Im Kino

Halbwahre Geschichten

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
22.04.2009. Jacques Mesrine war zu Lebeiten eine Gangster-Legende und der Film "Public Enemy Nr. 1" gibt dem großartigen Vincent Cassel die Chance, zu zeigen, warum. In ihrem Mehrpersonen-Biopic "Cadillac Record" erzählt Regisseurin Darnell Martin von der Revolution der populären Musik durch Muddy Waters und Co. und erfindet dabei weg und dazu, was ihr passt.
Der Split-Screen, das Auftrennen der Leinwand in mehrere Bilder, ist im Kino der letzten Jahre meist ein Ambitionen anzeigendes Merkmal. Von Mike Figgis' "Timecode" und "Hotel" (vier Bilder) bis zu den "Tracey Fragments" (großes Splitscreen-Durcheinander) von Bruce McDonald. Als "24" noch eine innovative Fernsehserie war - in den ersten ein bis zwei Staffeln also -, setzte sie auch stark auf das den Fokus zerstreuende Mehrfach-Bild-Konzept. In jüngeren Filmen taucht der Splitscreen neuerdings an einer sehr speziellen Stelle auf: nämlich im Vorspann. Zu bewundern sein wird das im nächste Woche anlaufenden "Duplicity" mit Julia Roberts und Clive Owen. Und bereits in dieser Woche zu bestaunen ist es im diese Woche in deutschen Kinos startenden französischen Blockbuster "Public Enemy No. 1".

Vom Ende her erzählt der Film seine Geschichte. Und dies Ende - die Erschießung des Verbrechers Jacques Mesrine im Jahr 1979 - zeigt der Anfang eben im Split-Screen-Verfahren. Eine Fahrt durch Paris, Mesrine (Vincent Cassel) und seine Freundin (Ludivine Sagnier), dank den Aufnahmen aus verschiedenen Winkeln ist da gleich ein latentes Bedrohungsgefühl in den Bildern. Dann öffnen sich vor dem Wagen Mesrines die Ladetüren eines Lasters, man sieht Menschen mit Gewehren, Schüsse fallen und der Staatsfeind ist tot.



So erzählt man einzig und allein von Legenden. Der deutsche Titel buchstabiert denn auch, was in Frankreich als bekannt vorausgesetzt werden kann, in englischer Sprache aus. Der Mann, der im Zentrum des Films steht, ist von Überlebensgröße, er ist der Public Enemy No. 1. Das ist ziemlich viel Ehre für einen Mann wie Jaques Mesrine, der kein politischer Terrorist war, schon gar nicht ein Mann der radikalen Linken. Als ewiger Gangster und Ausbrecherkönig kam er vielmehr zu Ruhm. (Die in politischer Hinsicht interessantere Geschichte wäre, dies nebenbei, die des international gesuchten Terroristen Carlos. Über ihn dreht der auch sehr viel interessantere Regisseur Oliver Assayas gerade in deutsch-französischer Koproduktion einen fünfstündigen Fernsehfilm in drei Teilen. Es ist das spannende Konkurrenzprojekt nicht nur zu diesem Film, sondern viel eher noch zu Uli Edels und Bernd Eichingers "Baader Meinhof"-Machwerk.)

Dass Mesrine auf die Rechte gehört, macht ein kurzer Prolog klar, der ihn in Algerien auf der Seite der französischen Kolonial-Unterdrücker zeigt. Auch danach ist er nicht in die Geschäfte der Revolution, sondern einzig der Mafia verstrickt. Auftritt Gerard Depardieu als Mafiapate Guido, massiger denn je. Aufstieg des Jacques Mesrine, der erst eine Bank und dann auf der anderen Straßenseite eine andere Bank macht. Abtritt Gerard Depardieu als Mafiapate. Das ist die Kurzfassung des Beginns der Verbrecherlaufbahn Mesrines.

Er muss dann fliehen, nach Kanada. Er kommt in den Knast. Jean-Francois Richet hetzt durch die Karriere Mesrines, und das, obwohl er sich alles in allem vier Stunden Zeit nimmt. (Der zweite Teil - Untertitel: Todestrieb - kommt am 21. Mai in deutsche Kinos.) Er erzählt linear, er bringt dabei auch noch eine Liebesgeschichte unter (Cecile de France). Im kanadischen Knast verspricht Mesrine, als er ausbricht, dass er die, die zurückbleiben müssen, da rausholen wird. Der Mann macht keine Sprüche, sondern hält in einer Aktion, die grandios größenwahnsinnig ist, sein Versprechen. Bzw. lässt es am Willen dazu nicht fehlen.

Der Film folgt den Memoiren, die Mesrine selbst verfasst hat. Von großer Distanz zu seinem Protagonisten kann schon deshalb nicht die Rede sein. Der Glamourisierung der Figur setzt "Public Enemy No. 1" denn auch herzlich wenig Widerstand entgegen, ausdrückliche "Bonnie and Clyde"-Reminiszenzen inklusive. Aber was soll man sagen: Natürlich ist Vincent Cassel als Verkörperung des Gangsters eine Schau und ein Darsteller mit seiner Präsenz und seiner Physis schon mehr als die halbe Miete für einen solchen Film. Der ist mal, mal weniger spektakuläres Kino der Attraktionen und hat einen Diskurs zu gesellschaftspolitischen Fragen so wenig im Sinn wie Mesrine selbst. Das ist einerseits schon ganz angemessen, andererseits doch arg problematisch und in jedem Fall wohl der Grund für seinen Riesenerfolg.

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Aus zwei mach eins, bewährte Formel für nach wahren historischen Begebenheiten erzählte Filme: So macht, für "Cadillac Records", Regisseurin und Drehbuchautorin Darnell Martin aus dem Brüderpaar Phil and Leonard Chess, das in den fünfziger Jahren die legendären Chess Records gründete, den bruderlosen Alleingründer Leonard (spielt das locker für zwei: Adrian Brody). Eine Motivations-Vorgeschichte bekommt der durch Fiktionalisierung verwaiste Leonard, kompensatorisch sozusagen, auch: jüdisch-polnische Herkunft, für die ihn der Vater der Frau, die Leonard heiraten will, umso gründlicher verachtet, als auch er selbst jüdisch-polnischer Herkunft ist.

Mit leichter Hand fügt der Film eins immer zum andern. Die Parallelmontage ziemlich am Anfang zum Beispiel macht unmissverständlich klar, dass den Außenseiter Chess dieses - etwas anders geartete - Außenseitertum mit den Schwarzen im Süden der USA verbindet. Das Gute und Schlechte an "Cadillac Records" ist die Leichtfüßigkeit mit der der Film gutgelaunt Blödsinn auf Blödsinn folgen lässt: irgendwie heben sich die Klischees und die Legenden und das Sepia-Bild von den fünfziger und sechziger Jahren gegenseitig fast auf, neutralisieren jedenfalls den schlechten Geschmack, den das alles bei Lichte besehen machen müsste.

Und letztlich ist das natürlich nur möglich durch den Zauber der Musik. Den man schon deshalb verlogen finden kann, aber auch ein verlogener Zauber ist ein Zauber, und es ist der Zuschauerin und dem Zuschauer nur sehr bedingt zu verdenken, wenn sie oder er ihm für die Dauer von knapp zwei Stunden wider besseres historisches Wissen ein bisschen erliegt.

Hereinspaziert aus der Parallelmontage des Anfangs kommt - ich verkürze hier etwas und lasse auch die eine oder andere züchtige Sex-Szene aus - in Leonard Chess' Studio in Chicago, frisch von den Feldern des südlichen Mississippi, Muddy Waters. Chess hat das Ohr zu hören, dass von dieser elektrifizierten Gitarre und dieser Stimme eine Revolution der populären Musik ausgehen wird. Chess hat auch den Geschäftssinn, sich einen Löwenanteil an den finanziellen Erfolgen der von ihm unter Vertrag genommenen Künstler zu sichern. Dafür bekommen die Künstlerinnen und Künstler einen Cadillac vor die Tür gestellt.

Die Revolution bricht also aus. Sie involviert in der Folge noch den allzu jung verstorbenen Little Walter (Columbus Short), Howlin' Wolf (ganz besonders toll: Eamonn Walter), Chuck Berry (auch toll: Mos Def), den Songwriter Willie Dixon (Cedric, the Entertainer; vor allem zu hören als Voiceover-Off-Erzähler) und, ganz gewiss nicht zuletzt, Etta James (Beyonce Knowles, dazu gleich mehr). Davon, wie diese Männer und diese Frau mit dem Blues und dem Rock and Roll die populäre Musik neu erfinden, erzählt, summa summarum, der Film.

Er gibt auch vor, etwas über die Rassentrennung in den USA zu sagen zu haben, aber weil er alles in Blues-Töne wickelt, die sehr absichtsvoll auch schon mal per Montage von Studioszenen hinaus in Bilder aus dem richtigen Leben sickern; und weil die Regisseurin außerdem alles in ein schönes warmes Licht setzen lässt; weil das Herz des Films unverkennbarerweise doch da schlägt, wo die Musik spielt, kann einem völlig absurderweise sogar bei diesen paar Gesten in Richtung historischer Wahrheit und Wirklichkeit warm ums Herz werden. Es nagt der ekle Zahn der Nostalgie doch böse am Kern von "Cadillac Records".

Zum auch eher enervierenden Äußeren gehören allerlei Liebes- und Drogengeschichten. Vor allem die vom hollywoodwärts blickenden Drehbuch herbeifantasierte Liebes-Nicht-Beziehung zwischen Leonard Chess und Etta James. Überhaupt gravitiert der Film zu seinem Schaden zusehends in Richtung Etta James. Was einfach zu erklären ist - schließlich hat deren Darstellerin Beyonce Knowles das Werk als eine Art Vanity-Projekt mitproduziert. Sie hat James-Klassiker neu eingesungen und sie tut mit den Augen und den Lippen und den Hüften allerlei, um niemanden übersehen zu lassen, dass sie auch eine große Schauspielerin ist. Das ist denn doch eher kontraproduktiv.

Am Ende, so erzählt es der Film, kommen die Weißen aus England und stehlen den Schwarzen ihre Musik. Zum Trost - und einen Trost, diese Sorte Film ist das, muss es geben - fliegt Muddy Waters nach England, wo auf ihn die Verehrung der Fans wartet. Ein roter Teppich wird ausgerollt, es sieht ein bisschen aus, als würde da irgendwem die Zunge rausgestreckt. Den Stones? Oder doch der historischen Wahrheit? "Cadillac Records" ist jedenfalls angenehme Verlogenheit mit fabelhafter Musik.

Ekkehard Knörer

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt. Frankreich / Kanada / Italien 2008 - Originaltitel: Mesrine : L'instinct de Mort - Regie: Jean-François Richet - Darsteller: Vincent Cassel, Cecile De France, Gerard Depardieu, Roy Dupuis, Gilles Lellouche, Elena Anaya - Länge: 114 min.

Cadillac Records. USA 2008 - Regie: Darnell Martin - Darsteller: Adrien Brody, Jeffrey Wright, Beyonce Knowles, Gabrielle Union, Columbus Short, Mos Def, Cedric the Entertainer, Emmanuelle Chriqui, Eamonn Walker, Tony Bentley