Im Kino

I want to be a killer

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
14.09.2011. Kein Vertun beim Töten gibt es wie üblich in der Luc-Besson-Produktion "Colombiana", in der Zoe Saldana kein bläulicher Alien, sondern eine entschlossene Killerin ist. In Mikael Hafstroms Historienfilm "Shanghai" begegnet sich ein Allstarcast mit Gong Li, Franka Potente, John Cusack, Chow Yun-Fat und Ken Watanabe im aufwendig herbeiinszenierten Jahr 1941 zu Spionage- und anderen Zwecken.


Luc Besson, einst der zumindest kommerziell erfolgreichste Vertreter des cinema du look, ist heute in erster Linie Produzent. Sein 2000 gegründetes Studio Europacorp hat auch einige größere europäische Autorenfilme mitfinanziert, vor allem aber ist es verantwortlich für eine schon recht lange Reihe mittelbudgetierter Genrefilme, die weit über Bessons französische Heimat hinaus Erfolg fanden: zum Beispiel die "Taxi"- und "Transporter"-Serien, zuletzt unter anderem "Taken".

Europacorp-Filme haben bei weiten Teilen der Kritik keinen besonders guten Ruf, das liegt nicht zuletzt daran, dass ihnen jede Prätention, auch alles Psychologische fremd ist. Ihnen genügen geradlinige, effektive Plots (die keinerlei Rücksicht nehmen auf die political correctness), Schauspieler, die sich über ihre Körperlichkeit definieren und ein emphatisch zeitgenössischer visueller Stil, der bei allem Glitzern und Glänzen nie Selbstwert wird. Ein Markenzeichen von EuropaCorp-Filmen sind die "Parkour"-Szenen, Verfolgungsjagden zu Fuß durch den urbanen Raum, wobei alle drei Dimensionen ausgenutzt werden: man springt und klettert über Fenster, Geländer, Brücken, Dächer, eignet sich die Städte neu an, unter kompletter Missachtung der Verkehrsregeln.

In "Colombiana", dem neuesten EuropaCorp-Streifen ist es, der Abwechslung halber, ein kleines Mädchen, das den Parkour absolviert: Die junge Cataleya musste mit ansehen, wie ihr Vater von seinem ehemaligen Boss, einem Drogenbaron, hingerichtet wurde. Sie selbst entkommt mit einem wertvollen Mikrofilm über die Dächer der heimischen kolumbianischen Slums und landet schließlich in Miami. Dialoge in EuropaCorp-Filmen gehen so: "I want to be a killer. Can You help?" - "Sure!". Und schon geht das kleine Mädchen bei einem Gangster in die Lehre - Bessons eigene Profikiller/innenfilme "Leon" und "Nikita" sind ein fester Referenzrahmen des gesamten Films. Die Schule besucht Cataleya nur, um noch besser töten zu können. Töten gegen Cash, um irgendwann den Mörder des Vaters zu erwischen. Töten, um zu töten, das ist der ganze Film.



Cataleya wächst heran und wird nach dem Prolog von Zoe Saldana verkörpert. Saldana wurde als blauhäutige Pandora-Bewohnerin Neytiri in James Camerons "Avatar" zum Star. Aliens sind im Englischen sowohl Außerirdische als auch Ausländer. Im Actionfilm "Colombiana" spielt Saldana, der zweiten Wortbedeutung entsprechend, eine untergetauchte Kolumbianerin, die als nun erwachsene Auftragskillerin Miami unsicher macht. Etwas Außerweltliches behält sie dennoch auch in ihrer neuen Rolle, in den häufigen Großaufnahmen ihres schmalen Gesichts mit der hohen Stirn vor allem. Eine "ganze Person" nach den Regeln des Qualitätskinos, mit einem Charakter, der sich zu entwickeln, an Konflikten zu reifen hat, wird sie sowieso nicht. Keine Innerlichkeit, keine Motivation, die über die einfache Ausgangssituation hinaus ginge: Der Vater ist tot, jetzt muss dessen Mörder sterben. Ein reiner Kinokörper sozusagen, aber ein kluger Kinokörper, keiner der stur durch die Wand geht, sondern einer, der flexibel ist, der ausweichen und untertauchen kann.

Was Cataleya besonders gern macht: gleiten; durch Lüftungsschächte etwa, oder auch durch ein Aquarium, vorbei an Haien - an Raubtieren, die sie vermutlich als ihresgleichen erkennen und passieren lassen. Nun gut: Wenn die richtige Musik läuft, tanzt sie auch einmal ein paar Takte. Und wenn der richtige Typ im Bett liegt, hat sie ein wenig Entspannungssex. Wenn der Typ am nächsten Morgen erwacht, ist sie schon wieder verschwunden. So nimmt der Film seinen rasanten Lauf, die Actionszenen sind manchmal etwas hektisch geschnitten, sehen aber immer verdammt gut aus. Und dem Sujet angemessen ökonomisch erzählt ist "Colombiana" sowieso: Wie nebenbei - wie um sie doch noch mit einem Leben im starken Sinne auszustatten - sieht man Cataleya ihre Kampfhunde füttern und abrichten und erst, wenn man diese kurze Szene schon wieder fast vergessen hat, zeigt der Regisseur Olivier Megaton das Ergebnis der Dressur.

Je näher Cataleya dem Drogenbaron auf den Leib rückt, desto mehr gerät ihre eigene Nicht-Identität in Gefahr. Die Frau ohne Bilder in dieser bildgesättigten Welt wird fotografiert, das eine Bild wird ihr fast zum Verhängnis - weil Bilder im digitalen Zeitalter viel unmittelbarer Information sind als früher: Bilder sind nicht mehr nur symbolisch Macht, sondern ganz praktisch, weil sie den Zugriff erleichtern. Aus der Ruhe bringen lässt sich Cataleya von all dem nicht. Am Ende greift sie mit Raketen an.

Lukas Foerster


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Treppauf verschwindet Franka Potente, sie heißt hier Frau Müller, im Neglige aus Nebenrolle und Film. Sie spielt die Ehefrau eines Nazi-Mannes in Shanghai, die ihren Liebhaber in tiefer Nacht beim Fotografieren ertappt. Der Liebhaber ist Paul Soames (John Cusack) und gibt sich als US-Journalist mit NS-Sympathien aus. Nun aber fotografiert er, unter keiner Decke mehr steckend, Dokumente des Ehemanns, die auf düstre Pläne der japanisch-deutschen Entente deuten: am Horizont liegt Pearl Harbour.

Shanghai, umkämpfte Weltstadt, japanisch-chinesischer Krieg, das Jahr 1941, daraus schlägt "Shanghai" (der Film, der vorwiegend in Tokio und London gedreht ist) mit Hilfe von CGI und Menschengewusel und nachempfundener Stadtarchitektur Kapital. Es kommt ein Star-Aufgebot hinzu, das ins Gewusel gesetzt ist, neben Potente und Cusack sind unter anderem noch Gong Li und Chow Yun-Fat und Ken Watanabe von der Partie. So manches wäre also auf der Habenseite von "Shanghai" zu verbuchen, wäre da nicht der eine oder andere Haken.

Zum Beispiel der Regisseur Mikael Hafstrom. Sein Ehrgeiz ist deutlich, sein Sachverstand ist es nicht. In buchstäblich jeder einzelnen Szene spielt er auf maximalen Effekt. In Edelschlammfarben filtergetötnte Ausstattungsorgie meets gülden glänzenden Regen, asiatische Darsteller kämpfen sich mit im Original oft schwer verständlichen englischen Worten, aber bestens gekleidet durchs Edelambiente. Teuer soll es aussehen und tut es, aber auf eher billige Weise. Mitunter steht die Kamera schief, sie sucht prätentiöse Aufnahmewinkel, sie setzt alles und jeden aufwendig in Schatten und Licht. Man vermutet hinter dem Licht und im Schatten erst recht tieferen Sinn oder wenigstens Plot-Raffinesse: ersteres wie letzteres gibt's leider nicht.



Das wäre der andere, der wahre Haupt- und Staatshaken: das Drehbuch von Hossein Amini. Es fädelt Figuren und Geschichten im Schauplatz Shanghai gleich zu Beginn so kompliziert eins ums andere, dass ein Eindruck entsteht, nämlich der einer beträchtlichen Komplexität. Hat man die Mühe dann auf sich genommen, all den Fäden mal zum bitteren, mal zum verwirrenden, mal zum abgerissenen Ende zu folgen, sieht man aber Franka Potente treppauf für immer verschwinden und sich mit einer ernüchternden Wahrheit konfrontiert: Figuren aus Pappe agieren desorientiert in einer mit Blattgold überzogenen Historienwelt aus Klischees. Ich denke mir, den Roman, der diesem Durcheinander zugrunde liegt, läse ich vielleicht sogar gerne. Nur leider gibt es keinen Roman, es liegt nichts oder nur die Historie im allgemeinsten Sinne zugrunde. Die Fallen, in die dies Buch tappt, hat es sich alle selber gestellt.

Wie weit das alles Aminis Fehler ist, bleibt andererseits auch wieder unklar. Produziert nämlich hat die "Weinstein Company"; und wenn namentlich Harvey Weinstein, für irgendetwas berühmt, vielmehr berüchtigt ist, dann für die gnadenlose nachträgliche Zurichtung halbwegs groß gedachter Projekte zu Scherbenhaufen, an denen vorn und hinten nichts mehr stimmt. Besonders übel stößt hier ein von Cusack gesprochener Voiceover-Erzähltrack auf, der in seiner Faux-Noir-Dämlichkeit nicht nur für sich ärgerlich ist, sondern auch noch mit dem vielen Blattgold im Bild nicht recht harmoniert. Er wirkt wie ein hinterher dran- und draufgeklebter roter Faden, der jetzt aber noch zusätzlich aus dem Durcheinander heraushängt. Wer immer die Köche im einzelnen waren: "Shanghai" ist ein verdorbener Brei, der auf den Kinomärkten der Welt seit mehr als einem Jahr verklappt wird, auf seinen US-Start aber noch wartet.

Ekkehard Knörer

Colombiana. USA / Frankreich 2011 - Regie: Olivier Megaton - Darsteller: Zoe Saldana, Jordi Molla, Cliff Curtis, Lennie James, Michael Vartan, Callum Blue, Graham McTavish, Max Martini, Monica Acosta, Sam Douglas

Shanghai. USA / China 2010 - Regie: Mikael Hafstrom - Darsteller: John Cusack, Gong Li, Chow Yun-Fat, David Morse, Franka Potente, Ken Watanabe, Jeffrey Dean Morgan, Rinko Kikuchi, Benedict Wong, Hugh Bonneville, Christopher Buchholz