Im Kino

Bärig, aber sensibel

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky
22.10.2014. Ein Sturm im katholischen Wasserglas entfacht John Michael McDonaghs "Calvary". In Tim Storys "Think Like a Man Too" zappelt Kevin Hart gegen ein rigoros gebändigtes Drehbuch an.

In seinem neuen Film, "Calvary", veranstaltet Regisseur und Drehbuchautor John Michael McDonagh existenzielles Händeringen rund um einen zerknautschten Priester (Brendan Gleeson) und dessen exzentrische Gemeinde. Ort der Handlung ist ein Dorf an der irischen Küste, nah bei Gott (das Licht, das Meer) und gleichzeitig sehr weit von ihm entfernt: Zu Father James" Herde zählen ein Kannibale, ein depressiver Finanzspekulant, ein zynischer Arzt ("the atheistic [sic!] doctor is a clichéd part to play"), ein sterbender Great American Novelist, eine unglücklich-promiske Hausfrau und ihr gewalttätiger Gatte, der Dorfmetzger. Und Fiona, James" Tochter aus einem früheren Leben, die sich aus London (vermutlich noch weiter weg vom Herrn) ins irische Halbidyll flüchtet. Die Bandagen, die Fiona um beide Handgelenke trägt, sind ihrem Vater (und später der Dorfgemeinde) zunächst Anlass zum Scherzen und rühren erst dann - oder nur so, im Medium des sprachlich elaborierten witticism - an seinem Mitgefühl.
 
"How was that for a third act revelation?" fragt Father James seine Tochter auf der Felsenküste, nach einem bedeutsamen Gespräch über Vergeben, Versöhnen und Vergessen. Selbstreflexiv gewitzt, oft bis zur Schmerzgrenze des allzu Ausgeklügelten, ist der Tonfall des gesamten Films. So dunkel können die angetippten und aufgerollten Problemlagen gar nicht sein, dass McDonagh nicht doch ein guter Spruch dazu einfiele, um ihn einer seiner Figuren relativ unverbindlich in den Mund zu legen. Das hat eine gewisse Stringenz: Auch die katholische Kirche verbreitet ihre Lehren in Sprüchen, Anekdoten und Aphorismen. Die Dorfbewohner mögen sich über den Priester lustig machen (seinem Hund die Kehle aufschneiden und seine Kirche in Brand setzen). Gegen die fundamentale Prägung, die der Katholizismus noch ihrem Unglauben, ihren Existenzkrisen und ihrer betrunkenen Sprücheklopferei verleiht, hilft alle antiklerikale Aggression nichts. In diesem double bind steckt auch der Unbekannte, der in der ersten Szene des Films, in Father James" Beichtstuhl, von seiner Misshandlung durch einen katholischen Priester erzählt, in grafischen Details. Der Pater - aufrichtig, ernst und direkt, wie wir es als seine Art kennenlernen werden - erwidert, dass er keine Antwort weiß. Die sucht der Unbekannte auch gar nicht. Stattdessen teilt er Father James zum Abschied mit, dass er ihn am kommenden Sonntag am Strand erwarten werde, um ihn, den guten Priester für den schlechten, umzubringen.
 

Wie die Erschaffung der Welt erstreckt sich "Calvary" über eine ganze Woche, bis zur schicksalhaften Begegnung in der Brandung. Father James ist das Lamm, dass für die Sünden dieser Welt hingegeben werden soll. Davor durchläuft er, denn McDonagh meint es ernst mit den Bibelparaphrasen, seinen eigenen Passionsweg. "Calvary" entwickelt seine Themen reiterativ eher als linear, eben als Stationendrama auf dem Weg zur finalen Kreuzigung. Unterwegs sollen wir uns fragen, welches der beschädigten Schäfchen als Mörder infrage kommt. Eventuell zielt McDonagh sogar auf so etwas wie Suspense. An mir jedenfalls hat keine Spannung verfangen, auch weil ich mich (irrtümlich) in Sicherheit wog, den Inhaber der Stimme aus dem Beichtstuhl sofort erkannt zu haben. Am metaphorischen Gipfel des Kalvarienbergs angekommen ist klar, dass es eigentlich egal ist, wer den Finger am Abzug hat. Alle sind schuldig. Allen wird, wenn die Helikopterkamera am erhabenen Tafelberg im Dorfhintergrund vorbei und über den umliegenden, grün-in-grünen Landstrich hinweg zieht, Vergebung zuteil.
 
Das ausnehmend skurrile, dorfgemeinschaftlich organisierte Personal des Films, zusammen mit dem pittoresk-irischen Küstensetting, lässt immer wieder an Bill Forsyths "Local Hero" denken (auch eine schöne Meeresbiologin kommt in beiden Filmen vor). Weniger als direktes Vorbild denn als verpasste, verfehlte Möglichkeit: Nirgends reicht "Calvary" an die subtilen tonalen Verschiebungen heran, die Forsyth in seinem zugleich kleinen wie epochalen Film von 1983 gelangen. Die Klischees, die Forsyth noch zum Tanzen brachte, bleiben hier überall mit sich selbst identisch. Das schlimmste von ihnen, auch weil ihm die meiste Leinwandzeit gehört, ist Father James selbst: Bärig, aber sensibel, schroff und unwirsch, aber gutmütig, darf Brendan Gleeson in der Hauptrolle des Opfers nie vom Script abweichen. Gegen Ende, wenn die kalte Logik des Rituals sich für einen Moment gegen das nervig menschelnde Substratum des Films durchsetzt, läuft "Calvary" dann doch noch kurz zur Hochform auf. Insgesamt aber: ein Sturm im Wasserglas.

Nikolaus Perneczky

Calvary - Irland 2014 - Regie: John Michael McDonagh - Darsteller: Brendan Gleeson, Chris O"Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen, Dylan Moran - Laufzeit: 100 Minuten

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Sechs Männer und allerdings nur fünf Frauen in Las Vegas. Bis auf den einen Überschüssigen (siehe unten) sind alle fest gegengeschlechtlich miteinander verbandelt (und kennen sich aus einem früheren Film), ein Paar will heiraten, die anderen Paare müssen sich im Lauf des Films im Sinne Stanley Cavells wiederverheiraten. Zwischendurch werden die Geschlechter getrennt, für die jeweiligen Junggesellenabschiede, die in den erwartbaren Maßstäben (also leider nicht besonders spektakulär) eskalieren - immerhin hat der Film durchaus Spaß am gezähmten Chaos: Die besten Szenen sind die, in denen er alle Anflüge von (dollargesättigter) Eleganz sausen lässt, und einfach nur versucht, möglichst viele Körper, Bewegungen, Attraktionen in einem Bild unterzubringen. Die Hauptrollen sind mehrheitlich mit schwarzen SchauspielerInnen besetzt, zwischendurch schauen Kelsey Grammer und Adrian Brody vorbei.

"Think Like a Man Too" ist ein Film, der jeder Figur genau eine bestimmende (und, in Maßen, zu überwindende) Eigenschaft, jedem Paar genau ein abzuarbeitendes Problem zuteilt, der Vegas nichts als die üblichen Bilder abringt und der regelrecht vollgestopft ist mit aktueller Popmusik (plus einer Retronummer aus den Neunzigern, die in der originellsten Szene des Films musikvideoartig nachgestellt wird). In einer dynamischen Schnellfeuerdialogmontage während der Ankunft- und-Begrüßungsszene zeigt Regisseur Tim Story, der vor Jahren den sehr schönen "Barbershop" gedreht hat, dass er eigentlich etwas kann. Ansonsten leistet er, wie sein Cast, Dienst nach Vorschrift. "Think Like a Man Too" ist ein Film, der nicht zu verstecken versucht, dass er einer von der Stange ist.

Genauer: einer vom Bücherwühltisch. Der Vorgänger "Think Like a Man" hatte sich direkt auf einen Bestseller der Ratgeberliteratur bezogen: "Act Like a Lady, Think Like a Man" geschrieben von dem Comedian, Talkshowhost und Schnurrbartträger Steve Harvey. Der erste Satz des ersten Abschnittes dieses Buchs ("The Mind-Set of a Man") lautet: "There is no truer statement: men are simple." Auf den wenigen Seiten, die ich überflogen habe, wimmelt es von Sportmetaphern, die auf die brutalstmögliche Pragmatisierung von Liebe abzielen dürften. Viel doofer als "Gone Girl" ist das freilich auch nicht...


In "Think Like a Man Too" geht es allerdings nicht mehr darum, mithilfe des richtigen game plan die defense des Partners zu überwinden, mit dem Finalziel des goldenen Rings. Eher scheint der Film auf die Einübung in den korrekten, nämlich den gesellschaftskonformen, heteronormativen, konsumförmigen Hedonismus zu zielen: Was die Männer können, können wir Frauen auf unserem Junggesellenabschied schon lange (auf in den Stripclub!), die frühverhärmte weiße Nerdfrau muss aufgebrezelt werden, die garstige, altmodischen Totalverzicht predigende Schwiegermutter in spe needs to get laid - die Männer kämpfen derweil mit ihren eigenen Neurosen, die daher zu rühren scheinen, dass sie im monogamen Alltag nicht mehr ihren inneren "Zeke the freak" rauslassen können. Kein Wunder, dass bei dem beständigen Austarieren diverser Bedürfnisse kaum Platz bleibt für genuin Komisches.

Wenn "Think Like a Man Too" trotzdem einigermaßen anschaubar ist, dann liegt das an dem erwähnten Überschüssigen. Der wird gespielt vom Star des Films, vom zumindest in Amerika derzeit ungemein erfolgreichen Kevin Hart, einem kleinen, nervösen, aufgekratzten Typen, der durch die Einstellungen flitzt, nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten, der sich gelegentlich auch zu Boden wirft oder in die Luft springt, der sich irgendwann einen gewaltigen Knüppel schnappt, um auf männliche Stripper einzuprügeln, der jedenfalls immer etwas Hochwichtiges zu tun und zu allem eine Meinung hat.

Wie erwähnt ist Hart als einziger solo unterwegs, nur via Mobiltelefon meldet sich gelegentlich der Hausdrachen "Gailzilla" zu Wort. Den (leider ganz besonders öde alle Las-Vegas- und romatic-comedy-Klischees durcharbeitenden) Voice-Over-Kommentar übernimmt er gleich noch mit. Nicht, dass der hoffentlich bald in seinem unzweifelhaft großen Talent würdigeren Filmen auf der Leinwand zu sehende Hart die hoffnungslos solide poetisch-libidinöse Grundarchitektur auch nur ansatzweise aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Aber es ist fast schon rührend mitanzusehen, wie sich der eine ungebändigte Körper durch diesen hochgradig gebändigten Film bewegt, hilflos herumzappelnd, wie erfüllt von einer Sehnsucht, deren Objekt auch nur zu kennen das Drehbuch ihm rigoros verweigert.

Lukas Foerster

Think Like a Man Too - USA 2014 - Regie: Tim Story - Kevin Hart, Gabriele Union, Jerry Ferrara, Miachel Ealy, Regina Hall, Terrence Jenkins, Taraji P. Henson - Laufzeit: 104 Minuten.