Im Kino

Unsichtbare Tinte

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
27.05.2009. Jim Jarmusch hat mit "The Limits of Control" in Spanien einen an Wiederholungen reichen Film gedreht, der einem vor den Augen zerfällt. Constantin Wulff zeigt in seiner Dokumentation "In die Welt" etwas Alltägliches und Außergewöhnliches: Gebären und Geborenwerden.

Ein Flughafen. Drei Männer in einer Sitzgruppe. Ein schöner schwarzer Mann (Isaach de Bankole) und ein anderer schöner schwarzer Mann (Alex Descas) und ein nicht sehr schöner, älterer weißer Mann (Jean-Francois Stevenin) im Gespräch. Namen tragen sie nicht und sie erhalten auch keine mehr für den Rest dieses Films, aus dem der eine schwarze Mann und der weiße nach diesem Beginn auch wieder verschwinden. Sie sagen Sätze, die nicht unmittelbar Sinn ergeben. Sätze, die wiederkehren werden, später. Sätze wie: "Wer glaubt, er sei größer als die anderen, muss auf den Friedhof gehen." Am Ende wird insbesondere dieser Satz erfüllt werden wie eine Prophezeiung. Das merkt man ihm, hier zu Beginn und im Laufe des Films, in dem er noch öfter fällt, freilich nicht an.

Ein Platz in Madrid. Der schöne schwarze Mann (Isaach de Bankole) bestellt Espresso, zwei Tassen, auf Englisch. Der Kellner, der kein Englisch versteht, bringt eine Tasse, wird angeschnauzt, bringt zwei Tassen. Wir sind jetzt schon etwas weiter im Film. Der schöne schwarze Mann in seinem blauen Anzug betrachtet den Platz in Madrid, auf dem wenig passiert. Dann aber kommt Tilda Swinton namenlos um die Ecke, mit weißblondem Haar. Sie wechselt mit dem Mann am Tisch wenige Worte, sie tauschen Streichholzschachteln aus. Den Zettel, den der Mann darin findet, liest und verschluckt er. Öfter noch wird er auf dem Platz sitzen, in Madrid. Öfter noch wird er Streichholzschachteln tauschen und Zettel lesen und verschlucken. Er wird in seine Wohnung gehen, die sich in einem architektonisch eigenwilligen Gebäude befindet. In der Wohnung trifft er auf eine Frau (Paz de la Huerta), die sich immer auszieht für ihn, die immer mit ihm schlafen will. Er aber will das nicht. Einsilbig antwortet er auf ihre Fragen, angezogen liegt er neben ihr im Bett.

Jim Jarmuschs jüngster Film "The Limits of Control" ist kein über eine stringente Handlung organisiertes Erzählwerk, sondern eine Reihenschaltung von Momenten und Auftritten, die nur über ein kleines Ding, nicht mal ein Symbol (Streichholzschachtel), und einen schönen Mann, der fast nichts sagt, miteinander in Beziehung stehen. In losester Beziehung stehen, in eine Beziehung gesetzt werden wie in ein Bild, das über die Welt, die es zeigt, kaum mehr zu sagen hat als der meist schweigende Mann in seinem Zentrum. Der Mann, der schweigt, die Streichholzschachteln, die die Hände wechseln, die bedeutungsvoll klingenden Sätze, die sich mit leichten Variationen wiederholen: lose ist die Struktur dieses Films, so lose, dass er vor unseren Augen zerfällt, zerfließt, zergeht, aber das alles auf ganz undramatische, statische, unbewegliche Weise.



Was zergeht, in den Bildern als Zergehendes zu erfassen: das wäre der Job des Kameramanns. Engagiert hat Jarmusch zu seinem Unglück den maßlos überschätzten Christopher Doyle, der bekannt wurde für seine Arbeit mit Wong Kar-Wei. Doyles Aufnahmen ist hier wie eigentlich immer nicht das Interesse an dem, was vor der Kamera ist, sondern nur der Wille zum Dekorativen anzusehen. So schön wie leer sind diese Bilder. Weil sie die Räume (Häuser, Plätze, Straßen) und Dinge und Menschen immer nur fassen und rahmen und pittoresk in die Gegend stellen wollen, atmet in ihnen nichts. Sie haben nicht die Geduld, die Welt sein zu lassen, wie sie ist. Sie interessieren sich nicht für die Luft und das Sosein der Gegenstände und nicht für die Zeit, die vergeht. Sie sind nicht offen, nicht neugierig, sie nehmen nichts in sich auf, sie suchen nichts, sie sind nur gesucht; alles, was dieser Kamera in den Blick gerät, erstarrt.

Starr ist, wird, bleibt dieser Film. In jede seiner spannungslosen Einstellungen ist die Ahnung eines Thriller-Moments wie mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Jarmuschs Idee ist es wohl, dass diese Tinte ganz am Ende, das ein Thriller-Ende ist und politisch tut, nach Art einer Offenbarung sichtbar wird. Nichts aber wird offenbar. Nichts wird gerettet. Nichts erhält nun retrospektiv seinen Sinn. Vielmehr zerfällt dadurch das ganze ein weiteres Mal. Der Schluss ist die Antwort auf eine Frage, die der Film bis dahin nicht stellt. So stützen die Teile einander nicht, sondern stürzen und fallen ins Leere. Ohne Geräusch, ohne Bewegung. "The Limits of Control" ist ein den Räumen, die er nicht begreift, der Zeit, die in ihm nicht vergeht, aufgenötigter Film. Ein künstlerischer Gewaltakt, der allen Sinn, alle Sehlust, die ganze spanische Wirklichkeit und, was das Schlimmste ist, den neugierigen Blick, dem er sich so ostentativ darbietet, zuletzt einfach schluckt.

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Ganz bescheiden, eine Dokumentation, die nichts tun will, als etwas aus dem Leben zu zeigen, ist Constantin Wulffs Film "In die Welt". Was sie zeigt aus dem Leben, ist etwas ganz Alltägliches und ganz Großes: Menschen kommen zur Welt. Wulff möchte für die Kamera einfangen, wie das zugeht. Auf undramatische Weise macht er die Zuschauerin und den Zuschauer so zu Zeugen, aber, weil er nichts dazutut an Pathos und Dramatisierung oder Musik, nie zu Voyeuren.

Jedem Dokumentarfilm liegt, im Film selbst meist unausgesprochen, ein Vertrag zugrunde: Ich gebe der Kamera (und damit einem unabsehbaren Publikum) Einblick in mein Leben. Der Regisseur nutzt das nicht aus. Er geht mit diesem oft ganz ungeheuren Angebot, so gut es ihm möglich ist, verantwortlich um. Im Fernsehen, im Reality-TV, gibt es solche Verträge meist nicht. Alles ist Manipulation, Lust am Manipuliertwerden, ein Sich-Präsentieren und ein rabiater Zugriff von Kamera, Schnitt, Musik auf diese Präsentation. Ein großes ethisches Durcheinander, in dem es nicht um den Alltag geht und darum, ihn zu zeigen, sondern um Unterhaltung und Prominenz, um ein Wollen der Öffentlichkeit in jedem erdenklichen Sinn.

Constantin Wulffs Film ist das gerade Gegenteil eines solchen fernsehmäßigen Zuschnitts. Er bettet das Dramatische ins Bürokratische, er hat ein am großen Frederick Wiseman (dem er im Abspann dankt) geschultes Interesse an den Zusammenhängen, in denen alles, was der Mensch in Gesellschaft tut, immer schon steht. So ist nicht zuletzt das Kreatürlichste, die Geburt eines Menschen, ein in jeder Hinsicht sozialer Akt. Alles muss verzeichnet werden, in Akten um Akten, und zwar in Antizipation möglicher rechtlicher Konsequenzen. Unsereiner kommt, und zwar im glücklichen Fall, durch und durch gerichtsfest zur Welt.

Natürlich sehen wir das Blut, den Schmerz, den Schrei, den Schweiß, das gute Zureden, und das blau angelaufene Baby sehen wir auch. Es schreit und schreit und will sofort wieder weg aus der Welt ohne Wasser, in die es da ohne sein Zutun geraten ist. Das sehen wir alles, die Geburt ohne Schnitt, da zuckt Wulff nicht zurück. Aber eben nicht aus Lust am Voyeurismus, am Drama, an der Sensation. Sondern weil es nun mal so ist. Das Gebären ist ein furchtbar anstrengender, schmerzhafter, ein mit nichts auf der Welt vergleichbarer Akt. Und das Geborenwerden ist das auch. Um das jedoch sichtbar werden zu lassen, muss man alle auf alle Zurichtung verzichten, sonst bekommt man nur das Klischee.

Das aber gibt es in diesem Film an keiner einzigen Stelle. Zwischen Interesse und Distanz liegen die Blicke, die er wirft. Die Kamera ist nie zudringlich, aber sie leugnet zugleich ihre Anwesenheit nicht. Sie zeigt Menschen, die unversehens schwanger geworden sind, solche, die glücklich sind, solche die Angst haben, solche, die ihre Neugeborenen in den Händen halten, und er beginnt mit einem, der Angst haben muss um das Kind, das schwer atmend im Brutkasten liegt. Man muss, wenn man das sieht, als Zuschauer gar nichts Besonderes fühlen oder denken. Man ist frei, neutral zu bleiben oder, ja, warum nicht, den Geburtsakt so schwer erträglich zu finden wie der Ehemann mit seinen Tattoos, der im Hintergrund des Bildes die Hände vors Gesicht schlägt. Diese Freiheit, die einem der Film lässt, ist keine Selbstverständlichkeit. Seine Klugheit in Abfolgen, Rhythmen, ins Spiel gebrachten Aspekten stellt er nicht aus. "In die Welt" ist ein auf scheinbar bescheidene Weise richtiger Film, der nichts tun will, als etwas aus dem Leben zu zeigen.

The Limits of Control. A 2009 - Regie: Jim Jarmusch - Darsteller: Isaach De Bankole, Alex Descas, Jean-François Stevenin, Luis Tosar, Paz de la Huerta, Tilda Swinton, Youki Kudoh, John Hurt, Gael Garcia Bernal, Hiam Abbass, Bill Murray

In die Welt. Österreich 2008 - Regie: Constantin Wulff - Darsteller: Dokumentation - Länge: 88 min.