Im Kino

Doppelte Mopplung

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Nikolaus Perneczky
10.11.2010. Macht höllisch Tempo: "Unstoppable", Tony Scotts Film über einen führerlos Richtung flammendes Inferno rasenden Zug. Ironisches Mittdreißiger-Ding mit filmhistorisch klugen Bezügen: Will Glucks Highschool-Komödie "Einfach zu haben" mit der verdienten ersten Hauptrolle für Emma Stone.

"Coaster", das lernt man in Tony Scotts Eisenbahnfilm "Unstoppable", heißt im Bahnarbeiter-Jargon ein Zug, der, wo Gefälle ist, sich in Bewegung setzt und ungebremst führerlos, sehr langsam meist, durch die Gegend rollt. Das sollte nicht vorkommen, versetzt aber, wenn es vorkommt, die zuständigen Stellen auch nicht in Panik. Was gleichfalls nicht vorkommen sollte und wirklich nur durch eindrucksvolle Verkettung einer Reihe höchst unglücklicher Zufälle vorkommen kann: ein Zug, der führerlos ungebremst, aber mit durchgedrücktem Gashebel durch die Gegend rast. Ein solchermaßen aus der Kontrolle des Menschen losgerissener Zug mit gewaltiger Tonnage an teils hoch entzündbarer Fracht brettert nun aber durch Pennsylvania - unstoppable, unaufhaltsam - und sorgt bei der Bahnaufsicht genauso wie beim bösen börsennotierten Transportunternehmen für helles Entsetzen. (Sturzzug versetzt Aktie in Sturzflug.)

Wer nämlich immer noch denkt, soll er doch brettern, der Zug, Gleise gibt es genug, weiß nichts von der scharfen Kurve in der fiktiven Großstadt Stanton, aus der es die Bahn, gelangt sie erst einmal dahin, in ihrer rasenden Fahrt mit Sicherheit trägt, mitten hinein in vom Gott der Spannungsdramaturgie dorthin zu allem Überfluss noch platzierte Öltanks. Unweigerlich wäre Flammendes Inferno die Folge. Etwas klobig sind die Stellschrauben, mit denen das Drehbuch die Spannung nicht nur in diesem einen zentralen Punkt anzieht. Vorher schon lässt es die Kinderlein kommen, in einem Zug nämlich, der sich frontal dem roten rasenden Monster nähert. Hier und dann später auch da herrscht die knappe Not erhoffter Verfehlung. Rettung verspricht dagegen die bremsende Berührung des fliehenden Zuges von hinten: ein, wie man im Bahnarbeiter-Jargon eher nicht sagt, coitus interrumpens, da glühen die Gleise und fliegen die Funken.


Seltsam verfehlen hier einander allerdings ein Regisseur und sein Sujet. Auf den ersten Blick passt das doch: Tony Scott ist der Extrem- und Metakinetiker unter den Hollywood-Blockbuster-Meistern, einer, der kein Bild in Frieden stehen lassen kann, sondern alles am liebsten gleich aus tausend Richtungen zeigt, das Bild selbst mit Filtern traktiert, die Kamera, den Schnitt, Geschichte hoch und höher beschleunigt, ein Mann, der mit filmischen Mitteln auf die außerfilmische Wirklichkeit losgeht wie ein manischer Messerstecher auf seine Opfer. (Das klingt jetzt möglicherweise ein bisschen negativ: Oft macht es in Wahrheit riesigen Spaß, das anzusehen. Und wenn alles passt, setzt es auch mal - "Man on Fire", "Deja-Vu" - ein Meisterwerk.) Auf den zweiten Blick aber ist die filmische Hochbeschleunigung eines hochbeschleunigten Zugs eine doppelte Mopplung, die eher gegenteilige Effekte erzeugt. Von der graden Linie, die das Ausgangs-High-Concept doch vorgibt, weicht Scott mit seinen Versuchen, immer noch mehr Spannung und Tempo aus dem Zug rauszuholen, ablenkend ab und produziert durch Energieüberproduktion viel Reibungsverlust.

Sehr erschwerend kommt mancher Einfall des Drehbuchs hinzu. Leichen und Helden gilt es zu produzieren: Denzel Washington (Witwer, seines Alters wegen schon so gut wie zwangspensioniert) und Chris Pine (zwangsgetrennt von Frau und Kindern) kommen fürs letztere Register gerufen; dran glauben muss nur eine Nebenfigur. Die Privatdialoge als ständige Unterbrechungen der Spannungsfahrt könnten und sollten die beiden sich sparen, sie tun's aber nicht. Die billige Kapitalismuskritik führt nirgends hin als zum geistig sehr schlichten Klischee. Das Fernsehen liefert, realistisch genug, immerzu zusätzliche Bilder, was sich aber weder zu großen Einsichten ins Funktionieren des Mediums noch, ganz im Gegenteil, zu einem Beitrag zum Thrill rundet. Andererseits, muss man bei aller Krittelei zugeben, ist ein Konzept wie das dieses Films dann doch unkaputtbar. Der Action-Aficionado bekommt seinen Kick. Man fiebert summa summarum gut mit.

Ekkehard Knörer


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Olives (Emma Stone) schwuler Freund Brandon (Dan Byrd) hält dem sozialen Druck in der Highschool nicht länger stand. In seiner Verzweiflung bittet er sie, auf einer Party Sex mit ihm vorzutäuschen. Bald wird Olive von Scharen junger Männer belagert, deren Image sie auf dieselbe Weise aufpolieren soll. Bis ihr gar nicht frivoles Treiben selbst ernannte Sittenwächter auf den Plan ruft...

Die Attraktion von "Einfach zu haben" ist seine Hauptdarstellerin Emma Stone. Manchen ist Stone noch aus Greg Mottolas formidabler Nerd-Komödie "Superbad" (Drehbuch: Seth Rogen, Produzent: Judd Apatow) in guter Erinnerung, worin sie die eigentlich randständige Rolle des love interest mit der ihr eigenen Sprödigkeit interessanter gestaltete, als es den weiblichen Figuren dieses Subgenres üblicherweise zusteht. Zuletzt wurde sie, in der auch sonst einfallslosen Parodie "Zombieland" [kann man auch etwas anders sehen, der Säzzer], auf ihren Schmollmund reduziert, um nun - ich möchte sagen: endlich - einen ganzen Film mehr oder weniger im Alleingang stemmen zu dürfen. Nicht nur das Filmplakat, das Stone als alleinigen Kaufanreiz führt, auch der Film selbst ist sichtlich bestrebt, die junge Schauspielerin als Star zu installieren: Die Erzählung gehört ganz ihr, einmal weil das Drehbuch Olive/Stone zur auktorialen Erzählerin befördert, die das Geschehen laufend mitkommentiert und -ironisiert, vor allem aber weil sie in jeder Szene und darin zu jeder Zeit den Ton angibt.

Obwohl sich auch die übrige Besetzung nicht zu verstecken braucht: Thomas Haden Church, Lisa Kudrow, Patricia Clarkson und Stanley Tucci stellen einmal mehr unter Beweis, dass eine große Stärke des Genrekinos und insbesondere der amerikanischen Komödie in einer Figurenökonomie besteht, die bei aller Verknappung oder eigentlich gerade im Element dieser Knappheit ganze Welten zu evozieren vermag - ein gutes Dutzend Charaktere und eineinhalb Stunden Laufzeit als pars pro toto der sozialen Wirklichkeit. In "Einfach zu haben" gelingt dieser Kunstgriff allerdings nur gerade mal so und bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück, die man dem Genre nach Meisterwerken wie Apatows "Jungfrau (40), männlich, sucht" oder Adam McKays "Die Stiefbrüder" entgegenzubringen geneigt ist. Das liegt an der gelegentlich charmanten, oft aber aufdringlichen Smartness, die Olives Welt bis in die kleinsten Fasern durchdringt. Hinter den lakonischen Dialogen, hinter der kulturellen Gewandtheit und der altklugen Ironie dieser Highschoolkids lugen, kaum verhohlen, Habitus und Befindlichkeit eines hippen, wertliberalen Mittdreißigers - in etwa das Alter der Autoren Will Gluck (Regie) und Bert V. Royal (Drehbuch).


Nun gibt es gewiss zahllose Vertreter dieses Menschenschlags, die, wenn sie in die Verlegenheit geraten, sehr lustig sein können. Und auch die Idee einer hippen, wertliberalen Feelgoodkomödie muss man nicht von Vornherein abwegig finden. Szenen wie jene, in der Olives Vater (Stanley Tucci) das Schweigen am Esstisch unvermittelt durchbricht, um seinen achtjährigen schwarzen Adoptivsohn zu fragen: "Where are you from, originally?", haben der Welt, der sie entstammen, genauso viel zu sagen wie die ausgedehnten racial slurs zwischen Elektrofachmarktangestellten in "Jungfrau (40), männlich, sucht". Nur sagen sie es leiser und versöhnlicher, eben so, dass man sich am Ende noch gut fühlen kann dabei. So frank und frech "Einfach zu haben" gerne wäre, fehlt dem Film in letzter Instanz dann doch jene Spitze, die Apatow und die Seinen immer zugleich gegen das Zwerchfell und die herrschenden Zustände richten.

Vor diesem Hintergrund erhellt nicht nur Olives erzählerische Zentralität, sondern auch die Funktion ihres rahmenden voice-over: Sie ist eine Handpuppe, in der sich das Bescheidwissen ihrer Schöpfer nach Art eines Bauchrednertricks kundtut. Weil Stone dazu angehalten ist, ihr Spiel in jedem Augenblick an dieser Funktionalität auszurichten, bleibt ihre Olive seltsam hohl, eine generische Chiffre. Ich bin mir indes nicht sicher, ob man das den Machern zum Vorwurf machen sollte. Schließlich streuen sie selbst überall Hinweise, dass es sich bei "Einfach zu haben" um ein selbstbewußtes Genre-Pastiche nach dem Vorbild des großen Regisseurs/Produzenten John Hughes handelt. Abgesehen von der geteilten Liebe zum inszenatorischen Detail ist das Verhältnis, das Gluck und Royal zu diesem Vorbild pflegen, gar nicht leicht zu bestimmen. Zwar knüpfen sie an die Hughes? Filme nicht als generischen Weltentwurf an. Aber sie missbrauchen sie auch nicht als Selbstbedienungsladen der frei flottierenden Signifikanten. Wenn Judd Nelsons gereckte Faust aus "The Breakfast Club" am Ende von "Einfach zu haben" wiederkehrt, so ist diese Geste weder als Beschwörung eines Gemeinsamen aufzufassen, noch als reines, ungebundenes Zitat. Vielleicht so: Für einen unendlich kurzen Moment leuchtet das Pathos dieser Faust noch einmal auf, um dann für immer in die alles umgebende Ironie einzugehen. Darin gibt sich der Film als uneigentliche Teeniekomödie zu erkennen. Ihr eigentlicher Gegenstand? Die Unwiderbringlichkeit der Jugend, ihrer romantischen Stimmungen und Intensitäten.

Nikolaus Perneczky

Unstoppable - Außer Kontrolle. USA 2010 - Originaltitel: Unstoppable - Regie: Tony Scott - Darsteller: Denzel Washington, Chris Pine, Rosario Dawson, Jessy Schram, Kevin Dunn, Kevin Chapman, Victor Gojcaj, Jeff Wincott, Elizabeth Mathis

Easy A - Einfach zu haben. USA 2010 - Originaltitel: Easy A - Regie: Will Gluck - Darsteller: Emma Stone, Penn Badgley, Amanda Bynes, Thomas Haden Church, Patricia Clarkson, Stanley Tucci, Cam Gigandet, Malcolm McDowell, Lisa Kudrow, Aly Michalka

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