Im Kino

Ein Furz, ein Schiss, ein Kinderspiel

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
04.08.2010. In Dennis Dugans Komödie "Kindsköpfe" lümmeln die Protagonisten vor der Kamera rum und lassen den Plot einen guten Mann sein. Total sinnbefreit, aber auch irgendwie amüsant. In "Mother" des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho ordnet die Mutter eines Mordverdächtigen die Welt.


In ihrer letzten Zusammenarbeit haben Regisseur Dennis Dugan und der Star und Drehbuchkoautor Adam Sandler sich an hoch ambitionierten Low-Brow-Wahnwitz gewagt. Als Möchtegern-Friseur und israelischer Geheimagent namens Zohan löste Sandler, den Fisch zwischen den Arschbacken, in "Leg dich nicht mit Zohan an" eigenhändig stellvertretend die Probleme des Nahen Ostens. Nichts war da heilig, Zohan hatte Sex mit älteren Frauen und Spaß mit Hummuskanonen oder einer im Hackensack-Training durchs Wohnzimmer gekickten Katze. Dass das aktuelle Hollywood-Komik-Genie Judd Apatow dem Tiefflieger-Humor Adam Sandlers jede Menge durch die Mangel gedrehte Weltpolitik injizierte, machte "Leg dich nicht mit Zohan an" zur Tour de Force, in der einem Steindummes und Brillantes und vor allem die ununterscheidbare Mischung aus beidem so hochfrequent um die Ohren flog, dass man die Waffen des zergliedernden Verstands liebend gern streckte.

Der Nachfolger - wenn man, in Abwesenheit Judd Apatows, denn so will - heißt nun "Grown Ups". Zu deutsch "Kindsköpfe", womit die mehr als offensichtliche Ironie des Originaltitels schon mal getilgt, der Nagel allerdings umso mehr auf den Kopf getroffen wird. Die Besetzungsliste liest sich wie das "Who is Who" einer bestimmten Sorte US-Komödien-Humors: neben Sandler noch Kevin James (rasend erfolgreich als "Kaufhaus-Cop"), Chris Rock und Rob Schneider. Von Salma Hayek und Maria Bello als weiblichen Stars mal auch nicht zu schweigen. Das Verblüffende ist nun allerdings, dass dieses Riesenaufgebot der ersten Hollywood-Liga sich an einer Art Nullpunkt des Geschichtenerzählens vor die von Dugan wie stets bar jeder Eleganz eingesetzte Kamera lümmelt, um dort den Plot einen guten Mann sein zu lassen.



Ein Vorwand zur Versammlung dieser Darsteller findet sich schnell. Der alte Basketball-Coach namens Buzzer ist gestorben, man trifft sich zur Beerdigung, man sitzt in einem Landhaus am See, man hat seine Frauen dabei, erinnert sich, macht Faxen, quatscht blöd rum, geht ins Freibad und hat seinen Spaß. Im Grunde aber passiert: nichts. Passend dazu ist Adam Sandler runtergetunet auf jene komplett ausdruckslose infantile Nöligkeit, die er wirklich grandios beherrscht. Fast versteht man ihn nicht, fast bewegt er sich nicht, fast merkt man nicht, dass er scherzt. Das ist keineswegs subtil oder fein oder anspielungsreich, eher eine nicht unsympathische Verdichtung von Nichtenergie mitten im Raum.

Von diesem Ausgangs-Null-Niveau aus bedarf es komischer Fallhöhen nicht. Die Figuren sind ausnahmslos Typen: der weitgehend humor- und ironiebefreite, aber letztlich natürlich auch okaye und vor allem mit sexy Töchtern grotesk gesegnte Peinsack mit dem Elvis-Tollen-Toupet; die andern Männer als Spielarten von Jungs, die auf die simpelsten Schlüsselreize beim andren Geschlecht reagieren und mit der Tatsache, dass sie so simpel gestrickt sind, wirklich überhaupt kein Problem haben. Sandler spielt dabei einen Mann, der im Berufsleben großen Erfolg - nämlich in Hollywood - und im Privatleben die Modedesignerin Salma Hayek (die im Film natürlich irgendwie anders heißt) zur Gefährtin hat. Das darf man durchaus, wie soll man sagen, allegorisch verstehen. Sandler, der im Grunde eher so etwas wie ein jüdischer Ostküstenintellektueller ist, begibt sich nicht zum ersten Mal unter die einfachen, aber grundkorrekten Gemüter des Mittleren Westens und erweist sich als ihresgleichen. (Das wäre dann die eigentliche, von Anbiederung sicher nicht freie Geschichte von "Grown Ups".)



Wie nahe die hier vorgeführten Klischees solcher Typen an der Realität der großstadtfernen amerikanischen Unter- und Mittelschicht liegen, kann ich nicht wirklich beurteilen. Die imdb-Kommentare ("OMG! smoking hot") deuten darauf hin, dass da zusammenkommt, was zusammengehört und der Humor, den die Jungs und die Mädels da zelebrieren, trifft offenkundig ins Schwarze. "Grown Ups" ist einer von Sandlers an den Kassen erfolgreichsten Filmen und komplett unverständlich ist das eigentlich nicht. Denn tatsächlich verströmt er ein relaxtes Klassentreffen-Home-Movie-Feeling und ist auf seine extrem unanspruchsvolle Art immer wieder sogar so etwas Ähnliches wie lustig. Jedenfalls dann, wenn man sich über für derlei Quatsch eigentlich zu alte Männer amüsieren kann, die Pfeile in den Himmel schießen, die sich darauf in Füße bohren, über Männer, die an Lianen gegen Bäume knallen, über Frauen, die ihrem vierjährigen Sohn die Brust geben - mit so ziemlich allen erdenklichen an diese Grundmotiv angeschlossenen Scherzvariationen und -einszueinswiederholungen (vgl. für letzteres Gastauftritt Steve Buscemi).

Aber selbst wenn sich die eigene Amüsiertheit in Grenzen hält - staunen dürfen wird man. Über einen Film, der eigentlich nichts ausstellt als ein weitgehend handlungsbefreites Einverstandensein mit der eigenen, von jedem tieferen Anspruch befreiten Haltung zur Welt; einen Film, der aussieht, als wäre er mal eben an einem Wochenende produziert und als hätte niemand einen Pfifferling ins Drehbuch investiert, weil Rumsitzen, Quatschmachen, das Reißen moderat sexistischer Witzchen, ein bisschen Sentimentalität hier, ein bisschen Geschmacklosigkeit da, ein Furz, ein Schiss, ein Kinderspiel, reichen, um einem Hollywoodstudio von heute die Kassen zu füllen. Und Tatsache: das reicht. Und Tatsache auch: lustiger als manches, das sonst so als Komödie daherkommt, ist es noch dazu. Kurzum: Man wird auch nach "Grown Ups" nicht umhin können, Adam Sandler als eines der erstaunlicheren Phänomene der Hollywood-Gegenwart zu begreifen.

Ekkehard Knörer


***



In der ersten Einstellung steht die Mutter im Weizenfeld. Die Kamera nähert sich ihr schleichend, wie sie sich auch später in diesem Film oft schleichend durch die Welt bewegt. Manchmal macht sie sich dabei mit dem Blick einer Figur gemein, manchmal nicht und manchmal weiß man es nicht so genau. In der ersten Einstellung allerdings gibt es nur die Kamera und die Frau. Umso größer ist die Irritation, wenn letztere plötzlich zu tanzen beginnt. Sie tanzt eine ganze Weile, ihr Tanz ist zurückgenommen und etwas ungelenk, keine vitalistische Bewegungsexplosion, sondern ein vorsichtiges, unsicheres Loslassen.

Verkörpert wird die Mutter von der inzwischen fast siebzigjährigen Kim Hye-ja, die mit dieser Rolle in Bong Joon-hos Film "Mother" zu spätem Kinoruhm gelangt ist - vorher arbeitete sie fast ausschließlich fürs koreanische Fernsehen. Nach dem Tanz im Reisfeld sieht man sie als nächstes bei der Arbeit, in ihrer kleinen Akupunkturpraxis. Während sie einen Patienten mit Nadeln traktiert, beobachtet sie aus den Augenwinkeln, wie ihr geistig zurückgebliebener Sohn Do-joon von einem Auto angefahren wird. Anschließend lässt sich Do-joon von seinem Kumpel Jin-tae zu einer Racheaktion gegen den Verkehrsrowdy überreden. Die Mutter verliert ihren Sohn zum ersten, aber nicht zum letzten Mal in diesem Film aus den Augen. Sie rennt auf die Straße, die Kamera, vorher vom Blick stillgestellt, verfolgt die alte Frau hektisch.

Schon in diesem Moment kann man erkennen, dass "Mother" einer dieser seltenen Filme ist, auf die man, wenn man das Kinoprogramm Woche für Woche verfolgt, kaum noch zu hoffen wagt, weil man viel zu oft enttäuscht wird: "Mother" ist ein Film, der weiß, was er tut, der weiß, warum er die Kamera in einer Einstellung feststellt und in der nächsten befreit. Dem es wichtig ist, welche Figur was sieht und was daraus folgt. Ein Film schließlich, der auch genau weiß, was er mit seinem eigenen, zwangsläufigen Überschuss an Wissen anfängt. Ein Film, dem man auf produktive Art und Weise gerade nicht vertrauen kann.



Der Ausflug mit Jin-tae führt auf einen Golfplatz. Während einer Schlägerei entwendet Do-joon eine Handvoll Golfbälle. Während die Schlägerei selbst verhältnismäßig glimpflich verläuft, werden die Golfbälle - und diese narrative Finte ist typisch für den Aufbau des gesamten Films - wenig später zum Problem. Denn einer davon, von Do-joon sorgfältig mit einem Filzschreiber markiert, wird neben der Leiche eines Mädchens gefunden. Plötzlich steht er unter Mordverdacht. Seine Mutter glaubt an Do-joons Unschuld und macht sich auf die Suche nach dem Täter.

Die Polizisten sind der Mutter keine große Hilfe. Sie haben mit den Ermittlungen schon abgeschlossen, bevor überhaupt eine ernsthafte Spurensuche stattgefunden hat, die alte Frau wird abgewimmelt wie eine lästige Fliege. In dem angesehenen Anwaltsbüro, das sie zunächst einschaltet, behandelt man sie auch nicht besser. Wie schon in den Vorgängern "Memories of Murder" und "The Host" sind Staatsmacht und andere Respektspersonen bestenfalls lächerlich, schlimmstenfalls böswillig. Das Kino Bong Joon-hos ist, das macht einen nicht geringen Teil seines Reizes aus, zutiefst antiautoritär.

Bong Joon-ho ist seit einigen Jahren so etwas wie der neue Star des südkoreanischen Kinos, ein Regisseur, dessen Filme bei Kritik und Publikum gleichermaßen erfolgreich sind. Dieser Erfolg verdankt sich nicht der visuellen Pyrotechnik eines Park Chan-wook, sondern der im besten Sinne klassischen Fähigkeit, erzählerische Komplexität mit einem ökonomischen und durchdachten Einsatz der filmischen Mittel zu verbinden. Bong dreht intelligente Filme über eine chaotische Welt. Nach dem kommerziellen Durchbruch mit dem klugen, ironischen Monsterfilm "The Host" erinnert sein viertes Werk wieder eher an das großartige Serienkillerdrama "Memories of Murder". Auch der neue Film ist das Protokoll eines Versuchs, die Welt sinnhaft zu ordnen. Und wie in "Memories of Murder" scheitert der Versuch auch in "Mother". Allerdings auf andere Art und Weise.

Jeder einzelne Schritt der Ermittlung der Mutter bleibt für sich selbst logisch nachvollziehbar und folgerichtig. Doch sie führen nicht zu den erwarteten Ergebnissen. Immer wieder wird die Ermittlung durch einzelne, zunächst scheinbar unwichtige Details dezentriert - und zwar so lange, bis die Ermittlung keine Ermittlung mehr ist. Und immer wieder geraten dem Erzählmotor des Films kleine Störelemente, wie der Golfball vom Filmanfang, ins Getriebe. Anders als in "Memories of Murder" führt die Investigation der Mutter am Ende allerdings nicht ins vermeintlich Leere, in die Kontingenz des Alltags. Die Mutter muss sich zum Schluss nicht mit der Unsicherheit des Nicht-Wissens arrangieren, sondern mit der problematischen Sicherheit des Zu-viel-Wissens. Und ganz am Ende, in der letzten Einstellung, fängt sie wieder an zu tanzen.

Lukas Foerster

Kindsköpfe - Originaltitel: Grown Ups - Regie: Dennis Dugan - Darsteller: Adam Sandler, Kevin James, Chris Rock, David Spade, Rob Schneider, Salma Hayek, Maria Bello, Maya Rudolph, Colin Quinn - USA 2010 - Länge: 102 Minuten

Mother - Originaltitel: Madeo - Regie: Bong Joon-ho - Darsteller: Kim Hye-ja, Won Bin, Jin Gu, Yoon Jae-Moon, Jun Mi-sun, Lee Young-Suck, Song Sae-Beauk, Na Mun-hee, Chun Woo-hee, Kim Byoung-Soon, Mun Hee-ra - Südkorea 2009 - Länge: 128 Minuten