Im Kino

Verdummung rulez!

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
10.03.2009. Tarsem Singh hat für "The Fall" vier Jahre lang die Welt bereist und Bilder mitgebracht, die vor allem den Atem rauben wollen. P.J. Hogans "Shopaholic" demonstriert, freiwillig und unfreiwillig, kreditkartengestützte Realitätsverluste.

War es im frühen Hollywoodkino noch die Anzahl der Elefanten, mit denen ein Film sensationalistisch auf Plakaten für sich warb, kann Tarsem Singh für seinen Arthouse-Fantasyfilm "The Fall" die Anzahl seiner internationalen Kulissen werbekräftig anführen: 18 Länder wurden in vier Jahren Produktionszeit bereist, von der weiten Steppe bis zum kantigen Gebirgszug, von der naturbelassenen Küste bis zu prunkvollen Bauten aus vergangenen Zeiten ist alles von der Kamera hochauflösend eingefangen, stets darum bemüht, dem Zuschauer den Atem zu verschlagen. Die chinesische Mauer, der Eiffelturm, beide blitzen kaum länger als ein Lidschlag auf, wie um den verschwenderischen Gestus noch zu unterstreichen. Ein Film wie eine Ausgabe von National Geographic, schreibt sinnfällig die Village Voice.

Diese Lust am filmischen Hochglanz kommt bei Tarsem Singh nicht von ungefähr. Sein Handwerk lernte er in der ganz auf schönen Schein eingestellten Werbe- und Videoclipbranche. Im Jahr 2000 verwirklichte er mit "The Cell" seinen bislang einzigen Spielfilm, dessen zahlreiche, an die Arbeiten Salvador Dalis erinnernde Set Pieces er in einen Science-Fiction-Thrillerplot einbettete und damit zugleich legitimierte: Psychische Zustände als bizarre Seelenlandschaften, ein Außen, das in die Bilder des Inneren eindringt.

Eine vergleichbare Rahmung findet auch in "The Fall" statt: Äußerlich ist dies eine Anekdote im Leben der kleinen, indischstämmigen Alexandria (Catinca Untaru), die nach einem Armbruch in einem Hospital nahe dem Hollywood der 20er Jahre Bekanntschaft mit dem selbstmordgefährdeten Stuntman Roy (Lee Pace) macht. Der liegt nach einem haarsträubenden Stunt schwerverletzt im Krankenbett und leidet doch weniger an seinen Versehrungen als vielmehr am gebrochenen Herzen. Um über die wieselflinke Alexandria an die Tabletten für eine todbringende Überdosis zu gelangen, improvisiert Roy eine Geschichte für das Mädchen, eine mit Mythologemen durchtränkte Erzählung von fünf prächtig kostümierten Helden - darunter ein Charles Darwin im Pfauenkostüm (Leo Bill) und als Roys Alter Ego der "maskierte blaue Bandit" -, die in gemeinsamer Sache durch alle Steppen und Städte eines ins Fantastische verschobenen Globus hechten, um einen geheimnisvollen Herrscher zur Strecke zu bringen.


Wie in "Wizard of Oz" erscheint die Visualisierung einer inneren Handlung als Verschiebung einer äußeren. Die Geschichte von den fünf Helden, begreift man gleich, wird von Alexandria in Bildern imaginiert, die sich aus der für sie rätselhaften Umgebung speisen. Vom Film werden sie zu den eigenen und mit viel kostüm- und maskenbildnerischer Grandezza zur Attraktion erklärt. Da beide Geschichten, die innere und die äußere, sich überlappen und einander unterbrechen, entstehen in all dem bildgewaltigen Pathos zwar immer wieder Momente des comic relief - wenn Alexandria niest, niest auch die prinzessinenartige Schönheit aus Roys Geschichte -, doch gelingt die Durchdringung der einen Welt mit der anderen nie ganz. Was schade ist, da gerade das Bersten der Bilder, ihr Überborden und Abgleiten ins vollkommen Enthobene das Reizvollste an "The Fall" darstellt, zugleich aber immer schon domestiziert ist: Der ästhetische Wahnwitz einer hinreißenden, an die Puppentrickaufnahmen der Quay Brothers erinnernden, aufbrausenden und doch fragilen Sequenz, die Alexandrias Ohnmacht nach einem Sturz visualisiert, bricht den Film lediglich für einen Moment auf, ansonsten herrscht die Wucht des Landschaftspanoramas vor.

Als ein Film über visuelle Imaginationskraft hat "The Fall" auch mit dem Kino zu tun. Nicht zufällig ist er nahe der "Traumfabrik" Hollywood und zum Zeitpunkt von deren Aufblühen situiert. Für die neugierige Alexandria ist die Welt eine Anhäufung von Wundern oder zumindest von Wundersamem, eine blitzschnelle Abfolge kleiner Rätsel und Sensationen wie zum Beispiel die flüchtig-schattenhafte Projektion an die Hospitalwand eines kopfstehenden Pferds durch ein Schlüsselloch, ein zufälliger Camera-Obscura-Effekt und quasi Keimzelle des Kinos. Filme allerdings, sagt sie an anderer Stelle, habe sie bislang noch nicht gesehen. Am Ende wird sich das ändern, wenn Alexandria mit deutlicher Versonnenheit den Film sieht, der Roy ins Krankenhaus gebracht hatte, eine schludrige Slapstickklamotte, deren rohe Bilder nichts gemein haben mit den Phantasmagorien, die Roys Erzählung in Alexandria zum Blühen brachte. Das Kino, so ahnt man eine naive Botschaft hier, gerinnt zur Fantasieprothese, eine Vorrichtung zur Kolonisation und Eindämmung der Vorstellungskraft. Dass Tarsem Singh sich des dubiosen Widerspruchs bewusst ist, darauf lässt indes nichts schließen.

Thomas Groh

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Die Hollywood-Filmindustrie spricht, spricht sie vom Kapitalismus, ungefähr so wie der Alkoholiker vom Alkohol: unzusammenhängend, wahnhaft, aber auf einer eher unbewussten Ebene doch sehr kenntnisreich. Das gilt auch für einen wirklich nicht guten Film wie "Shopaholic", und zwar auch und gerade, weil er aus einer ganz anderen, der vermeintlichen Vorkrisenzeit, stammt. Das macht ihn dann doch fast ein bisschen interessant.

Im Zentrum dieses aus der Literatur in den Film, von London nach New York transferierten Traktätleins über den Kaufreiz als Sucht steht eine Frau namens Rebecca Bloomwood (gespielt von der schottisch-australischen Schauspielerin Isla Fisher). Ihr Problem: Sie shopt bis sie dropt und ihr auf den Fersen ist immer und überall der Schuldeneintreiber David Smeath, der sie mit dem Ingrimm des Gestalt gewordenen schlechten Gewissens verfolgt. Er ist, anders gesagt, die Kehrseite der kaum verhohlen orgasmischen Lust, die Rebecca beim kreditkartengestützten Erwerb schöner Dinge erlebt. David Smeath ist das Realitätsprinzip, der gelegentliche klare Gedanke inmitten der besinnungslosen Wunscherfüllungstrips, als die Rebecca ihr Dasein weniger begreift als bestreitet.


Schuhe allein jedoch und die Gucci-Tasche und dies Kleid und jenes Kostüm und ein grüner Schal machen nicht glücklich. Nicht restlos jedenfalls. Ein Mann muss her, als dauerhafte Deck-Erinnerung für den bebrillten Smeath, als blendend aussehendes Verblendungs-Ideologem, als the real thing und wahrer Wert, den nur die Liebe verleiht. Der Mann, den man nicht kaufen, sondern nur gewinnen kann, heißt Luke Brandon (Hugh Dancy), ist ein Typ mit viel Erfolg und etwas Eigensinn. Er macht Rebecca zum besten Pferd im Stall des nur sehr bedingt bösen Medienkonglomerats namens Dantey. Was Rebecca von ihm will, sieht man, als sie ihn zum Vorstellungsgespräch besucht, im Hintergrund als riesengroßen nackten männlichen Oberkörper an einer Wolkenkratzerwand. Allerdings: ohne Kopf. Und: ohne Unterleib. Was sehr bezeichnend ist für den Film, der mangels Hirn vor allem mit seinem Waschbrettbauch bzw. seinem züchtigen Decolletee denkt und mit diesem bzw. jenem, schlimmer noch, von Geld, Kredit und Wunscherfüllung fantasiert.

Kreuzbrav ist das alles, traut sich mit gar nichts raus. Die Heldin als Hascherl ist eine Kreuzung aus Schreckgestalten des Biedersinns wie Bridget Jones und Carrie Bradshaw. Mit großen Augen appelliert diese Figur an wahlweise Identifikations- und Beschützerinstinkt und ist doch Szene für Szene nicht zu ertragen. Der einzig bizarre Gedanke, den sich der Film erlaubt, ist der, ihr als leibliche Eltern Joan Cusack und John Goodman zur Seite zu stellen; was zum einen eine typische Jerry-Bruckheimer-Besetzungs-Idee ist (ja, der hat hier produziert), aber natürlich auch zum Beleg taugt, dass Hollywood, wenn der Scheck groß genug ist, mehr oder weniger jeden - etwa auch Kristin Scott-Thomas als affektierte Mode-Magazin-Chefin - kriegt.

Die zentrale These des Films ist eine wirtschaftsjournalistische, zusammengefasst lautet sie schlicht: Verdummung rulez! Die Welt will nicht Fakten, Fakten, Fakten, sondern alberne Mode-Metaphern. Weil die Vorlagen-Verfasserin Sophie Kinsella ihre Leserschaft erfolgreich auf diese Weise für dumm verkauft hat, muss man wohl sagen: wird schon stimmen. Wie dann wohl auch "Shopaholics" nur als niederschmetternde Kapitalismus-Diagnose zu lesen ist, die da lauten muss: Eine Gesellschaft, die sich den gelegentlichen Einspruch der Realität gegen maßlosen Luxus als zentrales Problem vorstellen kann, produziert vorzugsweise langweilige Menschen, alberne Konflikte und herzlich egale Filme wie diesen.

Ekkehard Knörer

The Fall. Indien / Großbritannien / USA 2006 - Regie: Tarsem Singh - Darsteller: Lee Pace, Catinca Untaru, Justine Waddell, Julian Bleach, Leo Bill, Kim Uylenbroek, Ronald France, Sean Gilder, Andrew Roussouw, Michael Huff

Shopaholic - Die Schnäppchenjägerin
. USA 2009 - Originaltitel: Confessions of a Shopaholic - Regie: P.J. Hogan - Darsteller: Isla Fisher, Hugh Dancy, Joan Cusack, John Goodman, John Lithgow, Kristin Scott Thomas, Nick Cornish, Stephen Guarino