Im Kino

Platinblonder Kampfpanzer

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
05.01.2011. Die feministisch wie gentrifizierungskritisch informierte Abstiegsgeschichte einer Frau aus dem Gegenwartsberlin erzählt in ihrem Regiedebüt "Eine flexible Frau" Tatjana Turanskyj. Noch deprimierender ist allerdings die Erzählung vom Aufstieg Christina Aguileras zur "Burlesque"-Tänzerin in einer von Cher geleiteten Lokalität.


Ein Horrorfilm. Der Schauplatz: Berlin. Die Zeit: die Gegenwart. Der Horror: der private und berufliche bzw. Jobsucher-Alltag. Weniger als Individuum denn als Modell exemplarisch vor Augen gestellt wird: Greta (Mira Partecke). Von Beruf Architektin, jedoch arbeitslos und also auf der Suche nach einem Job, nach Möglichkeit nah an ihrer in der Ausbildung erworbenen Expertise. Geschieden. Mutter eines wirklich üblen "Arschlochkinds" (Christiane Rösinger). Als dessen Lehrerin die Dinge, man ist sich näher gekommen, beim Namen nennt, nimmt Greta dann allerdings doch lieber reißaus.

"Eine flexible Frau" beschreibt ein Milieu und er ist, weil seine Macher so offenkundig selbst Teil dieses Milieus sind, zugleich hellsichtig und blind. Es geht - und zwar sichtlich aus dessen Innerem heraus - gegen ein verlogenes neues Kreativbürgertum in seiner pseudoselbstkritischen Prenzlauerberghaftigkeit. Man hat einen Job, man kriegt Kinder, man sucht den Kompromiss nicht, akzeptiert ihn jedoch. Wenn es sein muss bzw., wenn man die Chance bekommt, baut man oder zieht man in eines der spießig-schicken neuen Townhäuser in Berlin-Mitte. Flexibel sind alle (weil es die Verhältnisse eben nicht sind) und Greta wäre es im Zweifel und mindestens aus Verzweiflung wohl auch, wie man schon an ihrer Bereitschaft erkennt, sich als Fertighausvertickerin im Call Center zu versuchen. Diese Szenen, in denen Laura Tonke als Charaktermaske einer selbst- und fremdoptimierungsfreudigen Chefin Sachen wie die vom Anruf als "rhetorisches Meisterwerk" faselt, sind nah an der Satire - und angesichts des offensichtlichen Demütigungspotenzials dieser elenden Branche verfehlt die Kritik, so wenig subtil sie auch ausfällt, das Ziel keineswegs.

Sichtlich will "Eine flexible Frau" aber mehr als Satire. Der Film will außerdem anderes als genau gearbeitete milieurealistische Erzählung von Individuen und ihren Schicksalen. Es geht programmatisch nicht um ein persönliches Drama, trotz aller Anspielungen auch nicht um die qualvoll gründliche Zerlegung einer weiblichen Psyche a la "Eine Frau unter Einfluss". Eher handelt es sich um so etwas wie die Verfilmung der im linken urbanen Milieu verbreiteten Anti-Gentrifizierungs- und Prekariats- und postfordismusanalytischen Gegenwartsdiagnoseliteratur, und zwar mit feministischem Akzent. Aus Gründen der Vollständigkeit darf nicht mal ein innerberlinisches chinesisches Sweatshop-Projekt dabei fehlen, für das Greta die Architekturrhetorikverschalung entwerfen soll.



Für all das suchte die Regisseurin und Autorin Tatjana Turanskyj offenkundig eine eigene Form. Etwas Geschlossenes und wirklich Durchdachtes kommt dabei allerdings nicht heraus. Aus dem Repertoire antirealistischer Mittel von Film und Videokunst und neuerem Performance-Theater bedient sich Turanskyj mit im Ganzen wie im Einzelfall kaum begründeter Willkür: So gibt es die starre Totale vor interessantem Architekturhintergrund mit schrägem Gesang neben dem glasflächenverstellten Close-Up von Gretas Gesicht; das intime Cafehausgespräch neben einer dreiköpfigen Quasi-Videoinstellation bei der Bewerbungstrainerin; wenig motivierte Tanzperformances neben ungelenker Theorieansageprosa. Viel Energie wird verschleudert beim großspurigen Versuch, konventionellere Formen zugunsten der Herstellung eigener Hipness zu vermeiden. Das Ergebnis hält mit den selbst gesetzten Ansprüchen selten mit. Schlimmer noch: Szenekompatibilität ist spürbar hohes Gebot. Anders gesagt ist der Film weniger Analyse oder Darstellung oder gar Heilung, eher unfreiwillig Symptom der Krankheit, die er beschreibt - und darin immerhin von einer Konsequenz, von der er selbst wenig ahnt.

Andererseits spricht eines trotz allem für ihn, und zwar ganz im Ernst: Er macht so richtig überzeugend und kompromisslos furchtbar schlechte Laune. Die Ausweglosigkeit der Abwärtsspirale, in die Greta gerät, ist mehr als plausibel. Kein Tor steht hier offen, keine Freundin, kein Freund kommt wirklich zuhilfe in der Not. Eine alte Frau, erfolgreiche Schauspielerin einst, rezitiert ganz gegen Ende großartig depressive Hölderlin-Verse, aber das ist mitnichten der An- oder Vorschein eines utopischen Ausgangs. Eine flexible Frau macht sich unmöglich. Schön trinken lassen sich die Verhältnisse, von denen Tatjana Turanskyjs Film so oder so zeugt, nicht. Mit ihrer Flucht in den Alkohol macht Greta als Vollstreckerin dessen, was sie kaputtmacht, nur sich selbst kaputt. "Eine flexible Frau" kündet von finsteren Zeiten.

Ekkehard Knörer

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Das Jahr ist jung und wird mit Sicherheit noch viele interessante Filme bereit halten. "Burlesque" gehört nicht dazu. Bringen wir die Sache also schnell hinter uns.

Der Plot: Die Geschichte des jungen, naiven Mädchens, das mit nichts außer ihren Kleidern am Leib und ein paar Dollars in der Tasche aus dem Provinznest flüchtet und ihr Glück in der glitzernden Großstadtwelt und ihrer sexualisierten Kulturindustrie sucht, hat das Kino schon einige Male erzählt. Die ultimative Version ist vielleicht Paul Verhoevens Verdinglichungsepos "Showgirls". Eine der ödesten kommt morgen in die deutschen Kinos. "Burlesque" nimmt die Aufsteigerfantasie auf uninteressante Art und Weise beim Wort und unterläuft selbst noch den sonst fast immer angelegten Gegensatz von Liebe und ökonomischem Erfolg. Auch der ist natürlich längst zum Klischee erstarrt, das Klischee enthält aber - soweit es die Unvereinbarkeit von intimen Beziehungen und abstrakten Tauschverhältnissen im entwickelten Kapitalismus offenlegt - immer noch mehr Wahrheit als die stets freundlich glitzernde Popkornwelt, die "Burlesque" entwirft.

Das Personal: "Burlesque" ist Christina Aguileras vanity project. Die Sängerin ist mächtig stolz auf ihre "schwarze" Stimme, ansonsten bringt sie ähnlich wenig Voraussetzungen für den Sprung nach Hollywood mit wie vor einem knappen Jahrzehnt ihre Kolleginnen Mariah Carey ("Glitter", 2001) und Britney Spears ("Crossroads", 2002, beides allerdings um einiges sympathischere Filme). Dass die Aguilera, im Film keine Figur mit auch nur dem Anschein von Tiefe, sondern ein platinblonder Kampfpanzer, nicht die beste Tänzerin ist, gibt sie beim ersten Vortanzen - der einzigen Szene, in der sie ein wenig verletzlich wirkt - selbst zu. Dass sie nicht die beste Schauspielerin ist, muss sie nicht zugeben, das sieht man in jeder einzelnen Szene. Cher, ihr Co-Star, gibt die Nachtclubchefin, bei der die Aguilera eine Anstellung findet. Cher kann auch nicht besonders gut tanzen oder schauspielen, in der einen Solonummer, die ihr überlassen wird, singt sie die Aguilera freilich mit links an die Wand.

In Nebenrollen muss man fähigere Schauspieler bedauern, die man - das ist schon lange keine Seltenheit mehr im Hollywoodkino - aus deutlich interessanteren Fernsehserien kennt: Kristen Bell (bekannt aus "Veronica Mars"), Chers Ex-Mann Peter Gallagher (bekannt aus "The O.C."). Regie führt Steven Antin, der ist laut Presseheft "Pussycat-Dolls-Mitbegründer". Über seine kinematografischen Ambitionen ist damit im Grunde alles gesagt. Wie die Neo-Girlie-Band aus der Retorte macht auch Antins Filmdebüt lediglich an der Oberfläche ein ganz klein wenig auf edgy, jede vermeintliche Provokation ist allerdings von Anfang an gezähmt zur Warenform.

Verrucht ist an "Burlesque", Titel und Plakataktion zum Trotz, gar nichts. Der Nachtclub ist eine heimelige Familienunternehmung, die am Ende mit einem Buchhaltertrick gegen einen Immobilienhai verteidigt werden muss. Ausgebeutet wird hier niemand, das Publikum bleibt während der Bühnenshow sowieso johlend im Off. Die Nummern - gleich die erste ist ein richtiggehend erbärmliches Marilyn-Monroe-Cover - haben Look und Niveau eines abgestandenen und noch dazu jugendfreien Herrenwitzes.

Vielleicht avanciert Burlesque trotz allem in einigen Jahren zu einem Trashklassiker vom Format eines "Showgirls", das kulturelle Gedächtnis sucht sich ja nicht selten die falschen Filme zur Konservierung aus. Aber zu sagen hat dieser Film, anders als Verhoevens Meisterwerk, nichts.

Lukas Foerster

Eine flexible Frau. Deutschland 2010 - Regie: Tatjana Turanskyj - Darsteller: Mira Partecke, Katharina Bellena, Laura Tonke, Sven Seeger, Torsten Haase, Fabio Pink, Michaela Benn, Andina Weiler, Bastian Trost

Burlesque. USA 2010 - Regie: Steve Antin - Darsteller: Christina Aguilera, Cher, Eric Dane, Cam Gigandet, Julianne Hough, Alan Cumming, Kristen Bell, Stanley Tucci, Peter Gallagher, Wendy Benson-Landes, Tanee McCall, David Walton


Und hier noch unser Berlinale-Kritiken zum morgen in Deutschland startenden Allen-Ginsberg-Film "Howl" und zu Asghar Farhadis Film "Elly".