Im Kino

Gewisse Attraktionswerte

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
29.01.2015. Nachhaltig unter Strom steht "Wir sind jung. Wir sind stark", Burhan Qurbanis Film über die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen 1992. In Kevin Macdonalds schön altmodischem U-Bootfilm "Black Sea" lockt das Gold.


"Wir sind jung. Wir sind stark", Burhan Qurbanis Spielfilm über die Pogrome 1992 in Rostock, komme "zur richtigen Zeit", heißt es in der Welt explizit, in vielen anderen Texten schwingt das mit. Wie man auf diesen Gedanken kommt, ist angesichts der aktuellen Nachrichtenlage leicht nachzuvollziehen, mir ist er dennoch nicht allzu sympathisch. Vielleicht auch, weil ich die in ihm enthaltene, leider wohl nicht ganz unrealistische Vorahnung abwehren möchte, dass die Pegida-Demonstrationen sich weiter radikalisieren könnten; aber vor allem, weil es dieses Anlasses nicht bedürfte, um "Wir sind jung. Wir sind stark" zu einem wichtigen Film über die Gegenwart eines wiedervereinigten Deutschlands zu machen, zu dem Alltagsrassismus, sogenannte national befreite Zonen und wiedererwachter Hurra-Patriotismus schließlich nicht erst seit dem Herbst 2014 gehören.

Was ist der Film noch, außer wichtig? Ziemlich viel, gelegentlich zu viel. Zunächst geht es Qurbani - dessen weitgehend misslungener Erstling "Shahada" 2010 aus unerklärlichen Gründen im Berlinale-Wettbewerb gelaufen war; der Nachfolger "Wir sind jung. Wir sind stark", der das viel eher verdient gehabt hätte, scheint von allen größeren Festivals abgelehnt worden zu sein, hatte schließlich in Rom Premiere - darum, die Ereignisse des Rostocker Sommers 1992 ins Bildergedächtnis des deutschen Kinos einzutragen. Das heißt auch: jene Bilder nachzuinszenieren, die schon vorhanden sind, weil sie seinerzeit über Zeitung und Fernsehen verbreitet wurden; wie zum Beispiel jenes des fast schon weltberühmt gewordenen, in die Jogginghose urinierend den Hitlergruß vorführenden jungen Mannes im Deutschlandtrikot.

Speziell diese Szene mag verfilmt etwas albern anmuten, dennoch beeindruckt Qurbanis Zeitbild. Es macht schon im Allgemeinen einen Unterschied, ob man sich ein solches Ereignis aus der jüngeren, in vieler Hinsicht mit unserer Gegenwart kontinuierlichen Vergangenheit lediglich fragmentarisch, über Gelesenes, hier-und-da-Gesehenes, Gedachtes - und lediglich für sich selbst - vergegenwärtigt; oder ob man in einem gut gefüllten Kinosaal Zeuge einer kompakten filmischen Rekonstruktion, einer audiovisuellen Synthese wird. Im Besonderen gefällt an Qurbanis Film ein Stilwillen, der nicht einfach nur auf Vergangenheitsmarkierungen (oder anders herum: auf Techniken der Vergegenwärtigung) heraus will.

Das Verhältnis von distanzierender Abstandnahme und Zeitgenossenschaft handeln die Bilder selbst aus. Am Anfang sind diese Bilder schwarz-weiß und werden von einer eleganten, sehr agilen Kamera eingefangen, besonders auffallend sind eine Reihe technisch anspruchsvoller Plansequenzen. Der filmische Blick gleitet neben flaschensammelnden Kindern her, hebt sich dann in die Luft, tastet Hochhausfassaden ab; später folgt er Jugendlichen erst bei einem Spaziergang in den Wald, dann beobachtet er sie, in einer besonders intensiven Sequenz, von der Seite, während sie sich aufmachen in Richtung jenes Hochhauses, in dem zu diesem Zeitpunkt, nach der rechtzeitigen Evakuierung einer Gruppe von vor dem überfüllten Gebäude campierenden Sinti und Roma, lediglich einige vietnamesische Familien wohnen.



Bald darauf, während die Protagonisten der "Lügenpresse" ein Interview geben, wechselt der Film zum Farbbild, später auch noch ins breite Scope-Format. Die Bilder sind nicht mehr so sorgfältig ausbalanciert, verlieren ihre Souveränität, werden gleichzeitig konfrontativer. Das Hakenkreuz, das einer der Jungs einem der anderen in der ersten Filmhälfte mit Sonnencreme kaum sichtbar auf die Stirn gemalt hat, zeichnet sich in der zweiten Hälfte grell leuchtend auf dem rotgebräunten Gesicht ab. Dass der Film auch darüber hinaus gewisse Attraktionswerte mitnimmt (Molotowcocktails machen in Farbe mehr her als in schwarz-weiß), mag man obszön finden. Andererseits würde ein vollkommen nicht-obszöner Film über die Ereignisse des 24.08.1992 seinen Gegenstand komplett verfehlen.

"Wir sind jung. Wir sind stark" will allerdings längst nicht nur rekonstruierendes Geschichtsbild sein. Gleichzeitig (vielleicht: zuerst) hat Qurbani einen Jugendfilm gedreht. Viel Zeit nimmt er sich für die Interaktionen einer rechtsdriftenden Clique, die er über den Verlauf eines einzelnen Tages begleitet. Ausdifferenziert werden vor allem drei Jugendliche: Ein profilloser Mitläufernazi, ein kränkelnder Nerdnazi, ein psychopathischer Provonazi. Gemeinsam ist ihnen nicht viel, außer ihrer Empathielosigkeit und der Neigung, die eigene Todessehnsucht als Aggression nach Außen zu kehren. Zwei etwas ältere, ideologisch gefestigtere Typen führen die Gruppe an, zwei Mädchen laufen ebenfalls mit und triezen die Jungs schon mit ihrer bloßen Anwesenheit (manchmal mit mehr).

Für sich selbst genommen ist diese Ebene die stärkste des Films. Die Dialoge sind (fürs deutsche Kino) erstaunlich gut, die Schauspieler noch besser. Auch der Wechsel von schwarz-weiß zu Farbe schafft so einen zusätzlichen Reiz, weil mitten im Film die Gesichter, die man schon zu kennen glaubt, noch einmal neu entblößt werden. Mir hat trotzdem nicht eingeleuchtet, was diese toll gezeichneten Jungs mit dem großen Ganzen des Films zu tun haben könnten. Will da etwas einfühlbar gemacht werden? Oder geht es gerade darum, dass der eigentliche Entschluss, der Übersprung vom dummen Geschwätz zur noch viel dümmeren, unmenschlichen Tat nicht mehr einfühlbar gemacht werden kann? Immerhin ist von Anfang an klar, dafür sorgt die Zeitgeschichte selbst, dass es nicht wie in David Wnendts fürchterlich braver "Kriegerin" am Ende bloß um einen Entwicklungsroman unter erschwerten Bedingungen geht.



Ich glaube, mir sind jene Teile des Films am liebsten, die nach den Maßgaben von Alltagspsychologie und Erzählökonomie am wenigsten funktionieren. Denn Qurbani ist explosive Zeitgeschichte plus triste Plattenbauadoleszenz immer noch nicht genug. Es geht ihm nicht nur darum, die Welt zu zeigen und sie einfühlbar zu machen; er will sie auch noch erklären. Das manifestiert sich zum Beispiel in einem Hang zum aufdringlich Thesenhaften - etwa, wenn eine Nazirockhymne ("Deutschland - ein Volk stirbt aus") gleich zweimal in andere Lieder umkippt: erst in "Life Is Life", dann in die Internationale.

Vor allem manifestiert es sich darin, dass "Wir sind jung. Wir sind stark" zwei weitere Perspektiven auf das Geschehen einbaut: Zum einen (was natürlich nahe liegt und vielleicht deshalb etwas zu funktional geraten ist) die der Opfer in Gestalt einer jungen, anfangs bis zur Selbstverleugnung anpassungswilligen Vietnamesin. Zum anderen die eines Lokalpolitikers, der von den Geschehnissen hoffnungslos überfordert (und außerdem der Vater einer der Hauptfiguren) ist. Sobald dieser Handlungsstrang an der Reihe ist, wird der Film stets schlagartig ultrakrude. Wenn am sozialdemokratischen Wohnzimmertisch Realpolitik verhandelt wird, klingt jedes Wort hölzern, wie aus einem Leitartikel vorgelesen; wenn dann später auf dem Fernsehbildschirm der Mob wütet, schwingt sich der Film zu fast schon campaffinen Höhen auf: Der SPD-Mann liegt zusammengekauert auf dem Sofa und lässt sich per Kopfhörer von elegischer Klassik beschallen.

"Wir sind jung. Wir sind stark" ist ein sonderbarer, überladener Film; auf den ersten Blick fein gefügt, platzt er auf den zweiten aus allen Nähten. Die stilsicher abgezirkelte, zum Kabinettstückchen tendierende Form und der aufs Offene, Spekulative abhebende Inhalt verfehlen einander. Andererseits: Wenn sie sich auf einer der beiden Seiten begegnen würden, wäre der Film weit weniger interessant. Genau das Verfehlen, und damit das Eingestänndnis, nicht immer gleich zu wissen, wie sich das Detail zum großen Ganzen verhält, setzt "Wir sind jung. Wir sind stark" nachhaltig unter Strom.

Lukas Foerster

Wir sind jung. Wir sind stark. - Deutschland 2014 - Regie: Burhan Qurbani - Darsteller: Devid Striesow, Jonas Nay, Trang Le Hong, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Thorsten Merten - Laufzeit: 123 Minuten.

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Gibt es das Genre des U-Boot-Films? Falls ja, zählt es zu den reizvollsten, zumal in der Ausprägung des Actionfilms oder Thrillers. Notwendig ist der Raum begrenzt, die Vektoren der Bewegung, der Interessenslagen und des Manövrier-Spielraums liegen so klar auf dem Tisch wie die Linien, die der brummige Navigator mit Stift und Geodreieck unter Zuhilfenahme eines in die Tiefe der See lauschenden Ohres auf Millimeterpapier skizziert: Hier sind wir, da drüben ist der Felsen oder der Feind und da wir alle überleben wollen, müssen wir dorthin - kein Gramm Fett zuviel. Ohnehin ist es ein großes Missverständnis des zeitgenössischen Bombast-Kinos, dass Actionfilme im Sinn einer zentrifugalen Logik immer noch raum- und weltgreifender sein müssen. Warum muss es immer gleich die Welt sein, die gerettet werden muss? Es reichen doch schon beträchtlich viele Kilogramm Nazi-Gold, die auf dem Grund des Schwarzen Meers vor der Küste der Krim schlummern, um als MacGuffin einen Film in Gang zu setzen. Zumal, wenn das Nazi-Gold ein paar aus dem neoliberalen Wirtschaften ausgesonderte Sozialverlierer aufmerken lässt, die als altes Eisen ausgesondert wurden. So wie in "Black Sea".

Ein sehr altmodischer Film ist das nicht nur, weil er ein ziemlicher Männer-Film ist (Frauen gibt es nur in Form ferner Erinnerungen an längst zersplitterte Familien. Oder als schwanger zu Hause sitzende Abwesenheiten. Trocken Brot für alle, die mit Bechdel-Test im Kino sitzen.) Auch der Sierra-Madre-Plot - lockendes Gold treibt Männer in schwieriger Situation zum Äußersten - ist aus der Zeit gefallen, und überhaupt: Welche Rollen spielen U-Boote (wenigstens gefühlt) in der modernen Kriegsführung? Im Zeitalter von Drohnen, Gadgets, ferngesteuerten Bomben und asymmetrisch geführten Wüstenkriegen?



Vielleicht auch deshalb ist das toll aussehende U-Boot dieses Films, das einer Gruppe von Russen und Briten - womit die Lager innerhalb der goldberauschten Tiefenkoller-Anordnung auch schon sortiert sind - als schwimmende Todesfalle und Glücksversprechen in einem dient, räudig rostig anzusehen: In einer Zeit, in der kaum ein Film ohne Hype-Partikel - Hinweise auf Twitter, Smartphones allenthalben, usw. usf. - auskommt, macht es Freude, einmal wieder kräftig im Schmutz und Ölschmier obsoleter Mechanik zu suhlen: Alte und bullige Männer mit faltigen Gesichtern drehen wie wild an Rädern, vergraben sich in Schläuchen, starren vor Dreck. Die Bildgestaltung taucht das Ganze zudem tief in Rot- und Gelbtöne. Exquisit sieht das alles aus, wenn man etwas übrig hat für die Verfalls-Ästhetik industrieller Großtier-Kadaver.

Anfangs wirkt "Black Sea" noch ein bisschen wie der übliche britische White-Trash-Social-Film mit klassenkämpferischer Attitüde. Etwas langweilig ist das schon. Sticht man aber endlich in die See, wird es schön mulmig: Die minimalistischen Set- und Spannungs-Pieces wirken; wenn es darum geht, Gold am Tod bringenden Seegraben vorbei zu bugsieren, geht man mit Herzklopfen mit. Seinen Pulp-Background kann der Film - zum Glück! - nicht verhehlen. Schön, dass es auch solche kleinen, sympathischen Filme noch gibt: Die nicht viel versprechen, das wenige aber voll und ganz halten.

Thomas Groh

Black Sea - GB 2014 - Regie: Kevin Macdonald - Darsteller: Jude Law, Jodie Whittaker, Scoot McNairy, Ben Mendelsohn, Tobias Menzies - Laufzeit: 115 Minuten.

Außerdem diese Woche neu:


"John Wick" von Chad Stahelski - ein stilisierter, geradlinigerr Revengefilm mit Keanu Reeves, der hier zumindest erwähnt werden soll, weil er scheinbar mühelos die inszenatorische Leichtigkeit des Hongkongkinos der 1990er Jahrre evoziert; und ein set piece enthält, das jetzt schon zu den besten Kinoszenen des Jahres zählen darf: Wenn John Wick sich durch einen Nachtclub namens "Red Circle" ballert, schwingt sich der Film für ein paar Minuten zum perfekt durchchoreografierten Action-Ballett auf. Einmal liegt der leitmotivisch neonleuchtende rote Kreis um Reeves" Kopf wie ein Heiligenschein.

Lukas Foerster