Im Kino

Ich bin doch da, hier, jetzt

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
29.06.2011. Nanouk Leopolds "Brownian Movement" erzählt architektonisch die Geschichte einer Ehe und eines Betrugs. Michael Bay inszeniert in "Transformers 3" die Roboter um einiges phantasievoller als seine menschlichen Helden.


Ein Film über ein durchaus glückliches Paar. Sie leben, Ausländer beide, in Brüssel. Charlotte und Max (Sandra Hüller und Dragan Bakema). "Brownian Movement" ist ein Film in drei Teilen, die Teile sind klar voneinander geschieden. Ein Raumfilm, in dem der Mann Architekt ist und in dem Bauten von Le Corbusier mehr als nur den Hintergrund abgeben für das, was geschieht. Menschen zeigt der Film immer als Menschen im Raum. Nicht dass die Räume die Menschen erklären, nicht dass der Mensch im Raum je ganz zuhause wäre, dennoch: Erklärung ist eher in den Räumen zu suchen als in expliziter Figurenpsychologie. Nanouk Leopold zeigt, was Charlotte in und mit Räumen tut. Sie versetzt den Betrachter in die Beobachterposition. Blickt unverwandt, komponiert klare Bilder in klaren Rahmen. Suggeriert keine Nähe, bleibt nicht auf Distanz.

Teil eins. Was Charlotte tut, das Unbegreifliche, der Skandal, den der Film sowas von überhaupt nicht skandalisiert. (Was soll auch skandalös daran sein. Charlotte tut, was sie tut.) Sie mietet ein Apartment, nicht um darin zu leben. Schön ist es nicht. Sie richtet es ein, gänzlich neutral. Bett, Tisch, Flokati. Charlotte ist Medizinerin, tätig in Forschung und Lehre. Als einmal in der Vorlesung ein Handy das Geräusch einer singenden Säge als Klingelton macht, lacht sie (lacht Sandra Hüller, ohnehin toll, wie eigentlich immer) laut auf in einer Weise, die wie vieles andere deutlich sagt: Sie ist keine unglückliche Frau, sie fühlt sich keineswegs unwohl in ihrer Haut. Sie lacht, wenn ihr nach Lachen ist. Sie liebt ihren Mann, sie ist dem Sohn eine fürsorgende Mutter, sie will nicht den Ausbruch, sie sucht nicht die Flucht, sie wünscht sich kein ganz anderes Leben.

Da ist nur der andere Raum, das Apartment. In diesem Raum, in diesem Apartment, hat sie Sex mit wildfremden Männern. Diese Männer sind, anders als Max, mit den Augen des gesellschaftlichen Standardbegehrens betrachtet, fast alle alles andere als attraktiv. Sehr behaart, sehr fett, sehr alt. Sie schleppt diese Männer ab, die Patienten aus ihrer Klinik sind, führt sie, verführt sie, berührt sie, hat Sex mit ihnen, im Bett, im Stuhl, auf dem Flokati. Gesprochen wird wenig bis nichts. Ungerührt sieht die Kamera nicht zu, aber hin. Das kleine Apartment ist atmosphärelos, aber proszeniumsartig durch Wanddurchbrüche gerahmt. Diese Rahmungen fasst die Kamera mehr als einmal als solche ins Bild und arbeitet so selbst architektonisch. Teil eins endet damit, dass man - ihr Mann - ihr draufkommt. Ohnmacht, Unverständnis, Therapie.



Das ist Teil zwei. Die Aufarbeitung des Geschehenen. Um die Ecke biegender Raum mit Licht zum Garten nach rechts. Die braune Holzwand. (Später, im dritten Teil, wieder eine Holzwand, diesmal im "eigenen" Haus.) Therapeutische Räume. In Großaufnahme wieder und wieder Charlotte im Bild. Die Kamera rückt ihr näher, wir tun es nicht. Schuldbewusstsein sieht anders aus. Sie sucht nach Erklärungen, es ist aber nicht so, dass sie keine findet. Eher erkennt sie: Erklärungen führen zu nichts. Angenehm war und ist der Sex mit dem Ehemann. Man kennt sich und versteht sich und weiß, was der andere mag. Es fehlt ihr dabei nichts. Und doch. Es war nicht falsch, was sie tat. Sie tat, was sie wollte. Sie tat, wonach ihr war. Es richtete sich kein bisschen gegen Max.

Ihn, den betrogenen Mann, sehen wir wohl. Verstehen sein Unverständnis durchaus. Auf seine Seite aber schlägt sich der Film nie. Nanouk Leopold richtet die Perspektive des Films so ein, dass wir als Zuschauer (Mann oder Frau) beinahe begreifen: Was Charlotte da tat, im Apartment, im anderen Raum, war kein Betrug. War nur etwas, das sie für sich tat. Aus Neugier und Interesse. Sie hat ihrem Begehren Raum gegeben, ganz buchstäblich. Dies Begehren kann sie nicht erklären, auch sich nicht, und doch ist sie im Reinen, mit sich, mit ihrem Begehren. Therapie ist nicht Heilung, Therapie ist der Versuch, sich und dem Mann und der Welt eine Ahnung zu geben vom Unbewussten, von dem sie sich treiben ließ, ohne Widerstand. Das ist Teil zwei: Man versteht und versteht nicht. Man versteht, dass es eigentlich keiner Erklärung bedarf. Damit leben jedoch, mit der Nichterklärungsbedürftigkeit der Bewegung der Frau in den anderen Raum eines ihr selbst fremden Begehrens, damit leben kann Max, der Mann, der sie liebt, der Mann, den sie liebt, schwer. Charlotte verliert, weil sie Patienten verführt hat, den Job. Es muss ein neues Leben beginnen.

Teil drei, sie bleiben zusammen. Gehen anderswo hin. Beginnen in Indien ein neues Leben. Zwillinge sind geboren. Max arbeitet, Charlotte hat Zeit, ist zuhause, läuft durch die Gegend. Das neue Leben scheint eingerichtet, Charlotte sucht aber wieder andere Räume auf. Die Baustelle, auf der ihr Mann arbeitet, das unfertige Gebäude, das Blicke eröffnet, das verborgene Winkel bietet. Eine Unruhe, eine Bewegung, ein Sich-Niederlassen am einsamen Ort. Der Mann folgt ihr, das Misstrauen ist geblieben, ist mit nach Indien gegangen, so leicht wird es nicht verschwinden. Von dieser Lage der Dinge erzählt im dritten Teil Leopolds Film.



Zwei Schlüsselszenen zum Schluss. Eine im Bett, ein Gespräch, die nicht - nicht so leicht oder überhaupt nicht - wiederzugewinnende Nähe. Eine Frage des Vertrauens. "Ich bin doch da, hier, jetzt", sagt Charlotte. Das muss genügen. Ob es genügt? Letztes Bild von "Brownian Movement": Eine Fahrt in die Wüste, die erhabene Schönheit davonsprengender Tiere. Charlottes Kopf auf der Schulter von Max.

P.S.: Brownsche Bewegung ist ein Begriff aus der Physik. Er beschreibt die Wärmebewegung von Teilchen in Flüssigkeiten und Gasen. Es gibt ein mathematisches Modell zur Berechnung dieser Bewegung, jedoch hat Lukrez - dank an die englischsprachige Wikipedia für den Hinweis - den Sachverhalt im Sonnenstäubchen-Kapitel seiner naturpoetischen "De rerum natura" nicht ganz auf dem Stand der gegenwärtigen Physik, aber im Prinzip korrekt und jedenfalls sehr viel schöner beschrieben. Nämlich, in der deutschen Übersetzung von Hermann Diels, so:

Folgendes Gleichnis und Abbild der eben erwähnten Erscheinung
Schwebt uns immer vor Augen und drängt sich täglich dem Blick auf.
Laß in ein dunkeles Zimmer einmal die Strahlen der Sonne
Fallen durch irgendein Loch und betrachte dann näher den Lichtstrahl:
Du wirst dann in dem Strahl unzählige, winzige Stäubchen
Wimmeln sehn, die im Leeren sich mannigfach kreuzend vermischen,
Die wie in ewigem Kriege sich Schlachten und Kämpfe zu liefern
Rottenweise bemühen und keinen Moment sich verschnaufen.
Immer erregt sie der Drang zur Trennung wie zur Verbindung
Daraus kannst du erschließen, wie jene Erscheinung sich abspielt,
Wenn sich der Urstoff stets im unendlichen Leeren beweget,
Insofern auch das Kleine von größeren Dingen ein Abbild
Geben und führen uns kann zu den Spuren der wahren Erkenntnis.
Um so mehr ist es recht, daß du diese Erscheinung beachtest,
Wie in dem Sonnenstrahle die winzigen Körperchen wimmeln,
Weil dergleichen Gewimmel beweist, auch in der Materie
Gibt's ein unsichtbares, verborgenes Weben der Kräfte.
Denn bei den Stäubchen erkennst du, wieviele die Richtung verändern,
Trifft sie ein heimlicher Stoß, und wie sie sich rückwärts wenden,
Hierhin und dorthin getrieben nach allen möglichen Seiten.

Merke, die ganze Bewegung beginnt hier bei den Atomen.
Denn es erhalten zuerst die Urelemente den Anstoß,
Hierauf werden die Körper, die wenig Verbindungen haben
Und in der Kraft sich am nächsten den Urelementen vergleichen,
Durch unmerkbare Stöße von diesen dann weiter getrieben,
Und sie führen dann selbst den Stoß auf die größeren weiter,
So geht von dem Atom die Bewegung empor und sie endet
Mählich bei unseren Sinnen, bis endlich auch das sich beweget,
Was wir im Lichte der Sonne mit Augen zu schauen vermögen,
Ohne doch deutlich die Stöße zu sehn, die Bewegung erregen.


Ekkehard Knörer

*



Ob es einem gefällt oder nicht: Die "Transformers"-Filme sind so sehr die Gegenwart des Kinos wie wenig anderes. Michael Bay, der Mann, der es wie kein zweiter versteht, Kampfhubschrauber zu fetischisieren (und der, das darf man durchaus anerkennen, einer der wenigen Regisseure im Mainstreamkino ist, dessen Filme man auf den ersten Blick erkennt), sein milliardenschwerer Produzent Steven Spielberg, der Jungstar Shia LaBeouf als inzwischen nicht mehr ganz jugendlicher Held Sam Witwicky, im Hintergrund der Spielzeuggigant Hasbro: Gegen diese Konstellation werden vermutlich auch 2011 die restlichen Filme des Sommers wenig auszurichten können.

In gewisser Weise ist "Transformers 3" noch totalitärer in seinem Gestus als die Vorgänger. Waren diese noch ganz der Gegenwart verhaftet (Teil 2 dürfte der erste Blockbuster gewesen sein, der Barack Obama namentlich erwähnte), wird jetzt potentiell auch die Geschichte zum Bayschen Spezialeffekt. Selbstverständlich nur in Gestalt ihrer ikonischen Momentaufnahmen: Die Mondlandung war Ausgangspunkt eines Komplotts der Decepticons (die bad guys des Franchise), beim Kennedy-Attentat hatten sie ihre Finger im Spiel (die grobkörnige Ästhetik des Zapruder-Films wird für einen Moment aufgerufen und vor dem alles vereinnahmenden, alles gleichmachenden Film rückstandslos absorbiert), genauso wie bei der Tschernobyl-Katastrophe. Einer der Decepticons räumt im Lincoln-Memorial die Statue des früheren Präsidenten beiseite und setzt sich an dessen Stelle. Alles muss Transformers werden.

"Transformers 3", ein Hoffnungsträger Hollywoods in einem bisher in ökonomischer Hinsicht verheerenden Kinojahr, soll auch der 3D-Technologie, die nach der Prognose einiger Beobachter ihre besten Tage bereits wieder hinter sich hat, noch einmal neuen Schwung verschaffen. Obwohl er es sich nicht nehmen lässt, sich in einer Sequenz Camerons "Avatar" anzueignen (statt Fabelwesen, die durch die Fantasiewelt Pandora gleiten, fliegen jetzt Fallschirmjäger durch die Skyline Chicagos), holt auch Michael Bay nicht allzu viel aus der Technik heraus; die erzeugt bestenfalls einen reliefartigen Effekt, aber nie die Illusion realer Raumtiefe. Auch "Transformers 3" ist ein zweidimensional gedachter Film, die neue Technik hat eher den paradoxen Effekt, den Film zumindest in formaler Hinsicht wieder klassischeren Formen des Actionkinos anzugleichen. Insbesondere der zweite Teil wirkte über weite Strecken wie ein glänzendes, lärmendes, sich andauernd um sich selbst drehendes, in sich selbst transformierendes, dabei allerdings wie ein Screensaver im Grunde statisches Monstrum von einem Film, das weder narrative Strukturierung noch auch nur eine basale Orientierung zulässt.



Der neue Film ist gerade in seinen - beeindruckenden - Actionsequenzen deutlich übersichtlicher geraten, womöglich, weil die 3D-Effekte bei hoher Schnittfrequenz und chaotischen Kamerabewegungen kaum zur Geltung kommen würden. "Transformers 3" verfügt wieder über ein Mindestmaß an raum-zeitlicher Kohärenz, was zur Folge hat, dass der Zuschauer nicht gleich von Anfang an außen vor bleiben muss. In technischer Hinsicht ist dieser neue Film Bays beste Arbeit, gerade in der Art, wie die wuchtigen Bewegungsbilder immer wieder von stilisierten Zeitlupenaufnahmen aufgebrochen werden. Insbesondere eine ausführliche Sequenz, in der Sam und seine Mitstreiter in einem langsam zusammenbrechenden Hochhaus gegen die Kampfroboter antreten, ist ein Meisterstück des modernen Actionkinos.

Die "Transformers"-Filme sind, noch mehr als andere Blockbuster, bei aller stilistischer und ideologischer Normierung keine geschlossenen Texte, sondern sich selbst entgrenzende Selbstbedienungsläden. Neben den beiden Hauptfiguren gibt es in allen drei Teilen als alternative Identifikationsfiguren (aber identifiziert man - und erst recht: frau - sich in einem Film wie "Transformers 3" überhaupt noch mit Figuren? Nicht eher: mit der Welt des Films insgesamt? Mit ihrem Style?) die Marines Epps und Lennox - die beiden großspurigen, ausgestellt unreflektierten Soldaten sind nebenbei bemerkt ohnehin die "logischen" Michael-Bay-Protagonisten, der nerdige Sam Witwicky ist im Grunde eher eine Spielbergfigur, einer dieser selbst-beim-Sex-mit-Supermodels-noch-die-Socken-Anbehalter. Daneben gibt es ein ganzes Panorama menschlicher und mechanischer Nebenfiguren, die meisten von ihnen sind zuständig für comic relief. Der Film wechselt im Minutentakt von denkbar unsubtiler Slapstick-Komik zur düster gänzenden Science-Fiction-Dystopie, vom Verschwörungsthriller zu martialischen Kriegsfilmbildern.



Nicht mehr mit von der Partie ist einzig Megan Fox, Sam Wirwickys Flamme aus den ersten beiden Teilen. Die hatte den Regisseur in Interviews mit Hitler verglichen, das ließ der nicht auf sich sitzen, den Platz an der Seite des Helden (die Beziehung wird einfach vorausgesetzt, da wird niemand umworben oder gar auch einmal zurückgewiesen) übernimmt nun das britische Model Rosie Huntington Whiteley. Der Westentaschen-Chauvinist Bay führt seine neue Protagonistin mit einem Kamerablick unter ihr kurzes Kleid ins Franchise ein, später setzt er sie in einer der dämlichsten Filmszenen, die dieses Jahr über die Leinwände flirren dürften, mit einem aufgestylten Sportwagen gleich. Sie bekommt dann zugegebenermaßen doch noch etwas mehr zu tun, steht nicht die ganze Zeit über mit ihren freilich schon ständig lasziv halbgeöffneten, aufgespritzten Lippen als ein mit Autos, Militärzeug und Kampfrobotern konkurrierendes Blickobjekt im Film herum; der schönste Rosie-Moment ist aber doch eine Stillstellung: Durch die 3D-Technologie leicht aus dem Film gehoben steht sie im Finale einmal einfach nur da, sanft getrennt vom Glitzern und Krachen im unscharfen Hintergrund, nur ihr Haar wird von einem Windstoß erfasst. Woher kommt der Wind? Hat die so hermetisch anmutende "Transformers"-Welt vielleicht doch ein Außen?

Lukas Foerster

Brownian Movement. Niederlande / Deutschland / Belgien 2010 - Regie und Buch: Nanouk Leopold - Darsteller: Sandra Hüller, Dragan Bakema, Sabine Timoteo, Ryan Brodie, Frieda Pittoors, Nicole Shirer, Ergun Simsek, Kuno Bakker, Gelijn Molier, Nilofer Raza

Transformers 3. USA 2011 - Originaltitel: Transformers: Dark of the Moon - Regie: Michael Bay - Darsteller: Shia LaBeouf, Rosie Huntington-Whiteley, Patrick Dempsey, Josh Duhamel, Tyrese Gibson, John Turturro, Kevin Dunn, Julie White