist völlig der Populär- und Trashkultur abgerungen. Zu bitteren Zerwürfnissen führen Streitigkeiten darüber, ob nun der "Star Wars"- oder der "Herr der Ringe"-Saga (oder gar den "Transformers") der Vorzug zu geben ist. Nicht ohne Komik auch der rassismuspolitisch nicht uninformierte, wenngleich natürlich zum Scheitern verurteilte Versuch der weißen Nerds, rassistischen Beschimpfungen ihre Unschuld zurückzuerstatten, indem sie sie auf sich selbst anwenden.

Die Diskurse, womöglich auch die Gefühls- und Denkwelten in "Clerks 2" haben - jedenfalls von außen betrachtet - ihre sehr engen Grenzen. Aus dem Inneren dieser sehr eigenen Kultur, die Smith bewusst ins Autistische zu steigern weiß, ist das alles aber durchaus nuanciert und zudem ehrlich empfunden. Die Komik des hier dargestellten Selbstverhältnisses dieser Welt verdankt sich immer auch dem beinahe tragischen Wissen darum, wenig geachtete Außenseiter eines gesellschaftlichen Mainstreams zu sein, der sich im Nerd immer ein bisschen zu gut selbst erkennt. Also lachen die Nerds über sich selbst - und ziehen nicht zuletzt aus dieser Fähigkeit, sich selbst aus- und über die eigene Lage hinauszulachen, das Selbstbewusstsein, sich dann noch einmal dämlicher darzustellen, als sie in Wirklichkeit sind. Soll nur heißen: So sehr, oder gerade weil Kevin Smiths "Viewaskewniverse" ("View Askew", schräger Blick, ist der Name seiner Produktionsfirma) in sich selbst zu schmoren scheint, bietet es, mal mit Absicht und mal unfreiwillig, recht präzise Beschreibungen unserer Zeit. Und die Stagnation sowie die Reflexion aufs Stagnieren sind darum eben Symptom und Analyse zugleich.

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Im Sommer fällt das Kino auseinander, in Filme fürs Blockbuster- und solche fürs Nischenpublikum. Erstere werden in dieser Woche mit dem neuesten Harry Potter bedient, für letztere sind all die Kunst- und Künstlerfilme gedacht, die - von "Sketches of Frank Gehry" bis "Francis Bacon - Form und Exzess" derzeit in unseren Kinos starten. Es ist dies in aller Regel ein unglückliches Genre, da es richtungslos zwischen Genie-Mythos, Klatsch und Analyse schlingert, den Mythos dabei oft genug mit der Analyse verwechselt und den biografischen Klatsch für das Mittel zur Amalgamierung von beidem hält. Mag sein, dass sich in dieser unguten Gemengelage die Kräfte des Kunstmarkts, jene Besetzungen, die in ihm Werte produzieren, einigermaßen zutreffend abbilden. Ein Spaß ist das aber für den, der von einem Künstlerfilm etwas über Kunst wissen will, eher nicht.

Heinz Bütlers von der "Neuen Zürcher Zeitung" produzierter Fernsehfilm "Henri Cartier-Bresson - Biographie eines Blicks" ist da eine kleine und vor allem unprätentiöse Ausnahme. Gerade die bescheidenen Mittel nehmen angesichts aller oft hochtourigen Versuche anderer Künstlerfilme, das vermeintlich trockene Material mittels irgendwelcher special effects und Regieeinfälle interessant zu machen, für den Film ein. Man sieht nicht viel mehr als Henri-Cartier Bresson selbst, inzwischen verstorben, beim Entstehen des Films im Jahr 2003 bereits 95 Jahre alt, Freunde wie Arthur Miller (inzwischen auch verstorben), Weggefährten aus der Magnum-Fotoagentur wie Joseph Koudelka und dann noch die von ihm fotografierte Isabelle Huppert. Alle kommentieren sie nur die Bilder, von denen man sehr viele sieht.

Man erfährt dabei gewiss nichts Neues, aber seine von der eigenen Praxis eindrucksvoll bestätigte Theorie der fotografischen Tätigkeit bringt Cartier-Bresson noch einmal ganz genau auf den Punkt. Der "entscheidende Moment", um den sich bei ihm alles dreht, ist derjenige, in dem die Fotografie das, was zu sehen ist, zur perfekten Konfiguration stillstellt. Die "perfekte Konfiguration" ist dabei an ganz klassischen Harmonie"gesetzen" von Figur und Grund und von Geometrie und Formverläufen orientiert. Die Welthaltigkeit bleibt dabei durch die von Cartier-Bresson auf der ganzen Welt aufgesuchten, mitunter welthistorisch bedeutsamen Sujets (emblematisch: Gandhi kurz vor seinem Tod) garantiert.

Cartier-Bresson, so statuarisch wie unprätentiös, und der Film blättern sich so nach und nach durch die Geschichte des fotografischen Werks und damit des 20. Jahrhunderts. Es gibt viel zu bewundern, denn innerhalb des von ihm angestrebten Klassizismus hat es Cartier-Bresson in der Tat zu staunenswerter Perfektion gebracht. Sehr persönlich wird der Film dabei angenehmerweise nicht. Besser wäre es vielleicht gewesen, der Regisseur hätte sich völlig auf Cartier-Bresson konzentriert, denn sowohl Isabelle Huppert als auch die Weggefährten bezeugen vor allem, dass sie viel Erhellendes nicht beizutragen haben. Anders als die zuletzt gestarteten Filme zum Architekten Gehry und zum Maler Francis Bacon kann man den zum Fotografen Henri Cartier-Bresson allen, die einen ersten Zugang zu seinem Werk suchen, getrost empfehlen.


Clerks 2 - Die Abhänger. USA 2006 - Regie: Kevin Smith - Darsteller: Brian O'Halloran, Jeff Anderson, Rosario Dawson, Trevor Fehrman, Jennifer Schwalbach, Jason Mewes, Kevin Smith, Jason Lee, Wanda Sykes, Kevin Weisman - Länge: 97 min.

Henri Cartier-Bresson - Biographie eines Blicks. Schweiz 2003 - Regie: Heinz Bütler - Mitwirkende: Henri Cartier-Bresson, Elliott Erwitt, Isabelle Huppert, Josef Koudelka, Arthur Miller, Ferdinando Scianna, Robert Delpire - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 72 min.