Im Kino

Gröraz! Gröspaz! Gröflaz!

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
09.04.2008. In seinem Thriller "Tödliche Entscheidung" schickt der große Hollywood-Handwerker Sidney Lumet eine ganze Familie in den Abgrund und feiert so ein fulminantes Comeback. Für die 18-Millionen-Euro-Produktion "Der rote Baron" fährt, fliegt und heilt Deutschland auf Weltniveau.


Eine amerikanische Suburb-Einkaufsanlage. Ein Schuss. Ein Mann fliegt durch eine Ladentür. Ein anderer Mann, der im Auto gewartet hat, reißt sich die Verkleidung aus dem Gesicht, flieht in Panik. Mit dieser Szene beginnt der Film, auf sie kommt er immer wieder zurück. Diese Szene scheint einen desaströs gescheiterten Überfall auf einen Juwelierladen zu zeigen - das tut sie auch, es steckt aber mehr dahinter als man auf den ersten Blick sieht.

Im Originaltitel "Before the Devil Knows Your Dead" ist von einer Frist die Rede. Der kurzen Frist, die einem vielleicht bleibt nach dem Tod, bevor der Teufel einen holt. Der weniger poetische deutsche Titel spricht von einer "Tödlichen Entscheidung". Auch das hat seine Berechtigung, denn als Vorgeschichte und Konsequenz einer fatalen Entscheidung zur Tat ist Sidney Lumets Film nach Drehbuch von Kelly Masterson erzählt. In der Frist, die bleibt, setzt der Film, zurückblendend und wieder vor, die Einzelheiten eines Familiendramas zusammen, an dessen Ende keine Frist mehr bleibt.

Andy Hanson (Philip Seymour Hoffman) ist in verzweifelter Lage. Er hat sich in der Kasse des Unternehmens bedient, in dem er in herausgehobener Stellung tätig ist. Jetzt steht die Buchprüfung an, Andy ist unter Druck, Geld aufzutreiben. Er verfällt auf die Idee, das Juweliergeschäft seiner Eltern auszurauben, das klein ist, ungeschützt, in einer am Samstagmorgen noch wenig besuchten amerikanischen Suburb-Einkaufsanlage. Samstags arbeiten normalerweise weder Vater noch Mutter im Geschäft. Andy verfällt auf die Idee, seinen kleinen Bruder Hank (Ethan Hawke), um dessen prekäre finanzielle Situation er weiß, zum Komplizen zu machen, der den Überfall ausführt. Hank sagt zu und verfällt, ohne wiederum Andy Bescheid zu sagen, auf die Idee, einen Kumpel diesen Überfall ausführen zu lassen. Dann geht alles schief, gründlicher noch, als sich vorher ausdenken ließ.



Die Mutter war unerwartet im Laden, setzt sich zur Wehr, Hanks Kumpel schießt sie ins Koma, sie schießt ihn tot. Die Söhne sehen sich, um keinen Cent reicher, mit ihrer katastrophalen Lage konfrontiert und einem Vater (Albert Finney), der bald zu begreifen beginnt, dass an der ganzen Geschichte etwas faul ist. Familiäre Friktionen der durchweg unerfreulichen Art kommen ans Tageslicht. Vergangenheiten, die der Film in Rückblenden vorstellt, beginnen sehr verlässtlich gleich darauf, die Figuren einzuholen. Immer spürbarer wird, wie die Zeit knapp wird, auf jedes retardierende Moment folgt eine Beschleunigung, die unverzüglich tiefer in den Schlamassel führt.

Viel gelobt bei diesem späten Comeback des großen Hollywood-Handwerkers Sidney Lumet ("Serpico", "The Verdict"), der inzwischen 83 Jahre alt ist, wird seine schnörkellose Inszenierung. Sehr zu recht, denn er verzichtet nüchtern darauf, diese sehr generische Noir-Geschichte künstlich zur quasi-antiken Familientragödie aufzublasen. Schnitt für Schnitt, vor und zurück, verbaut er Einstellung für Einstellung einfach mit sehr gelassener Bösartigkeit jeden Ausweg. Es gibt hier keine unlösbaren moralischen Konflikte und auch keine unschuldig Schuldigen. Vielmehr hat der Vater, wie sich nun zeigt, immer schon allen Grund gehabt, diesem Sohn zu misstrauen.

Immer wieder zieht "Tödliche Entscheidung" sich zusammen zum Kammerspiel. Räume werden - manchmal sogar bei schwindelerregendem Blick auf Manhattan - sehr eng und die Konfrontationen zwischen Bruder und Bruder, Vater und Sohn, Mann und Geliebter (Marisa Tomei) werden auf diesem engen Raum sehr direkt. Philip Seymour Hoffman, der virtuoseste Hollywood-Darsteller seiner Generation, tut dabei das Richtige, nämlich nicht mehr, als nötig ist. Nicht unbedingt vorteilhaft kontrastieren damit Ethan Hawkes oft übertrieben hysterisches Spiel und vor allem Albert Finneys zentnerschwere Verquältheit. Sie bringen eine mitunter beträchtliche Unwucht in einen Film, der sonst nur eine Richtung kennt: unaufhaltsam zu auf die Katastrophe, die darin besteht, dass sich alles auflöst, was je zwischen diesen Menschen an Bindungen existierte.

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Das folgende trug sich zu bei den Dreharbeiten von "Der rote Baron - Sein größter Sieg war ihre Liebe": "Die nächste Herausforderung ließ nicht lange auf sich warten. Til Schweiger, der schon früh zugesagt hatte, Manfred von Richthofens besten Freund und Fliegerkollegen Werner Voss zu spielen, zog sich bei einem von Michael Schumacher ausgerichteten Benefizfußballspiel einen Abriss der Achillessehne zu, und seine Verfügbarkeit war bereits nach Drehbeginn über Tage fraglich. Vom bekannten Sportarzt Dr. Müller-Wohlfahrt behandelt, konnte er allerdings schon nach wenigen Tagen wieder stehen und kurze Zeit später auch wieder laufen." (Zitat: Presseheft)

Ein Wunder! Der größte Rennfahrer aller Zeiten (Gröraz)! Der größte Sportarzt aller Zeiten (Gröspaz)! Der größte Schauspieler aller Zeiten (Gröschaz)! Das alles zu filmischem Ruhm und zur Ehre des größten Fliegers aller Zeiten (Gröflaz)! Deutschland fliegt, fährt, heilt auf Weltniveau und damit alle es mitbekommen, hat die Wirtschaft mal eben 18 Millionen Euro lockergemacht. Kein Euro deutsches Filmfördergeld steckt im Projekt, darauf ist man stolz. (Restvernunft in deutschen Fördergremien?) Gedreht ist das ganze, auf dass man die Gier des Weltmarkts nach deutschen Heldenfliegerstories befriedigen kann, in englischer Sprache. Der Sprachcoach war auch beim "Herrn der Ringe" dabei. In deutschen Kinos gibt es nun die rücksynchronisierte Version. Made in Germany! Qualitätsprodukt! Beim Teutates!



Große Ausländer sind beteiligt: Lena Headley (Käte) war zuletzt "an der Seite des Spartakönigs Leonidas alias Gerard Butler in der erfolgreichen Historien-Comicadaption '300' im Kino zu sehen, die weltweit über 450 Millionen Dollar eingespielt hat." (Presseheft) Sparta! 300! 450 Millionen! Aber muss sich ein Deutscher dahinter verstecken? Ein Deutscher wie Til Schweiger? "In seinem aktuellen Kinohit (bereits 5,5 Millionen Zuschauer) 'Keinohrhasen' (2007) ist das Multitalent Schweiger gleich in vierfacher Funktion tätig: als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller." (Presseheft) Zahl bereits überholt! Mehr als sechs Millionen! Multifunktionsschweiger!

Und Superrealismus in deutscher Heimarbeit: "Auf Grundlage fundierter, historischer Recherchen sollten die Flugzeuge mit absolutem Fotorealismus in die Lüfte abheben. Pixomondo holte zur Realisierung der aufwändigen Arbeiten viele Talente, die in Deutschland ausgebildet wurden, aus dem Ausland wieder zurück in die Heimat." (Presseheft) Alle heimgeholt: Regisseur und Drehbuchautor Nikolai Muellerschoen, der in Los Angeles lebt! Exilierte Special-Effect-Experten nach Hause zu Pixomondo! Hollywood-Mufu-Star Schweiger, der mit Grörazen Fußball spielt! Und dazu der internationale Superstar Joseph Fiennes, der in zwei, drei Szenen traurig in deutsche Kameras blickt! Wunder über Wunder! 18 Millionen privates Geld!

Auch der deutsche Widerstand hat den Film abgenickt. Titeldarsteller Matthias Schweighöfer berichtet von der Sichtung mit Tom "Stauffenberg" Cruise: "'Tom hat mich gefragt, ob er ihn sehen kann', sagte Schweighöfer. Wie war der private Filmabend mit dem Superstar? 'Tom hatte sich im Hotel einen Kinoraum eingerichtet, Essen bestellt, und Suri musste ins Bett', erzählt der junge Schauspieler. 'Wir haben uns zusammen den Film angesehen, und dann ist er aufgesprungen und hat gesagt: 'Wahnsinn, dass Ihr das aus Deutschland gemacht habt!'" (Bild.de) Wahnsinn! Aus Deutschland! Kinoraum im Hotel! Suri im Bett!

Und: "Regisseur Niki Müllerschön: Darf man einen Film über einen Kriegshelden machen? Darf man überhaupt deutsche Helden erzählen? Ich finde schon." (Reuters)

Aber: Darf man einen dramaturgisch, dialog- und tricktechnisch, schauspielerisch, intellektuell und sowieso und überhaupt hoffnungslos unbeholfenen, steindummen und noch dazu sturzlangweiligen Achtzehnmillionenunfug ungestraft auf deutsche Leinwände bringen? Ich finde nicht.

P.S.: Filmbewertungsstelle: Besonders wertvoll.

Tödliche Entscheidung. USA 2007 - Originaltitel: Before the Devil Knows You're Dead - Regie: Sidney Lumet - Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei, Rosemary Harris, Michael Shannon, Amy Ryan

Der rote Baron. Deutschland 2006 - Regie: Nikolai Müllerschön - Darsteller: Matthias Schweighöfer, Lena Headey, Joseph Fiennes, Til Schweiger, Axel Prahl, Volker Bruch, Hanno Koffler