Im Kino

Machete Don't Text

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
03.11.2010. Dem PoMo-Splatteranten Robert Rodriguez ist mit "Machete" eine linksliberale Einwanderungsallegorie und sein bisher bester Film gelungen. Im Islamismus-Actioner "5 Minarette in New York" von Mahsun Kirmizigül bewegt sich das türkische Mainstream-Kino von Istanbul bis in den amerikanischen und türkischen Osten.

Der Prolog lässt Schlimmes ahnen: Machete (Danny Trejo, ein Drittel Muskeln, ein Drittel Narben, ein Drittel Falten) im Auto, gitarrenlastiger Lärm auf der Tonspur, harhar, jetzt geht es los. Hinter dem Autofenster sieht Mexiko so aus, wie Mexiko oft aussieht im amerikanischen Kino: hinter jedem Kaktus ein Sombrero, oder zumindest: wenn ein Kaktus in Sicht wäre, würde hinter ihm sicherlich ein Sombrero hervorlugen. Mit dem Auto durch die Front des Gangsterverschlags, Machete hackt Bösewicht die Hand ab, Machete hackt drei Bösewichten die Köpfe ab, wenn die nackte Frau auftaucht, wechselt die Musik zu übelstem Pornofunk. Nachdem sich die Frau als hinterlistige Schlange entpuppt und Machete niedergeschlagen hat, greift sie zu ihrem Mobiltelefon, das sie - sie hat ja keine Kleider an - in ihrer...

Wenn man sich an Robert-Rodriguez-Filme wie "Planet Terror" oder "Sin City" erinnert, muss man befürchten, dass das bis zum Abspann so weiter geht: Viel Comicblut, ein wenig Comicsex, jede Menge unstrukturiert postmodernes Grabräubern in diversen Untiefen der Popkultur, kein Bild, das mehr sein will als Anlass für den nächsten Schenkelklopfer. Aber "Machete" wird dann doch noch ein wenig interessanter.

Zunächst wechselt der Film auf die andere Seite der Grenze. Machete, eigentlich ein mexikanischer Polizist, musste nach den oben umrissenen Ereignissen in die USA, genauer nach Texas, flüchten. Dort gerät er in Windeseile zwischen die Fronten einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen einem mexikanischen Migrantennetzwerk (angeführt, wie kaum anders zu erwarten, von Michelle Rodriguez) und tumben Nationalisten, die sich die "Wetbacks" am liebsten mit elektrisch aufgeladenen Zäunen vom Leib halten würden. Erstaunlich viel Mühe geben sich Rodriguez und Co-Regisseur Ethan Maniquis bei ihrem Versuch, den amerikanischen Migrationsdiskurs aus eindeutig linksliberaler Perspektive zu pulpifizieren.

In der Handlung, die eher langsam in Gang kommt, tummeln sich zwar eindeutig zu viele Bösewichte, aber es wird immerhin ein breites Panorama aufgespannt. Steven Seagal, der zuletzt im direct-to-video-Sumpf verschollene Actionstar der Neunziger Jahre, gibt einen mexikanischen Drogenboss. Vielleicht auch, um seine gewaltige Körpermasse nicht zu deutlich ins Bild zu rücken, hat der seine meisten Auftritte auf einem Laptop-Bildschirm, flankiert von zwei Bikinimädchen. Auch "Miami Vice"-Veteran Don Johnson ist mit von der Partie, als Cowboy-Imitat und Handlanger eines rechtsgestrickten Senators. Den wiederum spielt ein ziemlich übel grimassierender Robert de Niro (erstaunlich, wer alles den Telefonhörer abnimmt, wenn Robert Rodriguez anruft). Lindsay Lohan ist auch mit dabei. Nicht nur bei ihr ragt die Starpersona aufdringlich in die Figur hinein.

"Machete" ist ein Spin-off der Rodriguez-Tarantino-Kollaboration "Grindhouse". Die verband ihre beiden spielfilmlangen Episoden - Tarantinos großartigen "Death Proof" und Rodriguez? banalen "Planet Terror" - mit einigen Trailern für fiktive weitere Filme. Aus einem davon ist jetzt "Machete" entstanden. Auch mit diesem nachgelieferten Migrations-Exploiter erschließen sich Sinn und Zweck der nicht umsonst an den Kinokassen gefloppten Grindhouse-Unternehmung nicht wirklich: Während Tarantino mit "Death Proof" ein modernistisches Erzählexperiment ablieferte, das sich vom echten Grindhouse-Kino nur das Dekor lieh, versuchte und versucht sich Rodriguez weiterhin an der einfachen Verdopplung einer Form, die ihren historischen Ort unwiederbringlich verloren hat. Die hohen Budgets desavouieren die arte-povera-Ästhetik der Bahnhofskinos von Anfang an, da nützen auch noch so viele digital eingefügte Verschleißspuren nichts.



Wenn "Machete" trotzdem Rodriguez' bester Film geworden ist, dann eher, weil man ihn auch als Antwort auf Tarantinos "Inglourious Basterds" begreifen kann: Jetzt hat auch Robert Rodriguez einen politischen Exploitationfilm gedreht - oder zumindest etwas ähnliches. Zwar beweist Tarantino in einzelnen Einstellungen mehr inszenatorisches Feingefühl als Rodriguez in seinem ganzen Film - wenn nicht in seiner gesamten Filmografie; zwar muss man jede Menge plumpen Blödsinn aushalten, aufgemotzte Sportwagen zum Beispiel, deren Federungen Bösewichter erschlagen. Aber es gibt inmitten des Chaos auch einige Momente von genuiner Welthaltigkeit, die in Tarantinos hermetischem Fetisch-Universum keinen Platz haben.

Da ist zum Beispiel die naive, aber nicht uninteressante Auseinandersetzung mit neuen Medien. "Machete don't text" erklärt Trejo zwar erst, als er aufgefordert wird, eine SMS zu verschicken, aber durchhalten kann er dieses Credo nicht. Denn die Handlung wird immer wieder vorangetrieben von Überwachungskameras, Videokonferenzen und Mobiltelefone. Auch eine Videospielkonsole nach Art des Nintendo Wii hat einen Auftritt. Die von Jessica Alba verkörperte amerikanische Polizistin Sartana Rivera hält sich zu Hause mit einem absurden, fiktionalen Videospiel - eine Mischung aus Boxsimulation und Fitnesstraining - in Form. Eine karrieregeile Streberin, die in ihrer Freizeit nichts besseres zu tun hat, als vor dem Fernseher zu zappeln; ein schönes Bild für die interessanteste Figur des Films: Rivera ist eine Aufsteigerin mit mexikanischen Wurzeln, die Jagd auf illegale Immigranten macht, bevor sie doch noch zur richtigen Seite bekehrt wird.

Lukas Foerster

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Die Kamera fährt in New York eine weiße Wand empor, auf ein Bild zu. Das Bild zeigt ein Dorf in monochromen Farben. Kurz verharrt die Kamera auf dem Bild (im Close-Up: die Wand ist jetzt weg), da färbt es sich realistisch bunt ein. Der Name des Dorfs, eigentlich eine kleine Stadt: Bitlis. Die vom Film als Dorf vorgestellte Stadt liegt in Ostanatolien, sich nähernd schon Iran und Irak, die meisten Bewohner sind Kurden. Dieser beinahe nahtlose Sprung von der amerikanischen Ostküste an die türkische Ostgrenze ist programmatisch. Von New York bis nach Bitlis spannt der türkische Actionfilm "Fünf Minarette in New York" seine Topografie des islamistischen Terrors: dazwischen liegt, als Schaltstelle fürs - und sei es weltweit - einheimische Publikum, Istanbul.

In Istanbul nämlich fliegt ganz zu Beginn ein Auto in die Luft, darin ein prominenter Schriftsteller und Journalist. Die Spur, die zu den Hintermännern dieser Tat führt, scheint der türkische Geheimdienst zu verfolgen, in Gestalt der zwei Protagonisten des Films, Acar und Firat (den spielt Regisseur und Drehbuchautor Mahsun Kirmizigül selbst). Die Hintergründe sind, zeigt sich später, komplizierter: Firat hat bei den Dingen, die er, durchaus brutal bei Gelegenheit, treibt, stets noch eine alte anatolische Familien-Vorgeschichte im Hinterkopf. Im Vordergrund des eigentlich kaum einmal auch nur halbwegs überzeugenden Plots wird ein Mann als Kopf des Islamismus gejagt, der auf den neutralen Betrachter von Anfang an den allerunschuldigsten Eindruck macht: Haci (wie in: Hadsch, Mekkapilger).

Dieser Haci lebt in New York, als ostentativ friedliebender frommer Muslim im Kreis seiner Lieben. Dazu gehört die demnächst amerikanisch zu verheiratende Tochter Jasmine ebenso wie die christlich-amerikanische Ehefrau Marie und der afroamerikanische beste Freund Marcus. Letztere werden, das ist eine viel publizierte Besetzungs-Pointe des Films, von Gina Gershon und Danny Glover gespielt, prominenten DarstellerInnen aus der vorderen zweiten Hollywood-Reihe, die zuletzt für den privatmelodramatischen Höhepunkt vom hubschrauberperspektivenreichen New York noch ins bodenständige Bitlis verfrachtet werden.

Es kommt noch Robert Patrick hinzu, der den intoleranten amerikanischen Vertreter von Recht, Gesetz und Islamfeindlichkeit geben darf. In einem der Dialoge, die immerzu alles Politische schön schlicht ausbuchstabieren, erklärt Acar, der Englisch spricht, dem Amerikaner, der im Irakkrieg ein paar kurdische Wörter gelernt hat, wie wenig gehörig es ist, alle Muslime über den Kamm des Radikalismus zu scheren. Amerikaskepsis ist überhaupt durchaus Geschäftsgrundlage dieses sich das quasimythische Bild-Potenzial von New York so freudig aneignenden Werks. (In einer Dialogzeile wird an anderer Stelle recht unmissverständlich für die EU-Mitgliedschaft der Türkei plädiert, die dem Fortschritt des Landes in Richtung praktizierter Rechtsstaatlichkeit nur dienlich sein könne.)



Mehr und mehr kristallisiert sich im zu Unrecht verdächtigten Haci (ziemlich großartig: Haluk Bilginer) die Menschenverständigungsbotschaft des Films. Bis in die Auslegung einzelner Koransuren hinein predigt der Mann Toleranz; fast sucht der Film selbst häufiger Kirchen auf als Moscheen; nicht zuletzt führt er letztere wiederholt als Brutstätten islamistischen Gedankenguts vor, kurioserweise auch mal von oben, als Ornament a la Busby Berkeley im Kreis tanzartig wogender indoktrinierter Zuhörermassen. Als ganz im Gegensatz sehr gradlinig-laizistische Massenzeremonie wird dagegen die Vereidigung türkischer Polizisten vor großen türkischen Flaggen in Szene gesetzt. In Korrespondenzen dieser Art vermutet man - angesichts der vielfach unbeholfenen Machart des Films - allerdings weniger eine Autorenintention als das Rumoren eines Unbewussten der Gruppenfiguration.

Das Unbeholfene spricht sich in den Dialogen am deutlichsten aus: aus Holz geschnitzt ausnahmslos; von einem halbwegs gelungenen Einfall zum nächsten flüchtet sich immerhin die Bildregie; kompetent die Hubschrauberanflüge auf die tägliche und nächtliche Skyline New Yorks sowie auch das eine und andere Actionmoment. In der Plausibilitätsabteilung bleibt vieles horrend, nicht zuletzt die allein dramaturgisch notwendige schäfische Sanftmut des Unschuldslamms Haci in Tateinheit mit der hochprofessionell-mörderischen Befreiungsaktion, die sein Freund Marcus auf die Straßen Manhattans legt, als hätte er das aus tausendundeinem Hollywoodfilm abgeschaut. "Fünf Minarette in New York" ist kein gelungenes Werk, aber ein interessantes Symptom: für die Westerweiterung des türkischen Kinoweltbilds und für einen Willen zur Annäherung ans Reich des nur in einigen seiner Vertreter durchaus Bösen. Dass man den Film, blickt man auf ihn mit kaltem atheistischen Herzen, nicht anders als verteufelt fromm finden kann, steht auf der anderen Seite desselben Blattes.

Ekkehard Knörer

Machete. USA 2010 - Regie: Ethan Maniquis, Robert Rodriguez - Darsteller: Danny Trejo, Jessica Alba, Robert De Niro, Michelle Rodriguez, Steven Seagal, Jeff Fahey, Cheech Marin, Lindsay Lohan, Don Johnson

Fünf Minarette in New York. Türkei 2010 - Originaltitel: New York'ta Bes Minare - Regie: Mahsun Kirmizigül - Darsteller: Haluk Bilginer, Mahsun Kirmizigül, Mustafa Sandal, Gina Gershon, Robert Patrick, Danny Glover, Justine Cotsonas