Im Kino

Männersachen - Frauensachen

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
19.11.2008. Ridley Scott räumt mit Russell Crowes und Leonardo DiCaprios Hilfe in "Der Mann, der niemals lebte" im Nahen Osten so gründlich auf, dass die Fetzen fliegen. In der Komödie "Baby Mama" hat Tina Fey mehr als nur ein Gebärmutter-Problem.

Männersachen im Nahen Osten: Der eine Mann reißt, indem er über Leichen geht, ohne Gewissen die USA rein, der andere geht über die Leichen zwar mit, reißt's aber wieder raus, indem er ein Gewissen hat und die Sprache des Ostens spricht und die Menschen des Ostens versteht, wenn nicht im Einzelfall sogar liebt. Ein bisserl kompliziert, wie bei derlei Thrillern gewohnt, ist die Handlung, unter der freilich alle politischen Fragen zum Ausgleich sehr simpel abgehandelt werden.

Ferris, Roger Ferris (Leonardo DiCaprio), ist als rühr- und schüttelbarer Agent der Mann für die Fälle, in denen es brenzlig wird. Sein Boss, CIA-Funktionär Ed Hoffman (Russell Crowe), hat ihn per hoch auflösender Flugzeugkamera aus der Höhe immer im Blick und beordert ihn ins halbwegs friedliche, halbwegs befreundete Jordanien, wo ein Terrorist seine Fäden spinnt. Hoffman ist ein abgefuckter und übergewichtiger Zyniker aus dem Klischeebilderbuch, und während er seine lieben Kinder zuhause zur Schule bringt, räumt er im Nahen Osten per Telefon gründlich auf. Anders Ferris, der das Vertrauen des hypercharismatischen kühlen jordanischen Geheimdienstchefs Hani (Mark Strong) gewinnt, und so das Netz der Intrige spinnen kann gegen die Organisation des Terror-Masterminds Al-Salim (Alon Aboutboul). In Manchester fliegt was in die Luft, post 9/11, wir sehen darauf den bösen Mann, den wir und der Film fangen wollen sollen, in aller Unschuld in der Moschee beim Gebet. Selig sind die bildpolitisch Einfältigen, denn sie werden verkaufen Eintrittskarten im Blockbusterreich!

Als Zentrum der vom CIA in Gang gesetzten Intrige und damit als zukünftige Leiche tritt auf: Der Architekt Omar Sadiki (Ali Suliman), den die beiden Herren, der böse Cop und der gute, aufs Spielfeld schieben, ohne dass er was ahnt. Als handlungslogisch nur notdürftig eingeflickter Blickfang zwischen Bissen und Küssen tritt auf: Die schöne Aisha (gespielt vom iranischen Star Golshifteh Farahani). Der Weg zu ihrem Herzen führt über das Abendessen bei der Schwester, die unter brutalen Augenaufschlägen sanfte Kritik an der US-Politik übt. Später gibt es für Ferris, der weniger Herr des Geschehens ist, als er denkt, was auf die Finger.


Lektion: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten im Osten, wie schon der Originaltitel "Body of Lies" mehr oder minder deutlich sagt. (Was der deutsche Titel bedeuten soll: nicht die leiseste Ahnung.) Es wird der Lügenkörper am kleinen Finger zur Strafe gebeutelt und wie dem Nettesten ihrer Vertreter, so soll diese Form von Schlimmer-Finger-Kritik auch den USA selbst widerfahren. Freilich tritt am Ende nach dem strafenden der zur Not auch verzeihende Gott aus der Kulisse. Läuterung findet statt oder Liebe oder etwas dergleichen.

Das Kommando bei dieser mal wieder windelweich-scheißliberalen US-amerikanischen Weltbildrettungsaktion führt in bewährter Manier der Regisseur Ridley Scott, der die Handlung voranpeitscht und dabei eindrucksvoll über Leichen geht. Ästhetisch reißt das dann aber keiner mehr raus. Vielmehr tut William Monahan (den wir als Autor von Scorseses "Departed" zu fürchten gelernt haben) seine ostentativ maskulinen Dialoge und tut Marc Streitenfeld sein musikalisches Trommelfeuer dazu. Man darf sicher sein, dass die PR-Agenten des Films was von einer US-Nahostpolitik-kritischen Mission faseln werden. Stolz bläht sich dabei nur das Fähnchen im stimmungspolitischen Wind. Wie die meisten Filme von Scott, macht auch dieser rein optisch-akustisch was her. Guckt man genauer hin, ist aber wirklich nichts dran.

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Frauensachen an der Ostküste: Kate Holbrook (Tina Fey) hat Erfolg im Beruf. In einem Öko-Lebensmittelkonzern, bei dem man durchaus an den US-Riesen Wholefoods denken darf, wird sie zur Vizepräsidentin bestellt. Was gleich zu Beginn eine sehr schöne und völlig unfreiwillige Pointe ergibt, wenn sie auf die Frage, was ein Vizepräsident tut, antwortet, er oder sie rücke an die Stelle des Präsidenten, wenn der erschossen wird. Das ist deswegen schön, weil Darstellerin Tina Fey zuletzt vor allem als Saturday-Night-Life-Parodistin Sarah Palins auftrat, die vor ihrer Kandidatin-Berufung einem Fernsehmann treuherzig einmal versicherte, sie habe wirklich keine Ahnung, was ein US-Vizepräsident den lieben langen Tag so tut. Das hat ausnahmsweise mal die Wirklichkeit die Fiktion überholt.

Kate Holbrook hat Erfolg im Beruf, aber im Privaten trifft sie ein Schlag. Ihre Gebärmutter nämlich tut nicht, was sie soll: das Gebären erlauben. Auch einen Mann gibt es nicht, aber das ist das sehr viel geringere Problem. Was sie dringender braucht, ist eine Frau, die ihr - Kates - Kind leihweise austrägt. Sie sucht Hilfe und findet sie - in der ziemlich furchteinflößenden Gestalt der in eigener Sache geburtswundertätigen Leihmutterserviceleiterin Chaffee Bicknell (Sigourney Weaver), die eine Gebär-Mutter mit funktionierender Gebärmutter für Kates zukünftigen Sprössling vermittelt.


Nur gehört zur Gebärmutter eine Kate in mancherlei Hinsicht sehr fremde Gesamt-Person namens Angie Ostrowiski (Amy Poehler). Pointierter gesagt: Postmaterialistische Öko-Tante trifft auf White Trash der gröberen Sorte. "Trifft auf" erweist sich zudem schnell als massiv untertrieben. Nach Streit mit ihrem Lover zieht Angie bei Kate ein und mischt die Wohnung, den Kühlschrank, das Waschbecken (ah, großartige Szene) und überhaupt Kates ganzes Leben gewaltig auf. Eher lieblos und am Rande wird leider die natürlich nicht ausbleibende Liebesgeschichte Kates mit dem glücklosen Saftladen-Besitzer Rob Ackerman (Greg Kinnear) ein- und durchgeführt. Regisseur und Drehbuchautor Michael McCullers - auch er ein Saturday-Night-Life-Veteran - wringt aus dieser Konstellation eine ganze Menge recht lustiger, wenn auch mehr erwartbarer als unerwarteter Scherze.

Einerseits ist "Baby Mama" durchaus bemüht, Probleme, die man für zeitgemäße halten kann, bei allem Spaß ohne reaktionäre Witzeleien zu behandeln: Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf. Materielle Probleme und postmaterialistische Werte. Ökonomische Differenzen und ihre sozialen Folgen. Soziale Differenzen und ihre ökonomischen Folgen. Andererseits treffen sich alle Widersprüche - so auch der zwischen großem Konzern und nachbarschaftlicher Sozialstruktur - immerzu und mit Vorliebe in der Mitte. Einzig Steve Martin nimmt seine Karikatur eines esoterischen Öko-Firmenchefs und rennt mit ihr mit wild wippendem Pferdeschwanz ins Absurde auf und davon.

Trotzdem: "Baby Mama" ist kein Film, dem man böse sein müsste, aber doch eine verpasste Chance. Ein bisschen mehr Mut, ein bisschen mehr Biss und Genauigkeit und "Baby Mama" wäre nicht nur der halbwegs intelligente und vergnügliche Film geworden, der er ist, sondern einiges mehr, nämlich eine erwachsene und erhellende Komödie über die USA unserer Gegenwart.

Der Mann, der niemals lebte. USA 2008 - Originaltitel: Body of Lies - Regie: Ridley Scott - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Russell Crowe, Mark Strong, Golshifteh Farahani, Oscar Isaac, Simon McBurney, Alon Aboutboul

Baby Mama. USA 2008 - Regie: Michael McCullers - Darsteller: Tina Fey, Amy Poehler, Greg Kinnear, Sigourney Weaver, Dax Shepard, Romany Malco, Steve Martin, Maura Tierney, Holland Taylor, Stephen Mailer