Im Kino

Mädchenlippen im gedimmten Glanz

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
03.07.2014. Gia Coppola kann in "Kids" den Einfluss ihrer Tante Sofia kaum verleugnen. Wesentlich rätselhafter wirkt da Scarlett Johansson in "Under the Skin". Impressionen vom Münchner Filmfest
Mit seinen Impressionen zu "Under the Skin" und "Kids" setzt Thomas Groh seine Berichterstattung über das Filmfest in München fort. (D.Red.)


Es brummt und zischt, jault und quietscht, dröhnt und dräut auf der Tonspur auf dieselbe Weise irisierend und geheimnisvoll, wie auch Scarlett Johansson geheimnisvoll durch Großbritanniens Metropolen, Dörfer und Hinterländer zieht, mit leerem Blick, der doch immer wieder hellwach aufbricht, schwer geschminkt, der Mund leicht geöffnet, die Haare schwarz: Ein verführerisches Objekt, das darin doch ganz männermordendes Subjekt ist - da machen sich Kamera und Film ganz zu ihrer Komplizin.

Wer ist sie? Was macht sie hier? Was hat es mit dem weißen Raum auf sich, in dem sie - ja, nackt, wie der Boulevard nun schon seit Monaten sich echauffiert - eine tote Frau entkleidet, um die Kleidung sich selbst überzustreifen? Und was - erst recht - mit dem schwarzen Raum, in den die Männer, die sie hier und da aufgabelt, lockt, sich dabei entkleidet, während auch die Männer sich - in der Hoffnung auf Paarung, aber es wirkt auch ganz so wie zum Kampf - entkleiden, nur dass die Männer ins spiegelglatte Wasser hinabsinken, auf dem Johansson so selbstverständlich wie Jesus wandelt, während die zu ihrem Untergang verführten Männer aus der tiefen Schwärze dieser Tiefen nie mehr auftauchen?

"Under the Skin" ist ein hochästhetisierter, hermetischer Rätselfilm. Gesprochen wird wenig, erzählt so gut wie nichts. Was man auf der englischen Wikipedia über den zugrunde liegenden Roman gleichen Namens von Michel Faber liest, erhellt das Geschehen zwar - eine Außerirdische in Menschengestalt erlegt Männer, die auf ihrem Heimatplaneten als Delikatesse gelten -, ist für den Film im Grunde genommen aber unerheblich. Er will als Verrätselung, als ästhetische Erfahrung verstanden und genossen werden, wie ein Ambient-Musikalbum mit teils enorm betörenden Bildern, in die sich - nach und nach - die Menschwerdung des Aliens einschleicht, wenn es sich durch diese Welt tastet, die menschlichen Konventionen und den fremden Körper erkundet, sich beim Verzehr von Kuchen erbricht und das Konzept der Barmherzigkeit erprobt.


Vergleiche mit ästhetisch anspruchsvoller Film-Science-Fiction bieten sich an. Anders aber, als beispielsweise der im Grunde genommen recht klar, wenn auch mit subtilen Cues erzählte "2001: A Space Odyssey", wirkt "Under the Skin" zumindest nach der ersten (und zugegeben: unter den wenig idealen Bedingungen einer Festival-Spätvorführung erfolgten) Sichtung deutlich kryptischer, in sich gekehrter. Aber doch soviel lässt sich schon sagen: "Under the Skin" verrätselt nicht nur sich selbst als Film, sondern zum Gutteil auch unsere heutige Lebenswelt - spätestens, wenn Scarlett Johansson reichlich ungläubig eine TV-Performance des britischen Trash-Illusionskünstlers Tommy Cooper verfolgt, sitzt sie buchstäblich fremd wie eine Außerirdische vor dieser Darbietung - und wir mit ihr.

Als Klang- und Bilderrausch, als sinnlicher Genuss will "Under the Skin" unbedingt auf der großen Leinwand genossen werden. Unbegreiflich, dass Senator Film als hiesiger Verleih diesen Film an den Leinwänden vorbei auf DVD und BluRay veröffentlichen will - ein Jammer und ein Armutszeugnis.

Under the Skin, Regie: Jonathan Glazer. Mit: Scarlett Johansson, u.a., Großbritannien 2013, Laufzeit: 108 Minuten.


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Knutschen nach dem Kotzen
, Blow-Job im Elternschlafzimmer, Lästern über das Mädchen, das es mit jedem macht, die erste unglückliche Liebe und die vielen Missverständnisse auf dem Weg dahin, ein Lehrer, der seinen Schülerinnen nachstellt, und all dies eingebettet in eine Welt voller Kleinverbrechen und ständigen Grenzübertritten - wahrlich, die Jugend ist kein leichtes Brot, insbesondere nicht im white suburbia der Jetztzeit, und die Schmerzen der Adoleszenz begleiten einen zuweilen ein ganzes Leben lang. Vor James Franco, der hier den bereits erwähnten, schmierigen Lehrer gibt und auf dessen Kurzgeschichten Gia Coppolas Film basiert, gelangten schon andere zu dieser ohnehin nicht ganz neuen, womöglich auch aus dem eigenen Erfahrungsschatz stammenden Erkenntnis: Bret Easton Ellis in "Unter Null" zum Beispiel, Larry Clarke in "Kids" oder Gus van Sant in seinen Jugenddramen.

Nun also "Palo Alto", der ein bisschen so wirkt wie "Kids" auf Indie-Glam gebürstet. Wenn die junge April (mit ihrem nervösen Spiel und ihrer ephemeren Fragilität immerhin ein Lichtblick: Emma Roberts) von ihrem Sportlehrer auf der Couch, durchaus nicht gegen ihren Willen, genommen wird, macht die Kamera daraus ein sinnliches Spektakel aus Mädchenlippen im gedimmten Glanz cremiger, wandernder Lichtwürfe. Auch ansonsten viel hingehauchte Schönheit in den ausgesucht auf gefälligen Liebreiz inszenierten Bildern, denen man die gezeigten Gemeinheiten schon auch deswegen nie ganz abnehmen will und kann. Dazu gibt es kristallin-elektrifizierten Indie-Pop: Geschmackssichere Entrückung des Geschehens ins poetisch Melancholische. Gia Coppola, Enkelin von Francis Ford, kann das Verwandtschaftsverhältnis insbesondere zu ihrer Tante Sofia auch in filmästhetischer Hinsicht kaum leugnen. Aus "Palo Alto" macht das ein großes, verzärteltes, darin leider nicht mal sonderlich entzückendes Nichts, das so schnell wieder aus dem Bewusstsein verschwindet wie ein hektisch überscrolltes Bild auf Instagram.

Palo Alto, Regie: Gia Coppola. Mit: Emma Roberts, James Franco, Val Kilmer, Jack Kilmer, Nat Wolff, u.a., USA 2013, Laufzeit: 100 Minuten.