Im Kino

In den Klauen des Stadttheaters

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Jochen Werner
23.07.2014. Ein famoses Stück Bewegungskino gelingt dem wahlindonesischen Waliser Gareth Evans mit "The Raid 2". Joss Whedons Shakespeareadaption "Much Ado About Nothing" bleibt auf lauwarmer Halbdistanz zur literarischen Vorlage.

Der indonesische Actionfilm "The Raid: Redemption" überzeugte vor drei Jahren nicht zuletzt durch ein reizvolles Spannungsverhältnis zwischen Minimalismus und Exzess: Plot und Raumstruktur waren klassisch, reduziert und denkbar simpel. Ein Hochhaus in Jakarta voller skrupelloser Gangster, und ein Protagonist, der sich beinahe videospielartig durch die "Levels"/Etagen dieses Feindeslandes schlagen muss. Zu erzählen gab es nicht viel, doch gerade dies geriet dem walisischen Regisseur Gareth Evans zur Grundlage einer beeindruckenden Talentprobe, eröffnete es doch zahlreiche Räume für eine druckvolle, dynamische Inszenierung - und für die scheinbar schrankenlosen und so rabiaten wie eleganten Kampfkünste seines Hauptdarstellers Iko Uwais.

Angesichts eines Films, dessen Stärke so wesentlich auf seine Reduktion zurückzuführen ist - und dessen Schwächen, wo sie doch spürbar werden, eher in gelegentlichen Tempoverschleppungen durch allzu ausufernd wuchernde Aktionssequenzen zu verorten sind - stellt sich die Frage, ob der dezidiert in die Breite statt auf die Spitze zielende Ansatz des mit einer Spielzeit von 150 Minuten nachgerade epischen Sequels "The Raid: Berandal" der richtige Weg sein kann. Doch Gareth Evans straft alle Befürchtungen Lügen und etabliert sich mit diesem Film endgültig als einer der besten Actionregisseure der Gegenwart.


Dabei knüpft "The Raid 2" zwar chronologisch unmittelbar an den Vorgänger an, beschreitet aber einen grundsätzlich anderen Weg - der räumlich wie zeitlich eng gefassten, einigermaßen klassizistischen Situation von "The Raid: Redemption" setzt der Nachfolger einen vergleichsweise komplex aufgefächerten Mafiafilm-Plot entgegen. Der Polizist Rama wird, im Anschluss an das Hochhausmassaker des ersten Films, als Undercover-Cop angeworben. Nachdem er den Sohn eines hochrangigen Politikers zusammengeschlagen hat, wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt - die er auf sich nimmt, um im Gefängnis das Vertrauen von Uco, dem Sohn des Syndikatschefs Bangun, zu erringen, was ihm, im Rahmen einer beeindruckenden Massenschlägerei, die den Gefängnishof zum graumatschigen Kriegsschauplatz werden lässt, auch gelingt.

Überhaupt, die Actionsequenzen, die dem epischen Atem der Narration zum Trotz selbstredend im Zentrum von "The Raid 2" stehen: Ob die Fights nun urplötzlich, schockhaft, rabiat ausbrechen oder mit ritualistischer Ruhe vor dem Sturm angekündigt und zelebriert werden, jede einzelne von ihnen ist ein kleines, choreographisches Kunstwerk in und für sich. Mit schier unerschöpflichem Einfallsreichtum feuert Evans einen inszenatorischen Geniestreich nach dem anderen auf das Publikum ab, niemals in seiner zweieinhalbstündigen Laufzeit lässt die Grundspannung nach, die Narration und Bewegung in "The Raid 2" zusammenhält.

So gelingt Gareth Evans ein bewundernswerter Drahtseilakt: Die Steigerungsdramaturgie, die auf der kürzeren Strecke von "The Raid: Redemption" noch hier und da leichte Ermüdungserscheinungen aufwies, spannt er in "The Raid 2" bravourös über die (ganz) lange Distanz. Man darf gespannt sein darauf, wieviel brachiale inszenatorische Wucht noch in diesem Filmemacher steckt - und wieviel Hollywood, das selbstverständlich längst die Finger nach diesem jungen Meister des kinetischen Kinomachens ausgestreckt hat, davon zulassen wird. "The Raid 2" jedenfalls ist ein megalomanisches, durch und durch konsequentes und sehr idiosynkratisches Projekt eines Regisseurs, der darin zu bis dato kaum zu erahnender Meisterschaft gefunden hat. Ein großer Wurf, ein famoses Stück Bewegungskino. Chapeau.

Jochen Werner

The Raid 2 - Indonesien 2014 - Originaltitel: The Raid: Berandal - Regie: Gareth Evans - Darsteller: Iko Uwais, Arifin Putra, Tio Pakusidewo, Oka Antara, Julie Estelle, Yayan Ruhian - Laufzeit: 150 Minuten.

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Ist Shakespeare zeitlos? Zumindest, scheint es, in der Hinsicht, dass seine Bühnenstücke wieder und wieder zum Beleg herhalten sollen, dass E- und U-Kultur sich doch eigentlich wunderbar miteinander vertrügen. Das funktioniert in beide Richtungen - wenn auch nicht unbedingt gleich gut. Wo die Stadttheater dieses Landes mit zahllosen punkigen "Romeo und Julia"-Versionen höchstens ihren eigenen Tod herauszögern, hat die versuchsweise Enttrivialisierung des Trivialen, auf die die meisten Shakespeareadaptionen des Unterhaltungskinos zielen, fast immer einen gewissen ästhetischen Reiz. Leider nur fast immer: In Joss Whedons "Much Ado About Nothing" ist dieser Reiz irgendwo zwischen einer allzu konzeptlastigen Planung und einer allzu slicken Ausführung weitgehend flöten gegangen.

Whedon, der schon seit der von ihm produzierten Fernsehserie "Buffy - Im Bann der Dämonen" als smartest guy im Raum der Popkultur gilt und den spätestens seit dem Kinowelterfolg "The Avengers" erst recht nichts und niemand mehr aufhalten zu können scheint, verlegt seine weitgehend werkgetreue Adaption von "Viel Lärm um Nichts" in die Gegenwart. Anders als zum Beispiel in "10 Things I Hate About You", der Teeniefilmversion von "Der Widerspenstigen Zähmung", bleibt der Originaltext als Restwiderstand gegen diese Übertragung erhalten. Die antinaturalistisch literarische Sprache setzt sich in einen Gegensatz zu den jungen, glatten Fernsehprofigesichtern der Darsteller und dem weitgehend unspezifischen California-High-Society-Dekor (Geld ist einfach da, in Massen, die letzte Frage, die sich der Film stellen würde, wäre, woher es kommt).


Dass die fluiden Konzepte von Gefühl und Identität, die sich in Shakespeares Lustspielen artikulieren, durchaus geeignet sein können, außergewöhnliche kinematografische Sensationen herzustellen, zeigte zuletzt, auf der Berlinale 2013, Matías Piñeiros "Viola", an den Whedons Film leider nur in seinen allerbesten Momenten von ganz weiter Ferne erinnert - und auch in diesen Momenten vermutlich nur, weil die Hauptdarstellerinnen des neuen "Much Ado About Nothing" eine ähnlich fragile Dynamik ausstrahlen wie die des argentinischen Films (Amy Acker kennt man aus Whedons "Angel"; Jillian Morgese jedoch, die die Rolle der Hero übernimmt, ist eine nicht unspektakuläre Neuentdeckung). Ansonsten könnte die Differenz kaum größer sein: Wo Piñeiro sich auf die Shakespeare"schen Spiele seinerseits spielerisch, im Modus des Uneigentlichen bezieht und einen zutiefst instabilen filmischen Text erzeugt, weicht Whedon von den einmal etablierten Regeln keinen Milimeter mehr ab, nimmt von Anfang bis Ende dieselbe lauwarme Halbdistanz zum historischen Text ein. Als Erkenntnis bleibt die Binsenweisheit, dass Menschen manchmal, und in der Liebe vielleicht besonders häufig, a sagen, aber b tun.

Dementsprechend gerät sein "Much Ado About Nothing" in die Klauen einer fast stadttheaterartig stählernen Routine. Die visuelle Gestaltung tut ihr Übriges: Gefilmt wurde in Schwarzweiß - freilich in einem ziemlich kraftlosen, kontrastarmen Schwarzweiß, das keinen ästhetischen Eigenwert besitzt, sondern eher ausschaut, als habe jemand aus einem "normalen" Filmbild einfach die Farbe herausgedreht. Auch ansonsten versucht Whedon das eine oder andere, um den Eindruck von "canned theater" zu vermeiden. Das gelingt ihm tendenziell dann am besten, wenn er dick aufträgt: Der Maskenball wird mit einer stylischen Schaukel-Show eingeleitet, die (falsche) Beerdigung von Hero schaut ziemlich atmosphärisch aus. Öfter allerdings wirkt das alles allzu angestrengt, zum Beispiel, wenn Whedon versucht, einen Monolog "filmischer" zu gestalten, indem er den Sprecher gleichzeitig ein Workoutprogramm absolvieren lässt; man glaubt da, im Hintergrund die Regieanweisungen mitzuhören: Treppe hoch, Treppe runter, Treppe wieder hoch, aber bitte immer weiterdeklamieren.

Lukas Foerster

Much Ado About Nothing - USA 2012 - Regie: Joss Whedon - Darsteller: Amy Acker, Alexis Denisof, Clark Gregg, Reed Diamond, Fran Kranz, Jillian Morgese, Sean Maher, Riki Lindhome - Laufzeit: 109 Minuten.