Im Kino

Noch mal gehängt

Die Filmkolumne. Von Rajko Burchardt, Elena Meilicke
26.03.2014. Trotz Scarlett Johansson reichlich unsinnlich: Spike Jonzes Computerromanze "Her". Hiner Saleem zeichnet in "My Sweet Pepper Land" ein Western-Kurdistan mit glorioser Bergkulisse, in den Sonnenuntergang reitenden Partisanen und Steel-Gitarren-Wüstensound.


Wird es hier, in einer Geschichte um einen zerstreuten Mann und seine Suche nach Liebe, Sex mit einem Computerprogramm geben? Nicht virtuellen Sex mit einem anderen Menschen, sondern tatsächlich mit einer künstlichen Intelligenz? Und wird diese Idee so inszeniert sein, dass an die Liebe zwischen Mensch und "operierendem System" nicht nur ironische Bedingungen gestellt werden? Der Lächerlichkeit sollen Theodore (Joaquin Phoenix mit Schnauzer) und die Geselligkeitssoftware Samantha (gesprochen von Scarlett Johansson) in jener Szene, in der sie schließlich sehr eng zusammenkommen, wahrscheinlich nicht preisgegeben werden. Weshalb der Film diesen Schlüsselmoment, in dem eine ungewöhnliche, aber bestimmt nicht unwahrscheinliche Beziehung auf ihre realen Möglichkeiten überprüft wird, wohl auch prophylaktisch in ein Schwarzbild rückt.

Mindestens indifferent ist eine solche Szene vor allem, weil Spike Jonze die ganze Zeit versucht, "Her" als existenzialistische, aber auch lieblich-luftige, um Zustimmung werbende Love Story in Wohlfühlform zu bringen. Charakteristisch für den unterkomplexen Umgang mit dem Thema ist vor allem die zweite Hälfte des Films, in der das beschlossene Liebesverhältnis des Großstadtanonymous und seines OS1-Systems ein Stadium ganz "normaler" Probleme durchläuft, um schließlich vor sich hin dröppelnd zur waghalsigen Erkenntnis zu gelangen, dass Samantha auch nur ein Computerprogramm unter vielen ist.

Allerdings zumindest eines mit Bewusstsein, wie die OS-Installation versichert: Eine intuitive Entität, die zuhört, versteht und lernt. Für Samantha ist der Sex dann auch ein Willensfähigkeit bildendes Erweckungserlebnis, das ihre Wünsche und Sehnsüchte freilegt. Nach einem Streit verlangt sie ein wenig "time to think", vielleicht auch, um sich wieder einmal freiheraus durch Theodores E-Mails zu wühlen oder ihn im Schlaf zu beobachten. Samanthas Angst, im Leben ihres Besitzers nicht mit anderen Frauen (etwa der Nachbarin Amy Adams) mithalten zu können, ermutigt sie gar zu dem seltsamen Vorschlag, einen Sexpartner als Surrogat zu engagieren. Diese so gesehen zweite, ungleich haptischere Liebesszene scheitert jedoch erwartungsgemäß schon am Versuch. Und da so das Verhältnis allmählich von leichter Schlagseite bedroht ist, intensiviert Spike Jonze seine Inszenierungsstrategien noch einmal - mit durchgedrücktem Gefühlspedal.



Wie hier der vollständige Mensch immer Beziehungsmensch sein muss, weil der Film Alleinsein zwingend als Einsamkeit versteht, mag seiner aufgebauscht tragischen Poesie vielleicht bequem zuspielen, hielt mich jedoch von ihr, ihm, eigentlich allem weitestmöglich fern. Das hat, zugegeben, auch etwas mit Spike Jonzes Kino per se zu tun, weil sich darin stets eine gewisse kleinkünstlerische Affektiertheit ausdrückt. Jonzes Ideen scheinen immer auf Abruf zu warten, können leicht ins Spiel gebracht und letztlich auch in die Dekors des Films gepresst werden: von Theodores Arbeitsplatz bei beautifulhandwrittenletters.com, einer Firma, die passenderweise Liebesbriefe für andere Menschen aufsetzt, bis zu seinem Apartment, das offenbar von IKEA ausgestattet wurde.

Die Product-Placement-Artigkeit des Films passt sich insofern ein, als sie dessen emotionale Gemachtheit auch noch entsprechend ausstattet. Bei den in sonniggelber Instagram-Ästhetik gehaltenen Rückblenden zu Theodores Ex-Frau (Rooney Mara), mit der er einst so schön im samtweichen Ehebett herumtollte, fehlen nur die Apple-Logos am oberen Bildrand. Passgenau eingespielte Indie-Popsongs sollen erzwungen melodiös vergessen machen, dass sie genauso gut Butter- oder Handywerbung begleiten könnten. Und wenn Theodore seiner OS1-Samantha gesteht, er liebe nichts so sehr wie ihre Art, die Welt zu sehen, lässt sich das auch auf einen Film übertragen, der in diesem Moment nicht nur über sich selbst zu sprechen scheint, sondern offenbar auch erwartet, dass man ihm vor tränenblinder Rührung beipflichten möge. Aber es fühlt sich alles doch ganz schrecklich falsch an.

Rajko Burchardt

Her - USA 2013 - Regie: Spike Jonze - Darsteller: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, Rooney Mara, Olivia Wilde, Chris Pratt, Matt Letscher - Laufzeit: 126 Minuten.

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Was nicht alles anfällt, wenn man staatliche Strukturen einführt: "Ich bin heute sehr stolz, dass wir zum ersten Mal in der kurdischen Geschichte die Todesstrafe vollziehen", verkündet der Offizier vor den versammelten Honoratioren einer kleinen Stadt in der autonomen Region Kurdistan. Auf roten Plastikstühlchen haben die wichtigen Männer Platz genommen, und der Militärmann hält eine Rede, in der es um den Aufbau von Institutionen geht - unser Volk braucht Sicherheit, eine starke Armee, eine starke Justiz. Die Vollstreckung des Todesurteils gerät dann aber zur Farce: man hat ja keine Erfahrung mit solchen Sachen, Guerillakampf schon, aber das hier? Erst hat der Henker das Seil vergessen, dann ist der Todeskandidat zu groß und zu schwer, das Seil löst sich und er fällt untot zu Boden. Wird er eben noch mal gehängt.

Diese ebenso lächerliche wie gnadenlose Manifestation proto-staatlicher Gewaltausübung verdirbt dem Polizisten Baran (Korkmaz Arslan) vorerst die Laune am weiteren state building. Überhaupt scheint er sich unwohl zu fühlen in dieser Situation eines historischen "Danach": die Autonomie ist erkämpft - und jetzt? Kann einer, der Freiheitskämpfer war, wirklich Polizist sein? Der Film kennt Gnade, verwandelt sich in einen waschechten Western und schickt Baran an die Frontier: ins Grenzgebiet, wo der Iran, Irak und die Türkei aufeinandertreffen, in jene wilde und menschenleere Bergregion, die eine Hochburg des Schmuggels ist. Staatliche Strukturen greifen hier nicht, die Gewalt ist noch nicht geregelt und institutionalisiert, sondern darf wild und individualistisch sein: Kriegsmaschine statt Staatsapparat, Show-down statt Todesstrafe.



In der Einöde trifft Baran auf die junge Lehrerin Govend (der iranische Filmstar Golshifteh Farahani, schrecklich schön), die seine Verbündete und Geliebte wird. Vor allem aber trifft Baran auf eine ganze Reihe unterschiedlicher Meuten und Banden, die in ungezähmtem Zickzack das Gebiet durchstreifen und dabei jeweils ihre ganz eigene Agenda verfolgen: da ist der Trupp kurdischer Partisaninnen, die auf türkischem Gebiet kämpfen und sich auf der Suche nach Essen und Medikamenten über die Grenze bewegen. Da sind die Männer des korrupten Warlords Aziz Aga, die von Schmuggel und Schutzgeld leben und mit Gewalt und Terror die ganze Gegend in Schach halten. Und dann sind da noch Govends zwölf Brüder, die ihre Schwester nach Hause in die Stadt zurückholen wollen, weil sie um die Ehre der Familie fürchten. So zeichnet "My Sweet Pepper Land" multiple und kompliziert wuchernde Konfliktlinien nach - zwischen Kurden und Nicht-Kurden, zwischen Kurden im Iran, im Irak und in der Türkei, zwischen urbaner Zivilisation und ländlicher Gesetzlosigkeit und nicht zuletzt zwischen machistischen Männern und sich emanzipierenden Frauen.

Der Ton ist dabei meist beschwingt, ein bisschen Klamauk, ein bisschen Märchen, am liebsten aber doch: das Pathos, die archetypischen Gesten und großen Bilder des Western, an deren Nachempfindung Regisseur und Darsteller große Freude zu haben scheinen. So hat Hiner Saleem, der selbst Kurde aus dem Irak ist, aber seit Jahrzehnten in Frankreich lebt, ein richtiges Kino-Kurdistan geschaffen: über dem einsamen Gasthaus flackert ein Neon-Schriftzug durch die Nacht, vor glorioser Bergkulisse reitet Baran wie ein Cowboy in den Sonnenuntergang, dazu hallt elegischer Steel-Gitarren-Wüstensound von der Tonspur.

So scheint "My Sweet Pepper Land" ein zwar augenzwinkernder, im Herzen aber doch ganz klassischer Western ohne größere Dekonstruktionsinteressen zu sein, in dem die Wildnis noch veritabler Sehnsuchtsort ist und Zuflucht vor zivilisatorischen Ermüdungserscheinungen bietet, in dem die wilde Gewalt noch als regenerativ, gerecht und gut auftreten kann. Ein kleines, schönes Detail aber gibt es, das den Western-Entwurf mit einem gewissen Realismus konfrontiert und auf diese Weise ins Wanken bringt: Ich meine die vielen Neubauten, die das gottverlassene Dorf im Grenzgebiet schmücken. Sie sind zwar noch nicht fertig gestellt, setzen aber auch als Rohbau schon kleinbürgerliche Versprechungen ins Bild - mit ihren praktischen Isolierfenstern und postmodernen Säulen vor der Eingangstür sind sie Brandenburger Fertighäusern nicht unähnlich und erinnern daran, dass auch der wildeste Westen/Osten irgendwann befriedet sein wird.

Elena Meilicke

My Sweet Pepper Land - Frankreich / Deutschland / Irak 2013 - Regie: Hiner Saleem - Darsteller: Korkmaz Arslan, Golshifteh Farahani, Suat Usta - Laufeit: 93 Minuten.