Im Kino

Die Rückkehr des brennenden Reifens

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Jochen Werner
01.08.2013. Ein gediegenes Coffeetable-Book von einem Horrorfilm ist James Wans 70s-Hommage "The Conjuring". Auf einer DVD-Veröffentlichung des Labels lowave kann man derweil entdecken, wie Berni Searles "Black Smoke Rising Trilogy" aus im Konkreten verwurzelten Bildern komplexe Bedeutungssysteme gewinnt.

Schon seit Längerem sind sanft widerständige Regungen im Horrorfilm zu beobachten, die sich gegen die Eskalationen des Genres positionieren. Filme wie "Paranormal Activity" oder Ti Wests "House of the Devil" und "The Innkeepers" stellen den Exzessen der Torture-Porn-Welle das grundlegende Vokabular des Gruselfilms entgegen: Sie bedienen eine Ästhetik der Latenz statt die gefräßige Logik einer gesteigerten Sichtbarkeit, die alles Stoffliche dem hungrigen Kameraauge zuführt. Sie schätzen den Grusel knarrender Türen und knirschender Bodendielen gegenüber Fleischerhaken und creative killing und setzen aufs ästhetisch Wesentliche - Rückkunft der Gruselklassik!

In diesem Sinne ist der australische Filmemacher James Wan ein Seitenwechsler: Mit seinem ersten "Saw"-Film hatte er 2004 entschiedenen Anteil an der Brutalisierung des Horror- und Splatterfilms, nur um über den Umweg des 2010 entstandenen "Insidious" in "The Conjuring" beim Dielen- und Treppenhorror anzukommen, der sein Publikum schon mittels zweimaligen Händeklatschens - originell und unerwartet platziert - aus dem Kinosessel fahren lässt. In den USA ging dies bestens auf: Dort hat sich der mit 27 Millionen Dollar Budget verhältnismäßig tiefpreisig produzierte "The Conjuring" erfolgreich an die Spitze der Charts gestellt und binnen kürzester Zeit die Gewinnzone erreicht, während die Tentpole-Produktionen derzeit in einer nahezu ungebrochenen Abfolge von Flops auf eine ausgeglichene Bilanz noch lange warten müssen.

Oder vielleicht genauer gesagt: Angekommen ist James Wan im gesammelten Inventar des Horrorkinos der 70er Jahre. Das Gerüst bildet der Haunted-House-Stoff, wie man ihn aus Stuart Rosenbergs "The Amityville Horror" von 1979 kennt, in dem - so auch hier - eine Familie ein abseits gelegenes Haus bezieht, in dem es erst knarrt und knirscht und dann Gefahr für Leib und Leben herrscht. Auf dieses Skelett legt Wan noch Fleisch aus dem Exorzismus- und Geisterpuppen-Film auf, den Tierhorror streift er am Rande. Die Ähnlichkeit zu "Amityville Horror" ist kein Zufall: Wie dieser behauptet auch "The Conjuring" für sich, auf einem realen, vom Parapsychologen-Pärchen Ed und Lorraine Warren bearbeiteten Fall aus den 70ern zu basieren.


Sehr effektiv rührt Wan seine Zutaten an: Mit seiner herbstlichen Farbpalette, dem unaufdringlich genug in Szene gesetzten 70s-Dekor, dem wabernd-dissonanten Score, für dessen Komposition und Arrangement sichtlich ausgiebig in den Archiven der Neuen Musik gestöbert wurde, bildet "The Conjuring" eine Art gediegenes Coffetable-Book für den Connaisseur des okkulten Horrorfilms der 70er Jahre. Und nicht zuletzt beherrscht Wan sein inszenatorisches Handwerk soweit mit Bravour, dass er weiß, dass ein Gruselfilm vor allem von zwei zentralen Basics des Filmemachens lebt: Kameraposition und Timing.

Man kann das ohne weiteres gut finden. Dennoch schleichen sich leichte Zweifel ein: Mit fortschreitender Laufzeit wirkt "The Conjuring" ein wenig wie das Album eines Schmetterlingssammlers, der penibel Inventur hält. Von allem soll etwas drin sein - manches Element und manches Grusel-Setpiece wirkt so, als sei es nur deshalb im Film, damit es drin ist, selbst wenn die Dramaturgie darunter zum Ende hin ein wenig leidet. Andererseits ist das Jammern auf hohem Niveau. Dass eine Hommage an die, bzw. eine Reprise der Horrorfilme der 70er nicht in einer Versündigung am Material endet, ist schon viel wert, mehr noch, wenn das Resultat atmosphärisch über weite Strecken so gelungen ist wie hier.

Thomas Groh

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Nachdem sich das DVD-Label lowave im vergangenen zehnten Jubiläumsjahr mit der überwältigenden 10-DVD-Kollektion "Human Frames" selbst ein Geburtstagsgeschenk machte, erscheinen nun mit zwei neuen Filmsammlungen der Edition "In/Flux" je acht Filme umfassende Kompendien kontemporären afrikanischen Experimentalfilmschaffens - zwei Editionen, die das breite Spektrum der (freien) filmischen Form in der Diversität der versammelten ästhetischen Ansätze erfahrbar machen. Eine genauere Betrachtung des Filmes "Black Smoke Rising Trilogy" der südafrikanischen Künstlerin Berni Searle, enthalten auf der DVD "In/Flux Vol. 2", wird verdeutlichen, dass es oftmals der Gestus des genauen Hinschauens ist, das geduldige Ausmessen schlichter und darin kraftvoller Bilder, das in die intensivsten filmischen Erfahrungen mündet.

So etwa im ersten Abschnitt des 18-minütigen Films, der unter dem Zwischentitel "Lull" - was sowohl "Windstille" als auch "Kampfpause" bezeichnen kann - ein auf eigenartige Weise zwischen Ursprünglichkeit und Urbargemachtheit oszillierendes Naturszenario durch einen an einem Seil aufgehängten, in Flammen stehenden und zunächst wild schaukelnden, dann fast unbewegt niederbrennenden Autoreifen aufbricht. Schwarzer Rauch legt sich über das Bild, flirrende Hitze scheint es fast zu verflüssigen und stellt so die Frage nach einem visuellen Aggregatzustand in den Raum, während gleichzeitig der brennende Reifen im ganz Konkreten, Objekthaften verhaftet bleibt.

Einen Schritt weiter geht Searle im zweiten Abschnitt des Triptychons unter dem Titel "Gateway". Tatsächlich steht hier ein Moment der Grenzüberschreitung, des Ineinanderverschwimmens logisch nicht miteinander vermittelbarer Ebenen der Bildhaftigkeit im Zentrum des Interesses. Ein weißes Haus steht dort, augenscheinlich bewohnt, doch bald züngeln Flammen aus den Fenstern. Flammen aber, die nicht im Haus selbst verortet sind und es von innen heraus verzehren, sondern Flammen, die das Haus als in sich wiederum materielles Bild rekontextualisieren - das sich freilich gerade nicht an das filmische Medium zurückbindet, sondern auf brennendes Papier hindeutet, was wiederum eine neue Dimension des Filmbildes eröffnet.


Im dritten Teil, "Moonlight", kehrt der brennende Reifen zurück, an einem Draht durch das Panorama einer ausgebrannten Landschaft gezerrt und dieses selbst in die Abstraktion stürzend. Am Ende wabern schwarze Rauchschwaden wie mikroskopische Aufnahmen chemischer Prozesse durch das Bild, während zerschossene Fragmente der Mondscheinsonate erklingen. Vom Bild bleibt nur der Bildverlust, mit dem Reifen erscheint der Film selbst ausgebrannt, sein schwarzer Rauch jedoch bleibt als so machtvolles wie komplexes Bild stehen, das verschiedenste Bedeutungsebenen öffnet.

Einerseits spielt Searle darin auf jene Massendemonstrationen an, die seit nunmehr beinahe einer Dekade immer wieder aufs Neue eskalieren und Südafrika erschüttern. Hinter Barrikaden aus brennenden Autoreifen verschanzt, protestieren dort alljährlich Hunderttausende gegen die katastrophalen sozialen Missstände des Landes - Bilder, die frappierend an den Kampf gegen die Apartheid in noch nicht so tiefer Vergangenheit erinnern. Darüber hinaus aber ist der brennende Reifen auch ganz konkrete Ikone der Armut breiter Bevölkerungsschichten in Südafrika. In den Randgebieten der Großstädte ziehen allnächtlich schwarze Rauchschwaden durch die Straßen, da die Ärmsten unter den Armen dort im Kampf ums Überleben Reifen verbrennen, um den darin verarbeiteten Metalldraht freizulegen. Dieser kann, als Altmetall, für gerade einmal 40 Cent pro Kilo verkauft werden - während durch den beim Verbrennen entstehenden giftigen Rauch schlimme Umwelt- und Gesundheitsschäden in Kauf genommen werden müssen.

So fächert Berni Searle mit einer Reihe schlichter und ganz im Konkreten verwurzelter Bilder ein komplexes und vielschichtiges politisches Bedeutungssystem auf. Allein für diesen Film lohnt es sich, einen oder mehrere Blicke auf die Filmauswahl der "In/Flux"-Editionen zu werfen - und sich überdies mit dem überaus reichen Programm von lowave weiter auseinanderzusetzen, das immer wieder aufregende Entdeckungen in den internationalen Peripherien künstlerischen Filmschaffens präsentiert und einem Publikum jenseits der Galerien und Nischenfestivals verfügbar macht.

Jochen Werner

The Conjuring - USA 2013 - Regie: James Wan - Patrick Wilson, Vera Farmiga, Lili Taylor, Ron Livingston, Shanley Caswell, Hayley McFarland - Laufzeit: 112 Minuten.

Black Smoke Rising Trilogy - Südafrika 2010 - Regie: Berni Searle - Laufzeit: 18 Minuten. "In/Flux 2" ist über die Website von lowave beziehbar.


Außerdem diese Woche neu:

"Frances Ha" von Noah Baumbach. Hier unser Text von der Berlinale 2013.
"Halbschatten" von Nikolas Wackerbarth. Hier unser Text von der Berlinale 2013.
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