Im Kino

Smartassifizierung

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
04.11.2009. Mit Ausrufezeichen und einem dicken Matt Damon, mit merkwürdigem Off-Kommentar und Easy-Listening-Jazz nähert sich Steven Soderbergh in seinem jüngsten Film einem "Informanten". Kult-Drehbuchautorin Diablo Cody (Juno") plus Sexsymbol Megan Fox: ergibt blutig pürierte Vampirmythologie in Karyn Kusamas "Jennifer's Body".
File under: Stars, angetan mit dezidiert uncooler Haar- und Bartpracht, unter der die eigentliche Starpersona umso strahlender und um die Fähigkeit zur Selbstironie bereichert hervorbrechen soll. So radikal wie Matt Damon in "Der Informant!" hat sich zuletzt nur Tom Cruise in "Tropic Thunder" ummodeln lassen. Damon gibt nicht den prollig-neureichen Filmproduzenten, sondern einen spießigen Naturwissenschaftler mit Oberlippenbart, Toupet und ein paar Pfunden zuviel. Und wo Cruise sich mit seiner "Get Back"-Interpretation dann doch weiter aus dem Fenster lehnte, als man das hätte erwarten können, bleibt Damon immer auf der sicheren Seite, auf der des Method Actings nämlich, diesseits einer potentiell riskanten Arbeit am eigenen Star-Image. Gut für Damon: Die Oscar-Nominierung dürfte ihm nicht zu nehmen sein. Schlecht für den Film: Der ist letzten Endes doch nur Starkino der opportunistischeren Sorte.

Damon also als Naturwissenschaftler. Genauer gesagt: als ein gelernter Naturwissenschaftler, der ins Big Business um- beziehungsweise eingestiegen ist. Der Film basiert auf einem realen Fall. Mark Whitacre war Anfang der neunziger Jahre Chef der BioProducts Division des Lebensmittelriesen Archer Daniels Midland und wurde in dieser Position in einen der größten Industrieskandale der jüngeren Vergangenheit verwickelt. Was für eine Rolle er in diesem Skandal genau gespielt hat, ist bis heute umstritten. Sicher ist nur, dass Whitacre ab 1992 als Informant mit dem FBI zusammenarbeitete und dabei half, ein breit angelegtes internationales Preiskartell aufzudecken, an dem seine eigene Firma maßgeblich beteiligt war. Schließlich kam er jedoch selbst vor Gericht und achteinhalb Jahre ins Gefängnis, wegen Steuerhinterziehung und Betrug. Nach seiner Entlassung 2006 landete er weich und ist heute CEO eines kalifornischen Biotechnologie-Unternehmens.

Steven Soderbergh verfilmt Whitacres Geschichte, als Grundlage dient ihm ein nicht unumstrittenes Buch des Journalisten Kurt Eichenwald. Die erste eigene Investition Soderberghs ist das Ausrufezeichen, das die Filmversion aus mir nicht wirklich einsichtigen Motiven hinter Eichenwalds sprödem Buchtitel platziert. Möglicherweise soll das Satzzeichen einfach nur ein Verhältnis zum Faktischen ausdrücken, das von vorn herein kein abbildendes ist. Mit einem Doku-Drama im Stil seiner "Che"-Filme kann man Soderberghs neuesten Streich, der in jeder Hinsicht Genrekino ist, in der Tat nicht verwechseln.

"Der Informant!" ist auf der erzählerischen Ebene zunächst Parodie auf die Industriespinonage-Thriller aus den Neunziger Jahren. Er wäre wohl auch gern eine Dekonstruktion dieser Filme: Michael Manns "Insider" oder Sidney Pollacks "Die Firma", letzterer wird als Referenz ausgestellt, wenn wiederum Tom Cruise als Mitch McDeere im Film sowohl als Fernsehbild im Bild, als auch auf der Tonspur im Voice-Over-Kommentar auftaucht. Noch mindestens ein weiterer Pollack-Film, "Die drei Tage des Condor" aus dem Jahr 1975, spukt in der Retro-Ästhetik von "The Informant!" herum.



Das außergewöhnlichste Element, in dem am ehesten ein politischer Gehalt zu suchen wäre, ist ein unkonventioneller Voice-Over-Kommentar. Vorgetragen mit der Stimme der Hauptfigur ist er nicht ohne weiteres nur dieser zuzuordnen. Dieser Voice-Over-Kommentar verhält sich etwas erratisch zu den Bildern, die man sieht. Er erzählt zum Beispiel über japanische Unterwäscheautomaten oder die Tarnmechanismen von Eisbären. Man könnte das für vage Assoziationen eines inneren Monologs halten, oder auch für das intersubjektive Rauschen im Unterbewussten des globalen Dorfs.

Allein: so what? Was bleibt, ist das Porträt eines Mannes, der im entscheidenden Moment entweder zu naiv war, oder too smart for his own good, vielleicht auch beides gleichzeitig. Großartige Erkenntnisse über die Natur des postnationalen Kapitalismus konnte ich in dieser Ambivalenz nicht ausmachen, eher beschreibt das "too smart for his own good" auch in diesem Fall wieder recht genau das Problem Soderberghs: Sein Kino ist immer wieder begeistert vom eigenen Konzept und setzt es so konsequent um, dass nichts mehr außerhalb dieses Konzepts vorkommen kann. Mehr als ein grafisch aufgemotztes Thesenpapier kommt dabei selten heraus.

Ich hätte damit im Falle dieses manchmal doch recht komischen Films kein allzu großes Problem gehabt, wenn da nicht die Filmmusik wäre: Soderbergh legt über Whitacres Leidensgeschichte Easy-Listening-Jazz der schlimmsten Sorte. Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, ist das ziemlich genau die Sorte Rummelplatzmusik, die George Clooneys - freilich jenseits des Soundtracks noch einmal um einiges schlimmere - Sportkomödie "Ein verlockendes Spiel" endgültig in den Abgrund gerissen hat. Musik, die einem Bud-Spencer-Film wesenhaft angemessen ist, verrät in jeder anderen filmischen Form einen grundlegenden Mangel an Empathie.

Lukas Foerster

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Im wohl spektakulärsten Moment von "Jennifer's Body" - abgesehen natürlich vom schmachtenden Kuss der Protagonistinnen - montiert Regisseurin Karyn Kusama zwei Sexszenen parallel. Die eine zeigt die gute und blonde Heldin des Films, Needy (sic!; Amanda Seyfried, mir bekannt aus der exzellenten TV-Serie "Veronica Mars"), beim zahm-freundlichen kondombewehrten Geschlechtsverkehr mit dem Boyfriend. Die andere aber, die in viel wüsteren Bildern vielfach dazwischenfährt, jagt die von Dämonen besessene Jennifer (Megan Fox), vormals Needys beste Freundin, mit entblößten Brüsten und Reißzähnen auf einen jungen Mann, der erst nicht weiß, wie ihm geschieht und hinterher erst recht nicht, weil da ist er in Stücke gerissen und tot.



Die Parallelmontage suggeriert in der Grammatik filmischer Mittel Gleichzeitigkeit. Sie drängt darüber freilich fast immer hinaus. Der Mensch als Bedeutung suchender will, was so nebeneinander steht, auch inhaltlich gerne vergleichen. Er sucht einen Kontrast oder eine Identität oder in der Parallele die Differenz oder in der Differenz eine Gleichheit. Hier, im Doppelsex von "Jennifer's Body", läuft man damit, wie eigentlich mit jedem Versuch, der Angelegenheit Sinn abzugewinnen, ins Leere. Oder, schlimmer noch, ins Banale. Aus der Montage folgt nämlich so recht nichts oder höchstens das unspezifische eine: Auf Unschuld und mormonische Vorstellungen von Enthaltsamkeit wollen die Damen Kusama und Cody, anders als das "Twilight"-Vampir-Franchise, nicht hinaus. Sex ist nicht böse per se. Er kann nur, wenn eine von Dämonen besessen ist und ekelhaft Blut - oder schwarze Ersatzflüssigkeit - spuckt, wie soll man sagen, entarten.

Das mit den Dämonen geht so. In einer Kneipe in der Kleinstadt, in der Jennifer und Needy leben, spielt eine Band. Deren Mitglieder sind alle Jungs, die von Jennifer etwas wollen und, eher durch Needys Schuld, nicht bekommen und darauf setzen sie mit den Kräften des Bösen die Kneipe in Brand. Jennifer wird im Inferno und Tohuwabohu ins Auto gepackt und verschleppt. Und zwar an den zuvor als Mysterium etablierten, übrigens real existierenden Ort, der dem Städtchen namens Devil's Kettle den Namen gibt: einen Wasserfall, der kreiselnd in einem Loch in der Erde verschwindet und nirgendwo je wieder auftaucht. (Ich rücke die Rückblende, die später im Film kommt, hiermit chronologisch zurecht.)



Von allen guten Geistern verlassen, an die bösen aber umso irrsinniger glaubend, werfen die Jungs von der Band die schöne Jennifer in den gurgelnden Schlund. Weil nämlich das Opfern einer Jungfrau finsteren Segen für die Opfernden bringt. Sagt irgendein Hexeneinmaleins, weiß der Teufel. Nur war leider Jennifer keineswegs eine Jungfrau, was zu ihrer Wiederkehr führt, einem ersten grausigen Blutspuckanfall, einer grundsätzlich sehr ans Vampirische gemahnenden Besessenheit (terminus technicus: "dämonische Transferenz") und eben reißwütigem Blutrausch-Sex mit Jungs, die hinterher immer aussehen, als hätten sie?s mit einem Fleischwolf getrieben. Lerne, vielleicht: Je schöner die Frau, desto wilder das in ihr rasende Tier. Und lerne auch: Jungs, die einen ins Schleimige gehenden Indierock spielen, sind abgrundtief böse und werfen Jungfrauen, die keine sind, ins rauschende Loch. (Na, da hat der Film doch recht. In den blutigeren Szenen kommt es übrigens zu krachigem Einsatz von Metal-Musik. Ob die noch böser ist?)

Man wird jetzt fragen: Meinen Cody/Kusama das alles ernst? Natürlich nicht wirklich. Eher wollen sie etwas wie eine leicht feministisch gewendete Smartassifizierung von Vampirmythologie. Mit dazwischengestreuten Ironie- und Hipness-Signalen, die aber auch nicht verbergen, mit welcher Unbeholfenheit das Drehbuch und auch die Regisseurin hier durch ein Genre rumpeln, für dessen vertrackte Symbolwerte sie sich im Prinzip herzlich wenig interessieren. Die Ex-Stripperin mit Media-Studies-Abschluss Diablo Cody war zuvor mit dem arg überschätzten und noch ärger konservativen Adoleszenz-Melancholicum "Juno" zum Star geworden. Megan Fox ist dank der Spielzeug-Verfilmungen um die "Transformers" das derzeit vielleicht heißeste Hollywood-Sexsymbol. Amanda Seyfried spielt sie in diesem Film allerdings an die Wand. Und heraus kommt trotzdem ein Murks. Auch an den Kassen ein ziemlicher Flop. Am Ende dieses recht intelligenzbefreiten Werkleins fliegt Needy mithilfe transzendentaler Meditation (oder so ähnlich) aus dem Gefängnis davon, steigt zu Lance Henriksen (ein Cameo-Auftritt, lese ich in der IMDB) ins Auto und dann ist der Film aus. Die hundert Minuten, die er mir gestohlen hat, seh ich nicht wieder.

Ekkehard Knörer

Der Informant! USA 2009 - Originaltitel: The Informant! - Regie: Steven Soderbergh - Drehbuch: Scott Z. Burns - Darsteller: Matt Damon, Scott Bakula, Joel McHale, Mike O'Malley, Andrew Daly, Melanie Lynskey, Frank Welker.

Jennifer's Body - Jungs nach ihrem Geschmack. USA 2009 - Originaltitel: Jennifer's Body - Regie: Karyn Kusama - Darsteller: Megan Fox, Amanda Seyfried, Johnny Simmons, Adam Brody, Kyle Gallner, Amy Sedaris, J.K. Simmons