Im Kino

Der Nymphomaninnen-Blues

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
03.07.2007. In "Black Snake Moan" legt Samuel Jackson als Blues-Sänger namens Lazarus eine nymphomanische Christina Ricci in Ketten - zu ihrem Besten. Und in "Sketches of Frank Gehry" porträtiert Sydney Pollack seinen Freund, den Architekten Frank Gehry, als Genie.
Die Internet Movie Database bietet zu den in ihre verzeichneten Filmen ein Stichwortregister, anhand dessen man sich über die allgemeine Richtung eines Films schon mal vorab informieren kann. Im Fall von "Black Snake Moan" ist diese Liste außerordentlich lang und sie umfasst, neben vielen anderen die folgenden Einträge: Southern Gothic, Kindsmissbrauch, Nymphomanin, Angstattacke, White Trash und versuchte Vergewaltigung. All das ist drin, in diesem Film, auf den nach Regisseur Craig Brewers gefeiertem "Hustle and Flow" viele gespannt waren. Er bekam nach dem Erfolg des Vorgängers Geld, Freiheit, prominente Darsteller - und hat einen Cocktail daraus gerührt, der erstaunlicherweise bizarrer klingt als er bei näherer Betrachtung dann ist.


Die Geschichte spielt im tiefen amerikanischen Süden, genauer gesagt: irgendwo im Staat Tennessee. Zwei Plotstränge werden eine ganze Weile lang parallel erzählt, bevor der Film sie dann, wie zu erwarten - wenn auch nicht unbedingt in der Weise, in der es dann geschieht - zusammenführt. Auf der einen Seite die junge Frau Rae (Christina Ricci, vgl. "White Trash"), die von ihrem Liebsten Ronnie (Justin Timberlake) Abschied nimmt: der geht zur Army, will im Krieg sich als Mann beweisen. Rae bleibt zurück, unglücklich, wie es scheint, doch rasch zeigt sich, dass mit ihr was nicht stimmt. Ein Jucken zwischen den Schenkeln, das durch ein Kratzen nicht zu löschen ist. Es verlangt sie nach Sex, zur Not mit dem nächsten besten. (Vgl. Nymphomanin.) Diese nymphomanische Verlangen ist, wie Flashbacks auch dem filmgrammatischen Analphabeten erläutern, wiederholtem "Kindsmissbrauch" geschuldet.

Auf der anderen Seite Lazarus (Samuel L. Jackson), der zwar dem Namen zum Trotz nicht tot ist, aber einer heilenden Hand dringend bedarf. Seine Frau hat ihn verlassen - und zwar für seinen jüngeren Bruder. Der Zorn muss irgendwohin, also bringt er den Bruder fast um, dann walzt er die von seiner Frau gepflanzten Rosen platt.
Zur schicksalhaften Begegnung von Lazarus und Rae kommt es, als Rae nach einer "versuchten Vergewaltigung" halbtot am Wegesrand liegt. Lazarus nimmt sie auf in sein verwaistes Haus, kühlt die Fiebernde im Eisbad und legt sie, als sie halbwegs wieder geradeaus sehen kann, an eine schwere Eisenkette. Wie einen Hund. Ein Priester kommt ins Spiel, ein junger Mann auch, den Rae gleich bespringt. Dann aber ereignet sich Wunder um Wunder. Bis dahin ist das Erstaunlichste an dem Film, dass er zwar hoch misogyn und ausbeuterisch mit seiner weiblichen Hauptfigur umspringt (Christina Ricci macht noch das beste daraus), ohne dass dabei beim Betrachter irgendwie spannende Widerstandsenergien entstehen. Seltsam unentschlossen will Brewer, anders als Tarantino mit seiner Grindhouse-Übung "Death Proof", die pure Sleaze-Exploitation, auf die immerzu alles zusteuert, gerade nicht. Dadurch aber wird alles erst recht heillos und schlimm und leider auch kaum einmal absichtlich lustig. Das ganze Geschlechterrollen-Unheil, das Brewer in der ersten Hälfte des Films mit einer allermeist halbnackten Christina Ricci angerichtet hat, wird im weiteren Verlauf durch Frömmigkeit nicht besser, sondern auf verquere Art erst recht schlimm.

Erst kommt, von "Angstattacken"geplagt, Ronnie unverrichteter Dinge von seinem Ausflug zum Militär zurück und erfährt endlich die Wahrheit über Raes nymphomane Tendenzen. Lazarus befreit Rae von den Ketten, aber der Film macht uns weis, dass sie auf dem Weg des In-Ketten-Legens geheilt wird. Oder fast. (Das Stichwort "Stockholm-Syndrom" fehlt in der IMDB.) Brewer meint das alles ernst, jedenfalls: fast. Er erzählt eine absurde Parabel, aber ganz so, als wäre sie mitnichten absurd. Der Film gewinnt nie die Kraft, die es bräuchte, um die haarsträubenden Wendungen wenn nicht durch Sinn und Verstand, so doch durch schiere Chuzpe zu retten. Das aber geschieht höchstens ein paar Bluesminuten lang. "Southern Gothic"? Von wegen.

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Spektakulärer baut keiner derzeit als Frank Gehry. Seine Entwürfe wirken wie explodierte und aufgeplatzte geometrische Grundformen einerseits - und spielen doch oft elegant und raffiniert mit Licht und Raum. Wenn Architektur, mit Schopenhauers zu Tode zitiertem Wort, "gefrorene Musik" ist, dann baut der Dekonstruktivist Gehry wohl so etwas wie gefrorene atonale Musik. Aber nicht streng und seriell, sondern voller Verausgabungen, glitzernder Oberflächen, spektakulärer Außen- wie Innenraumfaltungen. Gehrys Bauten mit ihren sich aufblähenden Flügeln, gestaffelten Wandkurven und irregulären Geometrien sind fast immer Blickfänge: am eindrucksvollsten vielleicht an sonst gar nicht so eindrucksvollen Orten wie in Bilbao, wo Gehrys berühmtestes Werk steht, das spanische Guggenheim-Museum.

Das Spektakel hat freilich seinen Preis. Gehrys Bauten sind oft maßlos egozentrisch, lassen nichts neben sich gelten, degradieren, was sie umgibt, stellen die Orte und Räume, in die sie hineinplatzen, arrogant in den Schatten. Gehry ist und versteht sich, mit anderen Worten, als Künstler. Die Form folgt für ihn nicht der Funktion, sondern ringt ihr trotzig Gehry-Originale ab. Drum sollte, wer den Architekten porträtiert, höllisch aufpassen, um nicht den üblichen Genie- und Künstlermythen auf den Leim zu gehen. Drum sollte, anders gesagt, nicht ausgerechnet ein guter Freund, noch dazu auf Anregung Frank Gehrys selbst, Leben und Werk des Architekten porträtieren. Sydney Pollack jedoch, der Hollywood-Regisseur, ist nun justament das: ein guter Freund Gehrys, noch dazu jemand, der, wie er selbst bekennt, vom Dokumentarfilm keine Ahnung hat.

Das hat Folgen, und keine guten. Im Zentrum des Films "Sketches of Frank Gehry" steht nun das offenkundig - und immerhin eingestandenermaßen - riesige Ego des Künstlers. Pollack huldig ihm als Genie. Der Psychotherapeut, der die Schleusen der Gehryschen Kreativität geöffnet hat, ist immer wieder im Bild. Verehrerinnen und Verehrer, wohin man blickt. Als Alibi-advocatus diaboli tritt einzig October-Kritiker Hal Foster auf: zwei Soundbites Skepsis, das war's dann. Ansonsten wird reichlich psychobiografisiert. Zwar ist der Architekt auch bei der Arbeit zu sehen - aber auch und gerade hier regiert das Klischee vom Genie, aus dessen hingeworfenen Kritzeleien und Gedankenblitzen dann Weltwunder werden. Fürs Detail, auf das es ankäme, interessiert Freund Pollack sich kaum, lieber rückt er ein ums andere Mal auch sich selbst mit der Handkamera ins Bild.

Schlimmer noch: Der Aufgabe, zu Gehrys Bauten ein filmisches Verhältnis zu finden, verweigert der Film sich von vorneherein. Die gewählten Einstellungen, Ausschnitte und Montagen sind von totaler Beliebigkeit, das ist schlichte Touristenfilmerei ohne Interesse an architektonischer Struktur und modelliertem Raum. Ein Dilletantismus, der umso auffälliger wird, wenn man etwa Heinz Emigholz' großartigen Architekturfilm "Schindlers Häuser" danebenstellt, der derzeit im einen oder anderen Kino zu sehen ist. Emigholz findet im Medium Film eine Form für die Form und das Medium Architektur in seiner spezifisch Schindlerschen Ausprägung. Nichts, rein gar nichts dergleichen in "Sketches of Frank Gehry". An die Stelle der Auseinandersetzung mit dem Werk treten gefühlige Heldenverehrung und schlampige Bildproduktion. Die so hergestellte Nähe zum Gegenstand ist purer Schein. Man lernt und erfährt nichts von Belang. Dann doch lieber das S-Bahn-, Zug- oder Flugticket zum nächsten Gehry-Bau lösen, nach Berlin oder Bilbao, nach Weil am Rhein oder Chicago.


"Black Snake Moan". Regie: Craig Brewer. Mit Samuel L. Jackson, Christina Ricci, Justin Timberlake u.a. , USA 2006, 115 min.

"Sketches of Frank Gehry". Regie: Sydney Pollack. Mit Frank O. Gehry, Sydney Pollack, Philip Johnson, Sir Bob Geldof, Barry Diller, Michael Eisner, Dennis Hopper. USA 2005, 83 min.