Im Kino

Rein filmische Spekulationen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
12.03.2014. Mag sein, dass Ross Thomas' Kinoadaption seiner Fernsehserie "Veronica Mars" nur etwas für Fans ist. Die aber werden am Film umso mehr Freude haben. Jaume Collet-Serra jagt derweil in "Non-Stop" den längst nicht mehr knackig agilen Liam Neeson durch einen weiteren großartig spekulativen Actionfilm.

"People say I'm a marshmallow" - aber innen weich und rundum zuckersüß ist Veronica Mars (Kristen Bell) gerade nicht; aufgewachsen ist sie, wie die Eingeweihten wissen, im kalifornischen Neptune, einem Domizil der Reichen, Schönen und Korrupten. Sie selbst wollte stets Abstand nehmen vom morschen Glamour, zum einen aus einem äußeren Antrieb heraus, weil sie als Tochter eines alleinerziehenden Privatdetektivs eh nie wirklich dazugehören kann, zum anderen aus einem inneren Antrieb heraus, weil sie sich einen scharfen Blick auf ihre Umgebung angewöhnt hat; und diesen Blick in eine Voice-Over-Stimme übersetzt, die schon die Fernsehserie "Veronica Mars" dominiert hat, und die eins zu eins in die nun vorliegende Kinofassung übernommen wurde. Dieser Voice Over macht einen nicht geringen Teil des Reizes von Serie wie Kinofilm aus, weil er die fiktionale Welt, durch die sich Veronica Mars bewegt, aus einer ausgesprochen sympathischen Perspektive erschließt: Neugierig ist Veronica und durchaus auch ein bisschen besserwisserisch. Aber ihr gesundes Selbstbewusstsein verhärtet sich nie zur narzisstischen Coolness, was man schon daran merkt, dass die Metaphern des Voice Overs oft schief bleiben, die Sprachspiele gelegentlich ins Nirgendwo führen, die adoleszente Unsicherheit nie ganz zugedeckt wird.

Das mit dem Abstandnehmen klappte schon früher nie so recht. In ihrer Schulzeit deckte Veronica Mars regelmäßig Verschwörungen auf, die tief hineinreichten in die Sozialstruktur von Neptune. "Veronica Mars", die Serie, war eine eigenwillige Mischung aus High-School-Soap und Neo-Noir-Detektiverzählung. Besser gesagt: eine Verschränkung von beidem; das eine war vom anderen nie zu trennen, der neue Boyfriend entpuppte sich regelmäßig als Hauptverdächtiger im aktuellen Mordfall, und eine der ersten Ermittlungen Veronicas betraf - schon das zeigt, dass mit höherem Einsatz gespielt wurde als in den meisten anderen Teenie-Serien - ihre eigene Vergewaltigung. Zu Beginn der Filmhandlung ist das alles dreckige Vergangenheit, in der sauberen Marshmallow-Gegenwart hat die erwachsen gewordene Veronica Jura studiert und plant eine Karriere als Firmenanwältin. Sie würde dann nicht zuletzt genau jene Unternehmen verteidigen, deren korrupten Anteilseignern sie einst das Leben schwer gemacht hatte. Dass es doch anders kommen wird, ahnt man schon, bevor ein Mordfall alte Erinnerungen lebendig werden lässt und Veronica wieder in ihre Heimatstadt lockt.

Was folgt, ist ein Film, der sich kein bisschen von seiner Serienvorlage emanzipiert. Doch das war auch nie der Plan. Letzten März, ganze sechs Jahre nach der (frühzeitigen) Absetzung der Serie, aktivierten Rob Thomas und Kristen Bell die Fans per kickstarter-Kampagne, mit deren Hilfe zwar keine weitere Staffel, aber immerhin eine Fortsetzung in Filmform ermöglicht wurde: zwei Millionen waren urpräunglich als Ziel angegeben, am Ende wurden unglaubliche 5,7 Millionen Dollar eingesammelt. Nicht alle freilich wollten sich damals mitfreuen, manch einer sah gar die Idee des Crowdfunding an sich verraten: Schließlich wurde die crowd nicht aktiviert, um am Hungertuch nagenden Indiemusikern zum großen Durchbruch zu verhelfen oder um die einzigartige Vision eines Amateurfilmgenies zu verwirklichen; stattdessen floss das Geld der Kleininvestoren mitten in den Mainstream zurück. Produziert wurde die Filmversion von "Veronica Mars" von Warner Brothers, aus deren Sicht diese Form des Crowdfunding eine geniale Alternative zu klassischeren Finanzierungsmodellen darstellen dürfte: Die hardcore-Fans strecken das Produktionsbüdget schon vor Produktionsbeginn (weitgehend) vor - alle anderen zahlen hinterher trotzdem Eintritt.


Aber ist das wirklich ein Problem? Doch höchstens für diejenigen, die ernsthaft geglaubt hatten, Crowdfunding würde die Kulturschaffenden aus den Klauen des big business befreien, oder noch besser den Kapitalismus gleich ganz abschaffen. Diese Hoffnung lässt sich problemlos in 140 Zeichen enttäuschen. Eher könnte das Crowdfunding eine Rolle spielen bei einer Strukturänderung im Mediensystem, die schon lange im Gange, aber noch lange nicht abgeschlossen ist: Die klassischen Massenmedien verlieren an Bedeutung, zugunsten flexiblerer Senderformate, die sich nicht mehr am großen Ganzen oder wenigstens der "Mitte" der Gesellschaft orientieren, sondern an (intern nicht allzu stabilen) Teilöffentlichkeiten. "Veronica Mars", die Serie, wurde ursprünglich auf CW ausgestrahlt, dem kleinsten der fünf großen "Network"-Sendern in den USA.

Die Networks haben bis heute in der Theorie den Anspruch, zum und für das ganze(n) Amerika zu sprechen; in der Tat verlieren sie Jahr für Jahr mehr Zuschauer, an Kabelsender, ans Pay-TV, natürlich auch ans Internet. "Veronica Mars" nun war eine Serie, die unter Network-Bedingungen nie richtig funktioniert hatte, weil sie nicht geeignet war, ein Massenpublikum vor dem Fernseher zu vereinigen. Diejenigen, die sich trotzdem auf sie einließen, verfielen dem Charme der Hobbydetektivin umso mehr: Eine eingeschworene Fangemeinde, nicht groß genug, um die Werbekunden eines Network-Senders zufriedenzustellen, aber fanatisch genug, um die Fortführung der Erzählung notfalls auf eigene Kosten zu gewährleisten.

Was auch heißt: Es ging dem Filmprojekt nicht um einen eigenständigen ästhetischen Entwurf, sondern um eine Fortschreibung des einst zu früh Abgebrochenen. Konsequenterweise fühlt sich das Ergebnis auch kaum wie ein echter Kinofilm an. Sieht man von einigen eher gimmickartigen Zugeständnissen ans neue Medium ab (Cinemascope statt 16:9, ein paar stylische Gegenlichtaufnahmen zu Beginn, später die eine oder andere über Fernsehniveau dynamisierte Actionsequenz), ginge die neue "Veronica Mars"-Inkarnation problemlos als eine höchstens ein bisschen überproduzierte Doppel- bis Triplefolge der Ausgangsserie durch. Aus Fansicht - und die übernehme ich hier einfach einmal - heißt das: alles richtig gemacht! (Gleichzeitig muss man hinzufügen: Alle anderen werden sich eher nicht mitgemeint fühlen vom Film - und sollten vielleicht lieber mit der allerersten Fernsehepisode einsteigen: "This is my school. If you go here, your parents are either millionaires or your parents work for millionaires. Neptune, California, a town without a middle class...")


Die Fans wollen natürlich zu allererst wissen, was aus all den alten Bekannten geworden ist. Veronicas Vater, der ewige Underdog Keith Mars, hat sich kaum verändert, ihre alte Flamme, der auch im neuen Film wieder wunderschön tumb-melancholischen Logan Echolls (wieder toll: Jason Dohring) höchstens oberflächlich, schon deutlicher der verwegene biker Weevil, selbstverständlich überhaupt nicht der Oberproll und heimlichen Star der Serie Dick Casablancas (noch toller: Ryan Hansen); Krysten Ritter hat als zickige Gia Goodman eine Schlüsselrolle, die wenigen Neuankömmlinge im Cast (Martin Starr, James Franco als James Franco) fügen sich perfekt ein. Klug ist schon die erzählerische Konstruktion, die Rückkehr nach Jahren der Abwesenheit, die dafür sorgt, dass die Wiedersehensfreude Veronicas mit der des Zuschauers in Eins fällt, weitgehend elegant gelingt es dem gleich selbst die Regie übernehmenden Rob Thomas außerdem, dieses Serienklassentreffen in einen neuen Kriminalfall zu übersetzen.

Der dreht sich um den Mord an einem Starlet, die Spuren führen zurück zu einem verhängnisvollen Segelausflug, es ist wieder einmal an der Detektivin wider Willen, die schmutzigen Geheimnisse ans Tageslicht zu befördern. Wobei es in "Veronica Mars" gerade nicht ums reinen Tisch Machen geht. Hinter jeder Verschwörung lauert eine weitere Verschwörung, und letzte Wahrheiten, oder auch nur gesichertes Weltwissen, sind ganz grundsätzlich nicht zu haben. Im Großen bleibt das Übel, weil es systemisch ist; im Kleinen kann man es sich halbwegs vom Hals halten. Der Spaß, den man dabei hat, bleibt provisorisch, genau wie das Glück, das man dabei findet, beides reicht stets nur von Serienfolge zu Serienfolge. Und jetzt eben auch einmal ins Kino hinein.

Lukas Foerster


Veronica Mars - USA 2014 - Regie: Rob Thomas - Darsteller: Kristen Bell, Jason Dohring, Krysten Ritter, Ryan Hansen, Francis Capra, Percy Dags III, Martin Starr, James Franco - Laufzeit: 107 Minuten.


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In "Unknown Identity" diente noch ein Fantasie-Berlin zwischen Adlon Hotel, Oberbaumbrücke und einem grenz-apokalyptischen Kreuzberg Regisseur Jaume Collet-Serra und Hauptdarsteller Liam Neeson als Kulisse für ein rasantes Intrigenspiel um den Verlust der eigenen Identität. In "Non-Stop" schmurgelt das Setting auf den Passagierraum eines transatlantischen Fluges zusammen, während dessen Neeson in der Rolle eines alkoholkranken Air Marshalls alle Hände voll zu tun hat, nicht nur einen anonymen, den Flugbegleiter per SMS erpressenden Mörder an Bord zu stellen, sondern auch gegen den von online gestreuten Smartphone-Videos der Passagiere weltweit geschürten Eindruck anzukämpfen, er selbst, Bill Marks, habe das Flugzeug gekapert.

Gerade weil der Film auf so unwahrscheinliche Weise angeordnet ist, lässt er sich als rein filmische Konstruktion unter beengten räumlichen Verhältnissen genießen: Die Versuche, das Publikum immersiv in eine eigene Welt zu ziehen, sind sehr überschaubar. Eher ist "Non-Stop" ein Film, der sich dabei beobachten lässt, wie er sich, analog zu der ziemlich ausgebrannten Figur, die Neeson spielt, mit dem Korsett vorgegebener Parameter arrangiert: Der Film hat die Aufgabe, einen Actionthriller im Innern eines Flugzeugs spielen zu lassen - Neeson als Bill Marks wiederum ereilt per SMS die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass 150 Millionen Dollar auf ein Konto, das fatalerweise auf seinen eigenen Namen läuft, überwiesen werden. Für alle 20 Minuten, die das nicht geschehen ist, setzt es einen toten Passagier an Bord. Dass Marks nach den ersten 20 Minuten selbst einen Mann auf dem Gewissen hat, ist für die Außenwirkung nicht eben förderlich - und zentraler Bestandteil des abgekarteten Spiels, in dem es bald schon überoffensichtlich wird, dass es nicht ums Geld geht. Am Ende schwingt sich "Non-Stop" zum Post-9/11-Paranoiafilm auf, dessen hanebüchene Auflösung das Geschehen nur noch ein weiteres Mal ins Reich genussvoller, aber rein filmischer Spekulationen verweist, denen außerfilmische Referenzpunkte nur als szenarische Stichwortgeber fürs Zeitgeist-Kolorit dienen.


Nach "The Orphan" und "Unknown Identity" erweist sich Jaume Collet-Sera dabei aufs Neue als routinierter Regie-Handwerker, der altmodische Tugenden eines souveränen Genrekinos ganz ohne nervöse Selbstbesoffenheiten in eine zeitgemäße Form zu bringen versteht. Das Spiel mit der Fragilität von Identität - verstanden als Katalog äußerer Zuweisungen - erweist sich dabei seit "The Orphan" als ein durchgängiges Motiv. Und das hinsichtlich eines Kinos, das weniger an politischen Deklamationen bezüglich des performativen Charakters identitärer Entwürfe als vielmehr an seiner eigenen Konstruktion interessiert ist: Anders als der berüchtigte Plottwist-Film, der dem Publikum am Ende die eigene Genialität in Form eines überraschend aus dem Zylinder geholten Kaninchens unter die Nase reibt, zeichnen sich Jaume Collet-Seras Filme dadurch aus, dass sie das Publikum von vornherein zum Spiel einladen.

Dass der einst im Arthouse-Bereich gefeierte Charakterdarsteller Liam Neeson hier binnen weniger Jahre zum x-ten Mal den am Leben gescheiterten, unrasierten Kerl weit jenseits knackiger Agilität in einem Actionthriller spielt, der aus der Perspektive Hollywood'scher Star-Ökonomie nur als Eingeständnis einer formidablen Karriere-Sackgasse eingeschätzt werden kann, verleiht diesem Film einen ganz eigenen Reiz: Wenn sich Bill Marks in äußerster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gegen sein öffentliches Medienimage aufbäumt, flüstert der Film leise einen Meta-Text mit.

Thomas Groh

Non-Stop - GB, Frankreich, USA 2014 - Regie: Jaume Collet-Serra - Darsteller: Liam Neeson, Julianne Moore, Scoot McNairy, Michelle Dockery, Nate Parker, Corey Stoll, Lupita Nyong'o - Laufzeit: 106 Minuten.