Im Kino

Hinreichend Dosenbier

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
15.10.2008. Die Fortsetzung von "Hellboy" setzt mehr auf Getöse als auf unschuldigen Pulp-Spaß: viel Sehenswertes bietet sie dennoch. Mit mehr als dreißig Jahren Verspätung findet ein großartiges Unikum in (ein paar) deutsche Kinos: Derek Jarmans in lateinischer Sprache gedrehter Debütfilm "Sebastiane"
Am Ende ist auch ein Dämon wie Hellboy (Ron Perlman) nur ein Mensch, der Krach mit der Liebsten hat und einen Freund an der Seite, dem's emotional kaum besser geht, mit hinreichend Dosenbier - und vor allem mit diesem einen Song in der Anlage, dessen Schmalz die Sache so prägnant auf den Punkt bringt, dass beide, wie sie da so liegen, sinnierend bei Barry Manilow miteinstimmen: "You know, I can't smile without you".


Man sieht einen Dämon mit abgeschliffenen Hörnern, in der Mythologie des Franchise eigentlich der Erzfeind der Menschheit, der nun jedoch im Verborgenen für eine paranormale Spezialeinheit des F.B.I. gegen andere Ungetüme seines Schlags antritt. Und man sieht das hypersensitive Amphibienwesen Abraham Sapien (Doug Jones) und doch sind das hier vor allem Jungs mit erstem Liebeskummer, aufrichtig emotional, mit allem verzeihlichen Hang zum entspannten Pathos den der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro ist einer der wenigen großen Meister im gegenwärtigen phantastischen Kino und ein souveräner Pendler zwischen den amerikanischen Nationen und zwischen Blockbuster- und Arthaus-Kino. Der Grad von Welthaltigkeit, den er mit geringstem Aufwand erzielt, steht in einem Fantasyspektakel eigentlich kaum zu erwarten. Und doch: Die Szene, die beglückendste des Films, ist schon jetzt ein Klassiker.

Dass sie in ihrer Schlichtheit derart haften bleibt - und den Film erdet, wenn nicht rettet -, ist vielleicht das eigentliche Wunder. Denn das Sequel zur gerade wegen ihrer sorgfältigen Mischung aus aufrichtigem Monster-Melodram, augenzwinkernder Pulpiness und Attraktionskino so großartigen ersten Comicadaption setzt ansonsten auf Getöse.

Erneut geht?s kataklysmisch zu: Ein aufbegehrender Elfenprinz (Luke Boss) aus der Unterwelt will das Kommando über die Goldene Armee - eine Heerschar magisch-mechanischer, unzerstörbarer Riesenungetüme - gewinnen, um die Menschheit zu vernichten und ein neues magisches Zeitalter zu begründen. Vergraben hatte die Söldner vor Äonen der Elfenkönig, Herrscher über alle Fabelwesen, um nach Jahren des Krieges endlich Frieden mit den Menschen zu finden und um deren Ausrottung abzuwenden. Dem kommen Hellboy und sein paranormales Team zunächst zögerlich auf die Spur, um bald schon atemlos von Episode zu Episode, von großen zu immer noch größeren Fabelwesen zu hechten.

Und fast könnte man die Uhr stellen: Keine zehn Minuten vergehen ohne obligatorischen, zu überwindenden Monstergegner. Ein Waldgott von gigantischen Ausmaßen etwa erscheint so rasch und unverbindlich wie er niedergeschlagen wird und bleibt dabei nur Episode: "Hellboy 2" ist gigantomanische Monsterrevue mit zwar selten gesehener Liebe zum feinziselierten Detail in Gestaltung noch kleinster Gegenstände, vom beachtlichen Bestiarium ganz zu schweigen; doch gewinnt ob solcher Texturfreude der angestrengte Eindruck eines begehbaren, aber alles erschlagenden Bildbands mitunter die Oberhand.


Was schade ist, denn ohne Zweifel gibt es zwischendurch viel Sehenswertes. Der Trollmarkt etwa, mitten in New York und doch vor den Menschen verborgen, bietet buchstäblich auf engstem Raum eine Reizesfülle, mit der andere ganze Filme füllen. Oder die Pythia, die dunkel Hellboys Schicksal orakelt (und, darf man mutmaßen, damit auch einen Ausblick auf den zu erwartenden dritten Teil gestattet).

Und eine Glanzidee ist der rein gasförmige und deshalb in einem Taucheranzug untergebrachte Johann Krauss, dessen irrwitziges Spiel mit Nazihabitus-Kitsch - im Original mit einem zum Schreien komischen deutschen Akzent gesprochen - an die besten, sympathisch auf postmodern light gewendeten Pulp-Referenzen zwischen Mystik-Spinnerei und Esoterik-Nazis und damit an eine souveräne Leichtigkeit im Umgang mit dem angeeigneten popkulturellen Material erinnert, an der es zuweilen spürbar mangelt: Statt wie zuvor bei grellen Groschenheften bedient sich Del Toro nun im ästhetischen Fundus der heroisch-epischen Fantasy a la Tolkien und importiert deren oft so fürchterlich heiligen Ernst gleich mit, als handele es sich bei "Hellboy 2" um eine Fortführung seines vorangegangenen, oscarnomnierten Fantasy-Dramas "Pans Labyrinth".

So steht "Hellboy 2" merkwürdig zwischen den Stühlen. Zum einen erscheint er als der vielleicht sogar ernst gemeinte Versuch Del Toros, in sein zweischieniges Werk eine Kreuzung einzubauen; zum anderen fungiert ahnt man schon das kommende Großprojekt: Für Produzent Peter Jackson arbeitet Del Toro derzeit mit "The Hobbit" am erwartbar ähnlich ausstaffierten Prequel zu dessen "Herr der Ringe"-Trilogie. So ist der "Hellboy"-Film auch eine Art Warmlaufen fürs Tolkien-Format. Dabei hat der große Rote damit herzlich wenig gemein. Reichen ihm zum Glück doch Zigarren und Dosenbier. Und eine CD mit alten Liebesschnulzen.

Thomas Groh

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Es war das Jahr 1975. Derek Jarman hatte bereits als Maler reüssiert und als Ausstatter für "The Devils", einen der besten Filme des zu diesem Zeitpunkt gerade aufs Wunderbarste durchknallenden britischen Regisseurs Ken Russell, gearbeitet. Als er die Möglichkeit bekam, einen ersten eigenen Film zu drehen (gemeinsam mit Paul Humfress, der seither kaum mehr im Kino auffällig geworden ist), wählte er sich den als Schwulenikone figurierenden Heiligen Sebastian zum Sujet. Der war, jung und schön und fast nackt und von Pfeilen lieblich durchbohrt und von Blut reizvoll befleckt, ein beliebter Renaissancegemäldegegenstand und als solcher Vorlage manch masochistischer Fantasie. Und weil Jarman Jarman ist und nichts nimmt, wie es kommt, sondern allem seinen eigenen Touch gibt, wurde daraus mit sehr wenig Geld erstens wirklich ein Historienfilm und zweitens einer, wie es sonst keinen gibt.


"Sebastiane" spielt im Rom des frühen dritten Jahrhunderts, soweit ist das historisch korrekt. Sebastian ist Christ am Hof des Kaisers Diokletian und wird darum verstoßen. Eine erste Szene mit einer bizarren Orgie, bei der angeschnallte Riesenpenisse groß rauskommen, spielt noch in Rom. Das sieht aus nach einer Mischung aus Kenneth Anger und Carmelo Bene, kontrastiert aber stark mit allem, was nach diesem Auftakt kommt. Da nämlich verlagert sich das Geschehen ganz und gar ins Unbewohnte, wo die aus dem Zentrum des Imperiums in äußerste Randlage verstoßenen Soldaten rein gar nichts zu tun haben. Von einem Geschehen kann im engeren Sinne darum auch gar keine Rede sein. Die Soldaten, sehr bald mehr oder minder vollständig entkleidet, sitzen und liegen in der Sonne herum. (Gedreht wurde auf Sardinien.) Sie schlagen sich, sie lieben sich, sie planschen zu früher Brian-Eno-Musik und in elegischer Zeitlupe verliebt im Wasser. Sie spielen, was historisch womöglich nicht ganz so korrekt ist, auch Frisbee.

Sie schwingen zotige Reden - und sie tun dies, was bis heute eine Alleinstellungsmerkmal des Films ist, in Latein (der Titel "Sebastiane" ist entsprechend ein Vokativ: "Oh Sebastian"). Bei einem törichten Literalisten wie Mel Gibson geschieht so etwas um eines ideologischen Authentisierungsbehauptung willen. Derek Jarman aber ist einer, der die Zeiten gerne zu Vertigo-Effekten ineinanderschiebt und im Zugleich von scheinbarer Authentizität und willentlichen Anachronismen verschwimmen lässt. In seiner ebenfalls in dieser Woche zur Wiederaufführung in deutschen Kinos startenden Filmversion von Christopher Marlowes "Edward II." kann man das in einer Art Regietheatervariante erleben: wild gehen die Gegenwart und historisch stark variierende Kostümierungen der Figuren durcheinander, die totale visuelle und sprachliche Explizierung schwuler Subtexte kommt noch dazu.

"Sebastiane" ist da - in Sachen Ana- und Metachronismen - noch deutlich weniger aufdringlich. Und überhaupt eine seltsam relaxte Angelegenheit. Er gönnt sich minutenlange Auszeiten aus dem nur in groben Strichen vorhandenen Märtyrerplot. Zum Frisbeespiel. Zum Wasserplanschen. Zum versunkenen Solotanzen in römischem Kleid. Zum Auspeitschen und In-die-Pralle-Sonne-Pflocken freilich auch. Der Kern der Geschichte nämlich geht so: Severus (Barney James) begehrt Sebastian (Leonardo Treviglio), der alles erduldet, nichts aber gewährt, weil der einzige, den er liebt, der von ihm in Gedichten gepriesene Herr ist. Er treibt mit seiner glückseligen Verweigerung Severus, der sein Vorgesetzter ist, zum Äußersten und doch nimmt zwar sein Körper, nicht aber seine Seele dabei Schaden.
"Sebastiane" entledigt sich gleich zu Beginn dramaturgischer Bögen und narrativer Rahmen. Er ist ein Augenfilm, der dem, was er zu sehen gibt, Zeit und Leinwandraum schenkt. Es ist, was man sieht, bei Gott nicht die reine Unschuld. Aber im Begehren und Abweisen, beim Dulden und Gottverehren, das Jarman hier zeigt, liegt eine atmopshärische Gelassenheit, die eine Art interessiertes Wohlgefallen erzeugt. Auch die Inszenierung der ikonischen Pfeildurchbohrungsszene gelingt durch fabelhafte Unaufgeregtheit. Die exilierten Römer spannen, einer nach dem anderen, den Bogen. Jarman und Humfress beschleunigen dabei nichts. Man hört keine Schreie, auf der Tonspur weht, zum Schein nur Realton, ein heftiger Wind. Ein Stillleben in bewegten Bildern.

Ekkehard Knörer

Hellboy - Die Goldene Armee. USA 2008 - Originaltitel: Hellboy II: The Golden Army - Regie: Guillermo del Toro - Darsteller: Ron Perlman, Selma Blair, Doug Jones, Luke Goss, Johann Kraus, John Hurt, James Dodd, John Alexander - Prädikat: besonders wertvoll

Sebastiane. Großbritannien 1976 - Regie: Derek Jarman, Paul Humfress - Darsteller: Leonardo Treviglio, Barney James, Neil Kennedy, Richard Warwick, Ken Hicks, Janusz Romanov, Steffano Massari - Fassung: lateinische OF mit dt. UT