Im Kino

Monster mit Zopf

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
15.07.2009. Mit einem großartigen Täuschungsmanöver beginnt Marco Bechis' Film "BirdWatchers", der den Konflikt zwischen Indigenen und Grundbesitzern in Brasilien inszeniert. Ein Hardboiled-Thriller der überraschend handfesten Art, mit einem hervorragenden Mickey Rourke noch dazu, ist John Maddens "Killshot".

Marco Bechis' Film "BirdWatchers" beginnt wie ein Hollywood-Epos. Die Kamera nähert sich im Flug von oben: Man sieht Regenwald, einen trägen breiten Fluss. Darauf ein Boot, darin eine Gruppe von Weißen, die man, wäre der Film, was er hier scheint, für die Protagonisten der folgenden Geschichte halten könnte. Man kann an den Film "Deliverance" denken, der von einer Gruppe weißer Männer erzählt, die eine Bootsfahrt als Abenteuerurlaub planen und bald unter Beschuss von Eingeborenen geraten. Und tatsächlich: Man sieht - subjektiv aufgenommen, aus der Perspektive der Weißen - Eingeborene am Waldrand. Sie stehen da, blicken feindlich, dann - allerdings erst als das Boot außer Reichweite scheint - zücken sie Pfeil und Bogen und feuern die Pfeile in Richtung des Bootes. Sie landen im Wasser.

Dieser Auftakt ist ein Täuschungsmanöver. Getäuscht werden die Weißen im Boot, getäuscht wird auch der Zuschauer. Letzterer wird allerdings sogleich eingeweiht in die wahren Verhältnisse. Die Szene war, sehen wir, Inszenierung. Die Indios waren gedungen, sie haben die bedrohlichen Eingeborenen nur gespielt. Jetzt wischen sie sich die rote Schminke aus dem Gesicht und werden zurückgefahren in ihr Reservat. Die weißen Menschen auf dem Boot, Touristen, nichts weiter, sehen wir nicht wieder. Was folgt, ist eine andere Geschichte, mit anderen Protagonisten. Es ist keine Abenteuer-Geschichte, sondern eine Darstellung bitterer Realitäten. Die Gewalt, die sich entladen wird, ist nicht einem Genre gedankt, sondern der systematischen Ausgrenzung der Indio-Population, also historisch gewachsenen, politisch gewollten Eigentumsstrukturen.

"BirdWatchers" zeigt eine kleine versprengte Indigenen-Gruppe von Guarani im brasilianischen Mato Grosso do Sul, die aus Not das dürre Gebiet verlassen, das ihnen das weiße Establishment zugewiesen hat. Zwei Mitglieder der Gruppe, deren innerer Zusammenhalt sich im Fortgang als brüchig erweist, haben sich an verbliebenen Bäumen aufgehängt. Daraufhin brennen die anderen ihre Hütten nieder, sie folgen dem Anführer Nadio, sie errichten auf Land, das einmal Wald war und jetzt Feld ist, ihre improvisierten Hütten aus dem Abfall einer reicheren Welt. Das Land, das sie so in Besitz nehmen, ist für die Begriffe des Rechts nicht ihr Land. Es liegt an der Grenze des Gebietes des weißen Großgrundbesitzers und Rinderzüchters Moreira, der diese Annäherung zurückzudrängen versucht.


Zunächst mit einer eher hilflosen Geste: Er stellt einen Wohnwagen auf das Feld und platziert darin eine Aufsichtsperson. Die hat eine Waffe bei sich, macht den Indios aber wenig Angst. Der Film zeigt zugleich die Gegenwelt: Das Anwesen des Grundbesitzers, mit Swimming Pool und Indio-Dienstmädchen. Die Kinder liegen am Pool und einmal, als sie hinausgehen zum Fluss, begegnen sie Osvaldo (Abrisio da Silva Pedro) aus der Indio-Gruppe, der gerade eine Ausbildung zum Schamanen durchläuft. Moreiras Tochter nähert sich Osvaldo mit Neugier und Motorrad, zwischen den beiden kommt es für den Moment zu einem - nicht nur platonischen - Interesse am andern, das zwischen den Erwachsenen unmöglich bleibt.

Regisseur Marco Bechis ist in Brasilien und Argentinien aufgewachsen, dann aus der argentininischen Militärdiktatur, die er bekämpfte, geflohen und lebt und arbeitet heute in Italien. "BirdWatchers" ist das Produkt einer gezielten Interaktion der Kulturen. Bechis hat sich von der wahren Geschichte des Ambrosio Vilhava, der nun den Anführer Nadio spielt, inspirieren lassen. Auch der verließ sein Reservat, richtete sich am Straßenrand ein. Monatelang hat der Regisseur mit den Indios zur Vorbereitung des Films geprobt. Was man sieht, ist das Ergebnis eines ausgedehnten Workshops, in dessen Rahmen die Indios sich selbst im Film darzustellen lernten, ohne jeweils individuell sich selbst zu spielen. Schauspieltrainer waren im Spiel, Bechis hat die Guarani in Hitchcock- und Sergio-Leone-Vorführungen mit dem Medium Film und seinen Effekten vertraut gemacht.

Der fertige Film strebt, anders als man in Kenntnis dieser Vorgeschichte denken könnte, allerdings eher nach Erfüllung der Erzählkino-Konvention. (Sogar der etwas exzentrische Versuch, die schamanische Anwesenheit von Geistern durch subjektive Kamerabewegungen und Sounduntermalung darzustellen, fügt sich noch darein.) So genau Bechis ist in der Schilderung der Guarani-Lebensumstände und so wenig er dabei zur Idealisierung neigt, so sehr verlässt er sich in den Grundzügen der erzählten Geschichte dann doch auf übliche Schematismen. Er überführt die Komplexität der Entstehung des Films gerade nicht in Experimentalarrangements, sondern zielt auf einen eher dokumentarischen Gestus, bei gleichzeitiger metaphorischer Lesbarkeit der Konstellation. Man kann ihn für diese Sorgfalt und Zurückhaltung bewundern, man kann aber auch feststellen, dass es - abgesehen vom brillanten Auftakt - inhaltlich wie ästhetisch an Überraschungsmomenten fehlt.

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Ein Mann wie ein Fels, zugleich ein Monster, ein Indianer namens "Black Bird" mit Zopf, ein Mann, der gerne schweigt und sich mit einem nervtötenden Schwätzer einlässt, ein Mann, der buchstäblich keine Gefangenen macht, ein Mann, den der kleine Bruder, den er aus Versehen erschoss, noch immer verfolgt, ein Mann, der in anderer Leute Auftrag sowie, um keine Spuren zu hinterlassen, skrupellos tötet, ein Mann, dessen Schönheit zu Brei geschlagen ist, ein Mann, der an Stelle eines Gesichts eine vernarbte Maske zu tragen scheint: Mickey Rourke in "Killshot".

Man muss etwas ausholen, weil "Killshot" ein Film mit einer langen Vorgeschichte ist. Zugrunde liegt ein Roman Elmore Leonards, eines Autors also, der mit Hollywood selten Glück hat. Schon 1995, rund um "Pulp Fiction", erwarben die Weinsteins für ihre damals noch mit Disney verbandelte Firma Miramax die Rechte an der Verfilmung. Es waren in den folgenden Jahren offenbar (mindestens) die Kombinationen Robert De Niro/Quentin Tarantino (Darsteller) und Tony Scott (Regie) sowie Viggo Mortensen/Justin Timberlake im Gespräch. Daraus wurde auf die eine oder andere Weise nichts.

Hollywood, Friedhof großer Pläne. Hollywood, Schauplatz untot herumwankender Geister. Aber auch: Hollywood, Ort, an dem Wiederauferstehungen möglich sind. Jetzt also: "Killshot" mit einem - vor "The Wrestler" - noch nicht ganz wiedergeborenen Mickey Rourke. Mit einem Auch-Schon-Nicht-Mehr-Newcomer namens Joseph Gordon-Levitt, mit Diane Lane und Thomas Jane, Stars also, die es auch nie so richtig in die erste Reihe geschafft haben. Und Regie: John Madden, der nach seinem Riesen-Oscar-Erfolg "Shakespeare in Love" von 1998 irgendwie aus der Spur geriet.

Hollywood, Ort, an dem auch eine Geschichte mit Happy End noch zum Desaster werden kann. Irgendwie ist dann nämlich wieder alles schief gelaufen mit "Killshot". Die Weinsteins nahmen die Rechte mit, als sie sich unfriedlich von Disney trennten. Sie stellten, vom Glück in den letzten Jahren verlassen, das Projekt doch auf die Beine. Testvorführungen verliefen katastrophal. Es war offenbar nicht gelungen, den superfinstren Heldenfiguren eine hinreichend sentimentale Ehe-Rettungs-Beziehungskiste überzeugend gegenüberzustellen. Es zeigte sich, dass die Test-Zuseher den zu allem Überfluss korrupten Cop, von Jimmy Knoxville gespielt, noch mehr als alles andere an dem Film hassten. Es wurde umfangreich nachgedreht, Regisseur Madden hatte nichts mehr zu sagen und Harvey "mit den Scherenhänden" Weinstein machte schnipp-schnapp: Jimmy Knoxville konnte "Killshot" im Grunde aus seiner Filmografie streichen. Ergebnis: Der Film kam in den USA nicht in die Kinos und endete als Direct-to-DVD-Katastrophe.

Immerhin in deutsche Kinos gelangt das Werk - vermutlich Mickey Rourkes wegen - nun doch. Und, Überraschung: "Killshot" ist ein sehenswerter Film, eine des Meisters Elmore Leonard beinahe würdige Adaption. Es ist der Weinsteinschen Schere, anders gesagt, nicht gelungen, der Geschichte das bis zur allernüchternsten Heiterkeit düstere Menschenbild Leonards auszutreiben. Vom Prolog an, der einen katastrophal ausgehenden Überfall mit Mickey-Rourke-Voiceover erzählt, werden dem Helden des Films, der ein gnadenloser Killer ist, immer wieder Rest-Sympathien zugeführt. Gegen sein Charisma kommt die fade sich windende Ehe-Geschichte einfach nicht an. Als Moment einer wirkungsvollen Spannungs-Dramaturgie funktioniert sie dagegen sehr wohl.

Heraus gekommen ist so ein Thriller, der aus Toronto und Umland mit viel Sinn für Tempo eine Mördergrube macht. Es bedarf keiner sonderlich raffinierten Plot-Konstruktionen dafür. Es konkurrieren ein Zeugenschutz- und ein Zeugen-Beseitigungsprogramm. Im merkwürdigen Killer-Buddy-Team schweigt einer, während der andere endlos spricht. Geschossen wird viel und keiner ist so professionell, wie er tut. Wie stets bei Elmore Leonard geht es um Figuren, deren Souveränität der oft genug selbstverschuldete Lauf der Dinge gründlich untergräbt. Schwarz ist der Humor des Films, schwarz ist die Seele seines Protagonisten. Die Monster-Figur, die Rourke spielt, ist und bleibt dem Betrachter unheimlich, weil ein klares Verhältnis zu ihr nicht herzustellen ist. Sie ist von faszinierenden wie lächerlichen Zügen nicht frei. Das ist immer wieder ziemlich Klasse - nur: Kasse zu machen ist mit einem so ambivalenten Helden offenbar nicht.

BirdWatchers - Das Land der roten Menschen. Italien / Brasilien 2009 - Originaltitel: Birdwatchers - La terra degli uomini rossi - Regie: Marco Bechis - Darsteller: Abrisio da Silva Pedro, Alicelia Batista Cabreira, Ademilson Concianza Verga, Ambrosio Vilhalva, Claudio Santamaria

Killshot. USA 2008 - Regie: John Madden - Darsteller: Mickey Rourke, Diane Lane, Thomas Jane, Joseph Gordon-Levitt, Hal Holbrook, Rosario Dawson, Aldred Wesley Montoya, Don McManus, Tom McCamus, Johnny Knoxville