Im Kino

Das Rohe und das Ausgekochte

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
18.07.2007. In Quentin Tarantinos grandioser Grindhouse-Hommage "Death Proof" sieht alles nur auf den ersten Blick einfach aus. In Wahrheit geht es um die Lust an der Sprache und an der Gewalt und um Frauen, die den Phallus wollen und kriegen. Und in Lee Tamahoris "Next" guckt Nicolas Cage in die Zukunft und immer etwas dumm aus der Wäsche. Trotzdem ein Spaß, sobald man die Suche nach Plausibilitäten aufgibt.
"Death Proof" ist, seiner Entstehungsgeschichte wegen, eine Anomalie. Was bei uns im Kino zu sehen ist, ist einerseits ein Torso. In den USA war Quentin Tarantinos Film im Doppelpack mit dem Werk "Planet Terror" seines Kumpels Robert Rodriguez unter dem Übertitel "Grindhouse" gestartet, als Hommage an die schmutzigen Exploitation-Kinos der siebziger Jahre - und die in ihnen gezeigten Filme. Das dreieinhalb-Stunden-Paket ist an den Kinokassen böse geflopt - so hat der Verleih es für den Deutschland-Start aufgeschnürt und bringt die beiden Filme nun zu unterschiedlichen Terminen ins Kino, hat den "Grindhouse"-Titel unter den Tisch fallen lassen und tut nun überhaupt so, als hätten die beiden Filme nichts miteinander zu tun.

Tarantinos "Death Proof" in der hierzulande - und bereits im Wettbewerb von Cannes - gezeigten Version ist allerdings insofern ein ungewöhnlicher Torso, als er deutlich, nämlich etwa zwanzig Minuten länger ausfällt als die auch schon viel länger als geplant geratene Ursprungshälfte in der "Grindhouse"-Ausgabe. Was nun vorliegt, ist, so viel kann man auch in Unkenntnis der kürzeren Version sagen, ein typischer, ein richtiger und noch dazu ein grandioser Tarantino-Film, der seinerseits aus zwei Hälften besteht, die sich ihrerseits je in zwei sehr unterschiedliche und auch unterschiedlich lange Portionen teilen. Die beiden Hälften sind parallel angelegt, die zweite ist ein Quasi-Remake der ersten, mit charakteristischen Abweichungen.

Es beginnt mit einem Prolog, in dem eine Frau sich auf einer Couch positioniert, sehr lässig, das Cocktailglas in der Hand, unter einem Poster, auf dem man eine Brigitte Bardot sieht, die sich in genau derselben Weise auf einer Couch positioniert hat. Life imitates art. Dies emblematische Spiel setzt sich - und den Film - gleich doppelt ins Verhältnis. Ausgestellt wird zum einen das Tarantino-Verfahren der Nachahmung als Hommage, das "Death Proof" noch viel expliziter als das bisherige Werk bestimmt. Es lässt sich also, hier, ganz zu Beginn, sagen, dass das Kino, das Tarantino macht, sein Leben und seine Kraft daraus zieht, die Kunst (und den Trash) liebend zu imitieren. Und der Liebe sehr viel mehr als der Imitation verdankt sich das Eigenleben, das sein Kino gewinnt, das sein Kino so einzigartig macht, als ein Kino, das nicht reflektierend, sondern durch diesen passionierten Blick aufs Unedle aus Trash Kunst macht, die sich über den Trash aber nicht erhebt, sondern dem Trash zugewendet bleibt.

Aber auch das, was im Film selbst geschehen wird, ist in diesem so unprätentiös daherkommenden Prolog schon formuliert: Eine Frau - beziehungsweise eine Gruppe von Frauen - wird an die Stelle einer anderen treten. Auf den ersten Blick wird alles ganz ähnlich aussehen. Am Ende, das verrät der Vorspann noch nicht, ist dann aber alles ganz anders: eine aus den Fugen geratene Welt wird krachend wieder eingerenkt. (Man kann es freilich auch pessimistischer sehen, falls man den Gewaltüberschuss des Films nicht vollständig aufs Konto des Rachefilm-Genres schreiben will; dann könnte einem nämlich durchaus auch übel werden angesichts der Brutalität, mit der dieses Ende das Böse aus der Welt tilgt.)

Die Wiederholung mit Variation ist das Strukturgesetz dieses bisher strukturell ganz entschieden simpelsten Tarantino-Films. Hier wird nichts verschachtelt, hier sind alle chronologischen Zusammenhänge klar - und klarer noch ist der Unzusammenhang, die einzig durchs bloße erzählerische Wollen herbeigezwungene Wiederholung und Abwandlung des ersten Teils im zweiten. Einmal, zweimal, im ersten Teil und im zweiten Teil, sind vier Frauen in einem Auto unterwegs. Im ersten Teil fahren sie durch Austin, Texas, und brechen jedes Mal, wenn sie an einem großen Plakat vorbeifahren, das die Radiomoderatorin "Jungle Julia" bewirbt, in begeistertes Johlen aus. "Jungle Julia" ist eine der vier (gespielt von Sydney Poitier) und einer der anderen, Arlene (Vanessa Ferlito), hat sie einen schönen Dienst erwiesen, indem sie im Radio dem, der sie mit den richtigen Worten anspricht, einen heißen Lap-Dance versprochen hat.

Die Frauen gehen ins Restaurant, dann in eine üble Spelunke, in der ein finsterer Typ mit wilder Gesichtsnarbe am Tresen sitzt: Stuntman Mike (Kurt Russell), er erzählt von seinen Auftritten in Fernsehserien, deren Titeln den jungen Frauen nicht das mindeste sagen, er bietet einer schönen Blondine eine Fahrt in seinem Stuntauto und fordert zuletzt den von Jungle Julia versprochenen Lap-Dance. Auch der zweite Teil zeigt wieder quatschende Frauen in Autos, zeigt wieder Stuntman Mike, der ihnen folgt - und nun aber zum Verfolgten wird.

Auf diese Umkehrung will der Film als Umschreibung des Exploitation-Genres ganz ausdrücklich hinaus. Kim (Tracie Thoms), die Stuntfrau, brüllt es mehr als einmal hinaus, wenn sie mit ihrem Auto den Verfolger verfolgt und wiederholt rammt: "Ich will dich in den Arsch ficken." Frauen erobern die phallische Position, das ist die Geschichte die "Death Proof" erzählt, sehr schlicht und sehr einfach und sehr wirkungsvoll, aber mit Folgen, über die dann doch länger zu diskutieren wäre. Denn die zweite Posse rächt die erste in einem Arrangement, in dem Sex als Gewalt auftritt und Gewalt auf Sexmetaphern zugreift. Damit wandern Rache und Gewalt auf die Seite der Frauen, die, um diese Rache in Szene setzen zu können, eine andere Frau einigermaßen gewissenlos opfern. Die Befriedigung, das misogyne Exploitation-Szenario im Handstreich umkehren zu können, hat also ihren postfeministischen Preis.

Solche Fragen stellt "Death Proof" nicht explizit, dennoch ist Tarantinos Umgang mit den Vorbildern haargenau so angelegt, dass sich die Frage nach den Konsequenzen dieser Umschreibungen aufdrängt. Und es ist wichtig, dass es diesen Hintergrund gibt, der über die bloße Mimikry am Grindhouse, auch über die bloße Hommage hinausgeht. Obwohl Tarantino auch diese Mimikry immer wieder herausstreicht, im ironischen Zerkratzen des Filmmaterials, im (falschen) Eintrag von Gebrauchsspuren (Aussetzern, unfreiwilligen Jump Cuts, Fehlen von Sequenzen) eines alles andere als liebevollen Umgangs mit dem Zelluloid, der fürs Abnudeln in den Grindhouse-Kinos typisch war, ist das, was "Death Proof" so herausragend macht, gerade der Abstand zu den 70er- Jahre Originalen. Durch die Umkehrungen und Kommentare, die Tarantino sich erlaubt, bewahrt er sich vor dem reinen regressiven Nerd-Genuss und macht diesen Film dadurch zu einer verdammt ernsten und auch komplexen Angelegenheit.

Aber natürlich ist "Death Proof" zuerst und zuletzt ein Tarantino-Film, der einmal mehr belegt, dass dieser Regisseur auf ingeniöse und einzigartige Weise Motive von Pulp und Exploitation mit einer Kunst des Dialogs verquickt, die - gar nicht so fern von Eric Rohmer - immer auch eine Kunst der Beobachtung von Menschen beim Reden ist. Famos sind all die Sätze, die Tarantino seinen Frauen-Trupps in den Mund legt, und noch in den größten Banalitäten spricht aus diesem Reden eine Lust an der Sprache, an Tonfällen, an Idiomen, an der sprühenden Kreativität des Alltagssprachlichen, die man in ähnlich gekonnter, kunstvoll zum scheinbar Natürlichen geschliffener Weise im Moment nur in der amerikanischen Fernsehserie "The Wire" finden kann. Und Tarantino liebt nicht nur das Reden, sondern auch die Redenden selbst, ist untrennbar verbunden mit dem Leben der Körper seiner Darstellerinnen und Darsteller, ihren Gesichtern, ihren Gesten, ihren Manieren, mit ihrem Posieren, ihrer Art, selbstbewusst die Welt zu konfrontieren. Tarantino liebt seine Figuren so sehr, dass er es nicht nur liebt, sie zu lieben, nein, auch im blanken Hass auf Stuntman Mike steckt noch eine Liebe, die alle Denunziation der Figur unmöglich macht. Weiter kann man sich vom Zynismus reiner Exploitation wirklich nicht entfernen.

Und dann ist das eben nur die eine Seite. Denn Tarantino liebt ja auch das Rohe, und nicht nur als Zitat. Auch hier liegt seine Kunst darin, aus Elementen, die geklaut und durchgekaut, kopiert und zitiert sein mögen, etwas zu destillieren, das dann auf ausgekochte Weise selbst wieder roh ist. Wenn Tarantino gut ist - und selten war er besser als in "Death Proof" -, dann erschöpft sich eben nichts im bloßen Zitat. Dann triumphiert die Lust, sei sie noch so sehr mit Kenntnissen, Anspielungen und Hommagen amalgamiert, über alles Wissen. Oder vielmehr: Aus einer Lust des Wissens und Kennens wird eine Lust an der Lust, die sich nicht nur auf die Figuren des Films überträgt, sondern auch auf die Zuschauerin und den Zuschauer, so sie das Kino lieben und das Leben, das Rohe und das Ausgekochte, den kunstvollen Flow der Sprache, die Bewegung schöner Körper und rasanter Autos, die Sanftmut der Blicke und die wilde Entschlossenheit zur reinigenden Gewalt.

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Und dann so ein bizarres Ding wie "Next", von Lee Tamahori. In der Hauptrolle als Las-Vegas-Magier Nicolas Cage, die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick. Der Plot-Gimmick erinnert an Tony Scotts im letzten Jahr gelaufenen, ziemlich großartigen Film "Deja-Vu". Der Held kann hier wie da in die Zukunft sehen, in "Next" freilich in verdammt engen Grenzen. Zwei Minuten weit reicht der Blick und mehr als das, was ihn selbst betrifft, sieht er - mit einer wichtigen Ausnahme - nicht. Julianne Moore spielt eine FBI-Agentin, die sich die seherischen Fähigkeiten von Nicolas Cage zunutze machen möchte. Sie setzt sich auf seine Spur und er rennt ihr davon. Hinreißend, muss man sagen, ist das zu Beginn, wenn Cage sich abwechselnd in die Zukunft und Gegenwart blickend in einem Verfolgungsballett mit gewissem Ausgang, quasi ferngesteuert vom Wissen um das, was kommt, sich durch ein Casino in Las Vegas bewegt.

Weniger hinreißend ist das meiste, was folgt, unter der Voraussetzung jedenfalls, dass man es auch nur in Ansätzen ernst nimmt. Andererseits muss man sagen: Es zwingt einen ja keiner. Sobald man nämlich von aller vergeblichen Suche nach Plausibilitäten Abstand nimmt, ist die wieder einmal zwischen Schlafwandeln und großkotziger Verzweiflung schwankende Performance des Nicolas Cage ein ziemlicher Spaß und die Szene, in der er sich in mehreren unglücklichen Anläufen an Elizabeth (Jessica Biel) ranmacht, die Frau, die ihm aus nicht näher bezeichneten Gründen vorbestimmt ist, hat ihren komödiantischen Reiz. Der bleibt auch in weiteren Sequenzen erhalten, schillert jedoch immer mal wieder stark in Richtung Unfreiwilligkeit.

Gerecht, wenn auch nicht unbedingt sinnvoll, verteilt der Film seine Aufmerksamkeit auf hanebüchene, mit viel digitaler Technik hingemurkste Action-Momente, eine Bande in ihren Motiven ebenfalls nicht näher bezeichneter Nuklear-Terroristen, die aber offenbar aus "Old Europe" stammen, da sie deutsch und französisch sprechen, und auf die Liebes- und Fluchtgeschichte zwischen Nicolas Cage und Jessica Biel, zwischen denen die erotische Chemie wirklich gar nicht stimmt. Dreist, und in dieser Dreistigkeit fast bewundernswert, ist das Ende, das alles, was man zuvor gesehen hat, in ein seltsames Zwielicht des Irrealen stellt. Als wäre nichts gewesen. Aber im Ernst: War was?


Death Proof - USA 2007 - Regie: Quentin Tarantino - Darsteller: Kurt Russell, Sydney Tamiia Poitier, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Rosario Dawson, Tracie Thoms, Zoë Bell, Mary Elizabeth Winstead - Länge: 113 Minuten.

Next - USA 2007 - Regie: Lee Tamahori - Darsteller: Nicolas Cage, Julianne Moore, Jessica Biel, Thomas Kretschmann, Tory Kittles, Peter Falk, Jose Zuñiga, Michael Trucco, Jason Butler Harner, Enzo Cilenti, Laetitia Danielle - FSK: ab 16 - Länge: 96 Minuten.