Im Kino

Verknappung des Sichtbaren

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
13.10.2010. Zweimal Israel: Samuel Maoz zeigt in seinem Venedig-Gewinnerfilm "Lebanon" Bilder aus dem Libanonkrieg des Jahrs 1982 (fast) ausnahmslos durchs Zielfernrohr eines israelischen Panzers. Eyal Sivan versucht in seiner Dokumentation über die "Jaffa"-Orange, die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Palästinensern in einem gemeinsamen Staat historisch plausibel zu machen.


Der Film beginnt mit einem apokalytisch konnotierten Sonnenblumenfeld. Die Blüten der Pflanzen zeigen nicht gen Himmel, sondern gen Boden. Außer der Totalen des Sonnenblumenfelds - die ganz am Ende in verändertem Kontext noch einmal aufgegriffen wird - sind alle Szenen des Films im Inneren eines israelischen Panzers situiert.

Diese Selbstbeschränkung des Films ist sein Clou. Unmittelbar folgt aus ihr eine Abstrahierung von der konkreten historischen Situation. Der Film spielt während des Libanonkriegs 1982, in dem die israelische Armee gegen PLO-Milizen im Südlibanon kämpfte. Die Bilder, die "Lebanon" zeigt, würden allerdings, einige geografische Spezifika ausgenommen, zu fast jedem beliebigen Krieg, in dem Panzer zum Einsatz kommen, passen. Zur Vergangenheit (und Gegenwart) des Nahostkonflikts hat der erste Spielfilm des Regisseurs Samuel Maoz - das muss natürlich nicht unbedingt gegen ihn sprechen - wenig zu sagen. Und wenn er doch nicht vorbeikommt an der einen oder anderen konkreten Aussage, gibt er sich Mühe, sich in alle Richtungen abzusichern: Die israelischen Soldaten sind gute Jungs, die aber deswegen nicht unbedingt einen sauberen Krieg führen. Arabische Terroristen benutzen Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilder; der syrische Kämpfer, der in Gewahrsam genommen und im Panzer gefangen gehalten wird, ist aber trotzdem ebenfalls ein guter Junge. Wirklich schlecht weg kommen eigentlich nur zwei Falangisten - christliche Libanesen, die auf Seiten Israels kämpfen.

Zu dritt sitzen sie im Panzer und der Kameramann, dessen Anwesenheit man nie so ganz vergessen kann, mit ihnen: Hertzel lädt die Munition nach, steht unten in der Hierarchie, lässt sich aber nie den Mund verbieten. Assi ist der Kommandant, allerdings alles andere als eine natürliche Autoritätsfigur. Neu in den Panzer steigt am Anfang Shmulik, der Fahrer und Schütze. Der wird meist schräg von hinten gefilmt, im Halbprofil, schon die Perspektive verweist auf seine Instabilität. Um Shmuliks Zurichtung vom empfindsamen Zivilisten zur Kriegsmaschine scheint es am Anfang, bevor es sich der Film anders und doch zumindest ein wenig besser überlegt, zu gehen. Bei der ersten Konfrontation zögert er und feuert nicht auf das näherkommende Auto. Wegen dieses Moments der Unsicherheit stirbt ein israelischer Soldat. Als er in der nächsten Situation den Abzug betätigt, trifft die Kugel den mit Hühnern beladenen Lastwagen eines alten Bauern. Im Krieg gibt es keine Unschuld, egal was man macht oder nicht macht; das ist sicherlich keine ganz falsche Aussage. Aber besonders originell formuliert ist sie nicht in "Lebanon".



Abwechselnd Aufnahmen aus dem Panzerinneren und Blicke nach draußen, durch das Zielfernrohr. Erstere sind oft sehr eindringlich, auch, weil alle drei Hauptdarsteller an gängigen Kriegsfilmklischees vorbei großartig besetzt sind. Letztere werden immer wieder zum Problem. Shmuliks Zielfernrohr schneidet die Bilder des Krieges wie ein manipulativer Hollywoodfilm: Hühner irren zwischen den Trümmern umher - Großaufnahme des blutend am Boden liegenden Arabers, dem die Explosion Arme und Beine abgerissen haben - Schwenk auf einen israelischen Soldaten, der seine Waffe auf den Mann richtet - ein Schuss, der Araber bleibt im Off - ein kurzer Blick in Richtung Kamera (ist gleich Panzer) - Schnitt, nächste Szene. Solche Montagen entschärfen nicht nur ganz unmittelbar, auf der Ebene der Bilder, die Radikalität des ästhetischen Konzepts, das ja gerade auf einer Verknappung des Sichtbaren beruht. Vor allem beharrt der Film in diesen Inszenierungsmustern auf der Möglichkeit einer Narrativierung im Kleinen, während er gleichzeitig den Blick auf die große, nämlich die reale Geschichte verdeckt.

Besonders fragwürdig ist eine Szene, in der Shmulik aus dem Panzer heraus beobachtet, wie einer Frau, die gerade einer Geiselnahme entkommen ist, die brennenden Kleider vom Leib gerissen werden und wie die Frau anschließend fast ganz nackt zwischen den Soldaten herum irrt. Da ist es nicht mehr die Logik des ökonomischen Genrekinoerzählers, die das Zielfernrohr bedient, sondern die des voyeuristischen Elendsjournalisten.

Interessanter wird der Film, wenn sich der Panzer irgendwann im syrischen Niemandsland verirrt. Der Funkkontakt wird unregelmäßig, bricht irgendwann ganz ab. Die Falangisten kommen und haben nichts außer einer Landkarte, auf der sie kaum die eigene Position identifizieren können, und einen Mercedes dabei. Es gibt dann doch noch einige Momente, in denen der Film sein Potenzial - nicht als nationale Allegorie, sondern als affektives Genrekino - einlöst: Wenn Shmulik, Assi und Hertzel in stockdunklem Stahl durch verlassene Straßenfluchten in Richtung einer virtuellen Sicherheitszone donnern, macht sich der Film eins mit der existentiellen Unsicherheit im Inneren des Panzers, eine Unsicherheit, die gar nicht anders kann, denn sich als mörderische Aggression nach außen zu kehren.

Lukas Foerster

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Die Jaffa-Orange ist eine besondere Frucht. Sie schmeckt gut, ist süß und fast kernlos, aber das ist an ihr der mit Abstand uninteressanteste Punkt. Viel spannender: Ihre Geschichte, die Geschichte ihres Anbaus in Palästina, ihres Exports in die ganze Welt lässt sich als Geschichte des jüdisch-arabischen Konflikts in Palästina erzählen. Genau das unternimmt in seinem jüngsten Film "Jaffa - An Orange's Clockwork" Eyal Sivan, der hoch umstrittene israelische Dokumentarfilmregisseur.

Hoch umstritten ist er wegen seiner israelkritischen Äußerungen, aber auch wegen seiner Filme, darunter der Eichmann-Prozess-Essay "Der Spezialist" und "Route 181", ein dokumenatarisches Roadmovie (mit Michael Khleifi gedreht). Er folgt darin der in der UNO-Resolution 181 im Jahr 1947 festgesetzten Grenze, die einen noch zu bildenden jüdischen von einem noch zu bildenden palästinensischen Staat trennen sollte. Die Kritik von der israelischen Politik freundlich gesinnten, im Kern prozionistischen Autoren wie Claude Lanzmann und Alain Finkielkraut war überaus heftig. Allzu leichtfertig und provokationsfreudig, durfte man denken, spielte Sivan in dem Film nämlich mit suggestiven Analogien der israelischen Palästinenser- zur nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Lagerpolitik.

Sivan zieht sich diese Kritik gerne zu, vielleicht sogar lustvoll. Mit seiner massiven Verurteilung der israelischen Politik, seiner dezidiert postzionistischen Position vertritt er eine Haltung radikaler Selbstkritik der israelischen Gesellschaft. Er sieht das zionistische Erbe und damit Israel als durch die Schoah mit besonderer Legitimation versehenen "jüdischen Staat" immer auch in der Tradition westlicher Kolonialisierung des Orients. Was er sich als Zukunftsmodell vorstellt, wird in "Jaffa", blickt man genauer hin, in der historischen Rekonstruktion deutlich. Der Orangenanbau in Palästina reicht zurück vor die starken Schübe der in der Regel zionistisch inspirierten Neubesiedlung der Region. So wurde etwa die heute weitgehend homogen jüdische Stadt Tel Aviv (bzw. mit vollem Namen Tel Aviv-Yafo) im Jahr 1909 als jüdische Erweiterung der damals wichtigen arabischen Hafenstadt Jaffa gegründet. In Jaffa lagen jahrzehntelang die größten Orangenhaine des Landes. "Jaffa" wurde zur Marke, zum Namen für Orangen aus Israel: Als Jaffa-Orangen wurden auch die Früchte aus anderen Regionen des Landes später in alle Welt versandt, als bedeutendster Exportartikel Israels.

An dieser Frucht, der Geschichte ihres Anbaus, ihrer Ernte und vor allem an der mit ihr betriebenen Symbolpolitik zeichnet Eyal Sivan das jüdisch-arabische Verhältnis in Palästina nach. Einerseits als Historiker erster Ordnung auf der Suche nach Fakten, Ereignissen und ihrer Wahrheit. Dazu befragt er Zeitzeugen, einen Araber etwa, der in der Orangenindustrie von Jaffa schon vor 1948 als Mechaniker tätig war. Vor allem aber begreift sich Sivan als Dokumentarfilm-Vertreter der Cultural Studies. Er sucht sich eine Reihe ausgewiesener Experten zusammen, Kennerinnen und Kenner der Materie, Historiker teils, aber auch eine Fotokuratorin darunter, ein Maler, Israelis und Palästinenser. Die Auswahl freilich ist einseitig, alle teilen sie mehr oder weniger die öffentlich bekannte Haltung des Filmemachers Sivan. (Oder falls sie es nicht tun sollten, interessiert Sivan, wie bei für die Jaffa-Werbung Zuständigen, in erster Linie ihr ideologiekritisch ausbeutbarer Blick.)

Cultural Studies heißt: Produkte der Information, der Propaganda, Werbepostkarten, Propagandafilme werden ideologiekritisch unter die Lupe genommen. Es geht um den Einsatz orientalistischer Versatzstücke, teils eindeutig im Vordergrund, teils hinter strahlendem westlichen Jungen als Kamele im Schattenriss. An einem Filmbeispiel, das die sozusagen natürliche Beziehung von Juden zum palästinensischen Land vorführen will, erkennt einer der palästinensischen Experten, dass die das Land bearbeitenden Araber unfreiwillig das bessere Bild der Schollenverbundenheit abgeben. Ideologiekritisch könnte man einwenden, dass die positive Konnotierung, die im Kommentar dieses Wissenschaftlers zur Schollenverbundenheit deutlich wird, selbst problematisch genug ist. Weil Sivan aber eine eindeutige Geschichte erzählen will, weil er das Cultural-Studies-Programm immer nur interessiert einsetzt, finden sich kritische Anmerkungen dieser Art in seinem sich neutral gebenden Film nicht.

Im einzelnen ist gegen das meiste, was die Talking-Heads-Kronzeugen sagen, nicht viel einzuwenden. Die zionistische Propaganda, die das in nicht zu vernachlässigenden Teilen von Arabern bewohnte und bearbeitete Land als wüst und leer vorführten, um den kolonialistischen Aspekt der zionistischen Besiedlungen unsichtbar zu machen, ist als solche offenkundig. Über Jahrzehnte, bis zur Staatsgründung im Jahr 1948, lief die Zusammenarbeit zwischen Arabern und Juden im Orangenanbau, das vor allem arbeitet Sivan mit den Zeitzeugenaussagen heraus, friedlich und teilweise jedenfalls durchaus gleichberechtigt.

Aufs ganze gesehen wirkt diese Geschichte des "Uhrwerks Orange" (die Anspielung auf den Kubrick-Film im Untertitel ist etwas bizarr) aber doch klar präpariert. Eyal Sivan plädiert für ein Ende des "jüdischen Staats" Israel, für die Wiedereinrichtung jenes von ihm nach Möglichkeit idealistisch gezeichneten Zustands vor 1948, in dem Araber und Palästinenser friedlich gemeinsam den Grund und Boden Palästinas bewohnten und bearbeiteten. Sivans Postzionismus ist ein säkularer Antinationalismus, also in der Theorie eine erfreuliche Sache. Nur konsequent ist es denn auch, dass er auf allen Podien gegen einen Sonderstatus Israels Stellung bezieht, dass er ein Ende des "Auschwitz-Kredits" (Sivan) mal einklagt bzw. für ohnehin bereits eingetreten hält.

Die guten Gründe, mit denen man das in der Praxis für eine lebensgefährliche Position halten kann - und zwar lebensgefährlich für die Existenz Israels und damit aber auch der Juden in Palästina -, sind bekannt. Mit voller Absicht stellt sich Sivan in seinen durch ideologiekritische Theorie gut abgesicherten Cultural-Studies-Lektüren doch geschichtsblind. Der Glaube daran, dass die in Jahrzehnten der Existenz Israels geschaffenen Fakten, und das heißt nicht zuletzt die völlig unmissverständliche Vernichtungswut auf arabischer Seite, sich in der Gründung eines gleichberechtigt israelisch-arabisch-(christlich)en Brüderstaats in Luft auflösen würden, scheint so naiv, dass man sie einem mit den Wassern der Ideologiekritik gewaschenen Mann wie Sivan kaum zutrauen mag.

Diese Naivität freilich bringt er in "Jaffa" in raffinierter Suggestion, und das heißt: zuletzt doch hoch ideologisch, zur Geltung. Es sind dann die freundlichen alten arabischen Herren nicht einfach mehr Zeitzeugen für die Erinnerung an bessere Zeiten. Sivan macht sie zu Bürgen für eine mögliche Zukunft. Im Gesamtbild, das dieser scheinbar neutrale Film entwirft, tragen sie implizit die Behauptung auf ihren Schultern, dass sich die Araber insgesamt nach nichts anderem sehnen als der Rückkehr zur friedlichen Kooperation in den Orangenhainen einer geteilten Heimat mit Namen Palästina. "Jaffa" ist ein Film, der die Verkitschung der mit viel Gewalt verbundenen Staatsgründung Israels überzeugend kritisch vorführt. Selbst aber ist er da, wo er selbst ideologisch wird, gegen im Kern ebenso verkitschte Suggestionen ganz und gar nicht gefeit.

Ekkehard Knörer

Lebanon. Israel / Libanon / Frankreich 2009 - Originaltitel: Levanon - Regie: Samuel Maoz - Darsteller: Yoav Donat, Itay Tiran, Oshri Cohen, Michael Moshonov, Zohar Strauss, Dudu Tasa, Ashraf Barhom, Reymonde Amsellem

Jaffa - The Orange's Clockwork. Israel / Deutschland / Frankreich / Belgien 2009 - Regie: Eyal Sivan - Darsteller: (Mitwirkende) Haim Gouri, Elias Sanbar