Im Kino

Spontaner Sex am Baggersee

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
12.01.2011. Ein vorpommersches Filmwunder, in dem aller guten Dinge am Schluss drei sind, ist Rudolf Thomes jüngstes Werk "Das rote Zimmer". M. Night Shyamalan ist bei "Devil" nur Story-Erfinder und Produzent, die Pranke des Löwen erkennt man doch: Hier steckt der Teufel leibhaftig im Aufzug.


Vor einem Jahr ließ Rudolf Thome im Kino (in "Pink") noch eine Frau unter drei Männern auswählen - am Ende stand das Glück in trauter Zweisamkeit. Ein Jahr später, in "Das rote Zimmer", trennt sich nun eine Frau von ihrem Mann, der sich wiederum in Folge für zwei Frauen entscheidet - auf der Suche nach dem Glück in trauter Dreisamkeit.

Der Mann, um den es geht, ist der Berliner Kussforscher (!) Fred (Peter Knaack), der zwar zu Prostituierten geht, aber eigentlich Romantiker ist: Mit seiner liebsten Prostituierten will er anfangs bei Kerzenlicht Geburtstag feiern, seiner Frau sagt er kurz vorm Scheidungstermin noch, dass er sie liebt. Zweifel an seiner Aufrichtigkeit kommen indes ebenso wenig auf wie Zweifel an einer Biene, die von einer Blüte zur nächsten fliegt. Im Grunde ist Fred kein böser Mensch, nur die üblichen "Formen der Liebe" (so der Titel eines Zyklus im Werk des Regisseurs sowie eines gerade erschienenen Buches über seine Filme) sind nicht die seinen.

Auf dem Land, etwas abgelegen in einem seltsam künstlich blau ins Feld getupften Häuschen, lebt die wenig beachtete Schriftstellerin Luzie (Katharina Lorenz) mit ihrer jüngeren Freundin Sibil (Seyneb Saleh). Um ihren ersten Bestseller zu landen, will Luzie die Seele der Männer erforschen. Der zufällig von Sibil in Berlin aufgegabelte Fred ist dafür gerade der rechte Kandidat. Für den von Scheidung und Jobkrise gebeutelten Fred tut sich in dem blauen Haus mit dem geheimnisvollen roten Zimmer, mit Luzie und Sibil die Möglichkeit einer Utopie auf.

Und wäre nicht Thome verantwortlich, man müsste Schlimmstes erwarten. Im "Roten Zimmer" tauchen auf: Drogen, lesbische Beziehungen, Polyamorie, Arbeits- und Lebenslaufverweigungerungen, Prostitution, ein gelegtes Buschfeuer, eine junge Kurdin, die nicht für eine Türkin gehalten werden will, Sex zwischen Menschen, die rund 20 Jahre auseinander liegen, eine Scheidung, spontaner Sex am Baggersee, Eifersüchteleien, ein mysteriöses Hinterzimmer, in dem wer weiß was geschieht (und es an dieser Stelle zu verraten, hieße einem wunderbaren Film Gewalt antun), alles also, was einem schlechte Roehler- und miese deutsche Problemfilme von der eigenen Relevanz unbedingt überzeugt um die Ohren hauen.



Vom Trara solchen Filmboulevards ist "Das rote Zimmer" allerdings so weit entfernt wie Godard zuletzt von seiner eigenen Oscarverleihung. Es zeichnet den Film gerade aus, dass er die in jeder Ecke lauernden, oben skizzierten Fallen mit souveräner Geste noch nicht einmal ignorieren muss. Vielmehr ist "Das rote Zimmer" ein sanftes, sommerlich entrücktes, von süßer Musik sacht aus dem Hintergrund umspieltes Kinowunder mit wunderbar lakonischem Witz, in dem sich nie erahnen lässt, was einen - buchstäblich - hinter der nächsten Tür erwartet, was in den nächsten zwei Minuten Spielzeit geschieht. Einmal etwa taucht eine Vorpommersche Aphrodite aus dem Baggersee auf, ganz einfach so, und verschwindet wieder. Thome erklärt das nicht - Traum? Günstige Gelegenheit an einem Sommerabend? Bedarf das wirklich der Erläuterung? Eben.

"Das rote Zimmer" ist ein Märchenfilm, wenn es denn zuletzt einen Märchenfilm gegeben hat, der sich mit Mut zur Verknappung auf das allerwesentlichste konzentriert. Rudolf Thome filmt hier im Alter von 71 Jahren mit der Frische eines jungen Filmemachers, der das Wunder, einen eigenen Film drehen zu dürfen, womöglich gar nicht fassen kann. Was er erzählt, ist keine Anweisung, wie das Leben glücken könnte, sondern die fragile Utopie, dass das glückende Leben wirklich gelingt - in einem Sommer, in einer Küche, in einer Hängematte und im roten Zimmer aus dem Titel.

Thomas Groh

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Der klassische Kriminalroman hat als absurde Essenz seiner selbst sehr früh - mit Poe nämlich - schon das Genre des "Verschlossenen Zimmers" hervorgebracht. Ein Mord geschieht in einem Raum, den nach menschlichem Ermessen kein Täter betreten haben kann. Aufgabe des Detektivs ist es, fürs scheinbar Unlösbare doch eine plausible Lösung zu finden und sei es, dass er ein paar grundlegende Vorannahmen aufgeben muss. Auf den ersten Blick sieht auch "Devil" nach einem "Verschlossenes Zimmer"-Rätsel aus. Fünf Menschen in einem Fahrstuhl, der steckenbleibt. Ab und zu geht das Licht aus und hinterher ist wieder einer tot. Am Ende wird klar, dass keiner der fünf im Licht der Vernunft betrachtet der Täter gewesen sein kann. Wer nun verzweifelt nach einer rationalen Lösung des Falls sucht, begeht freilich einen Denkfehler, der sich eigentlich erledigt, sobald man liest, wer sich diese Geschichte ausgedacht hat: M. Night "Sixth Sense" Shyamalan. (Er hat den Story-Credit, das Drehbuch und die Regie dann Kräften aus der zweiten Reihe überlassen, produzierte aber den Film.)

Der "Detection Club", dem in den zwanziger Jahren Autorinnen und Autoren wie Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, G.K. Chesterton und Anthony Berkeley angehörte, hatte einen Zehn-Punkte-Katalog zum Krimi-Fair-Play verfasst. Die zweite Regel ist ganz eindeutig: "Übernatürliche Kräfte oder Mächte sind selbstverständlich untersagt." Wer Shyamalan kennt, der weiß: Dagegen verstößt er mit Gusto. So fliegt erst ein Mann seltsam genug aus einem Wolkenkratzer auf ein Auto, das dann um die Ecke rollt. Da staunt der Detective. Darauf sammelt die Kamera von Altmeister Tak Fujimoto ("Badlands", "Schweigen der Lämmer", Shyamalans Filme) in einer sehr schönen Plansequenz in der Lobby des Hochhauses die zukünftigen Opfer für die Fahrstuhlfahrt ein. Vor den Bildschirmen der Überwachungskameras sitzen zwei Männer bereit, einer von ihnen namens Ramirez ist hispanischer Herkunft und darum (ja, gut, ein bisschen rassistisch ist das vielleicht schon) mit allen Wassern des Aberglaubens gewaschen.



Es beginnt, kaum hat man die drei Männer, zwei Frauen im Fahrstuhl kennengelernt, nach einem ersten Tatzenhieb über den Rücken der Frau bereits die Dezimation. Licht aus, Licht an, die Nervensäge vom Matratzenstudio ist hinüber. Ramirez erkennt auf dem Überwachungsbild eine Erscheinung und erklärt dem Detective, der immer noch staunt und fürs erste kein Wort davon glaubt, es handle sich ganz eindeutig um eine visuelle Signatur keines anderen als des Teufels. Der steckt hier nicht im Detail, sondern im Aufzug. Licht aus, Licht an, da baumelt die ältere Frau von der Decke. Der Detective ermittelt und findet über einen nach dem anderen Insassen der steckengebliebenen Zwangsgemeinschaft heraus: Er und sie haben Dreck am Stecken. Die Zeichen verdichten sich also: Die Dinge, mit denen es zu geht, sind alles andere als recht.

"Devil" ist, das versteht sich von selbst, einerseits Quatsch hoch drei und reiner Spökes. Andererseits gerade das richtige für ein B-Movie, bei dem Plausibilität gar nichts ist und die Lust an der abstrusen Idee und der auf Spannung und Grusel setzenden Ausführung alles. Und da kann man kaum meckern. Das Abstruse wird sehr schön ironiefrei vom Blatt gespielt (die Ironie gibt es dafür in einem Fake-Trailer, für den wiederum Shyamalan verantwortlich zeichnet) und die filmische Exekution durch den Regie-Nicht-Großmeister John Erick Dowdle, der zuletzt das US-Remake des spanischen Hits "Rec" drehte, ist nicht mehr und nicht weniger als recht kompetent. Von Schreckstoß zu Schreckstoß geht es voran, einzig die sehr konventionelle Schauermusik trägt etwas dick auf. Den Teufel hat der Film schon im Titel verraten, dennoch hält er den Betrachter von Anfang bis Ende, mal drinnen im Aufzug, mal draußen im Haus durchaus in Atem.

Ekkehard Knörer

Das rote Zimmer. Deutschland 2010 - Regie: Rudolf Thome - Darsteller: Peter Knaack, Katharina Lorenz, Seyneb Saleh, Max Wagner, Isabel Hindersin, Hanns Zischler, Arnd Klawitter, Karlheinz Oplustil

Devil. USA 2010 - Regie: John Erick Dowdle - Darsteller: Chris Messina, Logan Marshall-Green, Geoffrey Arend, Bojana Novakovic, Jenny O'Hara, Bokeem Woodbine, Jacob Vargas, Matt Craven, Josh Peace, Caroline Dhavernas