Im Kino

Doppel- und Wiedergang

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
14.07.2010. Mitten hinein ins gegenwärtige Manila versetzt einen "Lola", Brillante Mendozas wunderbar konkretistischer Film über zwei Großmütter. Von Einsam- und Zweisam- und Dreisamkeit auf dem Mond erzählt dagegen das mit Science-Fiction-Geschichte getränkte Spielfilmdebüt "Moon" von David Bowies Sohn Duncan Jones.

Eine alte Frau läuft mit ihrem Enkel durch die Straßen Manilas. Ein Unwetter zieht auf. Der Enkel reicht ihr einen Regenschirm, doch die alte Frau hat Mühe, ihn im starken Wind zu öffnen. Die Kamera folgt den beiden geduldig bei ihren Versuchen, sich vor der Witterung zu schützen und auch bei dem Versuch, eine Kerze anzuzünden. Die Kerze ist gedacht für einen weiteren Enkel der Frau, der kurz davor auf offener Straße umgebracht worden war. Im weiteren Verlauf wird noch eine zweite Großmutter auftauchen ("Lola" ist in Tagalog die respektvolle Anredeform für "Großmutter", bezieht sich also auf beide Protagonistinnen gleichzeitig), die des Mörders, und es wird darum gehen, wie die beiden alten Frauen und ihre Familien mit dem tragischen Verbrechen umgehen. Doch das alles erfährt man erst später. Zuerst zeigt Brillante Mendozas "Lola" nur, minutenlang, den Kampf einer alten Frau mit Wind, Regenschirm und Kerze. Der Film bleibt meist auf Augenhöhe. Die Kamera verhält sich zu den Figuren tendenziell wie ein Mensch zu einem anderen.

Es sind Szenen wie diese, die das Kino Brillante Mendozas so interessant machen. Szenen, die sehr genau evozieren, was es bedeutet, sich in einer genau definierten Situation an einem genau definierten Ort zu befinden. Und auch: zu einer genau definierten Zeit: Viele Filme Mendozas spielen (und werden gedreht) während religiöser Feierlichkeiten, oder inmitten eines Wahlkampfs.

In vieler Hinsicht ist das Kino Mendozas eines der maximalen Konkretion. Ein Kino, dem Situationen und Orte grundsätzlich wichtiger sind als Geschichten, ein Kino, das Geschichten nur braucht, um Orte und Situationen dynamisierbar, erfahrbar, verfügbar zu machen. Ein Kino auch - und das unterschiedet es grundlegend von dem anderer philippinischer Regisseure wie Raya Martin, Lav Diaz oder Khavn, der unbedingten Gegenwart.

Freilich hat das alles nichts mit cinema verite zu tun. "Lola" ist, wie alle anderen Filme Mendozas, ein sorgfältig konstruierter Film, sowohl im Großen als auch im Kleinen. Die Orte - das Gefängnis, das Gerichtsgebäude und so weiter - sind zwar echt, das reale Manila ragt an allen Ecken und Enden als Überschuss ins Bild, aber keine Dialogzeile ist improvisiert, die beiden Großmütter werden von angesehenen Schauspielerinnen verkörpert (Anita Linda, eine der beiden, war einst einer der größten Filmstars der Philippinen) und auch die agile Kamera weiß stets, warum sie wann wohin blickt.


Nicht nur dieses Ineinandergreifen von dokumentarischen Momenten und handwerklicher Finesse erinnert an den größten aller philippinischen Regisseure, Lino Brocka und dessen sozialrealistische Parabeln ("Insiang", 1976, "Bona", 1980 usw). Allerdings ist Mendozas politisches Programm weit weniger ehrgeizig als das Brockas. Mendoza ist auch in politischer Hinsicht ein (liberaler) Konkretist, seine Filme möchten kein revolutionäres Subjekt formen, sondern bleiben stets strikt problemorientiert.

Nach seinem Durchbruch mit Werken wie dem hektisch-hyperventilierenden "Serbis" (Cannes 2008) und vor allem dem brutalen und äußerst finsteren "Kinatay" (Cannes 2009), der morgen ebenfalls in den deutschen Kinos anläuft, ist "Lola" ein bewusster Schritt in eine neue Richtung für Mendoza. Weg vom rauhen shock value der Vorgänger, hin zu einer ruhigeren, vielleicht auch humanistischeren Form. Eher erinnert dieser neue Film wieder an "Manolo" (2006) und "Foster Child" (2007), zwei kleine, genau beobachtete Filme über eine jugendliche Dorflehrerin respektive über postkoloniale Adoptionspraktiken auf den Philippinen.

Mendozas konkretistischer Konstruktionismus findet auch in "Lola" immer wieder außergewöhnliche, ergreifende Bilder. Zum Beispiel, wenn die Kamera neben Ruderbooten, die einen Sarg zum Friedhof transportieren, über einen Kanal gleitet. Oder noch später während eines Ausflugs zur Verwandtschaft auf dem Land. Die Enteneier, die man ihr dort aufdrängt, verkauft die Großmutter gleich wieder auf dem Bahnhof. Anders als in den beiden erwähnten, wahrscheinlich schönsten Filmen Mendozas steckt in "Lola" gelegentlich etwas zu viel Erzählung. Er lässt sich doch etwas weniger als einige seiner Vorgänger auf seine Räume und Figuren ein und strebt, gerade in der finalen Schließung nach einer klassischeren Form, die einem Realismuskonzept, das im Gegensatz zu dem Brockas kein Agitatorisches ist, nichts hinzufügen, aber einiges wegnehmen kann, weil sie den Bildern, die sie sich von der Welt macht, zwingend äußerlich bleibt.

Was nichts daran ändert: Wenn man wissen möchte, wie kluges, ehrliches Weltkino aussehen kann, kommt man an "Lola" - und auch an "Kinatay" - nicht vorbei.

Lukas Foerster

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Die Lösung für die Energieprobleme der Menschheit liegt auf dem Mond. Ein Werbeclip zu Beginn von Duncan Jones' Filmdebüt "Moon" führt das vor (Jones hat bislang sehr erfolgreich als Werbefilmer gearbeitet). Auf der dunklen Seite des Mondes schaufeln unbemannte Riesenmaschinen Helium-3 in sich rein und versorgen die Erde so mit siebzig Prozent der dort benötigten Energie. "Lunar Energies" heißt die Firma, die ihr Wirken in diesem Clip anpreist. Nur am Anfang, im Werbefilm, und am Ende sieht man Bilder der Erde. Dazwischen befinden wir uns auf dem Mond.

Vorgestellt wird in einer Titelsequenz der einzige Mensch, der dort lebt und die automatisierten Maschinen beaufsichtigt. Sein Name ist, kurz und fast nicht individualisierend, Sam Bell, ein Mann, dem die Stunde schlägt. Es spielt ihn Sam Rockwell, ein virtuoser Darsteller, der es allerdings mit der Virtuosität manchmal - und später dann auch in diesem Film - so übertreibt, dass man mehr sein Können sieht als die Figur. Sehr hübsch gebastelt ist die Titelsequenz. Der Paratext schreibt sich hinein in den "Text", die Namenszüge scheinen geschrieben auf die Oberflächen des Erzählhandlungsraums. Man kann sich das ansehen auf der Website "The Art of the Title Sequence", die zu besuchen ohnehin lohnt.

Das Design der Mondstation ist abgeklärt nicht-futuristisch. Sie sieht aus, wie man sich als langjähriger Science-Fiction-Film-Zuschauer eine eher langweilige, in aller Sterilität etwas runtergerockte Mondstation vorstellt. Ein paar Bildschirme, ein paar Maschinen, ein Laufband fürs Training, Schleusen, Panels, nichts weiter Aufregendes. Nicht der mindeste Ehrgeiz, die Zukunft neu zu erfinden. Was einerseits sicher Absicht ist, "Moon" ist ein Film der Wieder- und Doppelgänger. Ein Wiedergänger ist etwa der Hilfsroboter Gerty, in dem jeder eine Variation auf HAL erkennt, die im Erlöschen so menschliche Maschine aus "2001". Gerty ist weniger streng und kommuniziert seine Stimmungen verlässlich per Smiley. In der Originalfassung spricht ihn Kevin Spacey mit sofort verdächtiger Freundlichkeit.


Interessant ist "Moon", solange sich nichts weiter Aufregendes zuträgt. Leider legt der zunächst so verdächtig freundlich dahingleitende Film sich eine Geschichte zu und ein Drama und ein philosophisches Problem. Alles daran ist Wieder- und Doppelgang, Second-Hand-Variation vertrauter Motive. Man denkt aber nicht, dass Duncan Jones - der Sohn, nicht dass es etwas zur Sache tut, David Bowies - es auf einen tief unoriginellen Film und die Reflexion der Ermüdungserscheinungen eines Genres angelegt hätte. Er lässt stattdessen Sam Rockwell seine Virtuosität doppelt- und dreifach ausspielen und nimmt sein auf nicht sonderlich interessante Weise behandeltes Replikanten-Drama durchaus ernst. Ein wenig Spannung ergänzt die hoch solide entworfene Innenausstattung und das überzeugend dustere Monddesign. Man sieht "Moon" an, dass sein Macher was kann. Fraglos hat er sich damit für Budgets der ersten Hollywood-Liga qualifiziert. Der Nachfolger, wieder ein Science-Fiction-Film, Titel "Source Code", Hauptrolle Jake Gyllenhall, ist bereits in der Postproduktion.

Ekkehard Knörer

Lola. Frankreich / Philippinen 2009 - Regie: Brillante Mendoza - Darsteller: Anita Linda, Rustica Carpio, Tanya Gomez, Jhong Hilario, Ketchup Eusebio, Benjie Filomeno

Moon. Großbritannien 2009 - Regie: Duncan Jones - Darsteller: Sam Rockwell, Dominique McElligott, Kaya Scodelario, Benedict Wong, Matt Berry, Malcolm Stewart, Adrienne Shaw, Rosie Shaw, Matt Berry, Robin Chalk
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