Im Kino

Zaghaft funkelndes Begehren

Die Filmkolumne. Von Rajko Burchardt, Patrick Holzapfel
25.03.2015. Entschlossen drauflos lärmen dürfen drei Punkerinnen in Lukas Moodyssons schöner Teenager-Hommage "Wir sind die Besten!". Gianfranco Rosi beobachtet in seinem mit einem goldenen Löwen preisgekrönten Film "Sacro GRA" schräge Vögel an der Autostrada del Grande Raccordo Anulare.


Stockholm in den frühen Achtzigern. Zwei 13jährige Mädchen beherrschen keine Instrumente, gründen aber stolz eine Punkband. Das einfach so tun zu können, ist schon die ganze Idee - es geht nicht um gute Musik, es geht darum, guter Musik einen Riegel vorzuschieben (und irgendwas gegen die Langeweile zu tun). Im örtlichen Jugendzentrum nehmen Klara und Bobo deshalb den Proberaum in Beschlag, der sonst mit schrecklich ambitioniertem Krach der ihnen verhassten älteren Jungs beschallt wird. Mögen die beiden Mädchen auch nicht mit Schlagzeug und Bassgitarre umgehen können: sie lärmen einfach umso entschlossener drauflos. Ihre wütenden Agitationstexte beklagen den Sportunterricht der Schule, die Gefahren von Atomenergie und die hungernden Kinder in Afrika. Wenn Klara und Bobo hören, dass Punk längst tot sei, können sie darüber nur herzlich grölen.

Ganz ohne dramaturgische Zwänge erzählt "Wir sind die Besten!" von der Unbeirrbarkeit zweier Mädchen, die ihren rebellischen Gestus aus den Überresten einer Gegenkultur ableiten, mit der sie über das einst aufrührerische Verhalten älterer Geschwister in Berührung kamen (dass Klaras Bruder den Punk "betrogen" hat, weil er nun lieber Joy Division höre, sieht sie als klares Indiz für den "Faschismus" ihres erwachsenen Umfeldes). Der Film vermittelt sein Coming-of-Age-Material ausschnitt- und bruchstückhaft, er bekommt die natürlichen Widersprüche adoleszenter Erfahrungswirklichkeit auf Augenhöhe der Figuren - statt durch vordergründige Einmischung der Inszenierung - zu fassen. Seine Handlung legt den Mädchen keine Stolpersteine in den Weg, lässt ihr Aufbegehren einfach Aufbegehren sein.

Bald tritt mit Hedvig eine weitere, weniger impulsive Hauptfigur in den Film. Sie ist Gitarristin und ebenso wie Klara und Bobo als Außenseiterin verschrieen. Dem autodidaktischen Bandprojekt verhilft sie zu einem gewissen Mindestniveau, später muss sie auch mal interne Streitereien schlichten. Energie schöpft das Trio aus gezielten Provokationen gegen Hedvigs religiöse Familie ("Wir bringen sie dazu, keine Christen mehr sein zu wollen.") sowie aus einem geplanten Weihnachtskonzert, das dem Titel des Films alle Ehre macht. Es kommt zu ersten - dann plötzlich ganz verschämten - Kontaktversuchen mit Jungs, die in tristen Plattenbauten am Stadtrand leben und ihrerseits sonderbar verpeilten Punkrock in Minimalbesetzung spielen (mit allerdings super betitelten Songs wie "Breschnew, Reagan, fuck off!").



Gefilmt und geschnitten ist "Wir sind die Besten!" auffallend schlicht, beinahe so, als wolle er seinen sehr tollen, sehr ungezwungen vor die Kamera tretenden Jungschauspielern nicht im Weg stehen, sondern sie lieber mal irgendwie machen lassen. Formalästhetisch haben sich bislang alle Filme von Lukas Moodysson, der hier einen Comic seiner Ehefrau Coco Moodysson adaptiert, so weit ihren Geschichten und Figuren angeglichen, dass das Werk des schwedischen Schriftstellers und Regisseurs auf keinen stilistischen Nenner zu bringen ist. Angesichts seiner letzten drei Arbeiten - dem auf Video gedrehten Kammerspiel "A Hole in My Heart", der schwarzweißen 16mm-Experimentalfilmübung "Container", dem sehr kunstgewerblich geratenen "Mammut" - läuft eine autorenfilmfixierte Betrachtung von "Wir sind die Besten!" erst einmal ziemlich ins Leere.

Das macht natürlich überhaupt nichts, sondern gibt den Blick fürs Wesentliche frei, vor allem für die Blickverhältnisse der Filmfiguren: Als Klara sich in einen der Wuschelköpfe vom Stadtrand verliebt, weicht ihr demonstrativ genervtes Augenverdrehen einem zaghaft funkelnden Begehren, schafft das ausgestellt Dickköpfige Raum für Empfindsamkeiten. Die zärtlichen Momente sind die schönsten des Films, weil sie den bockigen Humor immer dort nivellieren, wo sich die Mädchen ausdauernd umarmen und streicheln - was offenbar weder ihren mit sich selbst beschäftigten Eltern noch den Wuschelköpfen vom Stadtrand einfällt. Wenn Klara, Bobo und Hedvig auf den Bildern des Abspanns dann wieder einfach nur unbeschwerten Unsinn fabrizieren, fühlt sich das völlig richtig an. Sie sind die Besten.

Rajko Burchardt

Wir sind die Besten! - Schweden 2013 - Originaltitel: Vi är bäst! - Regie: Lukas Moodysson - Darsteller: Mira Barkhammar, Mira Grosin, Liv LeMoyne, Johan Lijemark, Mattias Wiberg - Laufzeit: 102 Minuten.

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Manchmal begegnet man Filmen, deren Schwäche zugleich ihre Stärke ist. Der Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig 2013, "Sacro GRA" von Gianfranco Rosi, ist ein solcher Film. Rosi erzählt von vielen kleinen Geschichten und Begegnungen, die sich in der Umgebung der Autostrada del Grande Raccordo Anulare abspielen. Hauptsächlich treffen wir auf schräge Vögel und Außenseiter, die um die Existenz kämpfen. Rosi benutzt die Autobahn als Aufhänger für eine scheinbar ziellose Entdeckungsreise in die Peripherie. Die Wärme eines Krankenwagenfahrers, die sich im weiteren Verlauf in Einsamkeit verkehrt. Die romantische Schrulligkeit eines Naturforschers am Rand der Autobahn. Das Schicksal zweier durchaus komischer Prostituierter in einem Van. Das Leben von zigarrerauchenden Prinzen, die auf den Dächern ihres Schlosses Sport treiben. Das Traurige und das Komische liegt dabei genauso nah zusammen wie das Politische und das Alltägliche. Der mächtige Atem Roms weht über die Bilder. Im Hintergrund werden neue Gebäude gebaut, Menschen werden immer ärmer und die Natur geht zum Teufel.

Dabei bekommen die Orte etwas Entrücktes, Mystisches. Das liegt zum einen an der assoziativen Montage, die zum Beispiel eine Straße mit dem Ring um den Saturn verknüpft. Der Film beginnt mit etwas klischeehaft unscharfen Lichtern, einem Treiben und Reisen in einer noch fast außerirdischen Welt. Bald wird klar, dass das nächtliche Lichtermeer vom Blaulicht eines Krankenwagens herrührt, dem wir folgen und in dessen Inneres wir bald eintauchen. Zum anderen hat die Sprache der einzelnen Figuren etwas Poetisches, steht nie nur für sich selbst, artikuliert immer ein Verhältnis zur Gesellschaft. Doch es geht nicht um Sozialkritik, sondern um verschiedenartige Eindrücke, die ein fragmentarisches Gesamtbild ergeben.



Genau diese unzusammenhängenden Muster sind gleichzeitig Stärke und Schwäche des Films. Rosi wagt einen gesellschaftlichen Querschnitt, ohne ihn wirklich zu rechtfertigen oder zu verorten. So ist nicht bei jeder Figur klar, wie und ob sie mit der Autobahn in Beziehung steht. Der Film lässt sich immer wieder ablenken, was an sich schön ist, allerdings stilisiert und fiktionalisiert er seine Bilder derart, dass die Abschweifungen nicht als spontane oder lebensnahe Entdeckungen erscheinen. Eine hohe Schnittfrequenz, äußerst hermetische Einstellungen und merkwürdig papierne Monologe arbeiten gegen das Fragmentarische und Unsaubere der Form. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum Rosi sich ausgerechnet mit diesen Personen beschäftigt. Zumal die meisten eben doch ein wenig zu schräg sind, um wahr zu sein.

Wie in seinen vorherigen Filmen geht es bei Rosi aber nicht unbedingt um die Dokumentation von Individuen, sondern um das Verschwinden in ihren Umgebungen. Wenn man den Film jenseits seiner historischen Auszeichnung und des Labels Dokumentarfilm betrachtet, verwandeln sich die Schwächen womöglich in Stärken, die "Sacro GRA" nicht unbedingt zu einem Meisterwerk machen, aber mit Sicherheit zu einem interessanten Film. Gerade die Fiktionalisierungen sind lesbar als eine Reflexion der Arbeitsweise Rosis und der gesellschaftlichen Strukturen.

Am deutlichsten zeigt sich das an dem Aristokraten, der von seinem Fenster aus eine gegenüberliegende Villa inspiziert, während Rosis Kamera uns umgekehrt voyeuristische Einblick in sein Zimmer verschafft. Aber auch die lauschenden Insekten in den Palmen sind ein solches Bild, das auf das Filmemachen selbst verweist. Fast unsichtbar hat sich Rosi seinen Figuren genähert und ist in ihr Leben eingedrungen, was von einem großen Vertrauen zeugt. Die wiederkehrenden Einstellungen durch Fenster bewegen sich zwischen Voyeurismus und Käfig, totaler Inszenierung und formaler Freiheit. Man kann darin ein Gegenstück zum in Italien so prominenten Reality-TV sehen, das mit ähnlichen Mitteln arbeitet, diese aber völlig anders einsetzt. Die Mischung aus Selbstdarstellung und Unzusammenhängendem könnte tatsächlich als Bild einer kommunikationslosen römischen Gesellschaft verstanden werden. Wie die Autobahn verschiedene Existenzen dann doch nicht verbinden kann, so muss auch der Film scheitern. Rosi wagt sich weit hinein in die Ambivalenzen und Unklarheiten der italienischen Gesellschaft, aber er tut dies nicht wütend oder klagend, sondern lächelnd.

Patrick Holzapfel


Sacro GRA - Italien 2013 - Regie: Gianfranco Rosi - Laufzeit: 95 Minuten.