Im Kino

Rest-Energien

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
07.01.2009. Im deutschen Nordosten siedelt Christian Petzold seine Dreiecksgeschichte "Jerichow" an, die sich um das Geld und die Reste dreht, die es zum Leben lässt. Mitten in Berlin Mitte dagegen trägt sich zu, was Hans-Christoph Blumenberg in seiner Boulevardkomödie "Warten auf Angelina" erzählt.

Eine Dreiecksgeschichte, auch wenn es zunächst nicht danach aussieht. Eine Beerdigung, eine Autotür, die sich öffnet. Ein Mann betritt ein Haus, das nicht das seine ist, aber werden soll. Zwei Männer, mit denen er in Geschäfte verwickelt war, bedrängen ihn. Sie sprechen, sie gehen hinaus. Einer der Männer klettert in eine Baumhaus und findet einen Schatz. Thomas (Benno Fürmann) bekommt einen Schlag auf den Kopf, wir sehen ein Reh, der Regionalexpress fährt vorbei und damit endet ein Neuanfang, dessen Vorgeschichte im unklaren bleibt.

Wir werden wissen, das immerhin, dass Thomas aus Afghanistan kommt, wo er Zeitsoldat war. Dass er entlassen wurde, unehrenhaft. Dass er sich im Haus der verstorbenen Mutter einrichten will, dass er im Baumhaus, als wär das so etwas wie der Schoß der Mutter, in den er zurückkriechen will, das Geld versteckt hat, das er nun gleich verliert. Es ist der Beginn eines bösen Märchens über einen Thomas im Unglück, der erfahren muss, dass es ein Zurück nicht mehr gibt, aber auch eine Zukunft, die den Namen verdient, gibt es beinahe nicht.

Stattdessen Arbeitsamt. Gurkenernte, gebückte Haltung in der Maschine, Knochenjob, Rückkehr als Menschenfracht auf dem Laster. Die Prignitz. Dann aber, Glück im Unglück auf einen ersten Blick, eine Zufallsbegegnung auf der Landstraße. Ein betrunkener Mann fährt sein Auto beinah in den Fluss (der Alkohol, das Herz). Er braucht Thomas' Hilfe, sein Name ist Ali (Hilmi Sözer). Nun ist die erste Seite des Dreiecks gezogen - und es ist nicht falsch, wie es bei Christian Petzold nie ganz falsch ist, auf eine Metapher aus der Geometrie zu verfallen. Gerade sind die Striche bei Christian Petzold stets: Seien es Striche unter Bilanzen (Geschäftsbilanzen, Lebensbilanzen, Hoffnungsbilanzen) oder Striche durch Pläne oder Striche, die einander überlagern, überkreuzen, sich doppeln und so bei aller Geradheit auch Zweideutigkeiten erzeugen (Leben, Tod).

Das Muster, die Blaupause, die unter "Jerichow" liegt, ist die exemplarische Dreiecksgeschichte "Wenn der Postmann zweimal klingelt". Sie hat beim Autor James M. Cain ihren Ort, ihre Zeit (USA, Depression), erwies sich aber als vielseitig verwendbar, bei Visconti ("Ossessione"), bei Rafelson (Nicholson, Lange, Sex). Während jedoch in Petzolds Vorgängerfilm "Yella" in der Überblendung der Vorlagen (Ambrose Bierce, "Carnival of Souls") mit dem konkreten Ort etwas ins Schwimmen geriet und das Reale und das Irreale ineinanderglitten - ohne freilich ihre Konkretheit zu verlieren -, so bleibt alles hier mit klaren und graden Strichen scharf und verschwimmt nichts. Die Landschaft, die diese Figuren hervorruft und ihre Unglücksgeschichten, scheint so gleichursprünglich mit dem, was die Genre-Kenntnis Petzolds an Konstellationen aufruft, dass beides zur Deckung kommt. Nichts ist drunter und drüber. Keine lebenden Toten, sondern Lebende, denen es mit Gründen an Lebendigkeit fehlt. Nur noch analytisch unterscheidbar - und nicht als metaebeneneröffnende Differenz im Bild - sind das Genre als Verallgemeinertes einer- und Ort und Stelle der Prignitz andererseits.


Durch die Dreiecks-Konstellation jagen die Energien, die man erwartet. Eifersucht, Verzweiflung, Sehnsucht sind nicht die falschen Worte für die Seelenlagen des Films. (Liebe wäre das einzig falsche Wort. Denkt man.) Aber die großen Worte sind leer, entleert, so wie die Gesichter und Gesten der Figuren des Films leer sind, wie gelähmt. Ein Hauch, "l'aura" (Laura), so der Name der natürlich entscheidenden Dritten, der Frau, die die Frau Alis ist, die Frau, die Thomas, der für Ali zu arbeiten beginnt, begehrt. Laura ist Nina Hoss, Laura (l'aura, der Hauch) ist der Name der unnahbaren Geliebten des Petrarca, Urfigur aller abendländischen Liebessonette. Im Namen stecken Wahrheit und Ironie. Diese Laura ist, gegen ihren Willen - aber auch der ist schwach, geschwächt - gefesselt, an diesen Mann (Ali), an diesen Ort (Prignitz, Wald, Haus), von der Leichtigkeit des Lufthauchs hat sie nichts. Und auch von der Raffinesse der Liebessemantiken bei Petrarca bleibt hier nichts und wieder nichts. (Oder, unterm Strich: Ein Tanz am Strand, gestohlene Blicke, gestohlene Küsse, Sex auf dem Boden des Flurs, eine Berührung der Hände im Dunkeln.)

Was bleibt, ist das Geld als großer Verunmöglicher. Das Geld, das Laura an Ali fesselt (Gefängnis, Schulden) - aber nicht ganz. Das Geld, das Thomas an Ali fesselt (Job, Einkommen) - aber nicht ganz. Das Geld, das Alis Seele fesselt (Angst vor Betrug) - aber nicht ganz. Geld essen Seele auf, aber nicht ganz. Was durch diesen Film jagt, sind Restenergien. Und vielleicht sind darum die Figuren keine "Gespenster", keine lebenden Toten; sie zehren von diesen Rest-Energien, sie sind umgetrieben von diesen Rest-Energien. Was sie drückt, ist das Geld, das sie haben/nicht haben/haben wollen/zu verlieren fürchten. "Jerichow" entwirft geradezu eine Grammatik des Geldes, das fehlt. "Es gibt keine Liebe ohne Geld" heißt es einmal im Film. Laura sagt das. Man weiß gar nicht, ob das stimmt. Weil es auch hier das Geld ist, das alles in Gang setzt und in Gang hält. Schließlich ist das doch der Kapitalismus. Rest-Kapitalismus im deutschen Nordosten. (Rest-Europa) Und dann gibt es auch einen semantischen Rest-Grenzverkehr zwischen dem Buchstäblichen und dem Übertragenen: Ali, der besser ist, als ihm gut tut, der herzkrank ist vor Sorge, ums Geld, um die Frau, um sein eigenes Seelenheil.

Petzold ist mit "Jerichow" erst einmal ganz raus aus der Stadt. Aber das Land, die schöne Landschaft der Prignitz, taugt nicht zum Sehnsuchtsort. Auch wenn die Stadtteile hier Philadelphia heißen, auch wenn die Namen der Orte biblisch anmuten. Alles Soziale ist in Auflösung begriffen. Die Grenze, der Strich, hinter dem die reine Anomie lauert, hinter der noch die Reste erlöschen, ist in Sicht. Den Strich hat Petzold hier gezogen, über diesen Strich, hinter dem nur ein tödlicher Abgrund lauern kann, schickt er seine Figuren am teils offenen Ende. Diesseits der Grenze wird vorher vom Glück oder dem Rest, der davon bleibt in einer Welt, die am Geld hängt, noch im Dreieck geträumt. (Geld, Liebe, Tod)

Hinweis: Ein ausführliches Video-Interview mit Christian Petzold zu "Jerichow" und anderen Dingen findet sich beim Filmmagazin Cargo.

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Über den Dächern von Berlin Mitte: zum einen der Paparazzo (Florian Lukas), der keiner sein will, sein Name ist Maik, er ist aus dem Osten und spricht am Telefon immerzu schauderhaftes Englisch; zum anderen ein Angelina-Jolie-Fan von der nordfriesischen Insel Pellworm, sein Name ist Momme (Kostja Ullmann). Aufeinander treffen sie, weil sie glauben, sie hätten den idealen Blick ins Brangelina-Domizil in der Nähe. Die Wohnung, in der sie, beide nicht ganz legal, landen, ist die eines Promi-Zahnarzts, der derweil nichtsahnend im Indischen Ozean schippert, dafür aber zwischendurch Damenbesuch bekommt, bzw. bekäme, landete der nicht stattdessen immerzu bei Momme und Maik, die mal mehr, mal weniger damit anzufangen wissen.

Hans-Christoph Blumenberg, der einmal ein berühmter deutscher Filmkritiker war, vor 25 Jahren, macht, seit er von der Zeit seinen Abschied nahm, Filme. Ambitionierte zuerst, schlechte Tatorte dann immer wieder - Palu mit Jochen Senf. Es wurde nichts mit dem Durchbruch zu Ruhm und Bedeutung, worauf Blumenberg offenkundig nicht gekränkt reagiert, sondern mit kleinen, aus Nichts und Luft und Schaum geborenen Projekten wie eben diesem, das man eben der Nonchalance wegen, mit der es daherkommt, sehr gerne gern haben würde, allein: es geht nicht. Blumenberg hatte eine Boulevardkomödie im Sinn, sehr theaternah in der Struktur. Konzentration auf einen engen Raum, auf Auftritte, Abtritte, Dialoge, Verwechslungen, Tempo.

Leider glückt nichts davon richtig. Die Dialoge hat sich Blumenberg selbst geschrieben und sie sind das größte der durchweg nicht weiter schlimmen Übel des Films. Immer ein Satz, eine Erklärung zu viel. Zu wenig Mut zum Sprung der Gedanken, zum Spiel der Worte, zum Absurden. Die beiden Hauptdarsteller sind in Ordnung, an ihnen liegt es nicht, dass nichts zündet. Schon gar verglichen mit Leslie Malton, die schrecklich überzieht als Frau von der GEZ. Sie ist eine der vielen Frauen, die aus dem einen Grund oder dem anderen auftauchen in der Wohnung (Gudrun Landgrebe, Jana Pallaske, Barbara Auer) und dann wieder verschwinden, aber zwischendurch dafür sorgen, dass wenigstens für die beiden Helden das Warten auf Angelina lohnt. Für den Zuschauer wird man dasselbe leider eher nicht sagen können.

Jerichow. Deutschland 2008 - Regie: Christian Petzold - Darsteller: Benno Fürmann, Nina Hoss, Hilmi Sözer, Andre M. Hennicke, Claudia Geisler, Marie Gruber, Knut Berger

Warten auf Angelina. Deutschland 2008 - Regie: Hans-Christoph Blumenberg - Darsteller: Florian Lukas, Kostja Ullmann, Barbara Auer, Anna Brüggemann, Gudrun Landgrebe, Leslie Malton, Jana Pallaske, Jördis Triebel