Im Kino

Rennend auf riesigen Wellen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
15.09.2010. Land und Meer und Mensch und Tier setzt der große Anime-Meister Hayao Miyazaki in seinem jüngsten Film "Ponyo" in Bewegung und erzählt von einem Meermädchen, das sich in einen Landjungen verliebt. Eher unbewegt dagegen George Clooney, der als berufsmüder Killer in Anton Corbijns "The American" in einem Abruzzendorf zu Grönemeyer-Klaviermusik Waffen bastelt.

Die Wellen sind fischförmig und haben Augen. Rotes Haar hat der Vater von Ponyo und er beherrscht als Kleinformat-Neptun ein Zauberreich unter Wasser. Ponyo selbst ist ein weiblicher Goldfisch, der durch reinen Zufall in die Hände und in den grünen Spieleimer Sosukes gerät. Sosuke ist fünf und lebt mit seiner Mutter Lisa in einem Haus auf einem kleinen Berg. Sein Vater fährt zur See, die allerdings vor der Tür liegt, und manchmal sendet sich die entzweigerissene Kleinfamilie Botschaften von hier nach da im Lichtmorsealphabet.

Vom Land und vom Meer, von Sosuke, dem Menschen, und Ponyo, dem Fisch, erzählt Hayao Miyazakis jüngster Film "Ponyo". Nebenbei bemerkt: Jüngster Film, aber nicht unbedingt neu. 2008 schon entstanden, in Cannes im Wettbewerb gelaufen, dann aber von der Constantin gekauft und lustlos vor sich hergeschoben, jetzt von Universum nach weiteren Aufschüben klein und eher als DVD-Werbeeffekt denn als wirklicher Bundesstart in ein paar Kinos gebracht. Wäre das hierzulande nicht eher der übliche Umgang mit dem größten aller lebenden Animationsfilmer - man könnte sich glatt drüber aufregen.

Die Differenz von Land-Mensch und Meer-Tier umspielt dieser Film und löst sie aufs Schönste und Komplexeste in Anlehnung an diverse Undine-, Melusine- und Meerjungfraumärchen auf. Weil der Goldfisch sich nämlich in Sosuke verliebt und weil auch Sosuke nicht von Ponyo (es ist sein Name für sie, den sie annimmt) lassen will, muss der Fisch Mensch werden, sehr zum Ärger des eigenen Vaters. Kraft des eigenen Willens und kraft eigener Zauberkunst wachsen Ponyo Beine und Füße und Arme und Hände und so eilt sie Sosuke entgegen vom Wasser aufs Land.


So einfach geht das jedoch nicht. Das Wasser gerät in wildesten Aufruhr. Im Sturm türmen sich die Wellen zum Tsunami und brechen aufs Land. In halsbrecherischer Autofahrt rasen Lisa und Sosuke über die Straße am Ufer in Richtung Haus auf dem Hügel. In einer der vielen hinreißenden und überwältigenden Szenen des Films rast Ponyo, rennend auf riesigen Wellen, hinter dem flitzenden Auto her. Später wird Stille sein, vor der Pforte des Hauses ruht dann das weit emporgestiegene Meer. Das Land ist geflutet, die Mutter Lisa auf der Suche nach dem Vater davon. So sitzen Sosuke und Ponyo an der Schwelle von Wasser und Land und haben einander. Mit einem kerzenbetriebenen Spielzeugboot, das Ponyo groß und fahrtüchtig gezaubert hat, brechen sie auf zu einer Abenteuerreise durchs atemberaubend friedliche geflutete Land und sehen unter sich Urtiere gleiten auf Straßen und Wegen, die nun unter Wasser sind.

Wie das Meer das Land überschwemmt, gewaltig und schön, so lässt, in einer ausatmenden Gegenbewegung, Miyazaki seine kindlichen Helden hinübergleiten in ein Reich seelenruhig heraufbeschworener Wasserfantastik. Vieles darin und daran ist aus Miyazakis Klassikern wohl vertraut: eine Schwarmwesenwelt, in der sich, was fest und unbelebt scheint, jederzeit in Belebtes und Anthropomorphes verwandeln kann (nur heißt anthropomorph niemals nur niedlich; im Zwischenzustand zwischen menschlichen und unmenschlichen Formen bleibt stets die Ahnung eines unkontrollierbaren Eigenlebens des Anderen erhalten, also eine Ahnung des Drohlichen, das dem Lebenden, wo es frei ist, auch innewohnt); all die am Rand der Aufmerksamkeit vorüberziehenden Details, die zum Beispiel als einfach so im Hintergrund vorbeikrebsende Krabbe noch jedes der handgezeichneten 2-D-Bilder ohne Rücksicht auf Handlungsabsichten durchwandern und so beleben; dass alles grundiert von einer Sehnsucht nach Versöhnung und Verbindung und ein Wissen zugleich um die Schmerzen von Verlust und von Trennung.


Hayao Miyazaki erfindet sich nicht neu und hat das nicht nötig. Im Vergleich zu manch früherem Werk gibt es deutlich weniger Steampunk und sehr viel mehr Märchen. Nur was für Kinder, wie von manchem behauptet, ist "Ponyo" dennoch ganz sicher nicht. Die Themen sind groß wie stets, das Pathos wird von Humor umspült und umspielt, und die Geschichte ist auf eine Botschaft nicht zu verpflichten. Mit der Freiheit des Meisters setzt Miyazaki in seiner großen Verwandlung der Welt, in der sich Land und Meer am Ende durchdringen, das Realitätsprinzip außer Kraft. Es gibt aber, wie die Märchen wissen, kein dauerndes Glück dieser Erde geschenkt. Und also muss Ponyo das Element, dem sie entstammt, hinter sich lassen und wird zum zauberkraftlosen Menschenkind. Im Kreisblenden-Kuss, mit dem "Ponyo" endet, ist dieser Schmerz inmitten einer - Triumph der Fantasie - nicht restlos zurückverwandelten Welt dann aber doch aufs Schönste aufgehoben als Happy End.

Ekkehard Knörer

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Die Titelcredits liegen über George Clooneys Profilansicht während einer Autofahrt, über einer Einstellung, die an das letzte Bild aus Thomas Arslans Berliner Gangsterfilm "Im Schatten" erinnert: ein einsames, freigestelltes Gesicht, das von allen Seiten von Dunkel und Unschärfe umschlossen ist und sich kaum noch gegen das eigene Verschwinden wehren kann. Arslans Film hatte sich seine kraftvolle letzte Einstellung hart erarbeitet. Anton Corbijns Thriller dagegen schmeißt dasselbe Bild dem Zuschauer gleich zu Beginn entgegen, wie einen Becher kinopoetischen Instant-Kaffee. Und eigentlich weiß man schon in diesem Moment, dass da nicht mehr viel nachkommen kann.

Was nachkommt, ist vor allem: mehr Clooney. Clooney, der mit alten Männern telefoniert. Clooney, der mit jungen Frauen im Cafe sitzt. Clooney, der Gewehre zusammenbaut. Clooney, der Auto fährt. Und dann geht wieder alles von vorne los: mit dem Clooney, der mit alten Männern telefoniert. Dazwischen gibt es auch immer wieder den Clooney, der einfach nur enigmatisch ins Leere starrt..

Clooney ist ein Auftragskiller und der Amerikaner des Titels. Aber auch, wenn ihm einer von vielen Klischee-Italienern, die Corbijn auffährt, am Anfang gleich mehrmals "l'americano! l'americano!" hinterherschreit, weiss man nicht so recht, was die Nationalität dieses stets perfekt frisierten Actionhelden für die Toscana-Fraktion hier zur Sache tut. Das Italien, durch das er sich in flüssigen Schnitten bewegt, ist stets schon Postkarte, bevor der Tourist Clooney auftaucht, eine Fremderfahrung ist da nicht drin, für keine der beiden Seiten (man denke, einen Moment, an Ingrid Bergman in "Stromboli", oder auch an Cliff Robertson in Brian De Palmas "Obsession", aber nach dem einen Moment kann man es auch schon wieder gut sein lassen).


Das angestrengt unangestrengte Schauspiel Clooneys fügt sich perfekt ein in die Welt von "The American". Diese Welt ist eine des unerträglichen guten Geschmacks. Eine, in der Frauen grundsätzlich mindestens 20 Jahre jünger sind als Männer, in der Sexszenen in warmes, rötliches Licht getaucht sind und Autofahrten von atmosphärischer Klaviermusik (von Herbert Grönemeyer) unterlegt werden. So sieht die Welt im Kino leider des Öfteren aus, in schlechten Festivalfilmen genauso wie am indiefizierten Rand Hollywoods, wo Focus Features, die im Konglomerat NBC Universal für oscarschwangeres Kunstgewerbe zuständige Produktionsfirma des Films, beheimatet ist. "The American" sieht ein wenig aus, wie eine mainstreamigere Version des ebenfalls von Focus produzierten Jim-Jarmusch-Films "The Limits of Control", einer zwar unerträglich prätenziösen und letzten Endes reichlich hohlen, aber doch immerhin eigensinnigen Angelegenheit.

Corbijn, einem Fotografen und Musikvideoregisseur, der vor zwei Jahren mit seinem Debütfilm "Control", einem fiktionalisierten Porträt des Joy Division-Sängers Ian Curtis, noch nahe an seiner Kernkompetenz geblieben war, ist jeglicher Eigensinn fremd. Seine Ambitionen beschränken sich darauf, Clooneys Hammerschläge beim Pistolenbau mit dem Läuten des Kirchturms zu synchronisieren. Wie überhaupt alles in diesem Film miteinander und letzten Endes zu Tode synchronisiert ist.

Lukas Foerster

Ponyo - Das große Abenteuer am Meer. Japan 2008 - Originaltitel: Gake no ue no Ponyo - Regie und Buch: Hayao Miyazaki - Darsteller: (Stimmen) Alina Freund, Nick Romeo Reimann, Anja Kling, Christian Tramitz

The American. USA 2010 - Regie: Anton Corbijn - Buch: Rowan Joffe - Darsteller: George Clooney, Violante Placido, Thekla Reuten, Paolo Bonacelli, Irina Björklund, Bruce Altman, Samuli Vauramo, Filippo Timi, Björn Granath, Jeffrey Feingold