Im Kino

Quicklebendiger Fremdkörper

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
12.03.2008. Mit zweiunddreißig Jahren Verspätung ist der charmant avantgardistische Schwulenfilm "Johan - Eine Liebe in Paris im Sommer 1975" bei uns zu sehen: eine schöne Entdeckung. Mit drei Jahren Verspätung und viel Festivallorbeeren kommt Gela Babluanis Regiedebüt "13 - Tzameti" in unsere Kinos: eine bittere Enttäuschung.
Es ist Sommer, es ist das Paris des Jahres 1975 und Philippe Vallois dreht mit Freunden einen Film darüber, dass ein Regisseur, der Philippe heißt, einen Film drehen will über seinen Liebhaber Johan. Johan aber, ein ums andere Mal von Philippe aus dem Off adressiert, ist und bleibt abwesend. Johan mit dem Tattoo auf der Stirn ist im Gefängnis, immerhin bekommt man seinen Zwillingsbruder zu sehen, der in der Sauna sitzt und sagt, er habe Sex am liebsten mit seinem Zwilling, also quasi, das gibt er zu, mit sich selbst. Was man auch sieht, sind Probeaufnahmen für den Film im Film, ein Darsteller nach dem anderen schlüpft in die Rolle des Johan. Keinen kann Philippe akzeptieren. Oder vielleicht will er auch einfach nur den Aufschub, der es möglich macht, an kein Ende zu kommen.

Es ist Sommer, es ist das Jahr 1975 und Philippe Vallois, der im Film sich selbst spielt und im Film im Film und in seinen Imaginationen sich von anderen Darstellern spielen lässt, dreht einen Film über das schwule Paris. Über das Cruisen, über Sex in öffentlichen Toiletten und privaten Wohnungen, über das Suchen und Finden von Partnern für den Sex und Darstellern für den Film. Diese ganze Film-im-Film-Konstruktion ist eher verwirrend, muss man sagen, als komplex und dient vor allem dazu, die Grenzen ins Fließen zu bringen zwischen dokumentarischem Wirklichkeitsstil und Fantasie. Der Film wechselt von schwarz-weiß zu Farbe und wieder zurück, von der Handkamera zu eher klassisch gefilmten Momenten. Man sieht Männer, die explizit Sex haben und was so auch noch ins Fließen gerät, ist die Grenze zwischen Experimentalfilm und Pornografie.

"Johan - Mein Sommer 1975" ist spontan, ist durcheinander, hat - etwa im Gespräch Philippes mit seiner Mutter, in den detaillierten Schilderungen eines Sadisten - sogar Momente, in denen er aussieht wie ein schwuler Aufklärungsfilm. Dann aber wieder Alltagsfantasien: Das Leben Philippes mit seinem kubanischen Freund Manolo in New York, nur kommt da etwas nicht ganz zur Deckung: Es ist vom Empire State Building die Rede und wir sehen den Eiffelturm. Das Auftauchen des schönen Schwarzen Walter (Walter Maney), mit dem Philippe erst Sex hat, bevor Walter dann tanzend Schokoladenkuchen zubereitet. Dazwischen Christine (Patrice Pascal), die einzige Frau, die lacht und lacht und lacht.

"Johan" ist ein zielloser, lustvoller, ziemlich wirrer, etwas naiver, aber auch ins eigene Durcheinander aufs Charmanteste verliebter Film, der sich immer wieder selbst über den Haufen wirft. Er ist ein Film, der sich selbst gar nicht in Kategorien des formalen "Gelingens" betrachtet, der einfach seinen Ideen folgt, die oft ein wenig unausgegoren sind, aber es macht nichts. Er ist ein Zeitporträt im besten Sinn, ein später Ausläufer der Nouvelle Vague ins schwule Milieu. Ein Sommerfilm, über den nur im Blick von heute aus der Schatten von AIDS fällt, der Krankheit, die den Sommern der siebziger Jahre und Filmen wie "Johan" den Garaus gemacht hat. Und weil nicht nur Bücher, sondern auch Filme ihre Schicksale haben, können wir jetzt, in diesem Frühling mehr als dreißig Jahre später, in ein paar Kinos in Deutschland diesen Film kennenlernen, der aus einer fernen Zeit in die unsere fällt: ein quicklebendiger Fremdkörper, ein Film, der sich was traut, aus einer Zeit, in der manches möglich schien.

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Sebastien (Georges Babluani), ein junger Mann georgischer Herkunft, deckt in diesem französischen Film, der schwarz-weiß ist, das Dach. In dem Haus lebt ein alter, drogensüchtiger Mann mit einer sehr viel jüngeren Frau. Ein anderer Mann kommt zu Besuch, es geht um geheimnisvolle Dinge, die der junge Mann auf dem Dach durch ein Loch, das er geschlagen hat, belauscht. Der alte Mann stirbt in der Badewanne zuhause. Er hinterlässt einen Brief, den der junge Mann nach manchem sehr umständlichen Hin und Her an sich nimmt. Der Mann, der wenig Geld hat und keine Dächer mehr decken will, macht eine Fahrt mit dem Zug, er folgt den Anweisungen Fremder über das Telefon, er wird von der Polizei verfolgt, er gelangt in ein abgelegenes Haus, in dem von ihm ein Passwort verlangt wird.



Auf dem Weg an diesen Ort, der sich dann als von der Sorte erweist, die man aus Alpträumen kennt, werden die Bilder des Films von großen Vorbildern verfolgt, deren Qualitäten der Regie-Debütant Gela Babluani um Längen verfehlt. Polanski, Melville, Hitchcock wurden von der Kritik ins Spiel gebracht, nur hat der Film nicht die Spur von deren Witz, Intelligenz oder Konsequenz. "13 - Tzameti" hat in Venedig und Sundance Preise gewonnen, hat hymnische Kritiken bekommen und man fragt sich: Wie kann das sein? Der Film möchte gern abgrundtief finster sein und gewiss auch über das Leben des Menschen der Gegenwart Gültiges zu sagen haben. Wir müssen darum, was wir im Alptraum-Haus erleben und sehen, wohl allegorisch verstehen und als Bild für den Kapitalismus nehmen, der über Leichen geht auf dem Weg zum Gewinn. So plump wie das klingt, ist es ausgedacht. Auf der Suche nach Bildern mit irgendeinem Bezug zur Wirklichkeit ist Regisseur Babluani nicht.

In Reih und Glied stehen am finsteren Ort 13 Männer, die einander, es ist ein tödliches Spiel, nach Art des russischen Roulette womöglich erschießen: erst eine Kugel im Magazin, dann zwei, dann drei. Die Spielfiguren, Täter und Opfer zugleich, sind nur das Kanonenfutter für Hintermänner, die um sehr viel Geld wetten. Regisseur und Drehbuchautor Babluani macht sich nicht nur einen Spaß daraus, seine Figuren nach Maßgabe ihres skurrilen Aussehens zu casten, er hat auch nicht die geringsten Skrupel, die als tief unmenschlich angeprangerte Roulette-Polonaisen-Allegorie für die eigenen Zwecke der Thriller-Spannungserzeugung auszubeuten. Dazu aber, zum Vergnügen, das uns und ihm die Spannung bereitet, die er an seinen Figuren als eigentlicher Hintermann exekutiert, macht er sich buchstäblich keinen Gedanken. Anders als der Held des Films kommt der Zuschauer allzu billig davon. Und Gela Babluani, dem man in Hollywood offenbar abnimmt, er sei einer der Großen, an die er sich ranschmeißt, darf sein Debüt nochmal drehen: Jetzt in Amerika. Jetzt in Farbe. Jetzt mit viel Geld.

Johan - Eine Liebe in Paris im Sommer 1975. Frankreich 1976 - Originaltitel: Johan - Regie: Philippe Vallois - Darsteller: Jean-Paul Doux, Philippe Vallois, Jean-Lou Duc, Patrice Pascal, Georges Barber, Manolo Gonzales, Alexandre Grecq, Walter Maney - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min.

13 - Tzameti. Frankreich 2005 - Regie: Gela Babluani - Darsteller: Georges Babluani, Aurelien Recoing, Pascal Bongard, Fred Ulysse, Philippe Passon, Vania Vilers, Christophe Vandevelde, Olga Legrand, Augustin Legrand - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min.