Im Kino

Komik und Seelenpein

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
23.04.2008. Die deutsch-türkische Frauen-Amateurmannschaft BSV AL-Dersimpor spielt in Teheran gegen das iranische Frauen-Nationalteam: Wie es dazu kommt, erzählt der Dokumentarfilm "Football under cover". Tamara Jenkins schildert, mit seltsamen Wechseln der Tonlage in "Die Geschwister Savage" vom Leiden und Sterben eines Vaters und davon, wie seine Kinder damit umgehen.

Eine so einfache wie unwahrscheinliche Geschichte: Ein Berlin-Kreuzberger Amateur-Frauen-Fußballteams setzt sich in den Kopf, in Teheran gegen die iranische Frauennationalmannschaft zu spielen. Genauer gesagt: Marlene Assmann, Mitglied des Berliner Vereins, setzt es sich in den Kopf. Aber nicht einfach so. Assmann studiert an der Potsdamer Filmhochschule, beim Berlinale Talent Campus hat sie den Iraner Ayat Najafi kennengelernt. Die beiden planen das Fußballduell als Filmprojekt. Die Kamera ist von Anfang an dabei, ohne Film kein Spiel, ohne Spiel keine Dokumentation. Der Film, das sagen die Macher selbst, bringt seinen Gegenstand selbst hervor, er beobachtet nicht etwas, das es ohne ihn (mindestens: fast) genau so auch gäbe.

In seiner Form ist "Football under cover" auf den ersten Blick recht konventionell. Vorgestellt werden Protagonistinnen hier - in Berlin - und da - in Teheran. Unter anderen die muslimische Susu, Stürmerin des BSV AL-Dersimpor, etwa (in Berlin), die lieber Witze über ihr Jungfernhäutchen macht als sich an orthodoxe Vorschriften zu halten. Und die erstaunlich kühne Niloofar (in Teheran), die darauf besteht, als Junge verkleidet im Park Fußball zu spielen und zuhause vor der Kamera ohne Kopftuch aufzutreten. Was beide verbindet: Sie entwerfen für die Kamera ein Bild ihres privaten Selbst. Susu aber kokettiert und Niloofar ist es sehr ernst. Diese Asymmetrie durchzieht den ganzen Film und in ihr liegt vielleicht die tiefste Wahrheit über den Unterschied zwischen einer liberalen und einer unfreien Gesellschaft. Für die deutsche Mannschaft sind das Spiel und der Film ein Abenteuer, eine interessante Erfahrung, mehr nicht. Für die iranische Seite wird alles, das Öffentliche und das Private, vor allem aber die Grenze zwischen beidem, zum Politikum.


An genau dieser Grenze ist der iranische gender trouble angesiedelt, der am Beispiel Fußball exemplarisch ausagiert wird. Das war schon in Jafar Panahis Film "Offside" so, der von der vergeblichen Anstrengung junger Frauen erzählte, sich als Zuschauerinnen in eine Fußballstadion zu schleichen. Die Frau darf nicht ins Stadion, denn, so die sexistische Konstruktion der religiösen Ideologie, sie ist von sich aus zu schamvoll, um das ungesittete Verhalten der Männer als Fans ertragen zu können. Und sie darf auch nicht vor Männern Fußball spielen, weil sie damit unweigerlich und aller Verdeckung zum Trotz, ihren Körper öffentlich macht. Die Frau darf, kurz gesagt, nicht als Subjekt von Verführung, Begehren oder ausdrücklicher Lust auftreten - jedenfalls nicht vor männlichen Augen. Beim Fußballspiel der beiden Frauenmannschaften potenzieren sich dementsprechend die Probleme und erweist sich auch die Unhaltbarkeit der ganzen absurden Ideologie der als Verehrung getarnten Verachtung für die Frau, die immer auch "vor sich selbst" in Schutz genommen werden soll.

Darum werden die Männer aus dem Stadion ausgeschlossen. Das genügt aber nicht. Sittenwächterinnen sollen noch da, wo die Frauen unter sich sind, dafür sorgen, dass sie nicht über die Stränge schlagen. Natürlich tun sie aber genau das. Sie jubeln, sie protestieren, sie fordern in Sprechchören die Gleichberechtigung der Frau. Und sie verbünden sich mit der antizipierten Öffentlichkeit, die in Form der - in dieser Situation von Frauen geführten - Kamera eben doch anwesend ist. "Football under cover" ist - und daneben verblasst seine ganze Konventionalität - ein Film, dem die vielfache Instrumentalisierung der Kamera immer eingeschrieben bleibt. Marlene Assmann benutzt die Sensation des Matches gegen die iranische Frauennationalmannschaft für das Filmprojekt. Und sie benutzt den Film, um dieses Spiel überhaupt zustande zu bringen. Niloofar nutzt das Medium, um sich sehr selbstbewusst als widerständiges Subjekt zu definieren. Und die Zuschauerinnen im Stadion nutzen die Kamera, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Nur das Regime weiß nicht genau, was tun. Seine Vertreter sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die ganze Angelegenheit loszuwerden und der Anstrengung, sie doch zuzulassen, um in den Augen der Welt - die sie hinter der Kamera vermuten - nicht allzu schlecht dazustehen. Dieses Kräftefeld, in dessen Zentrum die Kamera steht, zu beobachten, ist der eigentlich spannende Schauplatz dieses Films.

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Ein blauer Himmel und die Sonne, Palmen, Häuser in Reih und Glied: so präsentiert uns Tamara Jenkins die als Schönwettergesamtaltenheim entworfene Stadt Sun City in Arizona. Dann sehen wir eine Reihe zurechtgeschnittener Büsche, die in einer Arkade mannshohe Durchbrüche überkronen. Aus den Durchbrüchen treten eine Reihe nicht mehr junger Frauen in Cheerleader-Kostümen. Sie tanzen, dazu spielt auf der Tonspur des Films fröhliche Musik. Was sollen wir davon halten? Macht sich der Film über diese so unangemessen gekleideten Seniorinnen lustig? Solidarisiert er sich mit ihnen? Was ist das für ein Ton, den Tamara Jenkins' Film "Die Geschwister Savage" anschlägt?

Aus der künstlichen Außenwelt geht es dann in die Innenwelt. Ein alter Mann in Unterwäsche (Philip Bosco) leistet Widerstand gegen einen Betreuer, indem er mit seiner eigenen Scheiße das Wort "Prick" (also etwa: Arschloch) an die Wand schmiert. Bald darauf sehen wir, wie die Frau, mit der er zusammenlebt, desorientiert in einer Kosmetikabteilung auftaucht, sich einen Finger anmalen lässt - dann schlägt sie hin auf den Kosmetikstandtresen und ist tot. Ist das komisch?

Die beiden Kinder des alten Mannes, der den Namen Savage trägt, reisen an, die Zeitarbeiterin mit schriftstellerischen Ambitionen Wendy (Laura Linney) aus New York und der Literaturprofessor Jon (Philipp Seymour Hoffman) aus Buffalo. Das Haus, in dem der Vater lebt, hat seiner Lebensgefährtin gehört. Er muss jetzt raus. Die Ärzte diagnostizieren eine Demenz-Erkrankung, also muss er in ein Alten- und Pflegeheim. Daran führt, das weiß Jon und will Wendy nicht wahrhaben, kein Weg vorbei. Von den beiden erzählt der Film, der von ihrer Vorgeschichte so viel ahnen lässt, dass sie keine glückliche Kindheit hatten.


Von Glück geprägt ist auch ihre Gegenwart nicht. Jon will endlich sein Brecht-Buch fertigschreiben, Wendy bewirbt sich vergeblich um Stipendien für ein Drama, das sie schreiben will, über ihre Kindheit und Jugend. Wie die Geschwister einander näherkommen, deren Verhältnis von Konkurrenz geprägt ist, aber auch dem Wunsch, zur Zuneigung fähig zu sein, davon erzählt dieser Film. Er tut aber auch das, indem er von einem Ton in den anderen fällt. Mal streiten sie, mal sind sie einander behilflich. Tamara Jenkins sucht in der Seelenpein die Komik und in der Komik die Seelenpein. Sie will es sich und dem Zuschauer weder zu schwer machen noch zu leicht.

Die Musik ist aber durchgehend eine Spur zu fröhlich, es ist, als wippte sie zum Anblick des siechenden und sterbenden Vaters mit dem Fuß. Dazu kommen Ablenkungsmanöver anderer Art: Wendy, die ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hat und eine Katze. Jon, der seine polnische Freundin nicht heiraten will, darum muss sie nach Polen zurück. Nichts wird zuende erzählt, Problempäckchen werden geschnürt, den Figuren überreicht und dann ist auch gut. Weiter mit Musik. Es geht, vom Sterben der Alten mal abgesehen, doch manches noch halbwegs gut aus. Es schwankt dieser Film, der offenbar mit Absicht das Unentschiedene will, irritierend zwischen aufrechtem Problembewusstsein und falschem Trost.

Football under cover. Deutschland 2008 - Regie: David Assmann, Ayat Najafi - Darsteller: (Mitwirkende) Niloofar Basir, Narmila Fathi, Sanna El-Agha, Paraskevi Boras, Marlene Assmann, Ayat Najafi, Hüseyin Karaduman

Die Geschwister Savage. USA 2007 - Originaltitel: The Savages - Regie: Tamara Jenkins - Darsteller: Laura Linney, Philip Seymour Hoffman, Philip Bosco, Peter Friedman, Gbenga Akinnagbe, Cara Seymour, Tonye Patano, Guy Boyd, Debra Monk