Im Kino

Echt seltsame Nasenfixierung

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
06.02.2008. Die Geschichte, wie Charlie Wilson in Afghanistan den Krieg gegen die Sowjetunion gewann, ist trotz mancher Vereinfachung wahr. Mike Nichols' Filmsatire "Charlie Wilsons Krieg" will jedoch nicht so recht zünden. Der Dokumentarfilm "Herr Vig und die Nonne" erzählt von einem alten Mann, der es durch eigene Schuld mit einer resoluten Verkörperung der russisch-orthodoxen Kirche zu tun bekommt.
Es sind die achtziger Jahre. Charlie Wilson (Tom Hanks) aus Texas ist ein allseits beliebter, den Frauen, dem Alkohol, dem guten Leben, nicht unbedingt der politischen Arbeit sehr zugetaner US-Kongressabgeordneter. Von den Vorgängen im afghanischen Stellvertreter-Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA hat er zunächst einmal so wenig Ahnung wie von all den anderen Dingen der Welt, die über seinen Horizont gehen. Das ändert sich jedoch, als sein Horizont in der Angelegenheit Afghanistan mit dem seiner guten Freundin und Immer-mal-wieder-auch-Bettgenossin Joanne Herring (Julia Roberts: sieht absichtlich älter aus als sie ist) kollidiert. Diese ist eine reiche texanische Antikommunistin, Mittelpunkt glorioser Partys in Houston, gute Freundin James Bakers, Honorarkonsulin in Pakistan. Und überaus durchsetzungsfähig im Dauereinsatz für die Rechte des amerikanischen Kapitals und die zu seiner ungehinderten Verbreitung notwendigen Ideologien.

Auf ihr Drängen fliegt Charlie Wilson gen Osten und trifft herzlich unvorbereitet - die Szene ist einer der nicht gar so vielen Höhepunkte des Films - den pakistanischen Präsidenten Zia Ul-Haq (immer schön, den wunderbaren Om Puri in einem Hollywood-Film zu sehen). Der hat gerade seinen Vorgänger Zulfikar Ali Bhutto um die Ecke gebracht, nimmt Wilson mit zwei Beratern in die Mangel und spätestens der Besuch des naiven Amerikaners in einem Camp mit Kriegsflüchtlingen entfacht ein moralisches Feuer in ihm, das in der Folge Wunder wirkt. Wilson, das war von Anfang an Herrings strategischer Punkt, ist Mitglied eines Kongress-Unterausschusses, der Gelder für militärisch gestützte Geheimdienstoperationen bewilligt. Wilson, dem manche manches schulden, kriegt den Ausschuss-Vorsitzenden Doc Long (immer schön, den wunderbaren Ned Beatty zu sehen) rum, indem er ihn - eine der gar nicht so wenigen allzu plumpen Szenen des Films - zu den Taliban schickt. Dort hält der Vorsitzende, auch er ahnungslos wie nur einer, eine flammende Rede, an deren Ende ihn die versammelten Mudschaheddin mit "Allahu Akbar"-Rufen feiern. Er brüllt, von seiner eigenen Beredsamkeit überwältigt, zuletzt das "Allahu Akbar" mit.

Gelder werden bewilligt, aber mit Geld allein ist es nicht getan. Ein schlagkräftiges Expertenteam wird zusammengestellt, dessen Motor ist der temperamentvolle CIA-Mann Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman spielt ihn mit Gusto). Die Unterstützungs-Summen steigen ins beinahe Astronomische, die Taliban werden, mit von Israel (!) auf komplizierten Wegen gelieferten Stinger-Raketen so lange aufgerüstet, bis die Sowjetunion den immer teurer werdenden Kampf aufgibt und abzieht. Diese Geschichte ist, das ist vielleicht das Erstaunlichste daran, mancher Vereinfachung zum Trotz mehr oder minder wahr.

Natürlich erzählt "Charlie Wilsons Krieg" nicht zuletzt die Vorgeschichte von Al-Quaida und damit des 11. September. Nicht als Dokudrama, versteht sich, sondern als Satire. Nur bleibt die Satire auf der Suche nicht nur nach dem richtigen Ton, sondern auch nach ihrem Objekt. Das Drehbuch von "West Wing"-Autor Aaron Sorkin - nach einer Vorlage von George Crile - war in einer ersten Version, liest man, sehr viel schärfer, nach einer Klagedrohung der echten Joanne Herring bügelte Sorkin notgedrungen manche Spitze weg, heißt es. Jetzt ist Charlie Wilson statt der Verkörperung fatal kurzfristig denkender US-Politik tatsächlich eine Art Held, nicht zuletzt, weil er - auf verlorenem Posten - für nachhaltige Aufbauhilfe für das Land nach dem Krieg plädiert. (Kein Wunder, dass sowohl der echte Charlie Wilson wie die echte Joanne Herring (mehr hier) zur Filmpremiere stolz aufmarschiert sind. Der echte Gust Avrakotos ist leider schon tot.)

Gerade im Vergleich mit Aaron Sorkins TV-Meisterwerk "West Wing" wirkt der Film seltsam unfokussiert, besonders deutlich wird das in den auf den ersten Blick so vertrauten walking-talking-Szenen in den Fluren und Gängen, den Vorräumen und Hinterzimmern der Macht in Washington. Die komischen Momente geraten klamaukiger und an die Stelle der genauen Beschreibung des Funktionierens von Ritualen und Institutionen treten satirische Schrotschüsse ins Ungefähre. Seltsam kraftlos verweist der Schluss auf die katastrophale Fortsetzung der Geschichte: Der Kalte Krieg geht zuende und die US-Außenpolitik wendet sich anderen Schauplätzen zu. Afghanistan bleibt den Taliban überlassen.

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Vor Jahrzehnten hat Herr Vig, jetzt 82 Jahre alt, im heimischen Dänemark ein Schloss gekauft. Es ist verfallen und verfällt. Herr Vig aber hat einen Plan, von dem man schwerlich wird behaupten können, er habe sich aufgedrängt. Er will sein Schloss zum Kloster machen - für die russisch-orthodoxe Kirche. Der Patriarch in Moskau bedankt sich per Brief und schickt zwei Nonnen vorbei. Die stellen fest: Kalt ist's im Schloss, das eher eine Schlossruine ist, und was tun die ganzen Buddha-Statuen in den Räumen, aber alles in allem ist das hinzubekommen. Die Nonnen verschwinden, die Heizung wird repariert, die Zeit vergeht, Herr Vig, der von Anfang an seltsam war, wird immer seltsamer. Und dann kommt Amvrosya.

Amvrosya ist eine russisch-orthodoxe Nonne, die resolut den Umbau der Ruine zum Kloster in Angriff nimmt. Ein Raum wird zur Kirche bestimmt, ein schwer ornamentales Holzkreuz wird aufgestellt. Herrn Vig, den Amvrosya aufs Reizendste immer mal wieder auslacht, ist das nicht geheuer. Später wird er vorschlagen, draußen im Garten eine richtige Kirche zu bauen und die im Schloss wieder aufzugeben. Ausgeschlossen, erklärt Amvrosya, wo einmal Kirche ist, wird immer Kirche sein. Russisch-orthodoxes Grundgesetz. (Das wird schon stimmen, aber man traut ihr durchaus zu, dass sie ihm da einen Bären aufbindet.) Herr Vig staunt, aber er fügt sich. Widerstrebend. Er ist ein misogyner alter Mann. Seiner Erfahrung nach, die er freilich nicht hat, ist Sex eine so überflüssige wie unangenehme Angelegenheit. Was auch mit der Nase zu tun hat. Denn neben manch weiterem unliebenswürdigen Zug hat Herr Vig eine echt seltsame Nasenfixierung. Wahrscheinlich konnte er, sagt er, seine Mutter nicht lieben, weil ihm ihre Nase nicht gefiel. Die Vaternase aber, die war wunderbar!

Tragen Herr Vig und seine Kloster-Idee und seine Nasenfixierung einen ganzen Dokumentarfilm? Freundlich gesagt: eher nicht. Herr Vig, über den man eigentlich nichts Böses schreiben sollte, denn er ist inzwischen verstorben, gehört zu der Sorte Menschen, die desto uninteressanter werden, je näher man ihnen kommt. Umso erstaunlicher, dass die Regisseurin Pernille Rose Gronkjaer darauf beharrt, ihn und ihn allein zum Fokus ihres Films zu machen. Sie fragt ihn dies, sie fragt ihn das und immer redet Herr Vig nur Stuss. Und nebenbei wirbelt eine auf den ersten Blick schon faszinierende Figur wie die Nonne Amvrosya durchs Bild, findet Herrn Vig immerzu angemessen lustig, und doch wird sie von der Regisseurin sträflich ignoriert. Lieber schneidet Gronkjaer noch eine und noch eine meditative Naturaufnahme dazwischen und kippt ordentlich orchestrale Musiksoße darüber, als wäre ihr stieseliger Vig die ganz große Oper. Das ist er nicht. Er ruhe trotzdem in Frieden.

Charlie Wilsons Krieg. USA 2007 - Originaltitel: Charlie Wilson's War - Regie: Mike Nichols - Darsteller: Tom Hanks, Julia Roberts, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Ned Beatty, Emily Blunt, Rachel Nichols

Herr Vig und die Nonne. Dänemark 2006 - Originaltitel: The Monastery / Hr. Vig og nonnen - Regie: Pernille Rose Grønkjær - Darsteller: (Mitwirkende) Jørgen Laursen Vig, Schwester Amvrosija