Im Kino

Von Malls und Medien

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
17.06.2009. Kevin MacDonalds "State of Play" mit Russell Crowe versucht sich an der Wiederbelebung der Verschwörungstheorie-Thriller der siebziger Jahre. Woran sich Jody Hills Hollywood-Komödie "Shopping-Center King" versucht, ist weniger leicht zu sagen: Heraus gekommen ist jedenfalls ein zutiefst verstörender Film.


Dicklicher Mann mittleren Alters, ein bisschen abgefuckt, wie altgediente Reporter es sind, Siebentagebart, uralter Computer am Arbeitsplatz, Unmengen Papier um ihn herum, dazu Schichten von Post-Its an der Wand: das ist der Journalist Cal McAffrey (Russell Crowe). Der Ort des Geschehens: Washington DC. Die Zeitung: Washington Globe.

Der Schriftzug des Namens der Zeitung ist an den Wänden aus Glas im Innern der Redaktion nie zu übersehen. Mit Vorliebe lässt Regisseur Kevin McDonald Glaswände dieser Art in den Blick der Kamera fallen, als Wände, die da sind und zugleich nicht. Oder auch: als etwas, das eine Barriere ist trotz seiner Transparenz. Und genau darum geht es hier auch: das Verhältnis von verstellten und ermöglichten Blicken in politischen Hinterzimmern, in die ein Reporter eindringen will.

"State of Play" ist allerdings vieles auf einmal und nichts davon leider richtig. Was er, neben seinem Hauptberuf als Verschwörungs-Thriller, auch ist, und es ist dann doch fast der interessanteste Aspekt: Der erste Hollywood-Film über den Umbruch der Medienwelt. Neben dem Reporter-Urgestein McAffrey gibt es nämlich die erfolgreiche, notorisch stiftlose junge Bloggerin des Washington Globe, Della Frye (Rachel McAdams).

Zu Beginn des Films rasseln, in den beiden verkörpert, Erfahrung und Ungestüm aneinander. In der Folge aber verbünden sich der Investigativjournalist und die auf Schnelligkeit programmierte Internet-Frau - und zwar ausgerechnet gegen die Chefredakteurin, die Helen Mirren spielt. Die Zeitung wurde nämlich gerade aufgekauft und die neuen Eigner machen Auflagen- und Einsparungs-Druck.



Hinaus läuft der Film, nach Auflösung seines Themen-, Genre- und Plotdurcheinanders, auf einen Abspann, der Hymne und Abgesang zugleich ist. Er zeigt, nach einem Knopfdruck der Bloggerin, die Produktion der Zeitung von morgen mit den Mitteln von gestern. Mit liebevollem Blick zeigt die Kamera den Fertigungsvorgang: Belichtung der Vorlagen, Druckmaschinen, vertikal durch die Halle rasende Laufbänder mit dem fertigen Produkt. Im Zeitalter des Virtuellen lässt sich das Werk der Maschinen filmen, als wäre alles daran vergleichsweise handgemacht. Kann man sympathisch finden, nur dass auch dieser Abspann letztlich so nostalgisch ist wie der ganze Film. Der nämlich sehnt sich nach den Siebziger Jahren und damit auch nach einer Zeit, in der Verschwörungstheorie-Holzschnitte seiner Machart en vogue waren.

Alles beginnt hier so: Eine Frau stirbt, ein Mann weint. Der Mann, der öffentlich weint, ist der Politiker Stephen Collins (regungslos noch, wenn er weint: Ben Affleck). Die Frau, die utner die Räder der U-Bahn kam, war seine Mitarbeiterin und Geliebte. Collins steht in der Öffentlichkeit als Vorsitzender eines Ausschusses, der gegen ein großes Rüstungsunternehmen ermittelt. Das steht im Verdacht, Aufträge zu kaufen und im politischen Hintergrund Kriegstreiber zu sein. PointCorp heißt die Firma und Blackwater ist als real existierender Skandal sichtlich das Vorbild.

McAffrey und seine rasch investigativtechnisch aufgerüstete Blogger-Kollegin ermitteln nun, in eher friedlicher Kooperation mit der Polizei, gegen PointCorp, in der Hoffnung auf die ganz große Story. In den Schnittpunkt von Medien, Politik und Recht stellt der Film das Private. McAffrey und Collins nämlich sind Freunde und es steht die betrogene Ehefrau von Stephen Collins (gespielt von Robin Wright Penn) zwischen ihnen. Sie steht in Wahrheit aber ohne ersichtlichen Grund in den größeren Zusammenhängen des Plots herum.

Und wird so, sehr unfreiwillig, zum Symbol für die Schwerfälligkeit des ganzen Films, dem nur eines gelingt: das Vermeiden von Subtilitäten jedweder Art. Er beruht auf einer britischen Miniserie und verdichtet deren Komplexitäten weniger, als dass er sich auf Klischees verlässt. Das ist der Tod eines jeden Genre-Films und leider wird "State of Play" in der Tat nie lebendig. Er gibt sich viel Mühe, reiht Twist an Twist, schickt seinen Helden in Tiefgaragen und Lebensgefahr. Er wackelt handkameraesk mit ihm durchs Dunkle, er blickt in Ausnutzung spektakulärer Architektur auch mal sehr schräg von oben. Was alles nur dazu führt, dass man seine Mittel der Undurchschaubarkeitsproduktion immerzu, eben: durchschaut. Und deshalb leider die ganze Zeit ausgesprochen ungerührt bleibt.

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Die Mall ist ein zentraler Ort der US-amerikanischen Gesellschaft. Es wird in diesen von Parkplatz-Beton umfriedeten Shopping-Centern eingekauft, gegessen, sich getroffen, flaniert, in Schaufenster geguckt und vor allem die Privatheit von Räumen eingeübt, die jedenfalls in Europa über Jahrzehnte der Inbegriff von Öffentlichkeit waren. Kein Wunder also, dass die Mall in den letzten Jahren immer häufiger zum Schauplatz von Hollywood-Filmen wird.

Nicht nur, weil sie im wirklichen Leben der US-Amerikaner einen so wichtigen Platz einnimmt. Auch Verdichtbarkeit des Geschehens zur weitgehenden Einheit von Ort, Zeit und Handlung spricht für die Mall als Schauplatz; eine gewisse Bandbreite an Indoor-Motiven hat sie ja dennoch zu bieten. Als Mikrokosmos der amerikanischen Mittel- und unteren Oberschichten taugt sie überdies. Das zeigt "Shopping-Center King - Hier gilt mein Gesetz" (das Original klingt, viel treffender, wie ein Buchtitel von Foucault: "Observe and Report"), der zweite Kinofilm des Komödien-Extremisten Jody Hill, in aller der US-Komödie heute so möglichen Deutlichkeit. Und man muss nach Ansicht sagen: Mehr oder weniger alles scheint heute möglich.

Jody Hill macht gerade als Autor der HBO-Serie "Eastbound & Down" Furore. (Hier ein kurzer Clip.) Sie hat, gespielt von Danny McBride, einen die Grenzen des Erträglichen mit Gusto übertretenden Helden, einen Ex-Eishockey-Beinahe-Star, der in grotesker Selbstüberschätzung die allen, nur ihm nicht peinlichsten Dinge tut. An diese Heldenfigur schließt Hill mit "Shopping-Center King" an. Nur ist hier eben nicht die All-America-Kleinstadt der Austragungsort unaussprechlicher Dinge, sondern die All-American-Mall.

Eine Figur vor allem ist es, die den privat-öffentlichen Charakter der von der Außenwelt räumlich abgeschnittenen Einkaufsparadiese in erster Linie verkörpert: der Mall-Cop. Er ist eine Schleusenfigur, die den geschlossenen Innenraum des sozialen Orts gegen die allzu devianten Verhaltensformen, die die Gesellschaft da draußen so ausbildet, abzuriegeln hat. Zugleich ist er natürlich kein richtiger Polizist, sondern nur Angestellter eines privaten Sicherheitsunternehmens mit Befugnissen, die aufs Pazifizieren und Rausschmeißen begrenzt sind. Als zusätzliche Demütigung bewegt er sich in lächerlichen Gefährten durch seine Welt.



Als extrem gutmütige Figur figurierte der Mall-Polizist bereits einmal in einer US-Komödie dieses Jahres, nämlich in dem ausgesprochen erfolgreichen Film "Paul Blart: Mall Cop". In "Shopping-Center King" hat nun einerseits das herauszupolizierende Böse von draußen gleich zu Beginn seinen Auftritt. Ein dicklicher Exhibitionist verschreckt auf dem Parkplatz mit aufgerissenem Mantel die Kunden und vor allem die Kundinnen. Der Parkplatz ist, nebenbei gesagt, ein hoch interessanter Ort in diesem Zusammenhang, als Zwischen- und Übergangsraum, als Schwelle, die es zu polizieren gilt, ohne dass jedoch die Kunden durch allzu massive Abriegelungsmaßnahmen verschreckt würden. Sehr schön war das schon im kürzlich besprochenen Supermarkt-Film "Topjob - Showdown im Supermarkt" zu beobachten, der den Parkplatz immer wieder zum Schauplatz macht. Wie eben, dies ist die allgemeinere Lektion, nirgends im amerikanischen Kommerzkino so genau die Räume der Gegenwartsgesellschaft beobachtet werden wie in den radikaleren ihrer Komödien.

Und "Shopping-Center King" ist die radikalste von allen. Weil sie nämlich dem Bösen - der Verkörperung sexueller Transgression - als Schutzmacht des Guten das noch Bösere entgegenstellt. Der vom aus Apatow-Filmen wie "Beim ersten Mal" bekannte Komödien-Star Seth Rogen nämlich spielt den Cop Ronnie Barnhardt als psychisch schwer gestörte Figur. Er ist ausdrücklich manisch-depressiv, schusswaffensüchtig, rassistisch, sexistisch und in jeder Hinsicht dringend der Erlösung bedürftig. Das tief Verstörende an Jody Hills Film: Er wird nicht erlöst. Er ist am Ende so unerträglich wie zu Beginn. Und, schlimmer noch: Es gibt keine positive Gegenfigur. Dazu nämlich taugt die vulgäre Verkäuferin Brandi (Anna Faris) so wenig wie Detective Harrison (Ray Liotta), der richtige Cop, der für Ronnie bald zum eigentlichen Feindbild wird.

Die naive Kaffeeverkäuferin Nell (Collette Wolf) ist schon deshalb hoch verdächtig, weil sie liebende Blick auf Ronnie wirft. Auch unterm Rest des ethnisch gemischten Personals ist beim besten Willen kein Sympathieträger auszumachen. Der radikale Verzicht auf Identifikationsfiguren macht "Shopping-Center King" zu einem faszinierend verstörenden Film. Es kommt dazu, dass die Position des Films selbst nicht zu bestimmen ist. Weder neigt er zu Empathie für das Ekelpaket in seinem Zentrum noch denunziert er seinen Protagonisten. Er wahrt eine Form von Halbdistanz, die einen als Betrachter immerzu selbst nötigt, die eigene Haltung zum Geschehen zu überprüfen.

Auf manches - wie etwa eine Quasi-Vergewaltigung, die mit gutem Grund die berüchtigtste aller Szenen des Films ist - kann man nur mit Abscheu und Ekel reagieren. Anderes bricht auf so mutige Weise mit allen Erwartungen und Konventionen, dass man Jody Hill, der explizit Scorseses "Taxi Driver" als Vorbild nennt, den Respekt kaum verweigern kann. Das gilt etwa für den Höhepunkt des Films ganz am Ende, wenn Ronnie dem in seiner ganzen nackten Pracht von vorne gezeigten Exhibitionisten durch die Mall hinterherrennt. Kurz gesagt: Dieser einzigartige Film schockt, beutelt, verstört und ist immer wieder unfassbar. Nur komisch ist diese Komödie genau deshalb eigentlich nicht.

State of Play - Stand der Dinge. USA 2009 - Originaltitel: State of Play - Regie: Kevin Macdonald - Darsteller: Russell Crowe, Ben Affleck, Rachel McAdams, Robin Wright Penn, Helen Mirren, Jason Bateman


Shopping-Center King - Hier gilt mein Gesetz. USA 2009 - Originaltitel: Observe and Report - Regie: Jody Hill - Darsteller: Seth Rogen, Anna Faris, Michael Pena, Ray Liotta, Celia Weston, Collette Wolfe, Dan Bakkedahl, Jesse Plemons, John Yuan, Matthew Yuan