Im Kino

Bruchlandungen und Avatare

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
14.11.2007. Hans Weingartners fernsehkritisches Pamphlet "Free Rainer - dein Fernseher lügt" ist leider ein Teil des Problems, auf das er eine Antwort zu sein glaubt. Mit dem ehrwürdigen Epos "Beowulf" erlauben sich Regisseur Robert Zemeckis und seine Drehbuchautoren allerlei Unsinn - vergnüglich ist er leider nicht.
Grundlegende Kritik am Fernsehen ist eine undankbare Sache. Natürlich gibt es manch guten Grund, am gegenwärtigen Zustand des deutschen Fernsehens wenig Erfreuliches zu finden. Auf privaten Kanälen wird nach Maßgabe seines Willens zum Exhibitionismus rekrutiertes Krawall- und Gesangspersonal in brachialen Formaten aufeinander gejagt oder auch den zynischen Disziplinierungs- und Erziehungsversuchen von Supernannys und Wohnraumgestaltern ausgesetzt. Die öffentlich-rechtlichen Sender unternehmen aus Angst vor dem Quotentod regelmäßig Selbstmordversuche durch Privatfernsehimitation. Irgendwo zwischen Mario Barth und Marienhof liegen noch die gemäßigten Zonen von Polit-, Kultur- und Quizsendungen, in denen einem die Überreste einstiger Wissens- und Bildungszusammenhänge um die Ohren fliegen; aber spätestens bei boulevardesk-unterkomplexen Intellektualformaten wie "aspekte" und "kulturzeit" oder auch Guido Knopps pathetischen Historientrivialisierungen hört der Spaß wirklich auf.

Ohne viel Übertreibung lässt sich feststellen, dass das Fernsehen als Massenmedium zu haltlosem Populismus neigt und jede Lust am Experiment zusehends fahren lässt. Die Sender schieben Anspruchsvolles in Nacht- und Nischenprogramme, suchen verlässlich die Wege geringsten Widerstands, verkürzen, manipulieren, folgen dem Klischee und der Konvention und das erfolgreich für dumm verkaufte Publikum macht das, ohne den ganzen Zirkus freilich über Gebühr Ernst zu nehmen, offenbar gerne mit. Es stellt sich jedoch sofort die Frage: Wen soll man für diesen Zustand eigentlich kritisieren? Die Fernsehmacher, die mal zynisch, mal verzweifelt, mal triumphierend auf die per Quote messbaren Vorlieben des Publikums verweisen? Oder das Publikum selbst, das im Fernsehen offenkundig lieber Zerstreuung sucht als ästhetische und intellektuelle Herausforderungen? Oder kulturpessimistisch gleich die Gesellschaft?

Der Österreicher Hans Weingartner, Ko-Autor und Regisseur des Films "Free Rainer - dein Fernseher lügt" - sowie aktueller Inhaber der Planstelle im deutschen Kino für von Herzen kommende, aber intellektuell schlichte Gesellschaftskritik - sagt in Interviews derzeit Sachen wie "Wenn ich eine Stunde fernsehe, muss ich hinterher duschen gehen, weil ich mich beschmutzt fühle." Auf die Frage, wer denn nun für diesen bedauerlichen Zustand verantwortlich und wie und in welche Richtung ihm abzuhelfen sei, versucht sein Film eine mehrstufige, man könnte auch sagen einigermaßen wirre Antwort. In einem ersten Schritt gibt er die Fernsehmacher frei zur plumpen Karikatur. Präsentiert wird in einigermaßen überdrehten Bildern ein Fernsehekel aus dem Klischeebilderbuch: Rainer (Moritz Bleibtreu) ist der zynische Produzent eines Privatfernsehkanals und erfolgreich als Erfinder einer aufs Sexuelle zugespitzten "Herzblatt"-Version. Rainer kokst sich zu bis zur Nasenscheidewanderweichung, ist davon arg mürbe in der Birne und wird so zum durch Berlin jagenden, den Baseballschläger schwingenden, wüst krakeelenden Verkehrsrisiko.

Dann aber tritt Pegah (Elsa Sophie Gambard), ein Opfer von ihm zu verantwortender sorgloser Berichterstattung, auf den Plan und fährt ihn fast tot. Um eine privatfernsehförmige Nahtoderfahrung ist er nicht zu beneiden, immerhin aber macht sie ihn vom Saulus zum Paulus: zum entschlossenen Agenten der kompromisslosen Fernsehverbesserung. Er sammelt zu diesem Zweck einen chaotischen Haufen von Prekariats-Existenzen um sich, die per Quotenmanipulation ein Qualitätssicherungs- und Publikumsumerziehungsprogramm starten. Die behavioristische These des Films, zu der er allerdings auf manch holprigem Umweg gelangt, lautet: Die Menschen sind durch Dauerbeschuss ans unterste Niveau gewöhnt, dürsten in Wahrheit - und ohne es zu wissen - aber nach Fassbinder, politischer Hintergrundinformation und Kulturprogramm. Kurz gesagt: Wer verdummt werden kann, der lässt sich durch ständige Qualitätskonfrontation auch rückqualifizieren.

So geschieht's und ist als These natürlich ein Schmarrn. "Free Rainer" hat aber viel größere Probleme als das. Halbwegs gelungen ist der den Anfang des Films bestimmende Versuch, den Trash durch Trash zu bekämpfen. Dann aber beginnt Weingartner, die hanebüchene Geschichte von Rainers Kreuzzug gegen die Niveaulosigkeit irgendwie ernst zu meinen. Der Film bewegt sich dabei aber von einer dramaturgischen Bruchlandung zu nächsten, reduziert seine weibliche Protagonistin auf dauerempörte Rehäugigkeit und schreckt noch nicht einmal vor rassistischen Scherzen mit dem Inder unter den Quotenpiraten zurück. "Free Rainer" bleibt uneindeutig im Ton, zerfahren in seiner Erzählweise, arg unterkomplex in der Argumentation und hört noch dazu einfach nicht auf. Der Film ist, mit einem Wort, der eklatante Fall eines performativen Selbstwiderspruchs: Er ist mindestens so dumm wie das Fernsehprogramm, das er kritisiert. Er ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig und handwerklich dilettantisch. Er ist, mit einem Wort, Teil des Problems, auf das er eine Antwort zu sein glaubt.

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Nicht weniger als der älteste, der bedeutendste Text altenglischer Literatur ist das Epos um den Monster bekämpfenden schwedischen Recken Beowulf. Ein mündlichen Traditionen entstammender, von einem unbekannten Autor vor rund tausend Jahren verschriftlichter Text, der in Schulen und Universitäten gelesen, vom Laienpublikum eher gemieden wird - nicht unbedingt der ideale Kandidat für eine auf Millionen schielende Hollywood-Verfilmung. Aber nur auf den ersten Blick. Denn zum einen gibt es da eine schöne Königin, den Drachen Grendel mit Drachenmutter plus einen weiteren Drachen, mit denen es nach und nach, je und je liebend und sich schlagend, der wackere Beowulf zu tun bekommt. Zum anderen ist da der berühmteste Beowulf-Forscher des 20. Jahrhunderts, der in einem wegweisenden Aufsatz das Epos auch als bedeutendes Stück Literatur rehabilitiert hat: J.R.R. Tolkien, der natürlich auch Bestandteile seiner privatmythischen Hobbit-Sagenwelt aus "Beowulf" bezog.

Allerdings gibt es aus Sicht von Hollywood-Produzenten ein Problem mit der Vorlage. Sie zerfällt nämlich in mindestens zwei Teile, macht vor allem mittendrin einen nicht weiter motivierten Zeitsprung von Jahrzehnten und zeigt zuletzt den Helden Beowulf als einen, der am Ende nicht triumphiert, sondern scheitert. Um das Zeitsprungproblem zu lösen, haben die Drehbuchautoren Neil Gaiman (berühmt unter anderem als Autor der "Sandman"-Comics) und Roger Avary (nicht so richtig berühmt als Ko-Autor von "Pulp Fiction") an der Beziehung Beowulfs zur Drachenmutter so lange herumgemurkst, bis dabei Angelina Jolie heraussprang, nackt wie der Computer sie schuf. Technisch - darum der Computer - hat Regisseur Zemeckis die Verfilmung der Sagenwelt durch fotorealistische Totaldigitalisierung gelöst, zu deren Umsetzung die Darsteller aber mit vielen für die Kameras und Computer erkennbaren Punkten und Knöpfen am Körper in leeren Räumen herumhüpfen mussten ("Performance-Capture-Verfahren"). Der Effekt ist nicht ganz uninteressant, denn die Avatare von Anthony Hopkins, Ray Winstone und John Malkovich sowie Angelina Jolie (bei ihr auch weitere Körperteile) sehen ihren Originalen zwar ähnlich, faszinierend ist aber gerade die in der imitativen Gesichtsakrobatik neben der Spur völliger Identität liegende Fremdheit.

Aufgemotzt wurde das Buch leider auch mit allerlei Anzüglichkeiten - alles Dinge, die, wie das Presseheft versichert, die das Manuskript abschreibenden mittelalterlichen Mönche prüderweise wohl weggelassen haben. Ist nun emendiert. Auch Beowulf übrigens hat die etwas seltsame Eigenart, beim Kämpfen sich nackig zu machen. Daraus folgt mit Versuchen, an entscheidenden Stellen Helme, Schwerter und harmlose Körperteile anderer Figuren ins Bild zu bringen, im Film manch neckischer Scherz. All diese Auflockerungsübungen bleiben aber vergebliche Liebesmüh. Zwei Drittel lang hat der Film nicht mehr als zähes Herumgestehe und Herumgewitzle zu bieten und wird wirklich lebendig erst gegen Ende, im luftigen Schlusskampf des Helden mit dem Zweitdrachen, der in der philologisch nicht wirklich abgesicherten Deutung der Drehbuchautoren nun auch der Sohn Beowulfs ist. Schade drum. Nichts dagegen, dass Hollywood sich an klassischem Bildungsgut vergreift. Aber sollte der Unsinn, der dabei herauskommt, nicht wenigstens vergnüglich sein?

Free Rainer - dein Fernseher lügt. Regie: Hans Weingartner. Mit Moritz Bleibtreu, Elsa Sophie Gambard, Milan Peschel, Gregor Bloeb und anderen.
Deutschland / Österreich 2007


Die Legende von Beowulf. Regie: Robert Zemeckis. Mit Ray Winstone, Anthony Hopkins, John Malkovich, Robin Wright Penn, Angelina Jolie und anderen.
USA 2007