Im Kino

Seid bitte böse!

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
03.12.2008. Woody Allens hält bei seinem Barcelona-Ausflug "Vicky Cristina Barcelona" die Figuren aus dem Off auf Distanz - mit bösen und komischen Wirkungen. In "El Bano del Papa - Das große Geschäft" kommt der Papst nach Uruguay und bringt nicht, was die Bewohner des Städtchens Melo sich erhoffen.

Zwei Amerikanerinnen in Barcelona, eine blond (Scarlett Johansson), eine brünett (Rebecca Hall). Sie besuchen eine Vernissage. Ihre Gastgeberin zeigt auf einen Mann (Javier Bardem) und flüstert ihnen verschwörerisch zu, er sei Künstler und man höre, er habe sich unter schlimmen Umständen von seiner Freundin getrennt. Die zwei Amerikerinnen in Barcelona gehen ins Restaurant. Sie entdecken den Mann an einem Nebentisch. Die Blonde macht ihm Augen, er kommt herüber, er spricht sie an. Wollen wir einen gemeinsamen Ausflug machen, fragt er sehr direkt, ich fliege euch mit meiner Cessna hin, wir haben Spaß, wir gehen miteinander ins Bett. Die Brünette ist verlobt und sie ist empört. Die Blonde ist ungebunden und sichtlich interessiert.

Das ist der erste Zug im Spiel, das nun beginnt. Zwei Frauen, ein Mann. Die Blonde als Figur, die das Abenteuer sucht. Die Brünette als Figur, die in New York einen Langweiler (eher nicht) liebt, der ihr Sicherheit verspricht. Auch einen Spielleiter gibt es, und er ist der eigentliche Clou dieses Films: Eine männliche Stimme aus dem Off. Ein Erzähler, der souverän und allwissend scheint und Dinge zusammenfasst, die sich zwischen den Geschehnissen, die wir sehen, ereignen. Der auch weiß, wie es im Inneren der Figuren aussieht. Diese Stimme, dieser Erzähler ist wie eine Hand, die das Spiel von uns, den Beobachtern, wegschiebt und immer wieder mit Fleiß auch weghält.

Der Erzähler setzt eine Distanz, einen Abstand und macht das, was wir sehen, zu einer Versuchsanordnung oder sogar zu einer Demonstration, bei der er - der Erzähler - uns vorführt, was passiert, wenn die Figuren, ihre Temperamente, ihre uneingestandenen Wünsche und auch der Zufall aufeinandertreffen. In der Stimme dieses Erzählers wird die Künstlichkeit der Figuren, ihre psychologische Charakterisierung offenkundig und dadurch völlig neutralisiert. Was ihr seht, sagt diese Stimme, ist Figurenschach und sonst gar nichts. Woody Allen, der nie einer war, der sich für seine Figuren als dreidimensionale Charaktere interessiert, oder sie - Gott behüte - gar liebt, hat im ausgestellten Figurenschach eine Form gefunden, die seine Lust am komischen Konfrontieren und Umkonstellieren von Ausgangslagen trägt und auf die Dauer des Films hält.

Weil alles ein Spiel ist - und durchaus immer wieder ein böses - spielen auch die Klischees brav ihre Rolle. Der Spanier ist feurig, die Amerikanerinnen sind wahlweise pragmatisch (brünett) und leichtfertig (blond), Barcelona besteht aus Werken von Antoni Gaudi und Wein und Gitarrenmusik. Wie Woody Allen zu den oft genug hanebüchenen Klischees steht, die er auftischt, ist nicht gewiss. Sein Film jedenfalls betrachtet sie schlicht und einfach als Material zur Verfertigung einer moralischen Geschichte (ohne Moral) vor den Augen seiner Betrachter. Wen das an Eric Rohmer erinnert und seine Serie zu den "Contes Moraux", dem kann man nur sagen: Genau. Woody Allen erreicht hier für einmal beinah das Niveau des großen und bösen Meisters aus Frankreich.


Manches kommt wie erwartet, anderes eher nicht. Man glaubt, ein Klick zu hören und ein Klick und ein Klick. Das sind die Momente, in denen der Spielleiter seine Konstellation wie ein Kaleidskop weiterdreht. So bringt er irgendwann, als die Entwicklung zum Stillstand zu kommen droht, einfach eine weitere Figur ins Spiel. Das ist Penelope Cruz und also das spanische Leben selbst. Das Klischee, anders gesagt, vom Übermaß des Lebens, das am Überschlagspunkt in sein Gegenteil, ins Suizidale kippt. Die Gefühle toben. Es wird geliebt und wiedergeliebt. Es wird sich verzehrt und falsche Konstellationen müssen zu richtigen werden. Es gibt das Glück, auf Zeit.

Die Klischees tollen herum und starten mit Wein und Gitarre und Antonio Gaudi eine Klischee-Kissenschlacht. Der Erzähler hält alles immer weiter auf Distanz und so blickt der Betrachter amüsiert - gelegentlich sogar höchst amüsiert - auf das, was die Menschen da Menschliches treiben und tun. Für keinen Moment wird man glauben, dass sie wirkliche Menschen sind; oder dass das, was man sieht, mit der Wirklichkeit anders denn über Konstellationsabstraktionen verbunden ist. Kalt und künstlich, getüftelt und berechnet ist das alles. In Wahrheit war es bei Woody Allen nie anders. Es ist dies, weil er hier seine Distanz zu allem Menschlichen deutlich wie selten macht, einer seiner komischsten und ehrlichsten Filme seit längerer Zeit.

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Der Papst kommt, es ist Johannes Paul II., es ist das Jahr 1988, ins uruguayische Städtchen Melo, das im Nordosten des Landes, an der Grenze zu Brasilien liegt. Die Bewohner des Orts sind in gespannter Erwartung, weniger aus Frömmigkeit, mehr der Hoffnung wegen, dass die schlecht gehenden Geschäfte durch den Besuch des Papstes und die damit verbundenen Besucherscharen einen Aufschwung erleben.

Uns zu zeigen, wie mühselig die Geschäfte gehen, ist erst einmal der Ehrgeiz des Films. Wir sehen, wie Beto (Cesar Troncoso), die Hauptfigur, allerlei Waren über die Grenze von Brasilien nach Uruguay schmuggelt. Er und seine Freunde fahren durch die Steppe, vermeiden die offiziellen Grenzübergänge und werden doch immer wieder von der mobilen Ein-Mann-Zolleinheit gestoppt. Und zwar fahren sie mit dem Fahrrad über die Grenze, was uns die Kamera, um ausgefallene Positionen und Bewegungen nicht verlegen, ausführlich zeigt. Geführt hat die Kamera Cesar Charlone, der Mann, der schon im international viel beachteten Favela-Arthouse-Reißer "Children of God" immerzu viel zu viel des Guten tat. (Dessen Regisseur Fernando Meirelles hat hier auch koproduziert.)

So konfrontiert also "El Bano del Papa" (wörtlich: "Das Papstklo" - der deutsche Titelzusatz "Das große Geschäft" trifft die Abort-Sache hervorragend) die Mühsal der kleinen Leute mit dem Großereignis des Papstbesuchs. Es treffen in ihm zugleich, auf ästhetischer Ebene, eine kleine, realistisch gemeinte Alltagsgeschichte und ambitioniertes Weltkino-Kameraniveau aufeinander. Aufwand und Ertrag geraten im einen wie im anderen Fall in beträchtliche Missverhältnisse. Die Kurzgeschichtenidee vom Klo, das der arme Beto baut, um vom Papstbesuch zu profitieren, trägt nicht über neunzig Minuten. Da helfen dann auch die Studienwünsche der Tochter, die Härten des Schmuggellebens und die Andeutung eines sozialem Umfelds nicht. Erst recht nicht hilft die mit Musik und Bewegung und Gegenlicht aufgemotzte Dauerradfahrerei.


Gewiss, dieser Film blickt mit Sympathie und dem, was man gerne Wärme nennt, auf seine Figuren. Für voll nimmt er sie dennoch so wenig wie uns, die er uns ständig mit Nettigkeiten umschmeichelt. Verglichen mit dem Allen-Film ist "El bano del Papa" fraglos der bessere Mensch. Als Film aber macht gerade das ihn nicht nur uninteressanter, sondern auch verlogener. Sein Humanismus ist kameratechnisch aufgebohrt. Das Mitgefühl, das er uns abnötigen will, bleibt immer gratis. Die uruguayische Wirklichkeit, nach allen Regeln der Arthouse-Kleinkunst geschichtenförmig und nett und goutierbar gemacht: So interessiert sie uns nicht. Schlagt uns das nächste Mal besser vor den Kopf. Gebt uns eine Chance, die Leute und das, was sie tun, nicht zu mögen. Tut was, das uns mit Absicht nervt und langweilt und euch weniger konsumierbar macht. Reine Nettigkeit ist in der Kunst, nicht im Leben, bloß läppisch. Seid bitte böse!

Vicky Cristina Barcelona. USA / Spanien 2008 - Regie: Woody Allen - Darsteller: Javier Bardem, Patricia Clarkson, Penelope Cruz, Kevin Dunn, Rebecca Hall, Scarlett Johansson, Chris Messina, Lloll Bertran

El Bano del Papa - Das große Geschäft. Uruguay 2007 - Regie: Enrique Fernandez, Cesar Charlone - Darsteller: Cesar Troncoso, Virginia Mendez, Virginia Ruiz, Nelson Lence, Alex Silva, Baltasar Burgos, Mario Silva, Jose Arce - Fassung: O.m.d.U.